Neue Abrüstungspolitik ist nötig
Wenn die Außenminister der NATO Anfang Dezember zu ihrer Herbsttagung zusammen kommen, wird es auch um die Zukunft von Abrüstung und Rüstungskontrolle gehen. Denn Präsident Trump hat am 20. Oktober angekündigt, erneut aus einem bestehenden Rüstungskontrollvertrag auszusteigen. Diesmal trifft es den INF-Vertrag, der Washington und Moskau den Besitz und die Stationierung landgestützter Mittelstreckenwaffen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 Kilometern verbietet. Der INF-Vertrag von 1987 gilt zu Recht als Meilenstein und als wesentliches Kernelement kooperativer Sicherheit in Europa, weil er nicht nur Rüstungskontrolle bot, sondern erstmals eine ganze Kategorie gefährlicher Raketensysteme komplett beseitigte.
Mittlerweile entwickeln jedoch immer mehr Länder ballistische Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper, von denen viele Atomwaffen tragen können. Eine Universalisierung des INF-Vertrages wurde deshalb bereits in der Vergangenheit sowohl von Russland als auch den USA immer mal wieder ins Gespräch gebracht. Bereits 2008 unternahmen sie einen vergeblichen Versuch bei den Vereinten Nationen, den Vertrag zu internationalisieren und vor allem China mit einzubeziehen. Beide Länder fühlen sich durch die Aufrüstung in Asien bedroht. In erster Linie von China, aber auch von Iran, Indien und Pakistan. Doch selbst wenn es gelingen sollte, China in ein trilaterales oder multilaterales Vertragswerk einzubinden, bleibt die Frage, was denn Amerikaner und Russen im Gegenzug anbieten könnten. Denn kämen die chinesischen Fähigkeiten tatsächlich unter einen multilateralisierten INF-Vertrag, wie er Trump vorschwebt, würde dies 80 Prozent des chinesischen Arsenals betreffen. An solch einer Neutralisierung seiner Abschreckungsfähigkeit hat China naturgemäß kein Interesse und sieht vor allem die nuklearen Großmächte Russland und die USA in der Pflicht abzurüsten. Es spricht deshalb einiges dafür, dass die Vereinigten Staaten und Russland das gemeinsame längerfristige Ziel haben, sich aus den Fesseln des INF-Vertrages zu befreien.
Doch noch hat die US-Regierung den Vertrag weder formal suspendiert noch gekündigt. Die europäischen NATO-Staaten sollten auf dem Außenministertreffen eine gemeinsame Position einnehmen und der US-Administration klar machen, dass sie ein zentrales Interesse am Erhalt des INF-Vertrages haben und eine Neustationierung von amerikanischen Nuklearwaffen in Europa ablehnen. Und die NATO insgesamt sollte Russland dazu auffordern, die Standorte seiner vermuteten INF-Systeme offen zu legen und für Inspektionen zu öffnen.
Spätestens jetzt ist offensichtlich, dass die einseitige Stationierung der US-amerikanischen Raketenabwehr in Osteuropa und die Kündigung des ABM-Vertrages über die Begrenzung derartiger Systeme durch den ehemaligen Präsidenten George W. Bush ein großer Vertrauensbruch gegenüber Russland war. Die Belastungen sind bis heute spürbar. Europa muss der Gefahr eines neuen nuklearen Wettrüstens entschieden entgegentreten und darauf bestehen, gegenseitige Anschuldigungen transparent und kooperativ zu überprüfen.
Sollte der amerikanische Präsident tatsächlich auch offiziell das Ende des INF-Vertrages einläuten, droht die Rückkehr einer Aufrüstungs- und Stationierungsdebatte, wie wir sie aus den Hochzeiten des Kalten Krieges kennen. Sollten beispielsweise Polen und Balten in bilateralen Verträgen der Stationierung von amerikanischen Mittelstreckenraketen auf ihrem Territorium zustimmen, wird dies in erster Linie die Sicherheit der Länder Europas bedrohen. Das Ergebnis könnte eine neue Nachrüstungsdebatte, ein sicherheitspolitisch heillos zerstrittenes Europa und eine gespaltene NATO sein. Dies wiederum liegt derzeit durchaus im gemeinsamen Interesse von Russen und Amerikanern, oder korrekter von Wladimir Putin und Donald Trump. Und genau dies müssen wir Europäer mit allen Kräften versuchen zu vermeiden!
Mit der bereits erfolgten Kündigung des Iran-Abkommens, dem angekündigten Ende des INF-Vertrages, und der womöglich ausbleibenden Verlängerung des sogenannten New Start-Abkommens, das 2021 ausläuft und die Anzahl der strategischen Waffen begrenzt, droht ein völliger Zusammenbruch der internationalen Rüstungskontrollarchitektur mit unabsehbaren Folgen für die globale Sicherheit. Die regelbasierte internationale Ordnung insgesamt steht auf dem Spiel. Wir könnten am Beginn eines neuen nuklearen Rüstungswettlaufs stehen. Die rasante technologische Entwicklung immer neuer Waffensysteme, für die es noch gar keine Regelwerke gibt, und das Verschwimmen der Grenzen zwischen konventionellen und nuklearen Bedrohungen stellen uns zudem vor ganz neue rüstungskontrollpolitische Herausforderungen.
Deutschland hat sich deshalb völlig zu Recht in den nächsten beiden Jahren vorgenommen, als nichtständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates die Krise der nuklearen Abrüstung und Rüstungskontrolle zu thematisieren und wieder auf die Tagesordnung der Weltorganisation zu setzen. Denn Deutschland und Europa dürfen niemals wieder zum Austragungsort atomarer Kriegsspiele werden. Mit der SPD wird es jedenfalls keine neuerliche Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland geben. Vielmehr müssen wir alles dafür tun, damit das Denken in nuklearen Kategorien nicht wiederkehrt und sich nicht abermals ein atomarer Schatten über Europa legt.