Mission von historischer Dimension - Die Bundeswehr im Libanon
Am 20. September 2006 fällte der Deutsche Bundestag eine seiner heikelsten außenpolitischen Entscheidungen. Das Parlament stimmte dem Antrag der Bundesregierung zu, bis zu 2.400 Soldaten in den Nahen Osten zu entsenden. Damit werden zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg deutsche Truppen in der Region operieren.
Die deutsche Marine soll künftig vor Libanons Küste die Schmuggelwege der Hisbollah blockieren. Im Vordergrund des deutschen Beitrages stehen somit humanitäre Hilfsleistungen und die Seesicherung. Um die Einsatzregeln wurde lange zwischen New York, Beirut und den Hauptstädten der Truppensteller gerungen. Der Auftrag wird aus der Resolution 1701 abgeleitet; für die Bundeswehr entscheidend ist die Passage: "Unterstützung der libanesischen Regierung auf deren Ersuchen bei der Sicherung der libanesischen Grenzen und Einreisepunkte mit dem Ziel, das Verbringen von Rüstungsgütern und sonstigem Wehrmaterial in den Libanon ohne Zustimmung der libanesischen Regierung zu verhindern."
Bis zu 1.500 Soldaten sollen auf zwei Fregatten, vier Schnellbooten und zwei Versorgungsschiffen im gesamten Seeraum vor dem Libanon gegen Waffenschmuggler vorgehen. Das Mandat gilt auch für die Hoheitsgewässer des Landes. Libanesische Verbindungsoffiziere dürfen an Bord der deutschen Schiffe sein, werden aber kein Vetorecht gegen konkrete Einsätze bekommen. Das Mandat und die Einsatzregeln für die deutschen Schiffe umfassen Maßnahmen von der Durchsuchung von Schiffen mit Zustimmung des Kapitäns bis zu Gewaltanwendung. Ergänzt wird die Marinegruppe durch 400 Führungs- und Logistiksoldaten, 100 Berater und Ausbilder für die libanesische Marine und 100 Mann für den Lufttransport humanitärer und Versorgungsgüter nach Beirut. An dem Seeeinsatz werden sich auch Norwegen, Dänemark, Schweden und die Niederlande beteiligen. Die Gesamtkosten des zunächst bis 31. August 2007 beschränkten deutschen Einsatzes werden auf knapp 200 Millionen Euro beziffert.
Mit Bodentruppen wird die Bundeswehr sich nicht beteiligen. Mit Blick auf die deutsche Geschichte versteht sich von selbst, dass es nicht einmal im Ansatz zu einem konfrontativen Gegenüber von deutschen und israelischen Soldaten kommen darf. Damit zeigt die Bundesrepublik Präsenz in der Region und belegt, wie ernst sie die Lösung des Konfliktes nimmt. Auch wenn alle Unwägbarkeiten der Mission - naturgemäß - nicht ausgeräumt werden konnten, ändert dies nichts an der grundsätzlichen Notwendigkeit dieser Truppe, die Israel und Libanon akzeptiert haben. Das Mandat ist im Großen und Ganzen durchdacht und solide, das Risiko für die deutschen Soldaten kalkulierbar. Von nun an werden Deutschland und Europa sich in einer sehr viel ernsthafteren Weise für die Nachbarregion engagieren. Womöglich wird man rückblickend gerade darin die historische Dimension erkennen. Zur politischen Redlichkeit gehört es deshalb auch, die Öffentlichkeit auf ein stärkeres, längerfristiges Engagement Deutschlands im Nahen Osten vorzubereiten.
Sinnvoll kann dieser UN-Einsatz jedoch nur sein, wenn er von einer diplomatischen Offensive begleitet wird. Der Libanon pocht zu Recht auf die Freilassung von Gefangenen und eine Lösung des Streits um das Gebiet der Sheeba-Farmen. Israel hingegen fordert zu Recht, dass die Hisbollah keine Raketen mehr auf sein Gebiet abfeuert und das Existenzrecht Israels nicht mehr in Frage gestellt wird. Der deutsche Außenminister, Frank-Walter Steinmeier, hat zudem darauf hingewiesen, dass ohne eine kooperative Bearbeitung des israelisch-palästinensischen Kernkonfliktes eine Befriedung der Region illusorisch bleibt. Das Konzept "Land für Frieden" ist Voraussetzung für eine dauerhafte Lösung. Dies betrifft sowohl die israelische als auch die syrische Seite. Ohne eine Lösung in Bezug auf die Golanhöhen bleibt jeder Waffenstillstand Makulatur. Im Süden des Landes muss die libanesische Regierung schrittweise ihre staatlichen Hoheitsrechte wahrnehmen.
Auch für den Libanon gilt jedoch: Die Mitwirkung der USA ist unerlässlich. Doch statt den europäischen Versuch zur Wiederbelebung des Nahost-Quartetts von USA, Europäischer Union, Russland und Vereinten Nationen (UN) zu unterstützten, steht Washington auf der Bremse. Auch blockiert die Regierung Bush offenbar Überlegungen in Israel, mit Syrien in einen Verhandlungsprozess einzutreten. Jedenfalls täte die internationale Gemeinschaft ? ob in Form des Nahostquartetts oder wie auch immer ? gut daran, sich um neue Verhandlungen zwischen Israel und jenen drei Nachbarn, mit denen es noch keine Friedensverträge gibt, zu bemühen.
Von einer tragfähigen Friedensordnung ist der Nahe Osten noch weit entfernt. Die Internationalisierung der Konflikte in der Region durch die Anwesenheit von UN-Verbänden mit robustem Mandat erhöht aber den Druck auf alle Beteiligten. Extremisten gilt es mit der Zeit zu isolieren. Das erfordert einen langen Atem. Deutschland hilft im Libanon mit, dem Land ein Minimum an Stabilität zu sichern und Israels Grenzen gegen Angriffe zu schützen. Nur ein langfristiger Ansatz, der sowohl die innenpolitischen Realitäten des Libanon als auch das weitere regionale Umfeld mit einbezieht, kann Erfolg haben. Perspektivisch müsste deshalb eine Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten nachgedacht werden. Dabei muss es dann auch über den Vorschlag einer atomwaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten gehen. Angesichts der israelischen Atomwaffen und dem iranischen Atomprogramm ist dies ein schwieriger und langfristiger Prozess. Den Friedensprozess im Libanon und im Nahen Osten zu unterstützen ist auf mittlere und lange Sicht jedenfalls billiger, als die Bewältigung von neuen Kriegsfolgen. Nur wenn Sicherheit und Frieden in der Region herrschen, können sich wirtschaftliche Prosperität und daraus soziale Sicherheit und Wohlstand entwickeln. Eine Befriedung der Region liegt nicht zuletzt aufgrund der geographischen Nähe im ureigensten deutschen und europäischen Interesse.