MEADS, das Rad soll neu erfunden werden!

Die Entwicklung des neuen Flugabwehrsystems MEADS kostet den Steuerzahler Milliarden, viele der geforderten Leistungsparameter erfüllen deutsche Fregatten jedoch schon heute
Alle Fraktionen des deutschen Bundestages haben am 21. Oktober 2004 dem Verteidigungsausschuss die Billigung des deutsch-italienisch-amerikanischen Flugabwehrprojekts MEADS (Medium Extended Air Defense System) empfohlen.

Das System soll unter anderem in der Lage sein, angreifende Kurz- und Mittelstreckenraketen abzuwehren, die als Träger von Massenvernichtungsmittel eingesetzt werden. Damit soll die dringend erforderliche Modernisierung der Luftverteidigung in Deutschland und Europa unter den neuen sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen vollzogen werden. Ab 2014 einsatzbereit, wird MEADS die veralteten Waffensysteme NIKE, HAWK, ROLAND und PATRIOT ersetzen.

In der Begründung für ihre Zustimmung verweisen die Parlamentarier überraschenderweise jedoch nicht auf die neuen technischen Finessen oder zukunftsweisenden Innovationen dieser Entwicklung. Die unbedingt zu stärkende deutsch-amerikanische Rüstungskooperation wird zur Rechtfertigung für das milliardenschwere Projekt als Erstes ins Feld geführt. MEADS ist die derzeit einzige gemeinsame Rüstungsentwicklung beider Länder. Der Verdacht liegt nahe, hier soll verlorenes amerikanisches Wohlwollen zurückgekauft werden. Die Mitarbeit an dem 1995 aufgelegten Programm ist von deutscher Seite im November 2000 bereits einmal storniert worden. Die Amerikaner hatten den Zugang zu ihrer Hochtechnologie wieder einmal verweigert. Unter wenig veränderten Konditionen neuaufgelegt, bietet es nun eine der wenigen Möglichkeiten, den ramponierten deutschen Ruf in Washington aufzupolieren.
Unterzieht man den Forderungskatalog der Luftwaffenführung an das technische und einsatzbezogene Leistungsvermögen von MEADS einer vergleichenden Prüfung, so fällt schnell auf, dass Fregatten der deutschen Marine zu großen Teilen diesen Forderungen schon heute gerecht werden.

Sie sind in der Lage, mehr als 1000 Luftziele unterschiedlicher Art gleichzeitig zu erfassen und auf eine Entfernung von mehr als 100 km zu bekämpfen . Dabei können Ziele gleichzeitig im Weit-, Mittel- und Nahbereich durch den ebenfalls gleichzeitigen Einsatz der schiffseigenen Flugabwehrraketen vom Typ SM-2 IIIA und ESSM  bekämpft werden . Besonders die zum Schutz von ganzen Schiffsverbänden optimierten neuen Schiffe der Klasse 124 können in Verbindung mit dem bordeigenen Multifunktionsradar APAR anfliegende Lenkflugkörper bis in eine Entfernung von 50 km erfolgreich zerstören. Für die Abwehrrakete PAC-3 des MEADS-Systems ist eine Reichweite von lediglich 20 km geplant . Die angesprochenen Radarsysteme der Marine entsprechen in ihren Fähigkeiten ebenfalls wesentlichen Forderungen der MEADS-Kunden . Das UHF-Band Überwachungsradar der Fregatten SACHSEN, HAMBURG und HESSEN hat eine Reichweite von 400 km. Es erkennt Flugkörper bis zu der Größe einer Ente. Das X-Band-Feuerleitradar der Schiffe ist in der Lage, 16 anfliegende Ziele gleichzeitig zu verfolgen und den Abwehrraketen zuzuweisen . So können Bedrohungen jeder Art frühzeitig entdeckt und klassifiziert werden. Selbst koordinierte Angriffe aus verschiedenen Richtungen und so genannte Sättigungsangriffe, die zur Überlastung einer Feuereinheit führen sollen, können erfolgreich abgewehrt werden. Für MEADS jedoch kündigen die Hersteller die Entwicklung eines völlig neuen Radars an. Auch der für MEADS geforderte vertikale Start der Abfangraketen ist schon heute möglich wie das Vertikal-Abschuss-Magazin mit 32 Zellen für den Start von Flugkörpern des Typs SM-2 der Marine zeigt.

Da die Entwicklung von MEADS in Deutschland von nur einer Teilstreitkraft, der Luftwaffe, begleitet wird, verwundert es nicht, dass diese Fähigkeiten der Marine offensichtlich noch einmal erfunden werden sollen. Gemeinsame militärtechnische Entwicklungen von Heer, Luftwaffe und Marine gibt es bis heute nicht. Immer noch können Aufklärungsergebnisse nicht zeitgerecht ausgetauscht werden und auch Kommunikationssysteme sind abgesehen von Mobiltelefonen die sich die Soldaten selber kaufen, nicht kompatibel. Grund ist immer wieder die kleingeistige jedoch traditionelle Selbstherrlichkeit in den Führungen der einzelnen Teilstreitkräfte. Es gilt offensichtlich immer noch das Prinzip der Besitzstandswahrung, anstatt der sinnvolleren teilstreitkräfteübergreifenden Konzentration der knappen Mittel.
Auch ist die Frage zu stellen, ob MEADS über die trinationale Entwicklungsgemeinschaft hinaus mit Waffensystemen anderer Verbündeter kompatibel ist. Die Werbung des Herstellerkonsortiums EADS-Lockheed-Martin-ALENIA spricht jedenfalls nicht von einer solchen Möglichkeit. Nur so kann jedoch die Bundeswehr in einem Einsatz mit ihren Verbündeten zusammenwirken. Frankreich, bis 1999 Teilnehmer am MEADS-Programm, und Italien entwickeln derzeit das Flugabwehrsystem ASTER-SAMP/T. Dieses wird wie MEADS zur Abwehr taktischer Raketen (ATBM-Fähigkeit) in der Lage sein . Es wird ab 2007 in die französischen, italienischen und voraussichtlich auch in die britischen Streitkräfte eingeführt . So wird eine Chance vergeben, europäische Fähigkeiten zu schaffen, die einen gemeinsamen Schutz bieten, dabei vorhandene Erfahrungen zu nutzen und Steuergelder zu sparen.

Für die amerikanischen Streitkräfte macht MEADS hingegen durchaus Sinn. Technisch wird es so ausgelegt sein, dass es in die National-Missile-Defense-Architektur eingebunden werden kann . Somit ist ein teilstreitkräfteübergreifender Einsatz vorgesehen und auch möglich. Hinzu kommt, die Amerikaner haben es durchgesetzt, ihren bereits fertigen Lenkflugkörper PAC-3 für MEADS einzusetzen. So ergänzt MEADS die seegestützte Raketenabwehr, stationiert auf US-Aegis-Kreuzern, um das landgestützte Modul der Army. Außerdem ergibt sich der aus amerikanischer Sicht praktische Vorteil, dass die Deutschen und die Italiener insgesamt 45% der Entwicklungskosten bezahlen und obendrein nahezu zwangsläufig MEADS und PAC-3 Käufer werden.

Im Licht dieser Überlegungen erscheinen die warnenden Stimmen der Kritiker von MEADS durchaus berechtigt und sollten nicht leichtfertig als abwegig abgetan werden. Das berechtigte Ziel, Deutschland, deutsche Soldaten im Ausland und Verbündete vor Angriffen aller Art aus der Luft zu schützen, muss mit dem technisch und einsatzbezogen optimalsten Waffensystem angestrebt werden. Dazu greift ein trinationaler, teilstreitkraftbegrenzter, technisch wenig zukunftsgerichteter und innovativer Ansatz wie MEADS deutlich zu kurz und überzeugt angesichts der immensen Kosten nicht.
 

Dateien: 
meads.pdf
Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Zur Entwicklung des neuen Flugabwehrsystems MEADS
Veröffentlicht: 
Berlin, 16.12.2004