Japan und Deutschland - In politischer Verantwortung

Auch wenn 2011 für Japan und die Welt immer als das Jahr der Erdbeben- und Tsunamikatastrophe und dem Reaktorunglück von Fukushima in Erinnerung bleiben wird, ist es auch das Jahr, in dem Japan und Deutschland das 150jährige Bestehen ihrer Beziehungen feiern. Diese Freundschaft hat sich auch in der Stunde der Not bewährt.

Der 150-igste Jahrestag der Unterzeichnung des Handels-, Schifffahrt- und Freundschaftsvertrags zwischen Preußen und Japan am 24. Januar 1861 gibt Anlass, die gemeinsame Entwicklung Revue passieren zu lassen, Bilanz zu ziehen und den Blick auf die Zukunft zu richten. Der Deutsche Bundestag nahm das Jubiläum gerne zum Anlass, einen klaren, von allen  Fraktionen getragenen Beschluss über die Vertiefung der Zusammenarbeit  zwischen Deutschland und Japan zu verabschieden. Im September dieses Jahres hatte ich zudem die Ehre als Vorsitzender der Deutsch-Japanischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages einer Delegationsreise nach Japan vorzustehen. Diese Reise war ursprünglich für den März dieses Jahres geplant, konnte aber damals aus verständlichen Gründen nicht durchgeführt werden. Meine Kolleginnen und Kollegen und ich sehen unsere Reise auch als Symbol für unsere nicht nachlassende Anteilnahme am Schicksal der Menschen, die von der dreifachen Katastrophe betroffen sind, die das Land zu bewältigen hat. Neben einem Aufenthalt in Tokyo besuchten wir deshalb auch die Präfektur Miyagi in der von der Katastrophe besonders geschädigten Region.

150 Jahre deutsch-japanische Beziehungen

Das bilaterale Verhältnis Deutschlands zu Japan ist traditionell vertrauensvoll und freundschaftlich. Gemeinsame Werte wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und freiheitliche Demokratie aber auch die freie Marktwirtschaft sind ein starkes Bindeglied. Zwischen beiden Ländern gibt es ein großes Maß an Ähnlichkeiten am Beginn ihrer nationalstaatlichen Entwicklung. Sowohl in Japan als auch in Deutschland setzte die Industrialisierung gegenüber Großbritannien und Frankreich verspätet in der Mitte bzw. gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein. Beide Länder waren Spätankömmlinge der Geschichte. Sie traten fast gleichzeitig als frisch vereinte Nationen auf die Weltbühne: Japan mit der Meji-Restauration von 1868, Deutschland mit Bismarcks Reichsgründung 1871.

Nach dem Ersten Weltkrieg, in dem sich Japan und Deutschland feindselig gegenüber standen, kam es zu einer deutsch-japanischen Wiederannäherung. Die Beziehungen konzentrierten sich nun vor allem auf den kulturellen Bereich. Es kam zum Abschluss eines Kulturabkommens und zur Gründung diverser kultureller Institutionen, wie das Japan Institut (Berlin, 1926), das Japanisch-Deutsche Kulturinstitut (Tokyo, 1927), und das Japanisch-Deutsche Forschungsinstitut (Kyoto, 1934). 

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland entwickelte sich das japanisch-deutsche Verhältnis zu einer Kriegsallianz. Allerdings kam es im Krieg zu keiner substanziellen Kooperation zwischen Japan und Deutschland. Getrennt fochten Deutschland und Japan ihre Aggressions- und Eroberungskriege, mit verheerenden Folgen für die Menschen in den betroffenen Nachbarländern. Der Zweite Weltkrieg endete für beide Ländern 1945 in der bedingungslosen Kapitulation und in einer politischen und moralischen Katastrophe.

Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten die Japaner wie die Deutschen ganz von vorn anfangen. Beiden gelang es, binnen relativ kurzer Zeit, sich aus den Trümmern herauszuarbeiten; dem deutschen Wirtschaftswunder folgte das japanische. Unter den Wirtschaftsmächten der Welt eroberten sie den zweiten und den dritten Rang (und behielten ihn bis vor kurzem, als das aufstrebende China sie überholte). Damit einher ging die Wiederaufnahme und der Ausbau des kulturellen und wissenschaftlichen Austauschs. 1969 wurde das Japanische Kulturinstitut in Köln gegründet und 1974 das Rahmenabkommen zum Wissenschaftsaustausch zwischen Japan und Deutschland unterzeichnet. 1985 wurde das Japanisch-Deutsche Zentrum Berlin (JDZB) und 1988 das Deutsche Institut für Japanstudien (DIJ) in Tokyo gegründet, die Zahl der japanologischen Lehrstühle verdoppelte sich während der 1980er Jahre fast. Zudem leistet das Deutsch-Japanische Forum durch intensiven Dialog und Netzwerkbildung einen Beitrag besonderer Art zur operativen Gestaltung der bilateralen
Beziehungen und der gemeinsamen Wahrnehmung globaler Verantwortung.

Gemeinsame Herausforderungen im 21. Jahrhundert

Die gemeinsame Verpflichtung zur Lösung globaler Herausforderungen und zur Sicherung von Frieden und Stabilität in regionalen Krisenherden beizutragen, lässt Deutschland und Japan zu natürlichen Partnern für das 21. Jahrhundert werden. Dieser Verantwortung können Deutschland und Japan gerecht werden, wenn sie ausgehend vom soliden Fundament der deutsch-japanischen Partnerschaft neue Initiativen entwickeln.

Im Zuge der engen wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit hat sich in den letzten Jahrzehnten auch die außenpolitische Zusammenarbeit verdichtet. Beide Länder stehen zudem vor ähnlichen Herausforderungen. Wir alle kennen die Probleme: die Alterung und Schrumpfung unserer Bevölkerung; die Sicherung der Energieversorgung; die Einbindung der aufstrebenden jungen Mächte, vor allem Chinas, in die vorhandenen globalen Ordnungsinstitutionen sowie die Bewältigung, wenn möglich die Verhinderung des Klimawandels. Gemeinsam verfolgen Deutschland und Japan ihre Interessen bei zentralen Zukunftsthemen wie Abrüstung und Nichtverbreitung und global governance. Auch Japan setzt verstärkt auf die regionale Zusammenarbeit und Bildung gemeinsamer Institutionen.

Beide Länder bewerben sich um einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat Die Haltung zur VN-Sicherheitsratsreform sowie die enge Abstimmung über gemeinsame Positionen beim Klimaschutz und weitere gemeinsame Schritte zur Friedenssicherung wie z.B. in Afghanistan und Zentralasien vertiefen die vertrauensvolle Zusammenarbeit und leisten einen Beitrag zur Gestaltung des Globalisierungsprozesses. Die bilaterale Zusammenarbeit wird mittlerweile maßgeblich ergänzt um die  immer intensivere Kooperation im EU- und  NATO-Kontext und verweisen auf das Zukunftspotenzial einer sicherheitspolitischen Partnerschaft.

Deutschland und Japan verfügen beide über wettbewerbsfähige, exportorientierte Volkswirtschaften. Freier Welthandel, weiterer Abbau von Handelshemmnissen und freie Wechselkurse liegen in unserem gemeinsamen Interesse. Ähnlich gelagerte strukturelle Herausforderungen wie Rohstoffarmut und demographische Entwicklung zwingen uns, hierauf nicht nur politische und wirtschaftliche, sondern auch wissenschaftliche Antworten zu suchen.

Für einen engen Austausch von Wissenschaft und Kultur

Der wissenschaftliche Austausch spielt eine wichtige Rolle in den bilateralen Beziehungen. Dies gilt vor allem für die deutschen und japanischen Universitäten: 30 japanische Spitzenuniversitäten bieten seit der Universitätsreform von 2004 als "Centers of Excellence" ein günstiges Umfeld für die ähnlich ausgerichtete "Exzellenz-Initiative" in Deutschland. Verschiedene Hochschulkooperationen werden durch eine Vielzahl von Projektabkommen und Kooperationsvereinbarungen außeruniversitärer Forschungsinstitute ergänzt.

Auch der kulturelle Austausch ist intensiv und vielseitig. Das dichte kulturelle Netzwerk mit 57 Japanisch-Deutschen Gesellschaften, 299 Hochschulkooperationen, ca. 250 deutschsprachigen Lektoren, 60 Städtepartnerschaften und den 3 Zweigstellen des Goethe Instituts in Tokyo, Osaka und Kyoto ist Basis und Ausgangspunkt vielfältiger Veranstaltungen. Zur Zeit leben mehr als 30.000 Japaner in Deutschland, davon alleine über 7.000 in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf. Die Stadt am Rhein ist somit nach London und Paris die größte japanische Stadt in Europa.

Die weitere Intensivierung und Ausbalancierung des kulturellen und wissenschaftlichen Austauschs bleibt eine wichtige Aufgabe für die Zukunft. Im Bildungs- und Wissenschaftsbereich bedarf es größerer Anstrengungen, um das Erlernen der deutschen Sprache und den Austausch von Studierenden zwischen deutschen und japanischen Universitäten zu verbessern. Der deutsche Bundestag ist davon überzeugt, dass der jungen Generation bei der Gestaltung des Verhältnisses beider Länder und der Vertrauensbildung zwischen ihnen eine herausgehobene Bedeutung zukommt. In dem Wissen, dass die junge Generation die solide Partnerschaft zu einer lebendigen Beziehung macht, regt der Deutsche Bundestag die Schaffung eines Koordinators für den Jugendaustausch an. Dieser soll für eine stärkere Wahrnehmung bereits bestehender Austauschprogramme  unter der Jugend beider Länder werben und das Interesse am Erlernen der jeweiligen Sprache fördern und wachhalten. Zur Förderung der bilateralen Beziehungen und im Hinblick auf die internationale parlamentarische Zusammenarbeit strebt der Deutsche Bundestag zudem eine Ausweitung der Kontakte und des Erfahrungsaustausches mit dem japanischen Parlament an. Diesem Ziel soll durch die Vergabe von Stipendien im Jubiläumsjahr 2011 besondere Sichtbarkeit verliehen werden.

Ausblick

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind die japanisch-deutschen Beziehungen unkomplizierter denn je. Durch eine Vielzahl gemeinsamer Interessen, Handlungen und gemeinsamer Verpflichtung zu globaler Verantwortung sind Japan und Deutschland natürliche Partner und eng befreundete Nationen. Die über 150 Jahre gewachsene deutsch-japanische Freundschaft bietet beste Voraussetzungen, gemeinsam zur Lösung globaler Herausforderungen beizutragen. Sie ist eine Erfolgsgeschichte, die es verdient, von beiden Partnern fortgesetzt und verstärkt und intensiviert zu werden.

Zuletzt möchte ich auf diesem Wege der japanischen Nationalmannschaft ganz herzlich zum Gewinn der Fußballweltmeisterschaft der Frauen 2011 gratulieren. Die Spiele der japanischen Mannschaft hier in Deutschland haben begeistert und der Erfolg wird sicherlich dazu beitragen, dass das Land hoffnungsvoll in die Zukunft schaut. Im Jahr von Tsunami, Jahrhundertbeben und atomarer Katastrophe haben die japanischen Fußballerinnen weit entfernt von der Heimat für neue Hoffnungen gesorgt. Der Sieg nach Verlängerung und Elfmeterkrimi gegen den zweimaligen Weltmeister USA hilft Japan zumindest für einen Moment, das Leid der vergangenen Monate  zu vergessen.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
150 Jahre Deutsch-Japanische Beziehungen
Veröffentlicht: 
In: Alfred Wieczorek, Susanne Wichert, Ruprecht Vondran, Heinrich Seemann (Hrsg.), Ferne Gefährten. 150 Jahre deutsch-japanische Beziehungen, Regensburg 2011. S. 315-317