Operation ARTEMIS: Einsatz ohne Ende?

Der Deutsche Bundestag hat heute dem Einsatz von bis zu 350 Bundeswehrsoldaten in der Stadt Bunia in der Demokratischen Republik Kongo zugestimmt. Es handelt sich in der Regel um Transportunterstützung. Die Stationierung selbst findet in Entebbe, außerhalb der Konfliktregion, statt. Der Einsatz ist bis zum 1. September 2003 befristet. Die Bedingungen sind so gewählt, dass deutsche Soldaten wahrscheinlich nicht in mögliche Kampfhandlungen verwickelt werden.

Nachdem die Vereinten Nationen (UN) während des Irak-Krieges einen massiven Bedeutungsverlust erlitten hatten, ist es gut, dass dieser Einsatz unter UN-Mandat nach Kapitel VII der Charta durchgeführt werden kann. Die Regierung der Demokratischen Republik Kongo, zahlreiche örtliche Rebellengruppen und auch die selbst in den Konflikt verwickelten Nachbarländer Ruanda und Uganda haben der Stationierung zugestimmt. Der Aktionsradius der Truppe ist begrenzt. Deshalb kann man hoffen, dass das Morden und die Verwüstungen im Zentrum der Region Ituri ein schnelles Ende finden. Danach soll die bereits im Kongo aktive UN-Friedenstruppe MONUC für Sicherheit und Frieden sorgen. Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Mission sind also günstig. Deshalb habe ich heute dem Einsatz der Bundeswehr zugestimmt. Und dennoch bleiben Fragen.

Das Einsatzgebiet der multinationalen Kampfverbände erstreckt sich nur auf einen kleinen Teil der Kampfhandlungen. Aufgrund zahlreicher umliegender Konfliktzonen und dort operierender Kriegsherren wurden in den vergangenen Jahren mehr als 2,5 Millionen Menschen direkt oder indirekt getötet. Es ist daher unwahrscheinlich, dass der Einsatz am 1. September enden wird. Zudem wird er sich aller Voraussicht nach nicht auf die Stadt Bunia begrenzen lassen. Im vergangenen Jahren wurden in Afrika 16 Kriege und bewaffnete Konflikte gezählt. Im Vergleich zum Vorjahr wurden zwar 2 Kriege beendet, aber es wurden auch zwei neue begonnen. Der Krieg im Osten Kongos wurde und wird um die Ausbeutung der Bodenschätze, vor allem Coltan, Gold und Edelhölzer geführt. Es gibt zahllose weitere Beispiele in Afrika, in denen Wirtschaftsinteressen den gewaltsamen Konflikt um politische Macht weiter anheizen oder sogar überlagern.

Der entscheidende Schritt zur Einhegung der Kämpfe in vielen Gebieten Afrikas wäre deshalb die Importkontrolle oder sogar ein Embargo auf bestimmte Produkte. Es wäre daher sinnvoll gewesen, die militärische Operation um diese Maßnahmen zu erweitern. Der Einsatz in Bunia ist der erste im Rahmen der Europäischen Union (EU) geführte Einsatz, der nicht auf NATO-Mittel und ?Fähigkeiten zurückgreifen muss. Das ist nicht falsch. Zur Bearbeitung solcher Konflikte wie im Kongo bedarf es aber des Aufbaus einer zivilen Infrastruktur, vor allem eines staatlichen Gewaltmonopols. Zurecht umfasst daher die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) seit dem Grundsatzbeschluss vom Dezember 1999 eine militärische und nicht-militärische Komponente. Letztere umfasst dabei die Bereitstellung von Polizei, Rechts- und Verwaltungsexperten sowie Mitgliedern aus Bereichen des Katastrophenschutzes. Während der militärische Aufbau im Rahmen der ESVP rasch voranschreitet, ist die Entwicklung eines breitgefächerten zivilen Ansatzes jedoch ins Stocken geraten. Die Mission im Kongo bedarf in jedem Fall einer (späteren) nicht-militärischen Begleitung. Damit würde sich das europäische Eingreifen von dem der USA abheben und den Bemühungen der UN zuarbeiten. Es hätte einen schlechten Beigeschmack, würde die ESVP lediglich nach dem Motto verfahren: Was die USA oder die NATO kann, können wir auch. Im Übrigen: Es wäre an der Zeit gewesen, die Operation im Kongo durch die von der UN bereitgestellten Truppen durchführen zu lassen.

Machen wir uns nichts vor: Wäre die Bundeswehr gegenwärtig nicht im Kosovo, in Afghanistan oder am Horn von Afrika aktiv, hätte sich auch die Frage von deutschen Kampftruppen im Kongo gestellt. Eine Antwort darauf wäre nicht leicht gewesen. Aufgrund der bereits diskutierten Problemen hätten wir die deutschen Interessen näher erörtern und die Risiken noch umfassender prüfen müssen. Auch die gerade erst verabschiedeten Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) weisen der Bundeswehr ein weltweites Engagement zu. Es gibt keine Festlegung, wann ein Einsatz nicht opportun und möglich ist. Ungeklärt ist auch, inwieweit der Verteidigungsbegriff des Grundgesetzes noch mit dem der Richtlinie übereinstimmt. Spätestens beim ersten Einsatz der neuen NATO-Eingreiftruppe wird sich wieder die Frage nach dem Gewaltmonopol des UN-Sicherheitsrats neu stellen. Denn in den Prager Beschlüssen wurden Einsätze der neuen mobilen NATO-Truppe nicht an ein UN-Mandat gekoppelt. Mit dem heutigen Beschluss zur militärischen Operation im Kongo ist also ein Schritt zur Deeskalation in der Region getan. Die grundsätzliche Frage über die Rolle und den Auftrag der Bundeswehr bei Kampfeinsätzen außerhalb des Bündnisgebietes ist noch offen. Der Einsatz im Kongo kann darauf nicht die Antwort bieten.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Einsatz von Bundeswehrsoldaten in der Demokratischen Republik Kongo
Veröffentlicht: 
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft, Heft 132, 4/2003