Die iranische Atomkrise: Plädoyer für eine kooperative Lösung

Die Krise um die iranische Atompolitik ist für Deutschland in mehrfacher Hinsicht bedeutsam: 1. Der Iran entwickelt Trägersysteme, die in wenigen Jahren bis Europa reichen werden. 2. Diese Raketen könnten in Zukunft auch Atomsprengköpfe transportieren. Auch aus diesem Grunde werden die Rufe nach einer Raketenabwehr für Europa zunehmend lauter. 3. Iran ist nach wie vor Mitglied vieler bedeutsamer Abrüstungsverträge. Der bereits mehrfach angedrohte Austritt des Landes aus dem Atomwaffensperrvertrag würde dieses wichtige Vertragswerk weiter aushöhlen. Andere Staaten könnten versucht sein, dem Beispiel Iran zu folgen. Deutschland seinerseits wäre gezwungen, nach Alternativen zu suchen, um seine verhältnismäßige Sicherheit zu gewährleisten.

Die iranischen Atomanlagen sind zudem ein potenzielles Ziel präventiver militärischer Maßnahmen. Die Vereinigten Staaten sehen solche Aktionen in ihrer nationalen Sicherheitsdoktrin ausdrücklich vor. Zudem hat Israel mit der Bombardierung des irakischen Reaktors Osirak im Juni 1981 unterstrichen, dass es den Aufbau vergleichbarer Anlagen in seinem Umfeld nicht akzeptieren würde. Ein Angriff auf die iranischen Atomanlagen würde die internationale Sicherheit maßgeblich gefährden. Es liegt daher im deutschen Interesse, dass die Krise um die iranische Atompolitik nicht weiter eskaliert.

Die Fakten

Seit 1957 betreibt der Iran - zeitweilig auch mit aktiver Unterstützung westlicher Regierungen - ein ziviles Kernenergieprogramm. Das Land steht kurz davor, alle relevanten Bausteine zu besitzen und selbstständig zu bedienen. Für eine Kernwaffenoption spricht zudem der Bau einer Urananreicherungsanlage in Natans. Vertreter der Internationalen Atomenergierorganisation (IAEA) haben bei einem Besuch der Anlage Spuren von hoch angereichertem Uran gefunden. Für den zivilen Bedarf genügt eine wesentlich niedrigere Anreicherung. Zudem bemüht sich das Land um eine Schwerwasserreaktorlinie. Dabei fällt Plutonium an, das ebenfalls zum Bau einer Atomwaffe genutzt werden könnte. Beide Wege sind fortgeschritten; die Voraussetzungen für eine militärische Nutzung allerdings noch nicht erfüllt. Auch die nationalen Raketenprogramme scheinen noch nicht ausgereift. Zudem wurden Verstöße gegen die Auflagen des Nichtverbreitungsvertrag bekannt.

Das iranische Sicherheitsempfinden

Es sind vor allem zwei Ereignisse und die jeweiligen internationalen Reaktionen darauf, die die Wahrnehmungen in Teheran nach wie vor prägen: Der Erste Golfkrieg und die Entwicklung der pakistanischen Atombombe. Während des iranisch-irakischen Krieges (1980-1988) setzte Saddam Hussein mehrfach chemische Waffen gegen die Truppen Khomenis ein. Es gab nur verhaltene internationale Reaktionen auf diese völkerrechtswidrige Kriegsführung. Der Irak erhielt sogar weiterhin militärische Güter wie auch logistische Hilfe. Aus dem pakistanischen Kernwaffentest im Mai 1998 zogen die iranischen Politiker wiederum den Schluss, dass Regelverletzungen des Sperrvertrags offenbar keine nachhaltigen internationalen Sanktionen nach sich ziehen.

Iran sieht sich heute von Kernwaffenmächten umzingelt: Pakistan und Indien im Osten, Russland im Norden, Israel im Westen und die amerikanische Präsenz im regionalen Umfeld. US-Präsident Bush hat den Iran zudem auf der "Achse des Bösen" verortet. Einkreisungsängste verbinden sich mit der Furcht, zum nächsten Opfer eines amerikanischen Präventiv- und Entwaffnungskrieges zu werden. Vor allem aber ist die Beherrschung des nuklearen Kreislaufs für den Iran Ausdruck nationalen Selbstbewusstseins und Statussymbol. Darüber besteht zwischen den innergesellschaftlichen Kräften und den auswärtigen Oppositionsgruppen auch kein Dissens.

Politische Wege

Noch gibt es zeitliche Spielräume für kooperative Ansätze zur Lösung der iranischen Atomkrise. Die iranische Kernwaffenoption steht in einem komplexen regionalen und innenpolitischen Beziehungsgeflecht. Ideal wäre daher eine regionale Rüstungskontrollinitiative zugunsten einer kernwaffenfreien Zone im Mittleren und Nahen Osten. Angesichts des ungelösten israelisch-palästinensischen Konflikts, fehlender Friedensregelungen und der längerfristigen Instabilität des Irak und anderer arabischer Staaten scheint dieser Weg derzeit jedoch nicht gangbar. Die Option sollte jedoch nicht aufgegeben werden, denn Europa braucht einen atomwaffenfreien Vorderen Orient. Kurzfristig wäre hingegen die Verknüpfung von wirtschaftlichen Hilfen mit vertrauensbildenden Maßnahmen denkbar. Zusammen mit der Unterzeichnung des Zusatzprotokolls der IAEA sollten Restriktionen abgebaut und weitergehende Zusammenarbeit angeboten werden. Die Modernisierung des Iran muss von Europa unterstützt werden. Im Gegenzug könnte der Iran auf die Urananreicherung verzichten, wenn das Land dafür Brennstäbe aus Europa, den USA oder Japan erhalten würde. Auf jeden Fall sollte Europa seine Mittlerrolle zwischen den USA und dem Iran pflegen und ausbauen. Denn zu einer gemeinschaftlichen Politik gibt es keine wirkliche Alternative, denn ein konfrontativer Ansatz könnte zu einem weiteren Krieg führen und die Region noch weiter ins Chaos stürzen.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Option einer kernwaffenfreien Zone im Mittleren und Nahen Osten.
Veröffentlicht: 
Berlin, 25.09.2003