Die OSZE als euroatlantische und eurasische Sicherheitsgemeinschaft: theoretische Grundlagen, Voraussetzungen und Aussichten
Die Erwartungen an die OSZE, die damals noch KSZE hieß, waren nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes hoch. Sie galt vielen als Nukleus eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems, in dem die Bündnisse des Kalten Krieges aufgehen sollten. Es ist bekanntermaßen anders gekommen. Die meisten - wenn nicht alle - mittel- und osteuropäischen Staaten sahen die Zukunft ihrer Sicherheit in NATO und EU. Dennoch ist die OSZE immer wieder als Modell für eine europäische Sicherheitsgemeinschaft ins Gespräch gebracht worden. Zuletzt wurde auf dem OSZE-Gipfeltreffen in Astana 2010 die Vision einer euroatlantischen und eurasischen "Sicherheitsgemeinschaft" formuliert. Von dieser Vision ist die OSZE allerdings weiter entfernt denn je. Von Michail Gorbatschows "Gemeinsamem Haus Europa" steht bis heute allenfalls der (erweiterte) Westflügel. Es ist dabei nur ein schwacher Trost, dass die Krise des Multilateralismus mittlerweile auch NATO und EU ereilt hat. Die Schwächung internationaler Institutionen resultiert nicht nur aus einer Renationalisierung und Renaissance unilateraler Souveränitätspolitik, sondern ist auch eine Binnenkrise, verursacht durch langwierige und intransparente Entscheidungsprozesse verbunden mit Blockaden und Hindernissen.
Im euroatlantischen und eurasischen Sicherheitsraum herrscht kein Mangel an Sicherheitsinstitutionen. Dennoch weist die europäische Sicherheitsordnung Legitimitäts-, Partizipations- und Effizienzprobleme auf. Dies liegt weder an der OSZE, noch an NATO und EU, sondern am mangelnden politischen Willen der Regierungen. Die europäische Sicherheitsarchitektur wird gegenwärtig von einem Konglomerat aus kollektiver Verteidigung, kooperativer Sicherheit, Sicherheitsgemeinschaften, kollektiver Sicherheit sowie Gleichgewichtspolitik und Mächtekonzerten geprägt.
Internationale Institutionen haben dabei eine doppelte Funktion: Zum einen spiegeln sie die Interessen der beteiligten Staaten wider. Die Mitgliedschaft in einer internationalen Institution liegt im (macht-)politischen Interesse eines Staates. Wenn sich diese Interessen ändern, wandelt sich auch der Charakter der internationalen Institution. Die Anpassungen von NATO und OSZE seit 1989 verdeutlichen somit auch die veränderten Präferenzen ihrer Mitglieder - d.h. in erster Linie der großen Staaten.
Auf der anderen Seite prägen und beeinflussen internationale Institutionen wiederum das Verhalten von Staaten. In gewisser Weise werden Staaten somit durch internationale Institutionen "sozialisiert". Internationale Organisationen wie NATO und OSZE sind demzufolge durchaus in der Lage, durch institutionalisierte Lernprozesse die Interessen und Präferenzen der Staaten zu beeinflussen und gegebenenfalls zu verändern. Dabei gilt die Grundannahme der Theorie des demokratischen Friedens, dass die Sozialisationsfunktion von Institutionen umso höher ist, je mehr Mitglieder Demokratien sind. Zudem sind Demokratien eher dazu bereit, Sicherheitsgemeinschaften zu bilden als Nicht-Demokratien. Aus diesem Grunde ist die Nordatlantische Allianz eben nicht nur ein traditionelles Militärbündnis, sondern eine auf demokratischen Identitäten beruhende pluralistische Sicherheitsgemeinschaft des Westens. Demgegenüber handelt es sich bei der OSZE um ein kooperatives Sicherheitssystem, das den Aufbau einer pluralistischen Sicherheitsgemeinschaft von Vancouver bis Wladiwostok als Zielvorgabe formuliert hat. Man könnte die OSZE somit auch als eine Sicherheitsgemeinschaft im Werden bezeichnen oder mit den Worten von Emanuel Adler als ein "security community-building model." Die OSZE hat dabei "anstatt darauf zu warten, bis "der Andere" seine Identität und Interessen ändert, damit er in die Institution, die eine Sicherheitsgemeinschaft aufbaut, aufgenommen werden kann [...] von Anfang an alle Staaten einbezogen, die den politischen Willen äußern, den Standards und Normen der Sicherheitsgemeinschaft gerecht zu werden ? in der Hoffnung, deren Identitäten und Interessen zu ändern".
Auch wenn die ermüdende Fülle von Kommuniqués mit den immer gleichen wohlfeilen Bekenntnissen und Absichtserklärungen zu ebenso wohlfeiler Kritik einlädt, ist die europäische Sicherheitsordnung besser als ihr Ruf. Andere Weltregionen schauen voller Neid auf den Grad der Zusammenarbeit und Verregelung in Europa. Trotz nicht zu leugnender Fortschritte ist die Realität europäischer Sicherheit im OSZE-Raum jedoch nach wie vor nicht nur von Kooperation, sondern auch von Nullsummenspielen, formellen und informellen Mächtekonzerten und Sicherheitsdilemmata geprägt. Dies ändert nichts an der Notwendigkeit der Vision einer Sicherheitsgemeinschaft von Vancouver bis Wladiwostok.
Karl W. Deutsch und das Konzept der Sicherheitsgemeinschaft - theoretische Grundlagen
Den Begriff der "Sicherheitsgemeinschaft" entwickelte Karl Wolfgang Deutsch 1957 in seinem viel zitierten Standardwerk von 1957 Political Community and the North Atlantic Area. International Organization in the Light of Historical Experience (Princeton 1957). Großer Erfolg war dem Konzept zunächst nicht beschieden, ganz im Gegenteil: Die Atmosphäre des Kalten Krieges zwischen den USA und der UdSSR sorgte zunächst dafür, dass das Konzept so schnell aus der von US-Wissenschaftlern dominierten Debatte verschwand, wie es aufgetaucht war. Die einzige Formen von "Sicherheitsgemeinschaft", die sich unter diesen Zeitumständen als salonfähig erwiesen, waren Verteidigungspakte wie die NATO, die CENTO und die SEATO.
Nach Deutsch zeichnet sich eine "pluralistische Sicherheitsgemeinschaft" dadurch aus, dass 1. in ihrem Rahmen Gewalt als Mittel zwischenstaatlicher Interessendurchsetzung überwunden ist (gewaltfreie Problemverarbeitung), 2. ihre Teilnehmer in den grundlegenden politischen Werten übereinstimmen (Wertekonsens) und 3. das wechselseitige Verhalten berechenbar ist (Erwartungsverlässlichkeit). Die Folge ist eine Zivilisierung des Umgangs zwischen Staaten. Sicherheitsgemeinschaften sind also enge, institutionalisierte Beziehungen zwischen Staaten, die nicht nur auf wechselseitigen Interessen, sondern auf gemeinsamen Werten und wechselseitigen Sympathien beruhen. Ein intensives Geflecht von Interessen, Kommunikation und Organisationen hält ihre Mitglieder zusammen. Sicherheit wird als ein kollektives Gut verstanden.
Neben der "pluralistischen Sicherheitsgemeinschaft" identifiziert Deutsch die "verschmolzene Sicherheitsgemeinschaft". Der Unterschied zwischen beiden besteht darin, dass pluralistische Sicherheitsgemeinschaften aus mehreren souveränen Staaten bestehen, während verschmolzene Sicherheitsgemeinschaften ein staatliches oder staatsähnliches Gebiet mit einer zentralisierenden Gewalt darstellen. Eine verschmolzene Gemeinschaft ist die Verflechtung mehrerer zuvor unabhängiger Einheiten zu einer eigenständigen größeren Einheit, die nach der Verschmelzung (Amalgamation) über eine gemeinsame Regierung verfügt. Beispiele hierfür sind die USA und das Deutsche Reich von 1870/71. Die pluralistische Sicherheitsgemeinschaft ist das Gegenstück zur verschmolzenen (amalgamierten) Sicherheitsgemeinschaft. Ihr Hauptziel ist die Bewahrung des Friedens unter ihren Einheiten. Die Nationalstaaten behalten in diesem Falle ihre Souveränität und es kommt nicht zur Errichtung einer gemeinsamen Regierung. Darüber hinaus ist die pluralistische Sicherheitsgemeinschaft deutlich leichter herzustellen und zu erhalten. Für die Existenz einer pluralistischen Sicherheitsgemeinschaft sind lediglich die drei bereits erwähnten Hauptvoraussetzungen nötig (gewaltfreie Problemverarbeitung, Wertekonsens und Erwartungsverlässlichkeit). Eine "verschmolzene" Sicherheitsgemeinschaft oder integrative Sicherheit entsteht dann, wenn die Mitgliedstaaten Souveränität auf die regionale Ebene transferieren. Die EU kann somit als pluralistische Sicherheitsgemeinschaft bezeichnet werden, die sich auf dem Weg zu einer integrativen Sicherheit befindet. Sie ist demnach zwar mehr als eine "pluralistische", aber noch keine "verschmolzene" Sicherheitsgemeinschaft.
Da integrative Prozesse einer historischen Transformation von Gesellschaften gleichkommen, lassen sich die genannten Indikatoren - jeweils lediglich mit negativem Vorzeichen - auch für die Analyse von Gegentrends nutzen, denn Sicherheitsgemeinschaften in der amalgamierten oder in der pluralistischen Variante sind immer auch rückfallgefährdet: Die Regressionsanfälligkeit erschließt sich über dieselben Faktoren, die auch den Prozess der Integration kennzeichnen: "Integration ist eine Tatsache, nicht eine Frage der Zeit. Wenn die Menschen auf beiden Seiten keinen Krieg befürchten und auch keinen vorbereiten, spielt es kaum eine Rolle, wie lange sie dafür gebraucht haben, dieses Stadium zu erreichen. Wenn Integration aber erst einmal erreicht ist, könnte die Dauer ihres Bestehens zu ihrer Konsolidierung beitragen."
Schließlich sind bei allen Sicherheitsgemeinschaften grundsätzlich drei Zukunftsszenarien denk- und logisch begründbar: Evolution, Stagnation und Devolution. Deutsch ging davon aus, dass es bestimmte Schwellen gibt, die - wenn sie einmal überschritten sind - das Bestehen einer Sicherheitsgemeinschaft sichern. Dies ist nur möglich, wenn ein starker Gemeinschaftssinn (sense of community) entsteht und erhalten bleibt, der wiederum den Institutionen der Sicherheitsgemeinschaft zu ihrer Geltung verhilft. Nur durch den Gemeinschaftssinn kann sichergestellt werden, dass die Gemeinschaft überlebt; durch Gewalt oder einen Hegemon innerhalb der Gemeinschaft kann dies nicht erreicht werden. Die engen Verflechtungen zwischen den Staaten erhöhen die Kosten für die Anwendung von Gewalt, sodass die Staaten letzt-lich friedliche Konfliktlösungen suchen.
Im Zusammenhang mit der Herausbildung einer regionalen Sicherheitsarchitektur im Rahmen der OSZE stellt sich die Frage, ob Sicherheitsgemeinschaften nur zwischen Demokratien gebildet werden können. Oder anders gefragt: Ist ein demokratisches System für die Bildung einer Sicherheitsgemeinschaft eine hinreichende oder aber eine notwendige Bedingung? Wenn man den Kriterienkatalog von Deutsch anwendet zeigt sich: Für die Herausbildung einer pluralistischen Sicherheitsgemeinschaft sind Gewaltverzicht, Wertekonsens und Erwartungsverlässlichkeit ausreichend. Angesichts der Mitgliedschaft der damaligen Militärdiktaturen Griechenland, Spanien und Portugal in der NATO könnte man sogar argumentieren, dass die Teilnahme an einer Sicherheitsgemeinschaft den Prozess der gesellschaftlichen Teilhabe beschleunigen kann. Dennoch: Partizipation, soziale Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit können den Prozess der regionalen Integration befördern. Wie bereits erwähnt, ist die Sozialisationsfunktion von Institutionen umso höher, je mehr Mitglieder Demokratien sind, und Demokratien sind eher dazu bereit, Sicherheitsgemeinschaften zu bilden, als Nicht-Demokratien.
Die Weiterentwicklung des Deutsch'schen Konzepts seit den 1990er Jahren
Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts wurde in den internationalen Beziehungen auch das Konzept der pluralistischen Sicherheitsgemeinschaft wieder aufgegriffen und vor dem Hintergrund der neuen weltpolitischen Lage überarbeitet. Insbesondere Emanuel Adler und Michael Barnett und ihrem vielzitierten Sammelwerk Security Communities ist es zu verdanken, dass das Deutsch'sche Konzept in den vergangenen Jahren eine Renaissance erlebt hat. Sie greifen Deutschs Ideen auf und bemühen sich um ihre Anpassung an die neue sicherheitspolitische Lage seit dem Ende der Blockkonfrontation. Im Wesentlichen sind es drei Modifikationen bzw. Ergänzungen, die Adler und Barnett vornehmen.
Zum einen definieren sie den Begriff der "Sicherheitsgemeinschaft" rigoroser als Deutsch. Sie verwerfen die Idee einer amalgamierten Sicherheitsgemeinschaft und sprechen stattdessen allgemein von Gemeinschaften souveräner Wesen, die eine verlässliche Aussicht auf friedlichen Wandel genießen. Des Weiteren haben Adler und Barnett das Konzept von Karl W. Deutsch erweitert und präzisiert, indem sie zwischen zwei Typen von (pluralistischen) Sicherheitsgemeinschaften differenzieren, locker (loosely-coupled) und eng gekoppelten (tightly-coupled) Sicherheitsgemeinschaften.
Eine locker gekoppelte Sicherheitsgemeinschaft umfasst souveräne Staaten, die eine verlässliche Aussicht auf friedlichen Wandel aufrechterhalten und nicht mehr. Eng gekoppelte Sicherheitsgemeinschaften gehen über diese Grundbedingung hinaus und erweisen sich als anspruchsvoller. Zum einen weisen sie einen gewissen Grad an Nachbarschaftshilfe auf. Zum anderen stellen sie ein konkretes Bezugssystem für ihre Mitglieder dar, das sich als ein Mittelding zwischen einem Verbund souveräner Staaten und einer regionalen, zentralisierten Regierung erweist. Adler und Barnett bezeichnen dieses System etwas unpräzise als ein post-souveränes System, ausgestattet mit gemeinsamen supranationalen, transnationalen und nationalen Institutionen sowie einer Art kollektivem Sicherheitskomplex.
Pluralistische Sicherheitsgemeinschaften bestehen demnach aus mehreren souveränen Staaten, die ihre eigenen Regierungen und ihre politischen Systeme behalten. Diese Staaten besitzen jedoch gemeinsame Kernwerte (core values), die auf ähnlichen politischen Institutionen, ähnlichen (historischen) Erfahrungen und der Existenz eines gewissen Grades an Gemeinschaftlichkeit und Loyalität basieren. Es besteht somit ein - zumindest embryonales - "Wir-Gefühl". Die Mitgliedstaaten einer pluralistischen Sicherheitsgemeinschaft sind so weit miteinander verflochten beziehungsweise integriert, dass sie darauf vertrauen können, dass (noch immer) auftretende Konflikte friedlich gelöst werden. Des Weiteren kann man Sicherheitsgemeinschaften nach ihrem Reifegrad in reife (mature), aufsteigende (ascendent) und aufkeimende (nascent) Sicherheitsgemeinschaften unterscheiden. Reife Sicherheitsgemeinschaften stehen nach Adler und Barnett auf der höchstmöglichen Stufe der Entwicklung. Als Beispiele hierfür dienen die USA und - etwas weniger integriert - die EU.
Beide Typen von Sicherheitsgemeinschaften durchlaufen in ihrem Entwicklungsprozess die drei Stufen der Aufkeimung, Aszendierung (bzw. Aufstieg) und Reifung. In aufkeimenden Sicherheitsgemeinschaften prüfen die Staaten, wie sie ihre Aktivitäten koordinieren können, um die gemeinsame Sicherheit zu erhöhen, Transaktionskosten zu senken oder das Potenzial für weitere Interaktion in der Zukunft zu schaffen. Voraussetzung für diese Initiierungsphase ist in der Regel die Wahrnehmung einer gemeinsamen Bedrohung, vor der es sich zu schützen gilt. Die Phase der Aszendierung ist geprägt durch sich zunehmend verdichtende Netzwerke, neue Institutionen und Organisationen, die eine engere militärische Koordinierung und Kooperation widerspiegeln, sowie eine geringere Furcht davor, dass die jeweils anderen Mitglieder eine Bedrohung darstellen könnten. Im Verlauf dieser Phase kommt es daher auch zu vertieftem gegenseitigen Vertrauen und zur Entfaltung einer kollektiven Identität. Die in diesem Prozess entstehenden Institutionen führen wiederum zu einer anwachsenden sozialen Interaktion, zur Verbreitung einer gemeinsamen Identität und komplementärer Interessen. Die Phase der Aszendierung geht schließlich in die dritte Stufe - die Reifung - über. An diesem Punkt teilen die regionalen Akteure eine gemeinsame Identität und etablieren deshalb die verlässliche Aussicht auf einen friedlichen Wandel, wodurch die eigentliche Sicherheitsgemeinschaft entsteht. Die "pluralistische Sicherheitsgemeinschaft" hingegen ist bescheidener in ihren Ansprüchen. Sie beschränkt sich auf die nötige Vereinbarkeit der wesentlichen Werte, eine gewisse Sensibilität und ein Verantwortungsgefühl gegenüber sozial Schwächeren und Minderheiten sowie die Voraussagbarkeit des Verhaltens eines jeden Akteurs innerhalb der Gemeinschaft. Allerdings betont Deutsch, dass beide Arten von Sicherheitsgemeinschaften immer auch rückfallgefährdet seien.
Der Versuch den OSZE-Raum anhand des Deutsch'schen Paradigmas zu typologisieren, erweist sich als schwierig. Während die NATO geradezu der Prototyp einer pluralistischen Sicherheitsgemeinschaft ist, handelt es sich bei der Europäischen Union um eine Mischform zwischen einer pluralistischen und einer amalgamierten Sicherheitsgemeinschaft. Trotz des dichten Netzes an Institutionen, Transaktionen und Beziehungen ist es bis jetzt nicht zur Verschmelzung gekommen und ob dies in Zukunft der Fall sein wird, bleibt abzuwarten. Bislang sind als direkte Folge der europäischen Banken- und Schuldenkrise eher nationale Kirchturmpolitik und ein Trend zur Renationa-lisierung zu beobachten. Die Bearbeitung der Krise könnte jedoch durchaus auch zu einem neuen Integrationsschub führen. Die gemeinsame Bankenaufsicht und die angestrebte Harmonisierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik sind Indizien dafür. Bislang lässt sich die EU in Anlehnung an Adler und Barnett noch am ehesten als eng gekoppelte Sicherheitsgemeinschaft bezeichnen. Inwieweit auch die OSZE Attribute und Voraussetzungen einer Sicherheitsgemeinschaft besitzt, soll im Folgenden erörtert werden.
Die Krise der OSZE und die Schlüsselrolle Russlands
Die Kritik am Zustand der OSZE ist nicht neu - für viele bietet sie ein "Bild des Jammers". Die Beschreibungen reichen von einem "machtlosen Debattierclub" und "zahnlosen Tiger" über eine "Schönwetterorganisation" bis hin zur gender-politisch äußerst inkorrekten "Dame ohne Unterleib". Es ist zwar eine Binsenweisheit, aber man kann sie nicht oft genug wiederholen: Eine Institution ist immer nur so stark, wie ihre Mitglieder es zulassen. Die OSZE ist genauso wenig unabhängig wie die EU oder die NATO. Philip Zelikow hat dies am Beispiel der NATO in einem prägnanten Bild zusammengefasst: "Niemand, der am Haus eines Nachbarn vorbeigeht und das Auto eines Besuches in der Auffahrt stehen sieht, würde sagen: "Sieh mal, Schatz, die Bensons haben heute Abend Besuch von einem Chevrolet." Die NATO ist vielleicht das Fahrzeug [...], sie ist aber nicht der Fahrer,"
Seit mehr als zehn Jahren kämpft die OSZE gegen einen Bedeutungsverlust. Für diesen gibt es verschiedene Gründe: die Konkurrenz durch andere Akteure, die Lähmung der Organisation durch eine Ost-West-Spaltung sowie das unscharfe Profil und die geringe Sichtbarkeit nach außen. Es waren nicht zuletzt der überhöhte Erwartungsdruck auf die KSZE in den frühen neunziger Jahren und das von vielen ihrer politischen und akademischen Freunde und Förderer mit einem gewissen Trotz demonstrierte Festhalten an einer Schlüsselrolle der Organisation in der neu entstehenden kontinentalen und transkontinentalen Sicherheitslandschaft, die um die OSZE eine Aura der Enttäuschung entstehen ließen.
Auch im politischen Berlin fristet die OSZE überwiegend ein Schattendasein. Sie kommt in den strategischen Debatten und in den relevanten Papieren der außenpolitischen Denkfabriken de facto nicht vor oder wird lediglich unter "ferner liefen" erwähnt. Eine der wenigen Ausnahmen ist hier die von Außenminister Frank-Walter Steinmeier und seinem damaligen Staatsminister Gernot Erler entwickelte Zentralasienstrategie zu Zeiten der Großen Koalition - und auch hier stand vor allem die EU im Mittelpunkt. Das deutsche Engagement für die OSZE ist zwar nicht vollständig erloschen, hat sich aber doch deutlich abgeschwächt. Dies hat nicht nur, aber auch mit den Reform- und Erweiterungsprozessen von EU und NATO zu tun.
Zudem hat sich gezeigt, dass die Erwartungen in die OSZE als Kern einer gesamteuropäischen Friedensordnung zu blauäugig waren. Trotz aller OSZE-Rhetorik haben sich deshalb die Prioritäten deutscher Außen- und Sicherheitspolitik in Anerkennung der sicherheitspolitischen Realitäten auf dem Kontinent seit 1992 in Richtung NATO und seit 1999 in Richtung EU/ESVP verschoben. Auch in Deutschland wird die OSZE immer weniger als die überwölbende Plattform für gesamteuropäische Sicherheit angesehen. Sie wird stattdessen mehr und mehr zu einem wahlweise einsetzbaren Instrument zur Verfolgung begrenzter außenpolitischer Ziele, hauptsächlich in Regionen, in denen weder die EU noch die NATO auftreten kann bzw. will. In internen Strategiepapieren kommt die OSZE praktisch nicht mehr vor oder wird allenfalls kursorisch erwähnt.
Die Defizite der OSZE spiegeln auch die Defizite der euroatlantischen Sicherheitsarchitektur insgesamt wider, die nach wie vor durch sehr unterschiedliche Zonen von Sicherheit gekennzeichnet ist. NATO und EU haben zwar ein hohes Maß an Integration, gegenseitigem Vertrauen und kollektiver Sicherheit geschaffen, jenseits ihrer Grenzen fehlt dieses Vertrauen aber nach wie vor. Die OSZE arbeitet mit einem integrativen Konzept, das sich von den konditionierten Erweiterungsstrategien der EU und der NATO unterscheidet. Dieser integrative Ansatz bedeutet jedoch auch, dass sich die OSZE unweigerlich alle Konflikte, Probleme und Widersprüche einverleibt, die dann innerhalb der Organisation bearbeitet werden müssen. Es gibt im OSZE-Raum und an seinen Rändern eine ganze Reihe von Ländern mit den Eigenschaften fragiler Staatlichkeit, in denen vor allem innerstaatliche Konflikte jederzeit ausbrechen können. Ein Blick auf die Konflikte im OSZE-Raum zeigt, dass der Bedarf an den Leistungen der Organisation weiterhin besteht. Mit einer präziseren Rollenklärung, einer klareren Abgrenzung gegenüber anderen Akteuren und einer Besinnung auf ihre Kernkompetenzen könnte die OSZE dazu beitragen, dass sie als Forum für Sicherheitsfragen für ihre Teilnehmerstaaten wieder attraktiver wird.
Eine eurasische Sicherheitsgemeinschaft ist ein weit in der Zukunft liegendes visionäres Ziel. Die Realitäten der gegenwärtigen europäischen Sicherheitslandschaft sind davon weit entfernt. Mit Ausnahme des Transnistrien-Konflikts, bei dem die Konfliktparteien im November 2011 immerhin das offizielle 5+2-Verhandlungsformat wieder aufgenommen haben, gibt es kaum Fortschritte. Der Berg-Karabach-Konflikt droht durch kriegerische Rhetorik weiter angeheizt zu werden. Auch in Georgien entwickeln sich die verschiedenen Landesteile immer weiter auseinander. In Belarus wird nicht nur die politische Opposition unterdrückt und eingesperrt, sondern grundlegende Freiheitsrechte des Einzelnen - die zu schützen sich alle OSZE-Staaten verpflichtet haben ? werden mit Füßen getreten, ähnliches gilt für die Ukraine und die zentralasiatischen Staaten.
Dies führt uns zur Schlüsselrolle Russlands. Die Krise der OSZE ist auch eine Krise der Russlandpolitik des Westens, die dringend kohärenter gestaltet werden muss. Dies ist zugegebenermaßen mit Wladimir Putins dritter Amtszeit nicht einfacher geworden. Die Stichpunkte Raketenabwehr, Libyen und Syrien zeigen die Spannungen und Probleme, die es hier zu bewältigen gilt. Die nach wie vor existierende Spaltung des Kontinents verbunden mit der Konsensregel lähmt die Organisation zusätzlich: Auf dem Gipfel von Astana scheiterte die Verabschiedung eines gemeinsamen Aktionsplans, auf mehreren Ministertreffen zuvor konnte man sich nicht auf gemeinsame Schlusserklärungen einigen, und auch das Budget war häufig Gegenstand von Streitereien. Dieses Zerwürfnis führte auch dazu, dass wichtige Missionen der OSZE nicht verlängert oder deren Mandate verwässert wurden (z.B. Georgien, Belarus, Usbekistan). Zudem versuchte Moskau, die politische Kontrolle über die relativ unabhängigen OSZE-Sonderinstitutionen (Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte, BDIMR, Hoher Kommissar für nationale Minderheiten, HKNM, und der Beauftragte für Medienfreiheit zu verstärken. Die Spaltung blockiert auch die Klärung des rechtlichen Status der Organisation und die Verabschiedung einer OSZE-Charta. In Russland überwiegt die Ansicht, dass die kooperative Strategie der 1990er Jahre versagt hat. Die russischen Sicherheitsinteressen seien z.B. in der Frage der Raketenabwehr und des KSE-Vertrags übergangen und Moskaus Interessensphäre u.a.. durch die westliche Unterstützung für die "farbigen Revolutionen" nicht respektiert worden. Konkret erhebt Russland drei Vorwürfe: 1. werde in der OSZE die menschliche Dimension auf Kosten der politisch-militärischen Dimension überbetont, 2. lege die OSZE das Spannungsfeld zwischen staatlicher Souveränität (territoriale Integrität, Unverletzbarkeit der Grenzen) und grundlegenden Menschenrechten einseitig zugunsten Letzterer aus (z.B. bei der Anerkennung des Kosovo) und 3. interveniere die OSZE quasi nur "östlich von Wien", obwohl es westlich davon auch relevante Themen gebe (z.B. das Baskenland und Nordirland).
Erschwerend hinzu kommt, dass die ursprüngliche russische Absicht der Schaffung eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems unter der Ägide bzw. der Vorherrschaft der OSZE von vornherein eine Totgeburt war. Die europäische Sicherheitsstruktur nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ist und bleibt ein evolutionärer Prozess, der sich nun mal nicht in Form von Modellen oktroyieren lässt. Nichtsdestoweniger ist die wieder entfachte Diskussion über neue Sicherheitsstrukturen (der Korfu-Prozess und die Ergebnisse der Diskussionen auf dem Gipfeltreffen in Astana) für die OSZE eine große Chance, ihre Rolle als wichtiges Forum gesamteuropäischer Sicherheit und Kooperation auszubauen. Die Entspannung zwischen den USA und Russland sowie die Wiederannäherung zwischen Russland und der NATO nach dem Georgienkrieg haben einen dynamischen Dialogprozess in der OSZE begünstigt. Auch wenn es noch zu früh ist, um von einer Trendwende zu sprechen, ist ein erneuter Bedeutungszuwachs der OSZE nicht auszuschließen.
Die OSZE auf dem Weg zu einer Sicherheitsgemeinschaft? Voraussetzungen und Hindernisse
Liest man die Erklärungen und Abschlusskommuniqués der OSZE und legt die von allen 57 Teilnehmerstaaten anerkannten Prinzipien zugrunde, dann ist OSZE bereits eine Sicherheitsgemeinschaft. Doch auch hier gilt: Es fehlt nicht an programmatischen Erklärungen, sondern am politischen Willen und der konkreten Anwendung dieser Prinzipien. Zuletzt hat der Georgienkrieg allen drastisch vor Augen geführt, dass im OSZE-Raum kein dauerhafter demokratischer Frieden herrscht.
Emanuel Adler unterscheidet folgende sieben gemeinschaftsbildende Funkti-onen der OSZE auf dem Weg zu einer Sicherheitsgemeinschaft: ? (1) Sie fördert politische Konsultationen sowie bilaterale und multilaterale Übereinkommen zwischen ihren Mitgliedern. (2) Sie setzt freiheitliche Normen, die sowohl innerhalb der Staaten als auch in der Gemeinschaft anwendbar sind und dazu dienen, die Leistungsbilanz in den Bereichen Demokratie und Menschenrechte zu beurteilen, und überwacht deren Einhaltung. (3) Sie versucht, gewaltsam ausgetragene Konflikte zu verhüten, bevor sie ausbrechen. (4) Sie trägt dazu bei, die Praxis friedlicher Streitbeilegung im OSZE-Raum weiterzuentwickeln. (5) Sie baut gegenseitiges Vertrauen durch die Förderung von Rüstungskontrollabkommen, militärischer Transparenz und Zusammenarbeit auf. (6) Sie unterstützt die Hilfe für neue unabhängige Staaten sowie den Aufbau demokratischer Institutionen und marktwirtschaftliche Reformen. (7) Sie leistet Beistand beim Wiederaufbau von Institutionen und der Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit nach Konflikten.?
In Astana wurde jedenfalls erstmals in einem Abschlussdokument der OSZE das Ziel einer euroatlantischen und eurasischen Sicherheitsgemeinschaft erwähnt. Wie diese Vision mit Ideen und Inhalten gefüllt werden kann, ist völlig offen und unter den Teilnehmerstaaten umstritten. Die OSZE kann nicht auf Bestellung und frei Haus für die Lösung aller europäischen Sicherheitsprobleme Antworten liefern. Aber sie kann einen Rahmen bieten, in dem die drängenden Fragen definiert, Konzepte geprüft und praktische Lösungen gesucht werden können. Die heutige OSZE ist durch hohe Flexibilität, Kosteneffizienz und immer noch relativ schlanke Organisationsstrukturen gekennzeichnet. Die Organisation hat sich seit 1990 zu einer Art flexibel einsetzbarem Ad-hoc-Ausschuss für die Sicherheitsprobleme und Konflikte, die von EU und NATO nicht bearbeitet werden können bzw. wollen entwickelt. Sie füllt damit eine entscheidende Lücke im europäischen Sicherheitsgefüge.
Die OSZE verbindet die euroatlantische und die eurasische Region. Sie ist die einzige europäische Sicherheitsorganisation, in der sowohl die USA als auch Russland vollwertige Mitglieder sind. Die breite Mitgliedschaft, die Konsensregel, das umfassende Sicherheitsverständnis und ihre Erfahrung als Plattform für Dialog und Aktion gleichermaßen verhelfen der OSZE zu einem potenziell gewichtigen Stellenwert im Rahmen der europäischen Sicherheitsarchitektur. Die OSZE trägt mehr zur Bewältigung von Konflikten bei als oft sichtbar wird. So hat der kasachische Vorsitz dazu beigetragen, dass die Krise in Kirgisistan nicht weiter eskaliert. Über die Erfolge im Baltikum und die effiziente Arbeit des HKNM bei der Konfliktverhütung in Estland, Lettland, Ungarn und auf der Krim wird zwar nicht berichtet, weil nur "bad news" "good news" sind ? sie sind aber dennoch Realität.
Die überragende Bedeutung der Organisation liegt jedoch im Bereich der Normsetzung, d.h. in der Schaffung von Regelwerken, die das friedliche Zusammenleben ermöglichen sollen. Dabei hat die Geschichte der KSZE gezeigt, dass die Ausbreitung normativer Grundlagen Zeit braucht, bis sie substanzielle Wirkung entfalten. Das Problem liegt zudem - wie bereits erwähnt - weniger in der Normensetzung, als vielmehr in der Normendurchsetzung. Hier bleibt die OSZE auf den Konsens und die Mitarbeit ihrer 57 Mitgliedstaaten angewiesen; als intergouvernementale Einrichtung kann sie die Implementierung ihrer Normen und Ziele nicht erzwingen. Sie ist insofern eine in jeder Hinsicht typische internationale Organisation. Staaten bedienen sich ihrer, um bestimmte Probleme kooperativ zu lösen, missachten sie aber, sobald sie ihre Interessen anders definieren. Insofern verfügt die OSZE - ebenso wie die meisten anderen Organisationen - nur über geliehene Macht. Letztlich werden also die Teilnehmerstaaten selbst die Frage beantworten müssen, ob sie der OSZE eine wichtigere Rolle zukommen lassen wollen. Mit anderen Worten: Es geht weniger um neue Regeln für die OSZE als darum, die bestehenden einzuhalten. Denn nur in ihren Deklarationen ist die OSZE bereits eine Sicherheitsgemeinschaft, in der Realität ist sie davon weit entfernt.
Vision und Realität - eine euroatlantische und eurasische Sicherheitsgemeinschaft
Die euroatlantische pluralistische Sicherheitsgemeinschaft ist trotz der Krisen von NATO und EU Realität. Sie gilt es gegen aufkommende Renationalisierungstendenzen zu verteidigen. Der "Westen" wird durch ein enges Geflecht kultureller und ökonomischer Beziehungen zusammengehalten, die im Zeichen der Globalisierung noch enger geknüpft werden. Dabei war der "Westen" nie ein statisches oder gar geografisch beschränktes Gebilde und ist es auch heute nicht - er ist vielmehr ein ideelles Konstrukt, in dem ständig Kräfteverhältnisse neu definiert, Interessenkonflikte neu austariert und Werte neu überprüft werden.
Die OSZE hingegen ist und war nie die Inkarnation der westlichen Wertegemeinschaft, sondern ein eurasisches Staaten- und Wertekonglomerat. In einigen ihrer Teilnehmerstaaten herrschen mehr oder weniger traditional-patriarchalische Gesellschaften, geprägt von islamischer Religion, Kultur und Werten, vor. In den gesellschaftspolitischen Fragen und Wertorientierungen bestehen gravierende Unterschiede, die letztlich der eigentliche Hintergrund zentraler Streitfragen sind, wie jener um die "Demokratie als einzige Regierungsform" (Charta von Paris, 1990). Nicht nur in Zentralasien, sondern auch in Russland, Belarus und der Ukraine gibt es Rückschritte. Die Erweiterung der euroatlantischen Sicherheitsgemeinschaft zur eurasischen Sicherheitsgemeinschaft unter dem Dach der OSZE bleibt Arbeitsauftrag, Aufgabe und Ziel. Bislang ist es lediglich eine Vision.
Gemeinsame Sicherheit gibt es nicht ohne gegenseitiges Vertrauen. Vertrauen muss wachsen. Es wächst am nachhaltigsten durch ganz konkrete, praktische Zusammenarbeit. Auch nach vier Jahrzehnten bleibt die OSZE die einzige Organisation, in der die nordamerikanischen Demokratien, die Staaten der EU und ihre östlichen Nachbarn bis nach Zentralasien miteinander verbunden sind. Die großen Chancen, die hierin liegen, müssen besser genutzt werden. Die OSZE ist in vielem besser als ihr Ruf und hat, historisch gesehen, außerordentlich viel erreicht. Die Arbeit an einer euroatlantisch-eurasischen Sicherheitsgemeinschaft ist ein Prozess, der permanentes Engagement und vor allem Handlungs- und Veränderungswillen der Politik verlangt.
Auch in Europa, wo Sicherheitsgemeinschaften vorhanden (NATO, EU) oder im Entstehen begriffen sind (OSZE), sind Begriffe wie "Gleichgewicht der Kräfte", "Hegemonie", "Bündnisse" und "Mächtekonzert" nicht von der politischen Landkarte verschwunden. Die OSZE bleibt ein wichtiges Kooperationsgremium für diejenigen Staaten, die nicht Teil der Sicherheitsgemeinschaften EU und NATO sind. Sie ist ein kooperatives Sicherheitssystem, das den Aufbau einer pluralistischen Sicherheitsgemeinschaft von Vancouver bis Wladiwostok als Zielvorgabe formuliert hat, oder - mit den Worten von Emanuel Adler - ein "security community-building model". Man sollte sich jedoch vor allzu hohen Erwartungen hüten, die der OSZE eine Allzuständig-keit für die gesamteuropäische Sicherheit zuschreiben wollen. Der OSZE kommt die wichtige Aufgabe zu, sich um diejenigen Staaten zu kümmern, die nicht - oder besser noch nicht - Teil der Sicherheitsgemeinschaften des "Westens" sind. Sie ist eine Sicherheitsgemeinschaft im Werden, die erst dann überflüssig würde, wenn alle 57 OSZE-Staaten der EU und/oder der NATO angehören würden.
Festzuhalten bleibt, dass die OSZE bislang trotz einiger Erfolge aus ihrem Schattendasein nicht herausgekommen ist und weiterhin ziemlich unbeachtet ihr Dasein in der "Nische kooperativer Sicherheit" fristet. Nischen sind allerdings evolutionsbiologisch auch dafür da, besetzt zu werden, und sichern das Überleben. Insofern wird die OSZE auch künftig eine wichtige Rolle in der europäischen Sicherheitsordnung spielen und hat durchaus das Potenzial dazu, diese Rolle zu erweitern und auszubauen. Voraussetzung hierfür wären allerdings ein Umdenken und eine andere Prioritätensetzung der wichtigsten Teilnehmerstaaten. Das legendäre Bonmot, das Frank Zappa einst über den Jazz prägte, lässt sich somit auch trefflich auf die OSZE anwenden: "Die OSZE ist nicht tot, sie riecht nur komisch."