Für eine neue Ära der Rüstungskontrolle

Der amerikanische und russische Präsident werden heute in Moskau ein neues Kapitel der Abrüstung aufschlagen und die Skeptiker widerlegen. Denn kaum hatte Barack Obama in Prag seine Rede über eine atomwaffenfreie Welt beendet, meldete sich schon der Chor der Bedenkenträger zu Wort und  sprach von einem "schönen Traum" (Josef Joffe, Die Zeit, 16.04.2009) oder sogar einem "Albtraum" (Michael Stürmer, Die Welt, 06.04.2009), der "auf absehbare Zeit nicht zu erreichen" sei (Ulrich Weisser, Kölner Stadt-Anzeiger, 9.04.2009).

Ist Barack Obama ein leichtgläubiger Provokateur, der mit seinem Idealismus den Weltfrieden gefährdet? Ein kurzer Blick auf die Geschichte der Korea-Krisen und der nuklearen Abschreckung belegt das Gegenteil. Angesichts der Gefahr der ungehinderten Verbreitung von Nuklearwaffen bis hin zum Nuklearterrorismus, angesichts von unberechenbaren Nuklearmächten wie Nordkorea und wohl bald auch Iran ist die Vision einer nuklearwaffenfreien Welt die einzig tragfähige Perspektive, um nachhaltig Sicherheit zu schaffen. Dem zweiten nuklearen Zeitalter, darf kein weiteres mehr folgen. Dabei ist der Weg zur nuklearen Abrüstung noch weit: Weltweit existieren immer noch mehr als 25.000 atomare Sprengköpfe. In 40 Staaten der Welt lagern ca. 2.500 Tonnen Spaltmaterial, aus denen theoretisch weitere 200.000 Kernwaffen gebaut werden könnten. Deshalb muss die Bedeutung der Atomwaffen insgesamt verringert und das nukleare Tabu gestärkt werden.

Mit dem Beschluss ein Nachfolgeabkommen für den am 5. Dezember auslaufenden Vertrag über die Reduzierung strategischer Waffen (START-I) auf den Weg zu bringen, setzten der amerikanische und der russische Präsident Abrüstung und Rüstungskontrolle endlich wieder auf die Tagesordnung. Ziel des START-Nachfolgevertrages muss es sein, die Bedeutung der Atomwaffen in den Rüstungen drastisch zu senken, zu überprüfbaren Abrüstungsschritten zu kommen und perspektivisch ganz auf derartige Systeme zu verzichten. Das erfordert Mut, Beharrlichkeit und Weitsicht. Am Ende aber könnte sich eine solch kluge und visionäre Politik auszahlen und selbst vermeintlich irrationale Regime zum Einlenken bringen.

Auch der libysche Revolutionsführer Gadaffi strebte jahrelang nach dem Besitz der Atomwaffe. Eine ausdauernde und umsichtige Entspannungspolitik brachten ihn schließlich zum Einlenken. Auch andere Staaten - wie Südafrika, Brasilien und Argentinien - haben in einem veränderten außenpolitischen Umfeld der atomaren Option abgeschworen. Entscheidend für eine erfolgreiche Denuklearisierung sind daher die richtigen politischen Rahmenbedingungen und Signale. Man kann den amerikanischen Präsidenten nur darin bestärken, wenn er zwischen der mangelnden Abrüstungsbereitschaft der Kernwaffenstaaten und dem Streben nach derartigen Waffen einen Zusammenhang erkennt. Auch der Atomwaffensperrvertrag zieht hier mit seiner in Artikel VI festgelegten Abrüstungsverpflichtung der Atommächte eine unmittelbare Verbindung. Deshalb müssen Deutschland und die Europäische Union die beiden Präsidenten dabei unterstützen, wenn sie heute in Moskau die Weichen in Richtung nuklearer Abrüstung stellen werden. Die Bundesregierung sollte den Prozess aktiv begleiten und eigene Beiträge liefern, statt sich mit der Rolle des passiven Zuschauers zu begnügen. So könnte sich Deutschland in der NATO für den Abzug der letzten verbliebenen taktischen US-Atomwaffen sowie die Verschrottung des russischen Kurzstreckenarsenals in Europa einsetzen, denn diese Relikte des Kalten Krieges braucht niemand mehr. Wenn dann der Zug in Richtung einer nuklearwaffenfreien Welt fährt, sind wir auf dem richtigen Gleis.

Autor: 
Gastbeitrag von Rolf Mützenich
Thema: 
Die USA und Russland beraten über Abrüstung
Veröffentlicht: 
Kölner Stadt-Anzeiger, 06.07.2009