Liga der Demokratien
Nach dem Amtsantritt von Barack Obama am 20. Januar 2009 sollte sich Europa auf eine Neuausrichtung der amerikanischen Außenpolitik einstellen, die vor allem die engsten demokratischen Verbündeten stärker einbeziehen, aber auch in die Pflicht nehmen wird. Die Hoffnungen - ja die Euphorie, die sich mit dem ersten schwarzen US-Präsidenten verbinden - korrelieren dabei mit den unglaublich großen Schwierigkeiten und Herausforderungen vor denen Obama steht - innenpolitisch, was die Wirtschaftslage angeht, haushaltspolitisch, was die Finanzkrise betrifft und außenpolitisch, was die zwei Konflikte im Irak und in Afghanistan angehen, ebenso wie die vielen ungelösten Fragen im Nahen Osten und im Verhältnis zu Russland. Hierfür braucht er Partner und Freunde. Die Bedingungen für eine Wiederbelebung des transatlantischen Verhältnisses sind jedenfalls so gut wie lange nicht mehr.
Auch die amerikanische Idee einer "Liga der Demokratien" könnte mit einer Neuausrichtung der US-Außenpolitik unter dem neuen Präsidenten eine Wiederbelebung erfahren. Ein solches "Bündnis der Demokratien" geistert seit geraumer Zeit sowohl auf republikanischer als auch auf demokratischer Seite durch die Gazetten. Diese solle die Vereinten Nationen "nicht verdrängen, sondern ergänzen" und immer dann tätig werden, wenn "diese versagen". Damit greift McCain stellvertretend eine Debatte auf, die sich seit dem Ersten Weltkrieg wie ein roter Faden durch die amerikanische Außenpolitik zieht. So machte Präsident Woodrow Wilson im April 1917 vor dem amerikanischen Kongress deutlich, dass "die Welt sicher für die Demokratie gemacht werden" müsse. Zudem plädierte er für die Gründung einer Liga der Nationen, denn "ein unverbrüchliches Zusammenwirken für den Frieden kann nur durch eine Partnerschaft demokratischer Nationen sichergestellt werden".
Diese Strategie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch das Konzept der Eindämmung (containment) des sowjetischen Kommunismus ergänzt - oft auch zu Lasten der Demokratisierung. Denn bei ihren Bündnispartnern waren die USA während des Kalten Krieges nicht besonders wählerisch. Getreu dem Motto "der Feind meines Feindes ist mein Freund" wurden auch Diktaturen und selbst die afghanischen Taliban unterstützt, sofern sie nur "antikommunistisch" waren.
Nach dem Ende des Kalten Krieges bemühte sich der amerikanische Präsident Bill Clinton um eine strategische Neuausrichtung der Außenpolitik. Sein Sicherheitsberater Anthony Lake schlug als neue Strategie die "Ausweitung der Demokratie" vor. Clinton stellte dieses Konzept in seiner Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 27. September 1993 als globale Friedensstrategie vor. Demnach müsse es oberstes Ziel sein, "die Weltgemeinschaft der marktwirtschaftlich orientierten Nationen auszuweiten". Nachdem die USA während des Kalten Krieges die sowjetische Bedrohung der "freien Welt" erfolgreich eingedämmt hätten, sollten sie nunmehr versuchen, ihren Einflussbereich eben durch diese Strategie zu vergrößern. Auch die Erweiterungsrunden von NATO und Europäischer Union folgten dieser Logik. Die Ausbreitung von Demokratien zu unterstützen, schloss allerdings auch "humanitäre Interventionen", wie beispielsweise in Bosnien, nicht aus. Auch den Irak-Krieg begründete der amerikanische Präsident George W. Bush - neben den nicht vorhandenen Massenvernichtungswaffen ? mit dem Argument, dass dadurch eine Welle der Demokratisierung den gesamten Nahen Osten erfassen würde; eine Erwartung, die sich nicht erfüllte.
Was stellt man sich auf amerikanischer Seite nun konkret unter einer "Liga der Demokratien" vor? Eine um Australien, Brasilien, Indien, Japan und Neuseeland erweiterte globale NATO? Eine "Koalition der Willigen", wie sie schon im Irak- oder Afghanistan-Krieg zum Einsatz kam? Geht es dabei um eine Stärkung oder nicht doch um eine Schwächung beziehungsweise Umgehung der Vereinten Nationen - genauer des UN-Sicherheitsrats? Sollen Länder wie Russland oder China isoliert werden?
Die Absicht dahinter ist unschwer zu erkennen. Die USA empfinden die Vereinten Nationen - an deren Entstehung sie im Übrigen maßgeblich beteiligt waren - zunehmend als Last. Nicht nur die Regierung, sondern auch der Kongress und die amerikanische Öffentlichkeit stehen den Vereinten Nationen zutiefst skeptisch gegenüber. Man will sich auf keinen Fall seine Handlungsfähigkeit von der latent handlungsunfähigen "Quasselbude" am East River einschränken lassen, in der Diktaturen - zumindest formal - das gleiche Stimmrecht haben wie die Weltmacht. Die immer wieder lancierte Idee einer Liga der Demokratien hat deshalb durchaus auch das Ziel, die Vereinten Nationen zu delegitimieren.
Die Liga der Demokratien ist eine uramerikanische Idee, geboren aus der Unzufriedenheit mit den UN, gespeist aus den Erfahrungen in Bosnien, Somalia, Ruanda, Kosovo und zuletzt in Myanmar, als der paralysierte Sicherheitsrat entschlossenes Handeln verhinderte. In den USA findet das Konzept sowohl bei Liberalen als auch bei Konservativen Anklang.
Ivo Daalder war gemeinsam mit James Lindsay einer der ersten Politologen, die sich darüber Gedanken machten. "Allianz der Demokratien" nannten sie im Jahr 2004 ihr Projekt, das sie drei Jahre später, umgetauft als "Konzert der Demokratien", in der Zeitschrift "The American Interest" detaillierter vorstellten. An die 60 Mitglieder schweben ihnen vor. Nicht jedes Land, das Wahlen abhält, soll deshalb jedoch gleich aufgenommen werden. Zutritt hat nur, wer Bürger- und Grundrechte einhält. Ägypten, Jordanien und Russland blieben nach diesen Kriterien außen vor.
Auch Robert Kagan träumt in seinem neusten Buch von einer Allianz der Demokratien auf der Welt. Im Rahmen dieses Bündnisses sollten sämtliche Demokratien regelmäßig zusammenkommen, um sich im Kampf gegen die dunklen Mächte der Autokratie abzustimmen. Ein solches Bündnis könnte ihm zufolge auch ?zur Legitimation von Aktionen beitragen, die demokratische Nationen für erforderlich halten, denen autokratische Nationen jedoch ihre Unterstützung verweigern - so wie die NATO die Intervention im Kosovo legitimierte?.
Dabei ist die Liga der Demokratien ein durchaus sympathischer Traum. Doch bilden die Ideen der Aufklärung allein den Kitt, der ein solches Bündnis zusammenhalten kann? Und wenn ja, reicht ein solcher Pakt aus? Warum sollte man im Kampf etwa gegen das iranische Atomprogramm auf Partner verzichten, nur weil sie nicht demokratisch gewählt sind? Internationale Politik kann nur erfolgreich sein kann, wenn sie die Menschen und die Staaten so nimmt, wie sie sind und nicht so, wie man sie gern haben würde.
Es wäre jedenfalls verhängnisvoll, wenn sich dieses Bündnis der Demokratien zu einem exklusiven Club entwickeln würde, der Staaten von Entscheidungsprozessen ausschließt und eine Zweiklassengesellschaft begründet. Die globalen Sicherheitsfragen, wie Klimawandel, Armut, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oder Rüstungskontrolle, können ohne die Einbeziehung einflussreicher Staaten, vor allem Chinas und Russlands, ohnedies nicht angegangen werden.
Theorie vom demokratischen Frieden
Dabei ist der Grundgedanke durchaus richtig. Nicht viele theoretische und akademische Konzepte sind eine Orientierung für die Politik geworden. Ein Konzept, dem dies gelang, ist die Theorie vom demokratischen Frieden. Der dort postulierte Zusammenhang zwischen internationaler Friedfertigkeit und rechtsstaatlicher Demokratie beziehungsweise republikanischer Verfassung findet sich ansatzweise schon bei Machiavelli, Montesquieu, Rousseau und Kant. Das Forschungsprogramm zum "demokratischen Frieden" wurde maßgeblich von Immanuel Kants Schrift "Zum ewigen Frieden" inspiriert. In seiner 1795 erstmals erschienen Abhandlung fordert der Philosoph, dass "die bürgerliche Verfassung in jedem Staat republikanisch sein" soll. Vor ihm hatten bereits Jean-Jacques Rousseau und Abbé de Saint-Pierre den Zusammenhang zwischen Herrschaftsform und Frieden hergestellt. Die These von den friedlichen Demokratien spielte in der internationalen Politik des 20. Jahrhunderts eine bedeutende, Legitimation stiftende Rolle. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts wurde die Idee des "demokratischen Friedens" zunehmend populärer, verbunden mit der Hoffnung auf eine neue, demokratische Ära. Entsprechend weitete sich auch die Forschung zum Zusammenhang von Herrschaftstyp und Friedfertigkeit rasant aus.
In den siebziger Jahren führte dann David Singer ein statistisch-empirisch angelegtes Projekt über Kriegsursachen seit 1816 durch. Eines der wenigen wirklich relevanten Ergebnisse war die Erkenntnis, dass Demokratien in viele Kriege verwickelt sind, nicht aber gegen Demokratien - pikanterweise ist eine der wenigen Ausnahmen der amerikanisch-britische Krieg von 1812. Mit anderen Worten: In einer Welt, die nur aus Demokratien bestünde, gäbe es zwar Konflikte, diese würden aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr kriegerisch ausgetragen - wobei die Frage, wodurch sich eine Demokratie eigentlich auszeichnet, noch genauer zu klären wäre.
Die beiden Kernthesen der Theorie vom demokratischen Frieden bilden somit einen Doppelbefund: Erstens führen Demokratien gegeneinander keine Kriege. Zweitens sind Demokratien nahezu ebenso häufig wie andere Herrschaftsformen in Kriege verwickelt. Kriege zwischen Demokratien und Nichtdemokratien sind daher durchaus zu beobachten. Diese Thesen, insbesondere letztere, sind zweifelsohne umstritten. Kritisiert werden in erster Linie die methodischen Defizite der Analyse. Die zumeist quantitativen Untersuchungen zum "demokratischen Frieden" operieren dabei mit der unabhängigen Variable Demokratie und der abhängigen Variable Krieg beziehungsweise Frieden. Bezüglich der Variable Demokratie wird kritisiert, dass sich viele Studien gar nicht um eine Problematisierung des Demokratiebegriffs bemühen. Es wird vielmehr oftmals unreflektiert auf die regelmäßig aktualisierten Daten und Indikatoren von "Freedom House", einer amerikanischen Forschungseinrichtung, zurückgegriffen.
Ähnlich problematisch verhält es sich mit der Definition von Krieg beziehungsweise Frieden. Hier gibt es in der Forschung äußerst uneinheitliche Anforderungen und Abstufungen der Begrifflichkeiten. Der "demokratische Frieden" wird außerdem einer moralischen Kritik unterzogen. Wie die meisten Theorien der internationalen Beziehungen vertritt auch er ein bestimmtes Weltbild. Es wird befürchtet, dass es als selbstverständlich angesehen wird, dass Demokratien sich friedlicher verhalten als andere Herrschaftsformen, und die demokratisch gewählten Regierungen somit einen "Freifahrtschein" für ihre Außenpolitik erhalten. Carsten Rauch befürchtet sogar die Möglichkeit "demokratischer Kreuzzüge".
Hinsichtlich der Chancen und Grenzen einer Liga der Demokratien ist vor allem die Debatte um den Institutionenfrieden interessant. Im Rahmen des "demokratischen Friedens" wird hier untersucht, inwieweit es einen signifikanten Einfluss internationaler Institutionen auf die Wahrscheinlichkeit gewaltsamer Konflikte zwischen Staaten gibt. Die Forschung steckt hier bislang noch in den Anfängen. Zwar gibt es Untersuchungen zur These vom Institutionenfrieden, deren Ergebnisse mit statistischen Analysen untermauert sind, jedoch sind diese Befunde nicht besonders aussagekräftig. So konstatieren Charles Boehmer, Erik Gartzke und Timothy Nordstrom, dass der pazifizierende Einfluss bei interventionistischen Sicherheitsinstitutionen am größten ist. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch eine Studie von Jon Pevehouse und Bruce Russett, die zeigen konnten, dass die friedensfördernde Wirkung internationaler Organisationen zunimmt, je demokratischer ihre Mitgliedstaaten verfasst sind.
Noch einen Schritt weiter geht Andreas Hasenclever, der davon ausgeht, "dass der demokratische Frieden maßgeblich ein Werk interdemokratischer Institutionen ist" . Demokratien richten demnach multilaterale Institutionen ein, um Kriege in ihren zwischenstaatlichen Beziehungen zu vermeiden und das Risiko militärischer Konflikte unterhalb der "Kriegsschwelle" zu halten. Die von demokratischen Staaten getragenen Institutionen erweisen sich insgesamt als besonders stabil, da hier Parlamente, organisierte Interessen und nichtstaatliche Organisationen (NGOs) in die Arbeit interdemokratischer Organisationen eingebunden sind. Hinzu kommt der Trend, dass Demokratien zu einer verhältnismäßig starken Verrechtlichung internationaler Abkommen neigen. Nach Hasenclever wirken internationale Institutionen "generell als eine Art "Brandschutztür", die mögliche Brandherde in zwischenstaatlichen Beziehungen voneinander isoliert".
Insgesamt machen die angesprochenen Untersuchungen zur These vom Institutionenfrieden jedoch deutlich, dass Institutionen dem Frieden folgen und nicht umgekehrt. Gleichzeitig ist aber auch die berechtigte Hoffnung zu erkennen, dass Frieden der Demokratie folgt. Frieden durch Demokratisierung ist somit eine durchaus erfolgversprechende Strategie, die jedoch nicht außerhalb, sondern innerhalb des Systems der Vereinten Nationen verfolgt werden muss.
Aktueller Stand der weltweiten Demokratisierung
Wenn man voraussetzt, dass Demokratie tatsächlich Frieden schafft, dann ist es hilfreich festzustellen, wie weit die weltweite Demokratisierung bis heute vorangeschritten ist und welche Tendenzen erkennbar sind.
Für eine solche Bestandsaufnahme sollen hier zwei der populärsten Demokratie-Indizes herangezogen werden: 1) der Bertelsmann-Transformation-Index und 2) der Freedom-House-Index.
- Der Bertelsmann-Transformation-Index setzt sich aus 17 Kriterien zusammen, deren 52 Indikatoren den Stand der weltweiten Demokratisierung messen sollen. Es werden 125 Staaten untersucht. Im Index 2008 werden insgesamt 14 Staaten als konsolidierte oder weit fortgeschrittene rechtsstaatliche Demokratien sowie sozialpolitisch flankierte Marktwirtschaften bezeichnet. 75 der 125 untersuchten Nationen erfüllen die Grundanforderungen an eine rechtsstaatliche Demokratie. Problematisch ist jedoch eine Gruppe von 27 Ländern, in denen das Gewaltmonopol gefährdet ist und die Verwaltungsstrukturen kaum funktionsfähig sind. Unter diesen fragilen Staaten befinden sich neben sieben "gescheiterten Staaten" zehn Demokratien und zehn Autokratien. Das Problem der schwachen Staatlichkeit ist in erster Linie in Afrika zu verorten. Abschließend kann festgehalten werden, dass die Zahl der formalen Demokratien laut Bertelsmann-Transformation-Index in den letzten Jahren weiter gestiegen ist. Allerdings wächst gleichzeitig die Zahl der Länder, in denen das demokratische System zunehmend ausgehöhlt wird. Einer quantitativen Besserung stehen somit qualitative Einbußen gegenüber.
- Dem "Freedom-House-Index" liegt ein äußerst umfassendes Demokratieverständnis zugrunde, so dass es sich nicht um einen reinen Demokratie-Index handelt, sondern vielmehr um einen "Freiheits-Index", der unter anderem Demokratisierung analysiert. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die Arbeit von "Freedom House" nicht unumstritten ist. Kritiker werfen der amerikanischen NGO enge Verbindungen zu neokonservativen Kreisen vor. Außerdem wird ihr Haushalt zu 80 Prozent von der amerikanischen Regierung finanziert. Zudem sei ihr Freiheitsverständnis Ausdruck eines westlichen Weltbilds. Trotz allem gilt der Bericht "Freedom in the World" als populärster seiner Art und wird entsprechend häufig zitiert und rezipiert. Im Ergebnis macht der Bericht 2008 deutlich, dass die Demokratie weltweit auf dem Rückzug ist. 38 Staaten haben im Jahr 2007 ihre Freiheitsrechte eingeschränkt, nur zehn bauten sie aus. Erstmals seit rund 25 Jahren verzeichnet "Freedom House" damit einen Rückgang der Freiheit in zwei aufeinanderfolgenden Jahren. Vor allem in Asien und Afrika sind negative Tendenzen zu erkennen. Einflussreiche Länder wie Pakistan und Malaysia sowie Kenia und Nigeria nehmen zunehmend autoritäre Züge an.
Es kann somit abschließend festgestellt werden, dass die "dritte Welle" der Demokratisierung abebbt. Immer mehr Staaten wandeln sich zu "defekten Demokratien" oder verharren in ihren autokratischen Strukturen.
Demokratisierung mit der Waffe?
"Die Vereinigten Staaten sind eine Nation mit einer Mission (...). Unser Ziel ist ein demokratischer Frieden (...)." "Vor allem werden wir die historische Arbeit der Demokratie in Afghanistan und in Irak beenden, so dass diese Nationen den Weg für andere aufzeigen (...)", so der amerikanische Präsident George W. Bush in seiner Rede zur Lage der Nation im Jahr 2004. Dahinter steht eine von Paul Wolfowitz, Richard Perle und anderen Neokonservativen entwickelte demokratische Dominotheorie. Demnach führt ein demokratischer Wandel Iraks dazu, dass die benachbarten Autokratien sich mit dem demokratischen "Virus" infizieren. Wie problematisch diese Annahme ist, beweist die Realität im heutigen Irak, die noch immer von gänzlich instabilen Strukturen geprägt ist.
Spätestens seit dem Afghanistan-Feldzug stellt sich die Frage, ob es legitime Gründe geben kann, mit kriegerischen Mitteln eine Demokratie zu erzwingen, vorausgesetzt Demokratisierung fördert tatsächlich den Frieden. In Deutschland hat sich der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel intensiv mit dieser Frage beschäftigt. Anhand einer skandinavischen Studie aus dem Jahr 2004 macht er deutlich, dass von Demokratien ausgeführte Interventionen tatsächlich zu einem Anstieg der Demokratiewerte führen. Er erklärt dies damit, dass Demokratien dazu tendieren, Kriege zu gewinnen. Autokratische Regime werden durch Kriegsniederlagen destabilisiert und häufig in einen Regimewechsel getrieben. Die so entstandenen Demokratien sind jedoch instabiler und weniger dauerhaft als politische Systeme, die sich weitgehend endogen demokratisiert haben. Merkel weist ausdrücklich darauf hin, dass kriegerisch herbeigeführte Zwischenregime, die scheinbar demokratisch sind, kriegsanfälliger und bürgerkriegsgefährdeter als reife Demokratien oder stabile Autokratien sind. Die Entwicklungen in Irak belegen diese These. Merkel folgert daraus, dass demokratische Mächte, die intervenieren, so lange das neue Regime stützen sollten, bis es sich zu einer gefestigten Demokratie entwickelt hat.
Aus rechtlicher Perspektive ist die gewaltsame Intervention ausdrücklich durch Art. 2 (4) der UN-Charta geächtet. Als einzige Ausnahme wird das individuelle und kollektive Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 gegenüber Aggressionen von Drittstaaten zugelassen. Dies ist im Sinne eines Verteidigungskriegs zu verstehen. Es muss also eine konkrete Bedrohung vorliegen, die einen Akt der Notwehr erfordert. Dies gilt im Übrigen nur solange, bis sich der UN-Sicherheitsrat damit befasst hat.
Die so genannte humanitäre Intervention ist ebenfalls immer wieder Gegenstand völkerrechtlicher Diskussionen, vor allem seit dem NATO-Angriff auf die Republik Jugoslawien im Kosovo-Krieg. Ein Mandat des UN-Sicherheitsrats lag in diesem Fall nicht vor. Dennoch kommen viele Völkerrechtler zu dem Schluss, dass die Intervention durch das Rechtsprinzip der "Nothilfe" zu rechtfertigen ist. Dieser Begriff ist eigentlich dem Strafrecht entlehnt, ist aber durch Art. 51 der UN-Charta auch auf Staaten anwendbar. In extremen Fällen gravierender Menschenrechtsverletzungen gibt es das entsprechende Recht Dritter zur Nothilfe. Die Frage, ob und unter welchen Bedingungen zur Durchsetzung des Rechts Gewalt angewendet werden soll, gehört zu den schwierigsten und strittigsten Fragen. Bei der völkerrechtlichen Beurteilung des Kosovo-Krieges haben sich nahezu alle renommierten Völkerrechtler zu Wort gemeldet. Konsens besteht weitgehend darin, dass es sich beim Krieg der NATO um einen Verstoß gegen das Gewaltverbot nach Art. 2 (4) der UN-Charta handelt. Zudem stuft die Charta das Gewaltverbot höher als den Menschenrechtsschutz ein. Im Zeitalter der neuen Kriege, in dem Bürgerkriege und innerstaatliche Konflikte den vorherrschenden Konflikttypus darstellen , liegt darin jedoch eine entscheidende ?Regelungslücke?. So bleiben die Vereinten Nationen und die UN-Charta hinsichtlich des Minderheitenschutzes weit hinter dem Völkerbund der Zwischenkriegszeit zurück. Nach einem streng legalistischen Verständnis würde demnach selbst ein Völkermord keine einseitige, von den Vereinten Nationen nicht autorisierte Gewaltanwendung erlauben.
Hier fand im letzten Jahrzehnt ein Umdenken statt: Zur Überraschung vieler Beobachter fand das Prinzip der Schutzverantwortung (responsibility to protect) Einzug in das von den Staats- und Regierungschefs der Vereinten Nationen verabschiedete Abschlussdokument des Weltgipfels 2005. Ausgangspunkt dieses Prinzips ist der Grundsatz, dass staatliche Souveränität auch eine Verantwortung zum Schutz der Bevölkerung beinhaltet. Ist ein Staat nicht in der Lage oder nicht willens, seine Bevölkerung vor schwersten Menschenrechtsverletzungen zu schützen, geht diese Schutzverantwortung an die internationale Gemeinschaft über. Damit deutet sich damit ein fundamentaler Paradigmenwechsel im Völkerrecht an.
Auch wenn die Schutzverantwortung normativ sicher positiv zu beurteilen ist , besteht bei ihrer Anwendung immer auch die Gefahr des Machtmissbrauchs, bedingt durch die Machtungleichgewichte im internationalen System. Dies gilt auch für "demokratische Interventionen", also für Eingriffe von außen zur Herstellung einer demokratischen Ordnung im Falle massiver Menschenrechtsverletzungen. Im Falle von Massakern, ethnischen Säuberungen und Staatsterrorismus bestünde unter bestimmten Voraussetzungen demnach eine moralische Pflicht zur bewaffneten Intervention. Dies ist zweifelsohne nachvollziehbar und wünschenswert, ändert aber nichts an der Tatsache, dass auch Kreuzzüge für die Demokratie ohne Mandat des Sicherheitsrats völkerrechtlich de facto illegal bleiben. Auch wenn es immer Situationen geben kann, wo ein militärisches Eingreifen bei Handlungsunfähigkeit auch ohne Mandat des Sicherheitsrats notwendig werden könnte, ist es nicht ratsam, diese Ausnahme von der Regel schon im Vorfeld zu sanktionieren und damit dem Missbrauch Tür und Tor zu öffnen.
Die "Community of Democracies" als Liga der Demokratien?
Bei den jüngsten Debatten um eine Liga der Demokratien wird vielfach übersehen, dass es bereits Ansätze für ein globales Bündnis demokratischer Staaten gibt. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als diese Gemeinschaft sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung wie auch in der politikwissenschaftlichen Forschung ein Schattendasein führt.
Im Juni 2000 wurde auf Initiative der USA in Warschau die "Community of Democracies" (Gemeinschaft der Demokratien) gegründet, ein loser Zusammenschluss liberal-demokratischer Staaten. Zu den einladenden Staaten der Konferenz in der polnischen Hauptstadt gehörten neben Polen und den USA, Chile, Indien, die Republik Korea, Mali, Mexiko, Portugal, Südafrika und Tschechien. In der so genannten Warschauer Erklärung bekannten sich letztlich 106 Staaten zu den Grundsätzen der Demokratie und der Menschenrechte - notabene eine absolute Mehrheit der UN-Mitglieder. Als Vertretung der Gemeinschaft wurde ein Rat, der "Council for a Community of Democracies" mit Sitz in Washington gegründet. Die Gemeinschaft setzte sich in Warschau zum Ziel, demokratische Werte zu verbreiten, demokratische Institutionen und Prozesse zu stärken und in absehbarer Zeit Koalitionen beziehungsweise Fraktionen der Demokratien in den bestehenden internationalen Foren zu bilden. Konkrete Maßnahmen enthielt die Warschauer Erklärung nicht.
Im Jahr 2002 wurde auf einer Ministerkonferenz in Seoul ein Aktionsplan verabschiedet. Der Aktionsplan von Seoul ist sehr knapp und vage gehalten. Demnach sollen regionale Institutionen und Bündnisse zur Förderung der Demokratie geschaffen werden, um einzelne Staaten gezielter unterstützen zu können. Auf Bedrohungen der Demokratie, etwa durch Terrorismus, soll künftig gemeinsam reagiert werden, indem das Völkerrecht und die demokratische Strukturen gestärkt werden. Des Weiteren sollen die Grundsätze der guten Regierungsführung eingehalten sowie eine stärkere Einbeziehung der Zivilgesellschaft weltweit erreicht werden. Im April 2005 wurde der Aktionsplan auf einem erneuten Ministertreffen in Chile evaluiert. Der vorgelegte Fortschrittsbericht lässt den Eindruck entstehen, dass wenig Konkretes in den drei Jahren erreicht wurde. Eine "Convening Group" traf sich in den Jahren 2003 und 2004 unter chilenischem Vorsitz vierteljährlich, um die Umsetzung des Aktionsplans zu überprüfen. Beim Ministertreffen der "Community" in Chile sprach sich die damalige amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice dafür aus, die Demokratie weltweit zu stärken, um so den Grundstein für einen neuen Multilateralismus zu legen. Die Kampagne für einen "United Nations Democracy Caucus", also eine Fraktion der Demokratien innerhalb der UN solle vorangetrieben und der Demokratiefonds der Vereinten Nationen gestärkt werden. Im Abschlussdokument des dritten Ministertreffens in Santiago de Chile sind nur wenige Neuerungen in der Programmatik der "Community of Democracies" zu erkennen. Am deutlichsten sticht heraus, dass sich die Gemeinschaft stärker um Entwicklungsländer bemühen will. Eine der Hauptaufgaben der Gemeinschaft soll es daher sein, die Demokratisierung insbesondere in den ärmsten Ländern zu fördern. Erstmals wird im Abschlussdokument außerdem die regionale Unterstützung der Demokratisierung für die einzelnen Kontinente spezifiziert. Diese Änderungen zeigen, dass die Programmatik der "Community" allmählich präzisiert wird, auch wenn bis dato keine konkreten Ergebnisse der Arbeit der Gemeinschaft zu verzeichnen sind.
Im November 2007 traf sich die Gemeinschaft in Bamako, Mali. Es war die bisher größte Konferenz, die sich über drei Tage erstreckte und an der Delegierte aus 120 Staaten teilnahmen. Das dort verabschiedete Abschlussdokument setzt einen noch deutlicheren Schwerpunkt auf die Demokratisierung in Entwicklungsländern. Die "Community" bekennt sich darin zur Millenniums-Erklärung der Vereinten Nationen von 2000 und den daraus abgeleiteten Millenniums-Entwicklungszielen, die den Entwicklungsländern aus der Armut helfen sollen. Bemerkenswert ist die nun anvisierte Einrichtung eines ständigen Sekretariats in Polen. Es wird jedoch mit vier bis fünf Mitarbeitern eher dünn besetzt sein und soll in erster Linie den jeweiligen Vorsitz administrativ, organisatorisch und technisch unterstützen.
Wie sich die "Community of Democracies" entwickeln wird, ist schwer einzuschätzen. Die Einrichtung eines ständigen Sekretariats erscheint sinnvoll, um die Gemeinschaft stärker zu institutionalisieren. Ihr Handlungsspielraum dürfte jedoch aufgrund der geringen finanziellen Ausstattung auch in Zukunft eher klein sein. So verfügte der Rat in den Jahren 2000 bis 2005 nur über einen Etat von 1,15 Millionen US-Dollar. 60 Prozent davon wurde für die Organisation der Konferenzen ausgegeben, während für konkrete Maßnahmen nur rund 400 000 Dollar aufgewendet werden konnten. Das meiste kam der Erziehung und Bildung zu Gute. Mit ihrer schwachen strukturellen und institutionellen Ausprägung wird es die "Community" schwer haben sich gegenüber anderen multilateralen Foren zu behaupten.
Wenn die "Community" Bestand haben soll, ist es notwendig, sie stärker zu institutionalisieren, die finanzielle Ausstattung deutlich zu verbessern, die Medienarbeit massiv auszuweiten und greifbare Ergebnisse vorzuweisen. Im Hinblick auf die aktuell kursierenden Vorstellungen einer Liga der Demokratien weist die "Community of Democracies" einen entscheidenden Unterschied auf: Es ist nicht ihr Ziel zu handeln, wenn die UN "versagen", vielmehr geht es ihr um die Förderung der Demokratie an der Seite und innerhalb der Vereinten Nationen.
Fazit
Einen demokratischen Staat zu schaffen, ist ein langer und schwieriger Prozess. Ein staatliches Gewaltmonopol, Rechtsstaatlichkeit, soziale Gerechtigkeit, Gleichheit, Minderheitenschutz und Koalitionsfreiheit sind nicht von heute auf morgen zu erreichen. Anstatt eine Liga der Demokratien zu gründen und damit nichtdemokratische Staaten auszuschließen, sollten diese Staaten gezielt in ihren Demokratisierungsprozessen gefördert werden. "Fördern statt ausgrenzen" sollte als Leitmotiv für die dringend notwendige Demokratisierung dieser Staaten dienen.
Auch hat der Irak-Krieg gezeigt, dass die Konfliktlinien bei der elementaren Frage von Krieg und Frieden quer durch die demokratischen Staaten verlaufen. Es scheint deshalb fraglich, wie sehr sich gerade die USA von einer solchen Koalition beeinflussen lassen würden, wenn ein gemeinsamer Beschluss nicht ihren Wünschen und Interessen entspräche.
Die letztendliche Verantwortung für Sicherheit und Frieden in der Welt liegt nach wie vor beim UN-Sicherheitsrat. Mächtige Staaten, Regionalorganisationen oder eine "Koalition der Willigen" können nicht für sich in Anspruch nehmen, über Krieg und Frieden zu entscheiden. Sie dürfen nur dann handeln, wenn eine entsprechende Ermächtigung des Sicherheitsrats vorliegt. Das Erreichte sollte deshalb nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Man sollte bei aller Kritik am bestehenden System nicht vergessen, dass noch bis zum Briand-Kellogg-Pakt des Jahres 1928, Krieg als legitimes Mittel beim Umgang der Staaten untereinander galt. Die Übertragung des Gewaltmonopols vom Staat auf eine internationale Organisation war die richtige Konsequenz aus zahllosen Kriegen - auch wenn es in vielen Fällen nur auf dem Papier steht. Um die Effizienz der Vereinten Nationen zu erhöhen bedarf es weitgehender Reformen. Dies ist ein mühsames Unterfangen, an dem sich vor allem die Vetomächte des Sicherheitsrats beteiligen müssen. Ohne die Unterstützung der mächtigsten Staaten der Erde, allen voran die USA, werden die Vereinten Nationen auch in Zukunft nur bedingt handlungsfähig bleiben.
Dennoch: Die Idee einer Gemeinschaft von Demokratien, die sich die Verbreitung demokratischer Prinzipien zum Ziel setzt und Demokratisierungsprozesse fördert, ist im Kern ein Konzept, welches auch im Rahmen der Vereinten Nationen weiter verfolgt werden sollte. Nicht zuletzt die Erweiterungsprozesse von NATO und EU haben die Organisationen der liberalen Demokratien weiter gestärkt. "Die Welt sicher für Demokratie machen", ist nach wie vor die viel- und erfolgversprechendste Strategie für eine friedlichere Welt. Sie darf sich jedoch nicht zu einer Bewegung entwickeln, die Staaten von Entscheidungsprozessen ausschließt und zu einer Zweiklassengesellschaft in den Vereinten Nationen führt: Auf der einen Seite die "guten" westlichen Demokratien unter der Führung der USA, auf der anderen die "bösen" Autokratien wie China und Russland. Damit wäre weder der Demokratie, noch den Demokratien gedient. Sollte das "Gewaltmonopol" des Sicherheitsrats durch eine wie auch immer gestaltete Liga der Demokratien ersetzt oder weiter ausgehöhlt werden, würde dies die Welt nicht sicherer machen, sondern der Willkür Tür und Tor öffnen.
Dies ändert allerdings nichts daran, dass wir für das 21. Jahrhundert eine "neue Agenda" mit neuen Impulsen bei den Themen "internationale Finanzordnung", "Nachhaltigkeit und Ressourcen", "Abrüstung, Rüstungskontrolle und globale Sicherheit" sowie "Klimawandel und Zukunft der Weltordnung" benötigen. Dafür brauchen wir die Zusammenarbeit, nicht nur der Demokratien sondern aller relevanten Mächte sowie eine Revitalisierung der Vereinten Nationen.