Im Interesse aller: Ein deutsches Plädoyer für einen atomwaffenfreien Nahen Osten
Die Bemühungen um einen Frieden zwischen Israel und Palästina wurden in den letzten Wochen wieder intensiviert. Wir können nur hoffen, dass endlich der Weg zum Frieden beschritten wird. Voraussetzung hierfür ist eine endgültige und umfassende Regelung zwischen den arabischen Staaten und Israel. In diesem Zusammenhang ist in den vergangenen Wochen ein weiteres Problem thematisiert worden. Der Iran wird verdächtigt, eine Atomwaffe zu bauen. Scheinbar fehlen nur noch einige wenige Komponenten und das Land wäre in der Lage, den gesamten atomaren Brennstoffkreislauf zu beherrschen.
Warum das mit fossilen Energiequellen reich beschenkte Land auf Atomenergie setzt, ist umstritten. Die Regierung in Teheran behauptet, sich lediglich für die friedliche Entwicklung zu interessieren. Dagegen unterstellen vor allem die USA den Machthabern in Teheran, die atomare Entwicklung allein unter militärischen Gesichtspunkten zu forcieren. Für die Atomwaffenoption spreche, dass der Iran große Kapazitäten im Bereich der Wiederaufbereitung errichte. Unbestritten besitzen die iranischen Streitkräfte bereits heute atomwaffenfähige Trägersysteme, die sowohl Israel als auch Teile Europas erreichen können. Israel aber auch die USA werden alles versuchen, eine weitere Atomwaffenmacht im Vorderen Orient zu verhindern. Möglicherweise ist dabei als letztes Mittel auch militärische Gewalt eine Option.
Deutschland und Europa müssen ein Interesse daran haben, sowohl Iran davon abzuhalten, alle Komponenten für eine militärische Nutzung der Atomenergie in Händen zu haben als auch unsere Partner, die Krise auf nicht-friedliche Art zu lösen. In beiden Fällen wäre Europa neben den Ländern im Mittleren und Nahen Osten ebenso der Leidtragende. Die Staats- und Regierungschefs der EU haben am 20. Juni 2003 beschlossen, bestehende Nichtverbreitungsverträge zu stärken, Exportkontrollen zu intensivieren, die internationale Zusammenarbeit auszubauen und den politischen Dialog mit anderen Ländern zu vertiefen. Die G 8 haben eine gemeinsame Erklärung verabschiedet, worin die Verträge gegen die Verbreitung von Atom-, Chemie- und Bio-Waffen ausdrücklich gewürdigt werden. Auch haben wir uns mit den USA darauf verständigt, gemeinsam zu handeln, um die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu unterbinden. Diese Bemühungen könnten durch eine europäische Initiative zugunsten einer kernwaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten unterstützt werden.
Das Konzept zugunsten einer militärischen Denuklearisierung ist so alt ist wie der Konflikt zwischen Israel und seinen Nachbarn. Es war vor allem Ägypten, das während des Ost-West-Konflikts dieses Modell - zweifellos mit ganz anderen Absichten - entworfen und gefordert hat. Heute könnten alle Konfliktbeteiligten, Israel eingeschlossen, einem solchen Vertragswerk positive Seiten abgewinnen, verbindet es doch Sicherheitsgarantien der Atomwaffenmächte mit der Aussicht auf eine eigenständige Entwicklung der Region. Die Alternative wäre ein atomar aufgerüsteter Vorderer Orient, wo alle Voraussetzungen für eine Abschreckungslogik fehlen. Derzeit existieren weltweit fünf kernwaffenfreie Zonen (Antarktis, Mittel- und Lateinamerika, Südpazifik, Südostasien, Afrika). Die Mitglieder dürfen weder im Geltungsbereich noch anderswo Kernwaffen entwickeln, bauen, erwerben oder kontrollieren. Sie verzichten ferner auf die Stationierung, den Transport oder den Test von Nuklearwaffen und dürfen auch keinem anderen Staat vergleichbare Aktivitäten auf ihrem Territorium gestatten. Die Freiheit der hohen See, das Recht zur friedlichen Durchfahrt, der Transit von Schiffen und Flugzeugen besteht in der Regel und wird von den Mitgliedsstaaten in souveräner Verantwortung gestaltet. Ein Kontrollsystem überwacht die Bestimmungen. In einem Protokoll können die (offiziell fünf) Kernwaffenstaaten bestätigen, weder Atomwaffen gegen eine Vertragspartei einzusetzen noch mit deren Einsatz zu drohen.
So oder so ähnlich könnte ein Vertragswerk auch im Vorderen Orient aussehen. Die Länder könnten zudem Freiraum für regionale Autonomisierung gewinnen, die zum spin off gegenwärtiger kernwaffenfreien Zonen gehört: Zum einen wurden die Möglichkeiten externer Akteure begrenzt, zum anderen haben die Verträge zur Stärkung und Herausbildung regionaler Zusammenarbeit beigetragen und multilaterale Brückenfunktion ausgeübt. Die Vertragsverhandlungen selbst und die Einrichtungen zur Kommunikation und zur Überwachung schufen die Plattformen für weitere Vertrauens- und Vertragsbildungen. So ebnete der Vertrag über eine kernwaffenfreie Zone in Südostasien Vietnam, Laos und Kambodscha den Weg in die Gemeinschaft der ASEAN-Staaten. Mit anderen Worten: Die Welt wäre sicherer, würden die Staaten im Mittleren und Nahen Osten eine kernwaffenfreie Zone bilden. Die Rüstungskontrolle und damit die zivile Bearbeitung von Konflikten hätte wieder eine Chance. Der Nicht-Verbreitungsvertrag, der ausdrücklich derartige regionale Regelungen erlaubt, wäre gestärkt. Der Lerneffekt für benachbarte Regionen wäre ebenfalls groß. Stabilität, Schadensminimierung und gemeinsame Sicherheit würden das Internationale System prägen.
Deutschland sollte daher aktiv an einer vertraglichen Denuklearisierung der Region mitwirken. Ein wichtiges Zeichen für die Akzeptanz derartiger Regelungen wäre es, wenn die europäischen Kernwaffenmächte - wie in den anderen Fällen auch - endlich die kernwaffenfreie Zone in Südostasien anerkennen - zumal die dortigen Mitglieder bereit sind, den umstrittenen Geltungsbereich zu überdenken. Eine kluge europäische Politik wäre dies allemal: könnte es doch Israel und seinen Nachbarn endlich Aussicht auf Frieden und Entwicklung eröffnen.