Noch mehr Waffen wären absurd

Die Forderung, die Kurden im Nordirak aufzurüsten, klingt nur vordergründig plausibel - Es befindet sich schon jetzt viel zu viel Kriegsgerät im Land

Die Augenzeugenberichte und Bilder über die systematische Vertreibung und Ermordung zahlloser Menschen im Irak durch die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) erschüttern und verstören uns. Vor allem Jesiden, Kurden, Turkmenen, Armenier, Chaldäer werden brutal verfolgt, allerdings auch Menschen schiitischen Glaubens oder Atheisten. Vor dem Hintergrund der Erklärung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ist daher der begrenzte Einsatz amerikanischer Luftstreitkräfte gegen Stellungen von IS-Kämpfern vertretbar. Die Debatte in Deutschland hat mittlerweile aber eine ganz andere Richtung.

Vertreter verschiedener Parteien, eingeschlossen Gregor Gysi, fordern Waffenlieferungen an die Kurden. Was auf den ersten Blick überzeugend erscheinen mag, wird auf den zweiten und dritten Blick fragwürdig. Derart weitreichende Folgen müssen allerdings genauso erörtert werden, wie der scheinbar einfache Ratschlag, die Peschmerga mit neuem Kriegsgerät auszurüsten. Grundsätzlich herrscht im Irak kein Mangel an Waffen, aber ein Mangel an Vertrauen und an der Bereitschaft politischer Akteure zur Zusammenarbeit, um ein an Bodenschätzen reiches Land auf einen besseren Weg zu bringen.

Nach dem Irakkrieg zerstörten die USA nahezu das gesamte Arsenal an konventionellen Waffen. Seitdem wurde wieder massiv aufgerüstet. Die Militärausgaben lagen im letzten Jahr bei über sieben Milliarden Dollar. Rüstungsgeschäfte mit den USA über zehn Milliarden Dollar und mit Russland über 4,3 Milliarden Dollar waren die Folge. Leichtes und schweres Kriegsgerät findet seitdem den Weg in den Irak. Die Ukraine, aber auch Deutschland gehörten in den vergangenen Jahren ebenso zu den Ausstattern mit Rüstungsgütern. Einschließlich verschiedenster Einheiten stehen offiziell 800 000 Menschen unter Waffen. Angesichts dieser Zahlen scheint es absurd, noch mehr Waffen ins Land zu bringen. Vielmehr müssen die kurdischen Einheiten die Ausrüstungen aus den irakischen Depots bekommen und zusammen mit den anderen Kräften koordiniert gegen die IS-Kämpfer vorgehen. Es gibt Berichte, wonach dies jetzt geschieht. Andere Wirkungen sind zu bedenken: Wer Waffen an die Kurden liefert, kann den schiitischen Gruppen, die ebenfalls gegen den Islamischen Staat vorgehen, wohl kaum Rüstungslieferungen verweigern. Ist das bei der eingängigen Debatte über deutsche Waffen an die Peschmerga bedacht?

Allein die Kurden mit Militärgerät auszurüsten, befördert vor dem Hintergrund der Erklärung des kurdischen Präsidenten Barzani, eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit des Nordirak auszurufen, bei anderen ethnisch-religiösen und politischen Gruppen den Eindruck, die Lieferländer würden den Weg der kurdischen Autonomieregierung befürworten. Können aber neue Grenzziehungen dem ausufernden Gewaltraum derzeit eine friedlichere Zukunft eröffnen? Einen Bürgerkrieg nach der Ausrufung der Unabhängigkeit kann niemand ausschließen, ebenso dann nicht den Einsatz deutscher Waffen, die eigentlich zur Niederringung der Kräfte des Islamischen Staats gedacht waren.

Und allgemein gefragt: Haben wir nicht genügend Erfahrungen damit gemacht, dass Waffen am Ende ganz andere Gruppen erreichen? In dieser Argumentation stecken natürlich Widersprüche. Einer komplexen Gewaltsituation ist nicht mit einfachen Antworten beizukommen. Die kurdischen Kämpfer ermöglichen Menschen jesidischen Glaubens, sicheres Gebiet zu erreichen. Andernfalls wären sie gestorben oder versklavt worden. Präsident Barzani und weitere kurdische Politiker haben ein halbwegs sicheres und wirtschaftlich aufstrebendes Gemeinwesen im Nordirak geschaffen. Diese Erfolge überzeugen.

Aber genauso wirken Aufbauhilfen, humanitäre und medizinische Unterstützung aus Deutschland. Das darf man nicht kleinreden. In diesen Stunden und Tagen sollte daher die Bundesregierung zusammen mit europäischen Partnern alles dafür unternehmen, um die innenpolitische Lähmung in Bagdad zu durchbrechen. Der Versuch, eine irakische Einheitsregierung unter einem neuen Ministerpräsidenten zu bilden, ist es allemal wert, unterstützt zu werden.

Regionale Mitspieler, die im Irak seit Jahren Kompromisse vereiteln, müssen überzeugt werden, dem Land endlich wieder eine Chance zu geben. Und vor allem brauchen wir eine vom Bundespräsidenten zu Recht angemahnte neue europäische Flüchtlingspolitik, die auch Deutschland mehr abverlangen wird.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Gastbeitrag
Veröffentlicht: 
Kölner Stadt-Anzeiger, 13.08.2014