Für eine humane europäische Flüchtlingspolitik und eine wirksame Bekämpfung der Fluchtursachen!
Weltweit sind 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Das ist die höchste Zahl seit dem 2. Weltkrieg. Sie fliehen vor Krieg, Terror und Hunger. Immer mehr hilfesuchende Menschen kommen auch nach Europa, insbesondere nach Deutschland, um hier Asyl zu beantragen - alleine in diesem Jahr eine Million. Bis heute ist eine stabile Mehrheit der Deutschen der Auffassung, dass wir den Vertriebenen helfen sollten, und dass wir in der Lage sind, diesen Kraftakt zu meistern. Diese bewundernswerte Zuversicht sollte nicht durch populistische Parolen und das Schüren von Ängsten ins Wanken gebracht werden. Doch genau dies tun Pegida, AfD, Söder und Co., unterstützt von den europäischen Rechtspopulisten Orban, Le Pen und wie sie noch alle heißen. Verantwortungslose Politiker, die auf die Fragestellungen des 21. Jahrhunderts vor allem Antworten aus dem frühen 20. Jahrhundert geben: Grenzen, Kontrolle, Überwachung. Wer solche Forderungen stellt, hat nichts begriffen und nichts aus der europäischen Geschichte gelernt.
Angela Merkels "Wir schaffen das" wird von ihren Gegnern als "naiv" kritisiert. Aber sind Abschottung und Einwanderungslimits nicht auch naiv? Es muss und kann einen Zwischenweg geben zwischen der "Plüschbären-Willkommenskultur" auf deutschen Hauptbahnhöfen und dem Niederbrennen von Flüchtlingsheimen und dem Schüren von Hass auf Pegida-Demonstrationen. Natürlich müssen wir sagen, wie wir das schaffen. Und zur Wahrheit gehört auch: Alleine werden wir es nicht schaffen. Es macht deshalb keinen Sinn, die Probleme zu verharmlosen, sondern wir müssen uns ihnen stellen. Wahr ist: Die Gemeinden und Kommunen befinden sich an ihrer Belastungsgrenze und Integration erfordert Aufwand. Sprachkurse müssen angeboten, Kita- und Schulplätze müssen bereitgestellt und die Flüchtlinge müssen in den Arbeitsmarkt integriert werden. Hier leisten die ehrenamtlichen und amtlichen Helfer Unglaubliches, ebenso wie die Polizisten - gerade auch in Bayern.
Damit die Stimmung nicht kippt, brauchen wir eine pragmatische, rechtsstaatliche und humane Einwanderungspolitik. Geordnete und schnelle Asylverfahren sind die Voraussetzung dafür, dass die Ankommenden gut versorgt und die, die bleiben werden, möglichst schnell integriert werden können. Wir dürfen dabei aber unsere Werte nicht preisgeben. Das deutsche Grundrecht auf Asyl ist tabu. In Artikel 16a des GG heißt es "politisch Verfolgte genießen Asyl" und nicht "bis zu 100.000 politisch Verfolgte genießen Asyl". Was wird mit dem 100.001 Flüchtling? Wird er zurückgeschickt, auch wenn er in seiner Heimat um Leib und Leben fürchten muss? Sowohl Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention als auch die Europäische Menschenrechtskonvention garantieren Schutz vor Zurückweisung an der Grenze in jedem Einzelfall. Feste Obergrenzen können wir nicht definieren, denn sie ließen sich nur durch eine Abschaffung des individuellen Asylrechts im Grundgesetz erreichen. Und wir dürfen die Flüchtlinge nicht zu potenziellen Tätern stempeln. Sie fliehen genau vor den Mörderbanden, denen die Menschen in Paris, Beirut, auf dem Sinai und Mali zum Opfer gefallen sind.
Die Flüchtlingskrise ist zweifelsohne eine der größten europäischen Herausforderungen und wir müssen sie letztlich europäisch lösen. Dabei sind wir auf etwas angewiesen, das es derzeit nicht gibt: europäische Solidarität. Wir brauchen eine gerechtere Lastenteilung und europäische Kontingente. Diese sind auch eine Möglichkeit, den Schleppern die Geschäftsgrundlage zu entziehen. Wir stehen zudem vor der gewaltigen Herausforderung, die Fluchtursachen wirksamer als bisher zu bekämpfen. Dafür ist das Abkommen mit der Türkei ein ganz wesentlicher Baustein. Der Unterfinanzierung des UNHCR und der Flüchtlingslager im Libanon, in Jordanien, in der Türkei und anderswo muss kurzfristig durch Sonderfinanzierungen begegnet werden. Die Außengrenzen der EU müssen ebenso durch Finanzen und Mitarbeiter effektiver werden, indem die Aufnahme und Erfassung der Flüchtlinge wieder erfolgt, bevor diese weiterreisen, möglichst in sicheren Korridoren. Und es geht nicht zuletzt auch darum, den Krieg in Syrien einzudämmen und die Terrororganisation des "Islamischen Staates" vereint zu bekämpfen. Mit den Wiener Verhandlungen zu Syrien gibt es immerhin einen ersten, zarten Hoffnungsschimmer. Alle wichtigen syrischen Nachbarn, auch Iran, Saudi-Arabien und die Türkei sitzen mit am Tisch. Und last but not least: Zu einer wirksamen Fluchtursachenbekämpfung gehören auch eine restriktive Waffenexportpolitik und eine neue Handelspolitik.
Wir dürfen nicht nachlassen in unseren Bemühungen um eine humane, gemeinsame und solidarische europäische Flüchtlingspolitik, die zugleich die große Errungenschaft offener Grenzen in Europa sichert.