Erwartungen und Hoffnungen an die neue US-Regierung

Zunächst einmal möchte ich vorweg schicken, dass ich glaube, dass die Erwartung vieler Europäer, der Ausgang der amerikanischen Präsidentschaftswahlen werde zu grundsätzlichen Änderungen in Washingtons Außenpolitik führen, enttäuscht werden wird. Bestimmte Dinge im transatlantischen Verhältnis werden unabhängig von Personen immer zu Diskussionen, Interessenunterschieden und gelegentlich auch Reibungen führen. Egal, wer die Wahl gewinnt, wir werden nicht plötzlich in ein transatlantisches Paradies eintreten. Zumal der nächste Präsident angesichts der schweren Krise des amerikanischen Finanzsystems, die sich in ihrem Ausmaß nur noch mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 vergleichen lässt, vor weit größeren Herausforderungen stehen wird als viele seiner Vorgänger.

Ich erwarte deshalb unabhängig vom Wahlausgang eine Rückkehr zum Multilateralismus. Dies bedeutet aber auch, dass sowohl John McCain als auch Barack Obama die Europäer verstärkt in die Pflicht nehmen werden. Oder konkreter: Der nächste Präsident wird von den Europäern mehr Unterstützung im Irak und in Afghanistan fordern.

Im Gegenzug muss Europa dann allerdings auch auf mehr Mitbestimmung bei operativen Entscheidungen dringen. Solidarität ist ein hohes Gut, aber keine Einbahnstraße. Die Vereinigten Staaten können und werden von Europa nicht verlangen können, dass es amerikanische Entscheidungen undiskutiert mit tragen wird. Hier stimmt mich hoffnungsvoll, dass sowohl Obama als auch McCain ein klares Bekenntnis zu starken transatlantischen Beziehungen abgegeben haben.

Ich plädiere im Übrigen nachdrücklich dafür, dass wir Europäer nicht bis nach der Amtseinführung im Januar 2009 warten, welche Bitten oder Forderungen uns der neue Präsident präsentiert. Stattdessen sollten wir bis dahin unsererseits ein umfassendes Angebot zur Zusammenarbeit formulieren.

Neben all den Erwartungen möchte ich deshalb auch einige Hoffnungen und Wünsche äußern: Ich erhoffe mir in Anlehnung an Frank-Walter Steinmeier eine "neue transatlantische Agenda für das 21. Jahrhundert" mit neuen Impulsen bei den Themen  "Nachhaltigkeit und Ressourcen", "Abrüstung, Rüstungskontrolle und globale Sicherheit" sowie "Klimawandel und Zukunft der Weltordnung".

Wenn die Zahl der Nuklearwaffen drastisch verringert werden soll, müssen die Vereinigten Staaten und Russland, die zurzeit noch über mehr als neunzig Prozent der vorhandenen Systeme verfügen, mit gutem Beispiel vorangehen. Unter dem russischen Präsidenten Medwedew und einem neuen US-Präsidenten - mag er nun McCain oder Obama heißen - scheint eine Einigung auf jeweils tausend atomare Sprengköpfe durchaus möglich zu sein. Vor allem müssen die taktischen Atomwaffen so schnell wie möglich aus den Arsenalen der Atomwaffenmächte verschwinden. Die Überprüfungskonferenz für den Nichtverbreitungsvertrag 2010 bietet zudem Gelegenheit, die bisherigen Instrumente zu schärfen. Hier muss ein neuerliches Scheitern und damit eine weitere Erosion des globalen Nichtverbreitungsregimes unter allen Umständen verhindert werden. Erwägenswert wäre ebenso ein neuer Vertrag über die Begrenzung der Raketenabwehr (ein neuer ABM-Vertrag). Und vor allem: wir müssen den Vertrag zur konventionellen Abrüstung in Europa retten. Die heutige Abrüstungsarchitektur wurde über Jahrzehnte aufgebaut. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie zerstört wird.

In Bezug auf die iranische Atomkrise hoffe ich, dass die kommende US-Administration noch umfassender in den Verhandlungsprozess einsteigen und ihm neue und wichtige Impulse geben wird.

Die EU und die USA sind die am engsten verflochtenen und produktivsten Wirtschaftsräume weltweit. Mit nur rund 10 Prozent der Weltbevölkerung erwirtschaften sie zusammen immer noch 60 Prozent des Weltsozialprodukts. Ich wünsche mir von George Bushs Nachfolger ein Bekenntnis zum freien Handel und gegen Protektionismus und ein wirksames Management der internationalen Finanzkrise. Dazu gehören auch eine Einbeziehung der relevanten Mächte der Zukunft (wie China, Indien, Brasilien und Mexiko) und eine Erweiterung der G8, die ebenso wie der UN-Sicherheitsrat nicht mehr die ökonomischen und machtpolitischen Realitäten der heutigen Welt widerspiegeln. Die nächste US-Präsidentschaft muss vor allem eins: sie darf nicht ausgrenzen. Wir brauchen eine neue Partnerschaft, die von den USA angeführt werden.

Ob Barack Obama oder John McCain: Der 44. Präsident der USA könnte bei allen Ungewissheiten der erste amerikanische Präsident eines "postamerikanischen Zeitalters" werden.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Zu den Präsidentschaftswahlen der USA
Veröffentlicht: 
Berlin, 31.10.2008