Massenvernichtungswaffenfreie Zone Naher und Mittlerer Osten

Seit der Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages 2010 ist die Vision eines kernwaffenfreien Nahen und Mittleren Ostens zurück auf der internationalen Agenda. Dort erhielt Ägypten die Zusage, dass 2012 eine internationale Konferenz unter Federführung der Vereinten Nationen stattfinden solle, die sich mit den Möglichkeiten befasst, eine von Massenvernichtungswaffen freie Zone im Nahen und Mittleren Osten einzurichten.

Kernwaffenfreie Zonen sind eine wichtige Ergänzung und wertvolle Unterstützung des globalen nuklearen Nichtverbreitungssystems. Derzeit existieren weltweit fünf kernwaffenfreie Zonen (Antarktis, Mittel- und Lateinamerika, Südpazifik, Südostasien, Afrika). Deren Mitglieder dürfen weder im Geltungsbereich noch anderswo Kernwaffen entwickeln, bauen, erwerben oder kontrollieren. Sie verzichten ferner auf die Stationierung, den Transport oder den Test von Nuklearwaffen und dürfen auch keinem anderen Staat vergleichbare Aktivitäten auf ihrem Territorium gestatten.

Die "Massenvernichtungswaffenfreie Zone Naher und Mittlerer Osten" hat eine lange und weitgehend erfolglose Geschichte. Vorschläge für den Aufbau einer nuklearwaffenfreien Zone (NWFZ) im Mittleren Osten gibt es bereits seit über vierzig Jahren. Die erste Initiative hierzu kam interessanterweise aus Israel: Nachdem im Jahre 1957 sechs von sieben Mitglieder der israelischen Atomenergiekommission aus Protest gegen die Nuklearwaffenambitionen der Regierung zurückgetreten waren, gründeten zwei von ihnen das "Committee for Denuclearization of the Arab-Israel Conflict", das 1962 erstmals öffentlich zur Errichtung einer nuklearwaffenfreien Zone in der Region aufrief und eine lebhafte Debatte in der Öffentlichkeit und der Knesset auslöste. Die israelische Regierung hielt jedoch an ihrem Kurs der "bewussten Zweideutigkeit" fest und äußerte sich ambivalent zum Besitz von Nuklearwaffen. Heute kann als sicher gelten, dass Israel Atomwaffen besitzt.

Bemühungen, das israelische Potenzial abzubauen, wurden fortan vor allem von Ägypten getragen, das 1974 zusammen mit Iran eine Initiative in die UN-Generalversammlung einbrachte, in der beide Staaten den Entwurf für eine Resolution für eine Nuklearwaffenfreie Zone im Mittlerer Osten vorlegten, den die Generalversammlung bei zwei Enthaltungen (Israel und Burma) mit Unterstützung der fünf Kernwaffenstaaten annahm. Die Resolution appelliert an alle Staaten der Region, dem Nichtverbreitungsvertrag beizutreten - dies implizierte eine klare Aufforderung an Israel, das bis heute der einzige Staat der Region ist, der dem Nichtverbreitungsregime ferngeblieben ist.

Die arabischen Staaten, allen voran Ägypten, sehen darin eine Möglichkeit, dass Israel seine Kernwaffen abrüstet, um damit in der Region Statusgleichheit zu erreichen. Israel hingegen möchte an seiner nuklearen Abschreckungsfähigkeit so lange festhalten, bis ein nachhaltiger Frieden in der Region erreicht ist. Zwischen diesen beiden gegenläufigen Positionen ist die Vision eines Nahen und Mittleren Ostens, der von Kernwaffen frei ist, bislang immer zerrieben worden. Angesichts der für Mitte Dezember 2012 geplanten Konferenz in Helsinki sollen die Chancen und Hindernisse des Konzepts hier kurz erörtert und diskutiert werden.
Trotz nach wie vor unüberbrückbarer Differenzen gibt es de facto bereits einige Schritte hin zu einer MVWFZ im Nahen Osten:

- Bereits eine UN-Studie von 1990 enthält Vorschläge zu allen Aspekten eines solchen Abkommens;
- im Gefolge des zweiten Golfkrieges wurden das Kernwaffenprogramm des Irak gestoppt und seine Vorräte an biologischen und chemischen Waffen vernichtet. Die Sicherheitsratsresolution 687 von 1991 sieht diese Aktionen auch als Schritte auf dem Weg zu einer solchen Zone an;
- Libyen erklärte 2003 den Verzicht auf Massenvernichtungswaffen und stellte sein Atomprogramm ein;
- potenzielle Teilnehmer einer Zone wie Algerien, Libyen und Tunesien ratifizierten den Vertrag über eine kernwaffenfreie Zone in Afrika; Ägypten und Marokko unterzeichneten;
- alle arabischen Staaten sowie der Iran sind Mitglieder des Atomwaffensperrvertrages.

Gleichwohl kamen die Vorbereitungen für die Konferenz über eine Konferenz im Jahr 2012 lange Zeit nur schleppend voran. Erst nach zahlreichen Gesprächen und dem Verzicht der arabischen Staaten, im Rahmen der alljährlichen Generalversammlung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) weiteren Druck auf Israel auszuüben, konnten schließlich im Oktober 2011 Fortschritte erzielt werden. Finnland wurde zum Gastgeberland ernannt und der finnische Unterstaatssekretär Jaakko Laajava als Vermittler bestimmt. Dieser arbeitet derzeit daran, im Rahmen von Konsultationen Fragen wie den Zeitplan, den Teilnehmerkreis und die thematischen Schwerpunkte zu klären und Sondierungen über mögliche inhaltliche Ergebnisse durchzuführen.

Zahlreiche ungelöste Konflikte, die Existenz aller Arten von Massenvernichtungswaffen in der Region und gravierende Vorbehalte bezüglich der Einhaltung des Nonproliferationsverbots stellen große Herausforderungen für die Durchführung von produktiven Gesprächen dar. Zudem hat der Arabische Frühling zu zahlreichen Umwälzungen geführt und das regionale Machtgefüge ins Wanken gebracht. Im resultierenden Klima der Unsicherheit dürften die meisten Akteure nicht willens sein, Zugeständnisse mit weitreichenden strategischen Konsequenzen zu machen. Die meisten arabischen Staaten hoffen zwar, die an den vergangenen NPT-Überprüfungskonferenzen erreichten Zugeständnisse an einem Treffen formalisieren zu können. Gleichzeitig ist die nukleare Frage aber angesichts der innenpolitischen Turbulenzen vielerorts in den Hintergrund gerückt. Israel lehnte eine Teilnahme zunächst ab, signalisierte dann jedoch Kooperationsbereitschaft, um nicht für eine Absage oder ein Scheitern des Treffens verantwortlich gemacht zu werden. Eine Teilnahme Irans erscheint angesichts der generellen Haltung Teherans gegenüber solchen Gesprächen und der aktuellen Entwicklungen im iranischen Nukleardossier fraglich. Die USA wiederum sind durch die Präsidentschaftswahlen absorbiert. Washington wünscht sich deshalb ein kurzes Treffen mit einer Teilnahme aller Staaten der Region, bei welchem über Maßnahmen im Konsens entschieden wird.

Ausblick

Sollte es gelingen, wie UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon angekündigt hat 2012 oder Anfang 2013 alle regionalen Akteure zu einem Nahost-Treffen ohne schwerwiegende negative Folgen an einen Tisch zu bringen, wäre dies bereits ein Erfolg für die internationale NPT-Diplomatie. Eine solche Konferenz würde sich wahrscheinlich schwer damit tun, mehr zu erreichen als nur den kleinsten gemeinsamen Nenner. Eine zurückhaltende Teilnahme Israels würde jedoch zumindest dafür sorgen, dass Staaten wie Iran und Syrien keinen Vorwand zur Ablenkung von Versäumnissen hinsichtlich der eigenen NPT-Verpflichtungen erhalten würden. Ägypten könnte einen begrenzten Erfolg vermelden und darauf verzichten, den diplomatischen Prozess im Rahmen des NPT zum Stillstand zu bringen.

Was die Vision einer nuklearwaffenfreien Zone im Nahen Osten betrifft, so muss man feststellen, dass es ohne dramatische politische Richtungswechsel in der US-Nahostdiplomatie und in den Hauptstädten der Region äußerst unwahrscheinlich ist, dass die geplante Konferenz die Realisierung einer nuklearwaffenfreien Zone voranbringen könnte. Es dürfte angesichts der israelischen Angriffsdrohungen und der iranischen Atomkrise schwierig genug werden, auch nur den nuklearen Status quo in dieser instabilen Region aufrechtzuerhalten. Es wäre deshalb hilfreich, die Erwartungen nicht zu hoch zu schrauben und die Konferenz nicht nur als Projekt, sondern als politischen Prozess zu betrachten, der weit über das Jahr 2012 hinaus reicht.

Das gegenwärtige nukleare Ungleichgewicht im Nahen und Mittleren Osten ist weder stabil noch haltbar. Israels Abschreckungspotenzial hat weder Kriege in der Region verhindern noch die Nachbarn vom Wunsch nach Massenvernichtungswaffen abbringen können. Deren einschlägige Anstrengungen haben die Region vielmehr noch instabiler gemacht. Die jüngste Gewalteskalation dokumentiert eindrücklich, dass weder der Status Quo noch die gegenwärtigen Strategien der Akteure den Sicherheitsinteressen irgendeiner Seite dienen. Unter diesen Umständen verdient der Vorschlag für eine Massenvernichtungswaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten eine neue, unvoreingenommene Prüfung und jede erdenkliche Unterstützung. Sie wäre ein wichtiges Signal zur Stärkung des internationalen Nichtverbreitungsregimes und ein weiterer Schritt in Richtung Global Zero.
 

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Realistisches Ziel oder Fata Morgana?
Veröffentlicht: 
Internationaler Infodienst, 2/2012