Für ein kernwaffenfreies Nordkorea
Die Bearbeitung der gegenwärtigen Krisen im Nahen Osten und in Asien sind strukturbildend für die künftigen internationalen Beziehungen. Dies gilt aktuell für den Irak. Und es gilt für Korea. Die von Nordkorea für die Region ausgehende Bedrohung ist vermutlich sogar größer als das Bedrohungspotenzial des Irak. Die Frage ist: Erhalten Kooperation und Verifikation bei der Krisenbewältigung eine Chance oder wird das ohnehin labile nukleare Umfeld Asiens um eine weitere, kein Risiko scheuende Atommacht, bereichert? Dem schließt sich eine Reihe weiterer Fragen von grundsätzlicher Bedeutung an:
- Führen Systeme, die ursprünglich zum Schutz der territorialen Integrität erdacht und installiert werden, wie der Aufbau einer regionalen Raketenabwehr in Nordostasien, letztlich nicht zu größerer Unsicherheit in der Region?
- Welche Schlussfolgerungen werden mögliche neue Kernwaffenbesitzer aus der so grundsätzlich unterschiedlichen Reaktion der USA ziehen, obwohl doch sowohl im Irak als auch in Nordkorea autoritäre Regime nach dem Besitz von Massenvernichtungswaffen streben?
- Wird Japan, das die Zerstörungskraft der Atomwaffe erleben musste, sogar eine nukleare militärische Option erwägen?
Was auch immer geschieht: Deutschland hat ein Interesse an einer friedlichen Deeskalation der Krise um Nordkorea. Zum einen bedeutet ein Krieg - selbst unterhalb der atomaren Schwelle - den Tod hunderttausender Menschen und die Zerstörung natürlicher und wirtschaftlicher Ressourcen. Darüber hinaus könnte ein Krieg auch der Zündfunke für zahlreiche umliegende Konfliktfelder sein. Zum zweiten brauchen wir ein weltweit stabiles Nicht-Weiterverbreitungsregime.
Vor diesem Hintergrund wird die Bundesregierung alle Mittel prüfen und gegebenenfalls nutzen, die eine friedliche Bearbeitung gewährleisten. Auch andere Akteure werden versuchen eine Gesprächsatmosphäre zu schaffen.
Berlin war schon einmal Schauplatz für eine Verständigung zwischen den Konfliktparteien. Nichts spricht gegen einen weiteren Versuch? Dabei sollte man sich an ein Konzept erinnern, das so alt ist wie der Konflikt selbst: die Schaffung einer kernwaffenfreien Zone auf der koreanischen Halbinsel.
Es war die nordkoreanische Seite, die während des Ost-West-Konflikts dieses Modell - zweifellos mit ganz anderen Absichten - entworfen und gefordert hat. Sie könnte einem solchen Vertragswerk allerdings auch heute positive Seiten abgewinnen, verbindet es doch Sicherheitsgarantien der Atomwaffenmächte mit der Aussicht auf eine eigenständige Entwicklung zwischen Nord- und Südkorea.
Derzeit existieren weltweit fünf kernwaffenfreie Zonen (Antarktis, Mittel- und Lateinamerika, Südpazifik, Südostasien, Afrika). Die Mitglieder dürfen weder im Geltungsbereich noch anderswo Kernwaffen entwickeln, bauen, erwerben oder kontrollieren. Sie verzichten ferner auf die Stationierung, den Transport oder den Test von Nuklearwaffen und dürfen auch keinem anderen Staat vergleichbare Aktivitäten auf ihrem Territorium gestatten. Die Freiheit der hohen See, das Recht zur friedlichen Durchfahrt, der Transit von Schiffen und Flugzeugen besteht in der Regel und wird von den Mitgliedsstaaten in souveräner Verantwortung gestaltet. Ein Kontrollsystem überwacht die Bestimmungen. In einem Protokoll können die (offiziell fünf) Kernwaffenstaaten bestätigen, weder Atomwaffen gegen eine Vertragspartei einzusetzen noch mit deren Einsatz zu drohen.
So oder so ähnlich könnte ein Vertragswerk auch für die koreanische Halbinsel aussehen. Nordkorea erhielte unter diesen Bedingungen den schon immer geforderten Nicht-Angriffsvertrag. Die geteilte Halbinsel könnte zudem Freiraum für regionale Autonomisierung gewinnen, die zum spin off gegenwärtiger kernwaffenfreien Zonen gehört: Zum einen wurden die Möglichkeiten externer Akteure begrenzt, zum anderen haben die Verträge zur Stärkung und Herausbildung regionaler Zusammenarbeit beigetragen und multilaterale Brückenfunktion ausgeübt.
Die Vertragsverhandlungen selbst und die Einrichtungen zur Kommunikation und zur Überwachung schufen die Plattformen für weitere Vertrauens- und Vertragsbildungen. So ebnete der Vertrag über eine kernwaffenfreie Zone in Südostasien Vietnam, Laos und Kambodscha den Weg in die Gemeinschaft der ASEAN-Staaten. Mit anderen Worten: Die Welt wäre sicherer, würden die beiden Koreas eine kernwaffenfreie Zone bilden. Die Rüstungskontrolle und damit die zivile Bearbeitung von Konflikten hätte wieder eine Chance. Der Nicht-Verbreitungsvertrag, der ausdrücklich derartige regionale Regelungen erlaubt, wäre gestärkt. Der Lerneffekt für benachbarte Regionen wäre ebenfalls groß. Stabilität, Schadensminimierung und gemeinsame Sicherheit würden das Internationalen Systems prägen.
Deutschland sollte daher aktiv an einer vertraglichen Denuklearisierung der Region mitwirken. Ein wichtiges Zeichen für die Akzeptanz derartiger Regelungen wäre es, wenn die europäischen Kernwaffenmächte - wie in den anderen Fällen auch - endlich die kernwaffenfreie Zone in Südostasien anerkennen - zumal die dortigen Mitglieder bereit sind, den umstrittenen Geltungsbereich zu überdenken. Eine kluge europäische Politik wäre dies allemal: könnte es doch dem geteilten Korea Aussicht auf Frieden und Entwicklung eröffnen.