Gefährdet die Wahrheit den "Weltfrieden"?

Kein Grund zur Hysterie: Contra-Position

Auf die Frage gefährdet die Wahrheit den "Weltfrieden", würde ich spontan mit "Nein" antworten - zumal es weder die "Wahrheit" noch den "Weltfrieden" gibt.

Es lässt sich nicht leugnen, dass die Wikileaks-Veröffentlichungen das Vertrauen in die amerikanische Diplomatie nachhaltig erschüttert haben. Sie haben zudem deutlich gemacht, dass die vermeintlich allmächtige Supermacht zunehmend an Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten verliert. Und sie haben nicht zuletzt den technischen Kontroll- und Machbarkeitswahn ad absurdum geführt, der hinter der Vorstellung steckt, man könne Dokumente, zu denen 250.000 Mitarbeiter Zugang haben, geheim halten.

Der Inhalt dieser Botschaftsdepeschen ist hingegen keineswegs neu oder gar sensationell. Die Einschätzungen über den deutschen Außenminister sind genau so wenig überraschend, wie die Inszenierungsfähigkeiten des Verteidigungsministers als "Lordsiegelbewahrer" der transatlantischen Freundschaft. Auch die Tatsache, dass viele Führer der arabischen Welt hinter vorgehaltener Hand im Iran mittlerweile eine konkrete Bedrohung sehen, ist ein offenes Geheimnis. Die Veröffentlichung solcher Interna erschweren jedoch zweifelsohne die Friedensbemühungen im Nahen Osten und Nordkorea.

Dennoch: Wenn die ersten Aufregungen sich gelegt haben, wird deutlich werden, dass die Wikileaks-Veröffentlichungen nicht das Ende der Diplomatie bedeuten und der "Weltfrieden" durch ganz andere Dinge gefährdet wird. Im Übrigen: Wer sagt, dass die Depeschen tatsächlich "die Wahrheit" abbilden?

Dr. Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagfraktion
 

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Zu den Folgen der Wikileaks-Veröffentlichungen
Veröffentlicht: 
taz, 4./5.12.2010