Die OSZE - was kann der deutsche Vorsitz leisten?

Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes waren die Erwartungen an die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) scheinbar grenzenlos. Die damals noch als KSZE bekannte Organisation galt vielen als Kern eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems, in dem die Bündnisse des Kalten Krieges aufgehen sollten. Es kam anders. Von Michail Gorbatschows "gemeinsamem Haus Europa" steht bis heute allenfalls der (erweiterte) Westflügel. Die meisten mittel- und osteuropäischen Staaten sehen ihre militärische und ökonomische Sicherheit nicht in der OSZE, sondern in der NATO und der EU gewahrt. Entgegen einer weit verbreiteten Legende war es auch nicht nur "der Westen", der wenig Interesse an der Organisation hatte, sondern auch Russland gab vor allem schwammige Absichtserklärungen ab. So scheiterte die russische Initiative von 2008 zu einem "Europäischen Sicherheitsvertrag" nicht nur an der kritischen Haltung des Westens, sondern auch an mangelnder Substanz. Den USA und anderen skeptischen Staaten kam es dabei durchaus zupass, dass Russland inhaltlich nicht nachlieferte. Die Initiative versandete im so genannten "Korfu-Prozess".

Der Hauptgrund, weshalb die OSZE ihre "Vision einer freien, demokratischen, gemeinsamen und unteilbaren euroatlantischen und eurasischen Sicherheitsgemeinschaft" bis heute nicht verwirklichen konnte, besteht schlicht in der Tatsache, dass ein Teil der 57 Mitgliedsstaaten weder "frei", noch "demokratisch" ist. Deshalb sollte man den Nutzen der OSZE jedoch nicht gering schätzen: Minderheitenschutz, Wahlbeobachtung, OSZE-Missionen, Vertrauensbildung und Rüstungskontrolle sind wichtige, in der Öffentlichkeit zumeist unterschätzte oder gar totgeschwiegene Erfolge, die heute notwendiger sind denn je. Infolge der Ukrainekrise hat die OSZE an Bedeutung gewonnen. Ausgerechnet Wladimir Putin hat durch sein völkerrechtswidriges Vorgehen die Organisation "wach geküsst" und zum wichtigsten multilateralen Akteur im Konflikt auf der Krim und in der Ostukraine werden lassen.

Es ist zweifelsohne ein gutes Signal, dass Deutschland 2016 den OSZE-Vorsitz übernehmen wird. Wie wichtig Berlin dieses Amt nimmt, zeigt die Tatsache, dass es seine Bereitschaft für den Vorsitz an echte Reformschritte geknüpft hat. Vorrangiges Ziel ist es, die Erosion der bestehenden Rüstungskontrollverträge zu stoppen. So befindet sich der Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) seit 2007 in einer schweren Krise. Auch die anderen "klassischen" Instrumente der konventionellen Rüstungskontrolle wie die Inspektionen nach dem Wiener Dokument von 2011 und die Überflüge gemäß dem Vertrag über den Offenen Himmel bedürfen der Anpassung. Sie haben zwar in der Ukraine-Krise ihren sicherheitspolitischen Wert bewiesen, sind aber auch an ihre Grenzen gestoßen. Vertrauen und Transparenz lassen sich eben nur schwer durchsetzen, wenn an beidem kein Interesse besteht. Auch wenn "miteinander reden" per se noch keine diplomatische Spitzenleistung und auch kein Wert an sich ist, darf der Dialog zu diesen Themen gerade in der OSZE nicht abreißen, wenn schon andere Organisationen wie der NATO-Russland-Rat diesen nicht führen.

Der deutsche OSZE-Vorsitz ist mit großen, vielleicht zu großen, Erwartungen verknüpft - umso mehr sind wir auf Partner und Zusammenarbeit angewiesen. Denn eine Institution ist immer nur so stark, wie ihre Mitglieder es zulassen. Es reicht deshalb nicht aus, in Sonntagsreden die Bedeutung und Unverzichtbarkeit der OSZE zu beschwören. Sie und ihre Institutionen müssen vielmehr finanziell und personell dazu in die Lage versetzt werden, ihren Aufgaben nachkommen zu können. Wir sollten an der Vision einer Friedensordnung in Europa, die auf Dialog, Vertrauen und Sicherheit beruht, festhalten. Dazu brauchen wir Moskau. Wahr ist aber auch, dass Russland ein grundlegendes Prinzip der europäischen Ordnung  - nämlich die Unverletzlichkeit der Grenzen - gebrochen hat. Das kann kein Verhalten sein, wie Staaten einer "Sicherheitsgemeinschaft" miteinander umgehen. Mit anderen Worten: Es geht weniger um neue Regeln für die OSZE als vielmehr darum, die bestehenden einzuhalten. Denn nur in ihren Deklarationen ist die OSZE eine Sicherheitsgemeinschaft, in der Realität ist sie davon weit entfernt.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Die OSZE zwischen Renaissance und Überforderung
Veröffentlicht: 
WeltTrends, Nr. 109, November 2015, S. 70/71