Große Erwartungen
Am 1. Januar 2019 wird Deutschland für zwei Jahre als nichtständiges Mitglied in den UN-Sicherheitsrat einziehen. Die UN-Vollversammlung wählte Deutschland mit 184 von 193 Stimmen in das Gremium. Dies ist ein eindrucksvoller Vertrauensbeweis, der zugleich aber auch deutlich macht, dass die Erwartungen an die deutsche Mitgliedschaft noch nie so groß waren wie heute – vielleicht zu groß.
So überholt die Zusammensetzung und das Vetorecht auch sein mögen, der UN-Sicherheitsrat gilt nach wie vor als eines der mächtigsten Gremien der Welt. Daher kommt Sicherheitsratsmitgliedern eine besondere Verantwortung in Fragen von internationalem Frieden und Sicherheit zu. Der UN-Sicherheitsrat kann Resolutionen verabschieden, die im Gegensatz zur denen der UN-Vollversammlung völkerrechtlich bindend für die Staatengemeinschaft sind.
Deutschland gehört dem Gremium seit 1973 zum sechsten Mal an. Zuletzt hatte es in den Jahren 2003/2004 und 2011/2012 einen der nichtständigen Sitze im Sicherheitsrat inne. 2003 sorgte Deutschland mit seinem klaren „Nein“ zum Irakkrieg international für große Aufmerksamkeit und 2011 enthielt es sich in der Abstimmung über den Kriegseinsatz in Libyen. Dies lässt vermuten, dass unabhängig von der Agenda der deutschen Regierung die Themen auch in den kommenden beiden Jahren durch die internationale Politik gesetzt werden.
Die deutsche Agenda
Die Agenda der deutschen Mitgliedschaft im Sicherheitsrat ist umfangreich und vielfältig und setzt traditionell auf Themen der „soft power“. Die Bundesregierung hat vor allem in den beiden Monaten, in denen sie den Vorsitz im Sicherheitsrat übernimmt, die Möglichkeit, die Themen zu setzen und die Agenda zu bestimmen, also im April 2019 und im Juni oder Juli 2020. Da Frankreich unmittelbar zuvor im März 2019 den Vorsitz hat, planen Paris und Berlin sich in diesem Zeitraum eng abzustimmen, um mit einer sogenannten „jumelage“ die Einheit der Europäer zu demonstrieren.
Die vier Kernziele der Bundesregierung lauten Frieden, Gerechtigkeit, Innovation und Partnerschaft. Angesichts der Vielzahl internationaler Konflikte und sich absehbar zuspitzender Krisen will Außenminister Heiko Maas die Konfliktprävention zum zentralen Thema der deutschen Amtszeit machen. Ziel ist es, mit Krisen vorausschauender umgehen, und zwar sowohl was die Bekämpfung von Konfliktursachen angeht als auch was die Konfliktnachsorge betrifft.
Ein weiteres zentrales Thema wird die Krise der globalen Rüstungskontrollarchitektur sein. Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung bleiben zentrale Prioritäten deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Neben der Aufkündigung und Infragestellung bestehender Verträge stehen wir vor dem Problem, dass völkerrechtliche Standards zunehmend nicht mehr mit der Entwicklung moderner, hochkomplexer Waffensysteme Schritt halten können. Die Bundesregierung hat bereits eine Initiative bei den Vereinten Nationen auf den Weg gebracht, um vollautonome Waffensysteme weltweit zu ächten.
Dominierende Themen im Sicherheitsrat werden nach wie vor der Krieg in Syrien sowie die Konflikte in Libyen und im Jemen sein. Auch der sich aktuelle verschärfende Ukraine-Konflikt dürfte während der deutschen Ratsmitgliedschaft und angesichts der jüngsten Eskalation wieder stärker in den Fokus rücken. Weitere Themenschwerpunkte sind „Klimawandel und Menschenrechte“ sowie „Globale Gesundheit und Sicherheit“. Ein weiterer Fokus soll Afrika gelegt werden – nicht nur aber auch wegen der Migrationsfrage und der damit verbundenen Notwendigkeit der Bekämpfung der Fluchtursachen vor Ort.
Deutschland könnte zudem als Truppensteller und viertgrößter Geldgeber auch bei den derzeit in New York stattfindenden Mandatsüberprüfungen von Friedenseinsätzen eine stärkere Rolle einnehmen. Berlin stellt für UN-Missionen aktuell mehr als 3.500 Soldaten sowie 130 Polizeibeamte. Zudem engagiert es sich im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit so stark wie nur wenige Länder.
Angesichts von Trump, Putin und Co. wird im Rat auch der Kampf um den Erhalt der multilateralen, regelbasierten Ordnung ausgefochten werden, die vor immer größeren Herausforderungen steht. Hierzu zählten die Zunahme autoritärer Regime und die Missachtung des Völkerrechts, Extremismus, Terrorismus und Klimawandel. Es gilt den Rückzug der USA aus wichtigen UN-Organisationen wie UNRWA und UNESCO als auch die Kündigung des Weltklima- und Iran-Abkommens international abzufedern.
Ein Europäischer Sitz im UN-Sicherheitsrat?
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Zusammensetzung des UN-Sicherheitsrates nicht die aktuellen Machtverhältnisse, sondern die nach 1945 widerspiegelt. Legitimation und Handlungsfähigkeit des Gremiums können langfristig nur gewährleistet werden, wenn dessen Zusammensetzung die veränderte Weltlage angemessen widerspiegelt. Es gibt keine Rechtfertigung mehr dafür, dass Länder wie Japan, Brasilien und Indien keinen ständigen Sitz im Uno-Sicherheitsrat haben. Auch Afrika muss viel stärker berücksichtigt werden.
Schon seit Beginn der 1990er Jahre wird deshalb immer wieder über eine Reform des UN-Sicherheitsrates diskutiert. So haben die G4-Staaten (Brasilien, Deutschland, Indien und Japan) etwa vorgeschlagen, sowohl die Zahl der ständigen als auch die der nichtständigen Sitze zu erhöhen. Seit den 1990er Jahren setzen sich auch deutsche Außenminister dafür ein, bislang ohne Erfolg.
Kritiker verweisen zu Recht darauf, dass Europa mit Frankreich und Großbritannien bereits im Sicherheitsrat überproportional stark vertreten sei. Auf Seite 147 des Koalitionsvertrages heißt es deshalb auch: "Für die Zukunft streben wir einen ständigen Sitz der Europäischen Union an." Zuletzt hat sich Olaf Scholz in seiner Humboldtrede am 28. November dafür ausgesprochen, den ständigen Sitz Frankreichs im UN-Sicherheitsrat in einen gemeinsamen EU-Sitz umzuwandeln. Im Gegenzug solle Frankreich dann permanent den EU-Botschafter bei den Vereinten Nationen stellen. Großbritannien bleibt ständiges Mitglied und Frankreich gibt seinen Platz zu Gunsten eines EU-Sitzes auf? Das dürfte jeden macht- und prestigebewussten französischen Präsidenten ein unvorstellbarer Gedanke sein. Die Reaktion folgte prompt: „Dies ist juristisch unmöglich, weil es gegen die Charta der Vereinten Nationen verstößt“, erklärte der französische Botschafter in Washington, Gérard Araud. Und in der Tat, da die EU kein Vollmitglied der UNO ist, ist es derzeit nicht möglich, nichtständige oder gar ständige europäische Sitze (im Sinne von EU-Sitzen) im Rahmen des bestehenden Verfahrens einzurichten. Seit Mai 2011 verfügt die EU zwar über einen „erweiterten Beobachterstatus“ in der Generalversammlung der Vereinten Nationen, besitzt aber kein Abstimmungsrecht. Ungeachtet der politischen Widerstände aus Paris wäre ein EU-Sitz zudem nur als Teil der seit gut 25 Jahren angestrebten umfangreichen Reform des UN-Sicherheitsrates vorstellbar. Im Zuge einer solchen Reform müssten dann auch andere Regionalorganisationen wie die Afrikanische Union einen Sitz erhalten.
Fazit
Die Uno steckt seit Jahren in einer tiefen Krise. Nicht nur beim Syrien-Konflikt konnte sich der Sicherheitsrat nicht auf eine gemeinsame Linie einigen. Die Ziele der Vetomächte sind so unterschiedlich, dass sie sich gegenseitig blockieren. In letzter Konsequenz könnte nur eine Reform des Sicherheitsrates die Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen wieder herstellen. Es mangelt auch beileibe nicht an Vorschlägen: So wurde u.a. die Einführung eines Zweifach- bzw. Dreifach-Vetos ins Spiel gebracht: zur Ablehnung einer Resolution wären dann mindestens zwei oder sogar drei Vetostimmen nötig. Weitere Vorschläge reichen von der Ausweitung des Vetorechts durch die Aufnahme neuer ständiger Mitglieder bis hin zur vollständigen Abschaffung des Vetos. Unabhängig davon, wie sinnvoll diese Reformvorschläge sind, sie werden wie alle Reformvorschläge zuvor an den Vetomächten scheitern, die nicht im Traum daran denken, ihre privilegierten Positionen zu räumen. Es bleibt somit die Grundfrage, auf dies bislang keine Antwort gefunden wurde: Wie schafft man ein Veto gegen ein Veto ab?
Die Bundesrepublik sollte während ihrer Mitgliedschaft versuchen, im Rahmen ihrer diplomatischen Möglichkeiten, Blockaden im Sicherheitsrat zu lösen, um dessen Handlungsfähigkeit zu verbessern. Zudem sollte die Arbeit des Sicherheitsrates transparenter werden. Berlin plant u.a., die Gruppe der afrikanischen Staaten und der kleinen Inselländer regelmäßig zu unterrichten und zudem regelmäßige Treffen mit themenrelevanten NGOs durchzuführen. Ansonsten gilt wie schon für die vergangenen Mitgliedschaften im Sicherheitsrat. Die Agenda wird zu einem großen Teil durch das internationale Umfeld bestimmt. Es spricht deshalb einiges dafür, dass sich Deutschland auch 2019/20 wieder in großen Krisen bewähren und schwierige Entscheidungen wird treffen müssen.