Fragmentierte Außenpolitik als Antwort auf die zunehmende Komplexität der Welt
Die Forderung nach einer deutschen Außenpolitik aus einem Guss ist fast so alt wie die Bundesrepublik selbst. Der stetig steigende Komplexitätsgrad internationaler Politik kann in der Tat nur durch eine effektive Bündelung und Koordinierung des vorhandenen Fachwissens geleistet werden. Die sich daraus ergebende notwendige Abstimmung zwischen verschiedenen Ministerien, dem Bundeskanzleramt – und nicht zuletzt dem Parlament – kann sicherlich eine kohärente Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik erschweren. Zugleich bezweifle ich, dass eine „Außenpolitik aus einem Guss“ nur in einer Einheit entwickelt werden kann – im Gegenteil.
Es ist eben kein Zeichen von Schwäche, wen nicht – wie unter Putin oder Orban – von oben „durchregiert“ wird, sondern ganz im Gegenteil ein Zeichen der Stärke demokratischer Regierungen, unterschiedliche Interessen und unterschiedliches Wissen von Beginn an zu beachten. Die Tatsache, dass viele Kompetenzen de facto aus dem Auswärtigen Amt ins Kanzleramt und in die jeweiligen Fachressorts „ausgewandert“ sind, die Mitsprache des Parlaments (nicht nur bei der Entsendung von Streitkräften) und die Einbeziehung gesellschaftlicher Akteure (wie Medien, Nichtregierungsorganisationen, Thinktanks und politische Stiftungen) zeigen vielmehr, dass die deutsche Außenpolitik ihre Instrumente an die Herausforderungen einer zunehmend fragmentierten Welt angepasst hat. Dass dabei Reibungsverluste, Kompetenz- und Konkurrenzstreitigkeiten aller Art entstehen, liegt in der Natur der Sache.
Zudem ist in den letzten Jahren unter Frank-Walter Steinmeier einiges getan worden, um die Außenpolitik Deutschlands effektiver zu gestalten. So wurde der sogenannte Review-Prozess gestartet, eine neue Abteilung „Krisenprävention, Stabilisierung, Konfliktnachsorge“ eingerichtet und bis 2017 sollen neue „Leitlinien für Krisenengagement und Friedensförderung“ erarbeitet werden. Auch im Bereich der Krisenfrüherkennung und der ressortübergreifenden Zusammenarbeit wurden neue Initiativen umgesetzt. Auch die Mittel für Krisenprävention und humanitäre Hilfe wurden im Bundeshaushalt 2016 von 95 Mio. auf 248,5 Mio. Euro erhöht.
Auf europäischer Ebene sind mit der „Europäischen Sicherheitsstrategie“ von 2003 und der „Globalen Strategie für die Sicherheits- und Außenpolitik der Europäischen Union“ von 2016 wichtige Grundlagenpapiere erstellt worden. Es gibt mit Federica Mogherini eine umtriebige Hohe Vertreterin für Außenpolitik, einen Europäischen Auswärtigen Dienst und eine Europäische Verteidigungsagentur. Gleichwohl bleibt die europäische Außenpolitik ein amorphes Konstrukt, an dem 27 Hauptstädte, der Europäische Rat und die Europäische Kommission gleichzeitig mit- und oft genug gegeneinander versuchen, eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik zu generieren. Hinzu kommt, dass die Fliehkräfte in den letzten Jahren ganz sicher nicht geringer geworden sind: Die europäische Finanzkrise, der Vormarsch der autoritären Populisten in Ungarn, Polen, aber auch in Frankreich und in Deutschland, die Bedrohung durch Putins neues Russland, die Herausforderungen durch die Ukrainekrise und den Syrienkrieg und nicht zu vergessen den Brexit, der nicht nur als Schwächung Europas, sondern auch als Chance für eine engere (sicherheits-)politische Zusammenarbeit be- und ergriffen werden sollte.
Deutschland und Europa stehen vor dramatischen außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen, bei denen viele, unterschiedliche und komplexe Krisen und Problemlagen zeitgleich zusammentreffen. Sie brauchen deshalb eine realistische Vision ihrer außen- und sicherheitspolitischen Ziele. Fest steht jedenfalls: Lösungen wird es nicht national, sondern nur multilateral, europäisch oder gar nicht geben.