Linksnationalistisch und antieuropäisch

Mit dem Streitplatz um eine Außenpolitik in Rot-Rot-Grün greift die Zeitschrift Welt Trends einmal mehr und verdienstvoll ein Thema auf, das aufgrund der Bundestagswahl 2013 an zusätzlicher Relevanz gewinnen wird. Die bisherigen Debattenbeiträge machen aber mehr als deutlich, dass eine solch rot-grün-rote Koalition alles andere als realistisch ist - unabhängig davon, dass Einzelne ein gemeinsames Bündnis von SPD, Grünen und LINKEN bereits nach der Wahl 2013 für möglich halten. Dies liegt nicht nur an dem geradezu pathologischen Verhältnis, das nach wie vor zwischen der grauen Eminenz der Linken, Lafontaine und Teilen der Sozialdemokratie besteht. Auch unterhalb dieser Ebene behindern Befindlichkeiten vor allem in den sogenannten alten Ländern eine solche Annäherung.

Sowohl CDU/CSU als auch SPD befinden sich ein Jahr vor der Wahl in einem strategischen Dilemma: Weder für Schwarz-Gelb noch für Rot-Grün wird es nach derzeitigem Stand reichen. Deshalb bräuchte die SPD die LINKE oder die FDP als Alternative zur Großen Koalition. CDU und CSU wollen vor allem eins: die Kanzlerin stellen, egal mit welchem Partner. Sollte es dennoch zu der befürchteten Patt-Situation nach der Bundestagswahl 2013 kommen ist eine Regierungsbildung mit der LINKEN nahezu ausgeschlossen. In der Tat dürfte die Sollbruchstelle etwaiger zukünftiger Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und der LINKEN in der Außenpolitik liegen. Dies liegt auch an einem bisweilen nur schwer erträglichen Hang zur Selbstgerechtigkeit bei einigen Außenpolitikern der LINKEN, die sich in populistischen Stil und mit weitgehend undifferenzierten und verbal-radikalen Positionen stolz als Mitglieder der vermeintlich einzigen und wahren Friedenspartei präsentieren.

Zwischentöne oder Kompromissvorschläge sind kaum zu hören. Das ist zu wenig.
Es gibt genügend Gründe für eine selbstkritische Aufarbeitung der rot-grünen Außen- und Sicherheitspolitik vom Kosovo-Krieg bis hin zum Afghanistaneinsatz. Wahr ist auch, dass Deutschland bereits unter Rot-Grün zum drittgrößten Waffenexporteur aufgestiegen ist. Ebenso hat Rot-Grün zur Entfesselung der Finanzmärkte beigetragen und den Spitzensteuersatz gesenkt - dies sind unbequeme Wahrheiten, denen man sich gleichwohl stellen muss. Für diese selbstkritische Aufarbeitung brauchen wir keine Belehrungen mit erhobenem Zeigefinger seitens der LINKEN.

Zweifelsohne gibt es nach wie vor eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten linker Außenpolitik, die in dem Diskussionspapier auch alle angesprochen sind. Internationale Sozial- und Rohstoffpolitik, zivile Friedenssicherung, restriktive Rüstungsexportpolitik und Stärkung der Vereinten Nationen und OSZE. Die strittigen Themen sind im Papier aber ausgeklammert. Dazu gehören neben der Bündnispolitik (Vgl. hierzu den Beitrag von Niels Annen) in erster Linie die Europapolitik und die Politik gegenüber den Vereinten Nationen. Hier ist die LINKE mit ihren Positionen zu Recht weitgehend isoliert. Für künftige Koalitionsverhandlungen wäre es deshalb durchaus hilfreich, wenn sich auch die LINKE mit einigen ihrer Positionen selbstkritisch beschäftigen würde.

Es versteht sich zudem von selbst, dass die folgende Kritik an außenpolitischen Positionen der Partei DIE LINKE zwangläufig pauschalisiert , damit auch vereinfacht und bisweilen einseitig und ungerecht ist. Eine Zuspitzung scheint mir dennoch hilfreich, um die Unterschiede und Hindernisse, die einer solchen Koalition auf Bundesebene entgegenstehen, herauszuarbeiten.

Nationalistische Kirchturmpolitik

Den meisten in der LINKEN gilt Europa als neoliberales und militaristisches Machwerk, das man bekämpfen muss, nicht nur vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe. Weil diese EU aus ihrer Sicht bankenhörig, militaristisch und noch mit vielen anderen Übeln behaftet sei, wird sie abgelehnt. Während sie die Genossen aus Griechenland mit internationalistischer Rhetorik umschlingt, spielt die LINKE daheim die nationalstaatliche Karte aus. Von einem europäischen Bundesstaat will sie nichts wissen. Statt antiimperialistisch geriert sich die Partei zunehmend antieuropäisch und nationalistisch. Nach dem Scheitern in Karlsruhe hat Gregor Gysi allen Ernstes Dank verlangt dafür, dass seine Partei wieder etwas für den Parlamentarismus getan habe. In Wahrheit schwingt sich ausgerechnet die LINKE zum verbissenen Verfechter des Nationalstaates auf. Ihre Solidarität ist nicht mehr international.

Europa liegt heute nicht mehr im Zentrum der Weltgeschichte und wird noch weiter an deren Peripherie rücken. Deutschland hat keine Wahl zwischen einer europäischen oder nationalen Politik. Die europäische Schuldenkrise ist auch eine deutsche Schuldenkrise. Deutschland ist Teil eines weit integrierten Europas - daher brauchen wir eine europäische, nicht eine isolationistische Politik. Die im internationalistischen Gewand von der Linken vorgetragene Kritik an der EU ist in Wahrheit ein Beitrag zu einer Renationalisierung deutscher Politik .

Selektive Moral und Gesinnungsethik

Ein weiteres Feld, auf dem die LINKE die Moral scheinbar gepachtet hat, ist ihre sogenannte Friedenspolitik. Hier zeigt sich einmal mehr, dass Moralismus nicht nur erhebend, sondern auch nützlich ist. Man entzieht sich nicht nur den Händeln der Welt, sondern darf im Namen der höheren Sittlichkeit der Verantwortung ausweichen. Wer nicht handelt, muss keine moralischen Konflikte bewältigen; abkanzeln ist einfacher als abwägen. Wer nicht eingreift, kann nicht viel falsch machen, aber unschuldig bleibt er nicht. Hier ist Max Webers Unterscheidung zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik nach wie vor erhellend: "Gesinnungsethik ist die Moral des Absoluten. "Verantwortlich" fühlt sich der Gesinnungsethiker nur dafür, dass die Flamme der reinen Gesinnung (...) nicht erlischt. (...) Keine Ethik der Welt kommt um die Tatsache herum, dass die Erreichung "guter" Zwecke in zahlreichen Fällen daran gebunden ist, dass man (...) bedenkliche oder mindestens gefährliche Mittel und die Möglichkeit oder auch die Wahrscheinlichkeit übler Nebenerfolge mit in den Kauf nimmt (...)."

Blauhelmeinsätze der Vereinten Nationen werden von der Partei DIE LINKE kategorisch abgelehnt ? und nicht nur die nach Artikel VII. Dies ist billiger Vulgärpazifismus. Den Gedanken, dass man sich durch ein Nichteingreifen ebenso schuldig machen kann wie durch ein Eingreifen, lässt DIE LINKE gar nicht erst zu. Man kann Konflikte nicht allein mit diplomatischen Mitteln auf Distanz halten. Man kann grobe Menschenrechtsverletzungen nicht allein mit starken Worten bekämpfen. Manchmal ist dazu Militär nötig. Oder wenigstens die Drohung mit Militär.

Wie geht man beispielsweise mit Völkermord um, wenn dieser quasi  unter dem Schutz der UN-Charta stattfindet, weil sich der UN-Sicherheitsrat als entscheidungs- und handlungsunfähig erweist? Hier macht es sich DIE LINKE zu einfach. Die UN-Charta verkörpert eben nicht die beste aller Welten. Sie ist nach wie vor ausgelegt auf die Nationalstaaten als einzig relevante Völkerrechtssubjekte. Deshalb sollte man sich über den Charakter der Vereinten Nationen keinen Illusionen hingeben. Sie sind eben kein weltweites "System Kollektiver Sicherheit", sondern in erster Linie ein Konzert der Großmächte.

Zugleich hat die Partei DIE LINKE durchaus Recht, dass angesichts des möglichen Missbrauchs von "humanitären Interventionen" das Insistieren auf die Einhaltung rechtlicher Verfahren alles andere als reiner Formalismus, sondern unabdingbare Voraussetzung für ein internationales Rechtssystem ist. Die Durchsetzung der Herrschaft des Rechtes und die Sicherung von humanitären Einsätzen der Hilfsorganisationen durch UN-Einsätze ist für die Stärkung des Friedens und die Stärkung der Menschenrechte in bestimmten Fällen unverzichtbar. Wer, wie DIE LINKE, auch friedenserhaltenden Einsätzen der Vereinten Nationen ausnahmslos die Unterstützung versagt, verabschiedet sich aus einer verantwortlichen Außenpolitik, die Frieden und Menschenrechte zum Ziel hat. Er kann außenpolitisch keine Verantwortung übernehmen.

Die Zeit ist nicht reif

Eine rot-grün-rote Regierungskoalition ist (zumindest für die nächste Legislaturperiode) genauso unwahrscheinlich wie ein Außenminister der LINKEN in einer solchen Koalition - auch wenn manche argumentieren, dass eine Regierungsbeteiligung DER LINKE, wie damals auch bei Bündnis 90/Die Grünen, in der Außenpolitik jenen Realitätsschock bescheren würde, den sie bei ihren Regierungsbeteiligungen in den Ländern bereits bei der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik erleben mussten. 

Worin die Unterschiede zwischen linker und rechter Außenpolitik liegen sollen, ist zunehmend unklarer. Steht linke Außenpolitik für Kritik an den USA, Glückwunschtelegramme an Fidel Castro, Teilnahme an der Gaza-Flottille oder einer antisemitischen Konferenz in Teheran?  Und steht rechte Außenpolitik für transatlantische Nibelungentreue, blinde Gefolgschaft im Irakkrieg, Militäreinsätze in aller Welt und die Duldung und Hofierung rechter Diktatoren? Es gibt deshalb keine "rechte" oder "linke", sondern nur vernünftige Außenpolitik jenseits dieser Klischees mit Augenmaß und Verstand.
 

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
So lässt sich keine Außenpolitik betreiben
Veröffentlicht: 
WeltTrends, Nr. 87, November/Dezember 2012, S. 100-103