Locken und Abschrecken

An diesem Donnerstag schreiben Vertreter der Staatengemeinschaft ein weiteres Kapitel einer möglicherweise folgenschweren Anklageschrift. Sie haben zum wiederholten Male zu beurteilen, ob Iran gegen den Atomwaffensperrvertrag verstößt oder bereits verstoßen hat. Die völkerrechtliche Vereinbarung verbietet den Mitgliedsstaaten einerseits den Besitz und die Produktion nuklearen Materials zu militärischen Zwecken, andererseits erlaubt der Vertrag die friedliche Nutzung des gesamten Brennstoffkreislaufs. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) überwacht die Einhaltung der Vertragsinhalte und unterstützt die Länder gegebenenfalls beim Aufbau einer nationalen Atomindustrie. Der Gouverneursrat der IAEA wird also in den kommenden Tagen darüber zu befinden haben, ob der Iran unrechtmäßige Aktivitäten durchgeführt hat. Sollten die Anhaltspunkte für eine Anklage ausreichen, muss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) über angemessene Schritte beraten.

Der Fall Iran ist kompliziert. Beweisbar ist folgendes: Das Land verfolgt seit der Amtszeit des Schahs - mit vorübergehender Hilfe westlicher Staaten und Russlands - ein ambitioniertes Nuklearprogramm. Allerdings kamen die Arbeiten nach der Revolution von 1979 nur stockend voran Seit einigen Jahren sind aber wieder umfangreiche und besorgniserregende  Aktivitäten zu beobachten, deren tatsächliches Ausmaß ab 2002 bekannt wurde: Der Leichtwasserreaktor in Busher ist fertig gestellt; ein Schwerwasserreaktor - für die Stromgewinnung eigentlich unrentabel - befindet sich im Bau; neben der bestehenden Urananreicherungsanlage in Natanz plant und errichtet das Land eine gigantische Wiederaufbereitungsanlage. Hierüber hat der Iran die IAEA vertragswidrig nicht unterrichtet. Erst nachdem Beweise zweifelsfrei vorlagen und nach internationalen Protesten erlaubte die Regierung in Teheran die Inspektion verdächtiger Anlagen. Bislang hat der Iran das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag, das umfassende Untersuchungen durch die Inspekteure der IAEA erlaubt, lediglich unterzeichnet. Das Parlament verweigert jedoch bis heute dessen Ratifizierung.

Parallel zu diesem Nuklearprogramm entwickelt und kauft das Land Trägersysteme, die auch nukleare Sprengkörper transportieren können. Zudem bestätigte der Iran, in den achtziger Jahren Blaupausen für die Urananreicherung und den Bau einer Atombombe aus pakistanischen Quellen bezogen zu haben. Seit Ende 2003 verhandeln Deutschland, Frankreich und Großbritannien (EU-3) mit Teheran über "objektive Garantien", dass das Nuklearprogramm des Iran ausschließlich zivilen Zwecken dient. Trotz gewachsener Erkenntnisse hat die IAEA das Land zuletzt im September erneut unzureichender Kooperation beschuldigt.

Allerdings: Eine umfassende Evaluation erfordert ausreichend Mittel, Zeit, Offenheit und Vertrauen. Die IAEA erhält jedoch offensichtlich nach wie vor nicht alle relevanten Geheimdienstinformationen. Die personelle, technische und finanzielle Ausstattung ist noch immer dürftig. Vor allem aber fehlt es an der Bereitschaft zur Kooperation. Dies gilt nicht nur, aber vor allem für Teheran, wo man derzeit kaum mutige und vorausschauende Entscheidungsträger findet. Vornehmlich ideologisch-religiöse und nationale Empfindlichkeiten prägen die politischen Erfahrungshorizonte der einzelnen sehr widersprüchlich agierenden Gruppen.

Gleichwohl werden in den westlichen Hauptstädten die historischen Erfahrungen und Sicherheitsbedürfnisse des Iran zu wenig beachtet. Die Wahrnehmungen in Teheran sind bekanntlich komplex: Der Vorwurf der Fremdbestimmung und Einmischung auswärtiger Mächte prägen das Bild vom Westen. Wirtschaftssanktionen, der Umgang mit den Atomwaffenmächten Pakistan und Indien, der Verlauf der nordkoreanischen Atomkrise und die fortbestehende Verknüpfung zwischen internationalem Machtstatus und dem Besitz von Kernwaffen wussten die interne Debatte anzuheizen. Daneben spielte die Verortung Irans auf der "Achse des Bösen" den religiös-nationalen Eiferern in Teheran in die Hände.

Vor diesem Hintergrund war die Initiative der EU mit dem Land über sein Atomprogramm zu verhandeln grundsätzlich konsequent. Die Verhandlungen der EU-3 mit  Teheran erhielten jedoch zunächst nicht die ausreichende Unterstützung durch Washington. Das vorläufige Scheitern der Verhandlungen nach der Ablehnung der europäischen Vorschläge durch Teheran Anfang August hat dies verdeutlicht. Die Einbindung der USA ist aber mittelfristig für eine Lösung der Krise um das iranische Atomprogramm unverzichtbar. Deshalb entwickelten Abgeordnete des Deutschen Bundestages vor einem Jahr gemeinsam mit Vertretern amerikanischer Institutionen und Mitarbeitern einflussreicher US-Senatoren eine deutsch-amerikanische Initiative zur Lösung der iranischen Atomkrise. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass die europäische Seite im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen mit dem Iran klar hinter der Drohung mit möglichen "Sticks" steht, während die USA gleichzeitig aber ebenso nachdrücklich "Carrots" und nicht lediglich Drohungen in den diplomatischen Prozess einbringen.

Die wesentlichen Kernpunkte dieser koordinierten transatlantische Strategie sind: Erstens muss der Iran seine Bemühungen zur Erlangung eines geschlossenen Brennstoffkreislaufes dauerhaft einstellen und einem umfassenden Inspektionsregime zustimmen. Setzt das Land dies tatsächlich um, nehmen, zweitens, die USA bilaterale Verhandlungen mit Teheran auf, deren Ziel die Wiederaufnahme von Handels- und diplomatischen Beziehungen ist und die auch die legitimen Sicherheitsinteressen des Iran beinhalten würden. Sollte Teheran aber, drittens, nicht nachweisbar auf sein Nuklearwaffenprogramm verzichten, so befürworten die USA sowie die EU-3 die Überweisung der Problematik an den UN-Sicherheitsrat. Bei einer etwaigen Blockade von Maßnahmen durch ein russisches oder chinesisches Veto würden unabhängig davon auch die EU-3 Sanktionsmaßnahmen gegen den Iran ergreifen.

Die Lösung der iranischen Nuklearkrise ist auch für die große Koalition in Berlin die erste außenpolitische Bewährungsprobe. Sie ist für die transatlantischen Beziehungen und die Nichtverbreitungspolitik der neuen Bundesregierung beispielhaft. Der Deutsche Bundestag sollte diese Politik und eine solche Verhandlungsstrategie nachdrücklich unterstützen.
 

Autor: 
Von Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg und Rolf Mützenich
Thema: 
Nur gemeinsam und mit einer Doppelstrategie können Europa und die USA Iran zur Aufgabe des Atomprogramms bewegen
Veröffentlicht: 
Süddeutsche Zeitung, 24.11.05