Nordkorea zu sechst
Nordkorea bleibt seinem Ruf als unberechenbarer Verhandlungspartner treu. Gerade mal einen Tag nach dem ersten Durchgang der multilateralen Gespräche in Peking, wo sich die sechs beteiligten Länderdelegationen (Nordkorea, USA, China, Russland, Japan und Südkorea) auf eine Fortsetzung des Dialogs innerhalb der kommenden zwei Monate geeinigt hatten, ließ Pjöngjang am 31. August 2003 ausrichten, dass man an weiteren Gesprächen zum umstrittenen Atomprogramm nicht länger interessiert sei, um diese Aussage nur zwei Tage später abermals zu revidieren. Allein die Tatsache, dass sich in Peking Vertreter von sechs Nationen getroffen haben, stellt einen Etappenerfolg der amerikanischen Diplomatie dar, wo man zur Lösung des Konflikts von Anfang an die Einbindung aller betroffenen Nationen der Region gefordert hatte. Ungeachtet des multilateralen Gesprächsrahmens wird eine Lösung des Atomstreits jedoch in erster Linie davon abhängen, ob eine Annäherung zwischen den beiden Hauptkontrahenten USA und Nordkorea gelingen wird. Im günstigsten Fall markiert das Sechs-Länder-Treffen den Auftakt zu einem zähen und langwierigen Verhandlungsprozess, analog zur Zangengeburt des 1994 zwischen den USA und Nordkorea geschlossenen Rahmenabkommens, in dem sich Nordkorea schon einmal zur Einstellung seines Atomprogramms bereit erklärt hatte und für dieses Versprechen großzügige Energielieferungen, den Bau zweier Leichtwasserreaktoren sowie Nahrungsmittellieferungen in Aussicht gestellt erhielt. Das Aushandeln dieses Abkommens nahm unter Führung der Clinton-Administration immerhin 18 Monate in Anspruch. Ein ähnlich langer Verhandlungsmarathon scheint auch dieses Mal, nunmehr in einem multilateralen Gesprächsrahmen, nicht unwahrscheinlich. (1)
Nordkorea
Seit Präsident Bush Nordkorea in die "Achse des Bösen" eingereiht hat, versucht das Land mit gezielten Provokationen, bilaterale Gespräche mit den USA zu erzwingen und seine Verhandlungsposition im Nuklearpoker zu verbessern. Die Logik dahinter lautet: Wir verzichten auf unser Nuklearpotenzial, im Gegenzug erhalten wir Sicherheitsgarantien und wirtschaftliche und finanzielle Hilfen. Der Wunschzettel, den Nordkorea der amerikanischen Seite präsentierte, ist lang: So fordert Pjöngjang eine Reihe von Vorleistungen, wie die Unterzeichnung eines Nichtangriffspaktes und diplomatische Anerkennung durch die USA. Gefordert werden zudem die Gewährung von Wirtschaftshilfe durch Südkorea und Japan sowie die Zahlung von Kompensationen für die Energieengpässe im Zusammenhang mit Verzögerungen beim Bau zweier Leichtwasserreaktoren, den die USA Nordkorea im Rahmenabkommen von 1994 versprochen hatten. Dass die Fertigstellung dieser Reaktoren von der Einstellung des nordkoreanischen Atomprogramms abhängig gemacht worden war, wird dabei verschwiegen. Als Gegenleistung zu diesem umfassenden Forderungskatalog will Nordkoreas Regime, das Ende 2002 die Inspektoren der Internationalen Atomenergieagentur aus dem Land gejagt und kurz danach den Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag erklärt hatte, auf die Entwicklung von Kernwaffen verzichten. Die umstrittenen Atomanlagen sollen zudem internationalen Kontrollen wieder zugänglich gemacht und der Abbau der Atomanlagen in Angriff genommen werden. Pjöngjang hatte bereits mehrfach widersprüchliche Signale über sein Atompotenzial ausgesandt. Während Washington davon ausgeht, dass Nordkorea über eine oder zwei Atombomben verfügt und in kurzer Zeit weitere bauen könnte, nimmt die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) an, dass Pjöngjang trotz fortgeschrittener Forschungsarbeiten noch nicht über Kernwaffen verfügt. Die Ungewissheit über den Stand des nordkoreanischen Nuklearprogramms wird von nordkoreanischer Seite bewusst mit widersprüchlichen Äußerungen und Angaben geschürt. Kim Jong Il versucht ganz offensichtlich die atomare Karte zu spielen, um sein dem Untergang geweihtes totalitäres Regime zu retten und im Gegenzug entsprechende Zugeständnisse von Seiten der USA zu erhalten. Unabhängig davon ob Nordkorea bereits Atomwaffen besitzt oder nicht, es verfügt zweifelsohne über waffenfähiges Plutonium, mit dem es binnen weniger Monate Atombomben bauen könnte und zudem über die entsprechende Trägertechnologie und -mittel, um diese gegebenenfalls auch einzusetzen.(2) Nordkorea scheint die nukleare Drohung als Unterpfand und letztlich einzigen glaubwürdigen Joker anzusehen, um seine Interessen gegenüber der als feindselig wahrgenommenen Supermacht durchzusetzen. Auch aus diesem Grunde versucht Pjöngjang den Rest der Welt über den Status und den Stand seines Nuklearprogramms im Unklaren zu lassen. Sollte die Nuklearkrise um Nordkorea weiter eskalieren, ist davon auszugehen, dass Pjöngjang ab 2004/2005 etwa ein bis zwei nukleare Sprengköpfe pro Jahr produzieren könnte.
Die USA
Die USA haben auch im Vorfeld des Pekinger Treffens stets betont, erst dann zu Zugeständnissen - etwa in Form multilateraler Sicherheitsgarantien oder wirtschaftlicher Hilfen - bereit zu sein, wenn Nordkorea sein Atomprogramm in vollständiger, verifizierbarer und irreversibler Form beendet. Auch Pjöngjangs Forderung nach einem rechtlich bindenden bilateralen Nichtangriffspakt, der zudem die Zustimmung des amerikanischen Kongress benötigte, wird abgelehnt. An der amerikanischen Haltung, sich durch Nordkoreas nukleare Drohung nicht in einen Nichtangriffspakt pressen zu lassen, scheinen die Pekinger Gespräche nichts geändert zu haben. Washington besteht auf der vollständigen Abwesenheit von Kernwaffen in Nordkorea, auf dessen Rückkehr zum atomaren Nichtverbreitungsvertrag und auf eine Öffnung des Landes für internationale Inspektionen. An der Eskalation der Krise um Nordkorea trägt jedoch auch die Bush-Regierung einen erheblichen Anteil Mitschuld: So wurde im Frühjahr 2002 Nordkorea in die nukleare Zielplanung der USA einbezogen und in der nationalen Sicherheitsstrategie vom September 2002 werden Präventivschläge gegen die "Achse des Bösen" (Iran, Irak und Nordkorea) erwogen. Nicht ganz zu Unrecht fühlt sich Pjöngjang deshalb unmittelbar durch die Politik der Vereinigten Staaten bedroht und herausgefordert, obwohl die Bush-Regierung sich in Peking grundsätzlich für eine friedliche Lösung der nordkoreanischen Atomkrise ausgesprochen und ausdrücklich versichert hatte, sie strebe keinen Regimewechsel nach irakischem Muster an. Gleichzeitig machte sie aber deutlich, dass auch die militärische Option auf dem Tisch bleibt. Nach wie vor scheint sich die amerikanische Seite nicht endgültig für eine kohärente Nordkorea-Politik entscheiden zu können. Während die ?Tauben? auf eine friedliche Lösung des Konflikts setzten und dafür, wenn schon keine Sicherheitsgarantie, so doch wirtschaftliche und finanzielle Zusagen erwägen, streben die ?Falken? nach wie vor einen ?Regimewechsel? an. Washington scheint mittlerweile zu glauben, dass Nordkorea nur noch durch die Aufrechterhaltung einer ständigen militärischen Drohkulisse - flankiert von multilateralen Verhandlungen - eingedämmt und abgeschreckt werden kann. Verschärfend hinzu kommt, dass der Ausgang der Krise auch über die Gültigkeit und Wirksamkeit der neuen Sicherheitsstrategie der USA mitentscheiden wird.
Russland, China und Südkorea
Russland und vor allem China haben beide ein großes geopolitisches Interesse an der Existenz eines nordkoreanischen Pufferstaates. Sie wehren sich daher gegen allzu einschneidende Sanktionen, die den vollständigen Kollaps des heruntergewirtschafteten Hungerstaates und Flüchtlingsströme ? wohl in erster Linie in den Nordosten Chinas - auslösen könnten. Beide Staaten bekunden denn auch besonders großes Verständnis für Nordkoreas Forderungen nach umfassenden Sicherheitsgarantien. Sie drängen in diesem Punkt auf ein entsprechendes Entgegenkommen seitens der USA und auf eine künftig weniger harsche Rhetorik. Peking und Moskau wollen weder einen Regimesturz, noch ein mit Atomwaffen hantierendes und damit vollkommen unberechenbares Nordkorea, welches Taiwan und Japan einen Vorwand zur atomaren Aufrüstung liefern würde. Es ist auf jeden Fall zu begrüßen, dass China in der Nordkoreafrage endlich aktiv wird, nachdem es jahrelang einen Kurs der Nichteinmischung verfolgt hatte. Welchen Einfluss China auf Pjöngjang tatsächlich hat, ist jedoch nur schwer einzuschätzen. Auf der einen Seite ist Chinas Kooperation bei der Energie- und Getreideversorgung Nordkoreas von überlebenswichtiger Bedeutung, anderseits ist es kein Geheimnis, dass unter dem Nachfolger des ausgesprochen chinafreundlichen Kim Il Sung im nordkoreanischen Regime die prochinesischen Kräfte stark an Einfluss verloren haben. Auch die südkoreanische Regierung, die gegenüber dem nördlichen Nachbarn weiterhin eine vergleichsweise konziliante Annäherungspolitik betreibt, dürfte mit den Positionen Russlands und Chinas sympathisieren. In Seoul würde man zudem einer Politik der schrittweisen Konzessionen auf beiden Seiten, also einem zeitlichen Nebeneinander von Wirtschaftshilfe an den Norden einerseits und dem Abbau der Atomanlagen anderseits, den Vorzug geben. Das Sicherheitsbündnis mit den USA und die Abhängigkeit vom amerikanischen Schutzschild lassen es jedoch als wenig opportun erscheinen, Amerikas Vorgehen am Verhandlungstisch zu kritisieren. Gleiches gilt für Japan, wo man - wie eigentlich meist bei außenpolitischen Fragen - stramm hinter den USA steht.
Bewertung und Ausblick
Die Sechsergespräche sind eine einzigartige Chance, die koreanische Nuklearkrise einzudämmen, vielleicht sogar einer Lösung zuzuführen. Im Falle einer Einigung bietet der größere Rahmen aller Voraussicht nach auch bessere Möglichkeiten zur Durchsetzung eines Abkommens, für Inspektionen und Kontrollen. Nordkorea muss dazu gebracht werden, seinen Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag zurückzunehmen und wieder Inspektionen der IAEO zuzulassen.(3) Baut Nordkorea die Atombombe, droht ein nukleares Wettrüsten in Ostasien. In den USA werden sich die Hardliner im Kongress bestätigt sehen, die ohnehin einen Militärschlag gegen Pjöngjang für die beste Option halten. Südkorea wird es noch schwerer haben, seine "Sonnenscheinpolitik" gegenüber dem Norden innenpolitisch abzustützen und in Japan könnten die Rechtskräfte triumphieren, welche die japanische Nachkriegsverfassung kippen und für die eigenen Streitkräfte Atomwaffen anschaffen wollen. Damit wäre der Atomwaffensperrvertrag endgültig gescheitert. Der Besitz und eventuell sogar der Einsatz von Atomwaffen sind offenbar nicht länger mehr tabu, sondern werden zunehmend als legitimes Mittel zur Kriegsführung bzw. zur Erhöhung der eigenen Sicherheit gesehen. (4) Auch die USA, die sich als "Lordsiegelbewahrer" der atomaren Nichtverbreitung verstehen, erweitern und perfektionieren zur gleichen Zeit das eigene atomare Arsenal. Und dies obwohl sich im Atomwaffensperrvertrag alle fünf offiziellen Atommächte ? also auch die Vereinigten Staaten ? zur vollständigen nuklearen Abrüstung verpflichtet haben. Zudem arbeitet Washington mit Hochdruck am Aufbau von Raketenabwehrsystemen und schürt damit potenziell ein weltweites atomares Wettrüsten. Der Ausgang der nordkoreanischen Krise ist deshalb entscheidend. Mit Indien, Pakistan und Israel sind in den letzten Jahren bereits drei neue Atommächte entstanden. Offenbar sehen viele Diktatoren im Besitz, bzw. in der Fähigkeit zur Herstellung von Nuklearwaffen mittlerweile die glaubwürdigste, wenn nicht gar einzige Sicherheitsgarantie vor drohenden amerikanischen ?Entwaffnungskriegen?. Es ist daher im deutschen und europäischen Interesse, diese Entwicklung zu verhindern.
Die Bundesregierung und die Europäische Kommission sollten deshalb die multilateralen Gespräche konstruktiv begleiten. Das Konzept einer nuklearwaffenfreien Zone auf der koreanischen Halbinsel wäre ein gangbarer Weg, verbände es doch Sicherheitsgarantien der Atommächte mit einem ausgefeilten Kontroll- und Verbotsregime. Zudem erhielte Nordkorea die geforderte Nichtangriffsgarantie. Die bisherigen Erfahrungen mit atomwaffenfreien Zonen sind durchaus positiv. So trug die kernwaffenfreie Zone in Südostasien dazu bei, Vietnam, Laos und Kambodscha den Weg in die Gemeinschaft der ASEAN-Staaten zu ebnen. Deutschland sollte daher im Rahmen der EU aktiv an einer vertraglichen Denuklearisierung der Region mitwirken. Die weitere Erosion und Aushöhlung des nuklearen Nichtverbreitungsregimes muss unter allen Umständen verhindert und die bestehenden Rüstungskontroll- und Abrüstungsregime gestärkt werden. Sonst stehen wir vor einer neuen "Weltnuklearunordnung", in der die ungehinderte Weitergabe von Massenvernichtungswaffen samt den dazu gehörigen Trägersystemen nicht mehr aufzuhalten ist. Der Ausgang der nordkoreanischen Atomkrise wird einen ersten Hinweis darauf geben, wohin die Reise geht.
1 Zur Genese der nordkoreanischen Krise vgl. Sebastian Harnisch, Nordkoreas nukleare Waffenprogramme: Entstehung, Fähigkeiten und die internationalen Bemühungen um ihre Eindämmung, in: Österreichische Militärische Zeitschrift (ÖMZ) 2/2003, S. 149-162.
2 Der Export von Raketentechnologie nach Pakistan, Ägypten, Libyen und in den Iran ist eine der wichtigsten, um nicht zu sagen die Haupteinnahmequelle Nordkoreas.
3 Von den 188 Staaten, die den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet haben, unterzeichneten bislang lediglich 35 das Zusatzprotokoll, welches Inspektoren der IEAO ungehinderten und unangemeldeten Zugang zu allen Anlagen erlaubt.
4 Vgl. Christopher Daase, Der Anfang vom Ende des nuklearen Tabus Zur Legitimitätskrise der Weltnuklearordnung in: Zeitschrift für internationale Beziehungen (ZIB) 1/2003, S. 7-42