Europa muss mit Iran eigene Wege gehen

Viele Kommentatoren scheinen erleichtert: Der US-Präsident weigert sich zwar, das Abkommen zur Reduzierung des iranischen Atomprogramms erneut zu beglaubigen, doch immerhin hat Trump es nicht gekündigt. Man kann die Erleichterung nachvollziehen, wenn der Maßstab ein launenhafter und selbstverliebter Mann im Weißen Haus ist. Man kann die Dinge aber auch anders sehen: Erneut hat sich die Regierung in Washington von einer vertragsbasierten Regelung eines internationalen Problems verabschiedet. Immerhin war die mühsam errungene Einigung mit der iranischen Regierung vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einstimmig gebilligt worden.

Mit welcher Geringschätzung der US-Präsident dieser Organisation begegnet, wurde spätestens mit seinem Auftritt vor der Generalversammlung klar. Am Wochenende hat er erneut seine Verachtung ausgedrückt. Die Verantwortung für den weiteren Umgang mit dem Iran-Abkommen liegt nun beim US-Kongress. Dieser hat 60 Tage Zeit, zu entscheiden, ob es zur Wiederaufnahme von Sanktionen gegen Iran kommt. Ob mit dieser Überweisung an den Kongress viel gewonnen wurde, ist fraglich.

Es waren beide Kammern des Hauses, die Präsident Obama jahrelang die Arbeit am Iran-Abkommen erschwert haben. Viele Verantwortliche sind weiterhin Mitglieder im US-Parlament. Umfassende Vernunft ist in diesem altehrwürdigen Gebäude nicht zu Hause. Dass gerade jetzt etwas Gutes dabei herauskommen soll, muss man daher bezweifeln. Zumal Trump mit weiteren Schritten gedroht hat, wenn ihm das Ergebnis nicht gefallen sollte.

Das Abkommen mit Iran ist nicht perfekt, aber das sind internationale Abkommen in der Regel nie. Immerhin wurde damit Zeit gekauft und mit Hilfe ausgeklügelter Überprüfungsregeln sollte Vertrauen aufgebaut werden. Beide Elemente sind jetzt zerstört und die Folgen werden ihre Wirkung auf andere Konflikte haben, die mit diesen Instrumenten beruhigt werden sollen.

Deshalb war es richtig, dass Großbritannien, Frankreich und Deutschland unmittelbar nach der Rede Trumps eine gemeinsame Erklärung vorgelegt haben. Wir sollten jedoch realistisch bleiben. Eine solche Geste wird in Washington keine große Wirkung entfalten. Europa muss eigene Wege mit Iran gehen: die Behinderungen im Handel und im Bankenverkehr müssen durch weitere Mechanismen abgefedert werden, Visaerleichterungen für Reisende aus Iran wären sinnvoll, die kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit müssen einen eigenen Stellenwert erhalten, Städtepartnerschaften könnten ausgebaut werden. Ohnehin haben wir es nach dem Abschluss der Vereinbarung mit Iran versäumt, weitere Initiativen zugunsten eines Sicherheitsarrangements in der Region voranzutreiben.

Der Aufbau einer kernwaffenfreien Zone wäre ein logischer Schritt gewesen. Immerhin sympathisierte die Arabische Liga im Jahr 2005 mit diesem Plan. Ein solcher Fokus macht auf ein weiteres Problem aufmerksam: Die Verantwortlichen in Teheran und Ghom sind zweifellos Konflikttreiber, aber verschiedene Akteure in Ankara, Bagdad, Riad, Damaskus, Erbil und Katar zündeln genauso. Und aus den USA, Russland, Lateinamerika und Europa werden dafür riesige Waffenarsenale zugeliefert. Die Erklärung der europäischen Regierungschefs hätte daher größere Glaubwürdigkeit entfaltet, wenn wir uns gleichzeitig für einen Rüstungsstopp, Initiativen für Vertrauensbildung und eigene Wege mit der iranischen Gesellschaft stark gemacht hätten. Hierauf sollten wir uns in den nächsten Monaten konzentrieren, denn solche Dinge können wir selbst richten.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Warum wir uns im Streit um den Atomdeal nicht auf die amerikanische Politik verlassen sollten.
Veröffentlicht: 
IPG-Journal, 18.10.2017