Der deutsche Beitrag zum arabischen Frühling
Der arabische Frühling, der vor einem halben Jahr so hoffnungsvoll in Tunesien begann ist ins Stocken geraten. Die gegenwärtigen Entwicklungen sind widersprüchlich. In einzelnen Ländern herrscht Gewalt und Unterdrückung. In Syrien geht das Regime Assad mit Staatsterror und brutaler Gewalt gegen die Demonstranten vor. Im Jemen herrscht Staatszerfall. Und in Bahrain ist das Aufbegehren der schiitischen Bevölkerungsmehrheit durch eine offene Intervention Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirat niedergeschlagen worden. In Ägypten befürchten viele Reformkräfte den Fortbestand der alten Mubarak-Cliquen und die Formierung eines militärischen Entscheidungszentrums im Hintergrund. Dagegen gehen die Reformanstrengungen in Tunesien weiter und in Marokko und Jordanien haben die Herrscher vorsichtige Reformen angekündigt.
Noch am 26. Mai 2011 erklärte Angela Merkel im Deutschen Bundestag: "Es ist deshalb eine historische europäische Verpflichtung, den Menschen, die heute in Nordafrika und in Teilen der arabischen Welt auf die Straße gehen, zur Seite zu stehen." Und was macht die Bundesregierung? Nimmt sie mehr Flüchtlinge auf? Erleichtert sie die Visabestimmungen für Facharbeiter und Studenten aus der Region? Steht sie in Europa an der Spitze der Regierungen, die konkrete Hilfen anbieten? Nein: Der deutsche Beitrag besteht in der geplanten Lieferung von 200 Leopard-Panzern nach Saudi-Arabien.
Damit sendet die schwarz-gelbe Koalition nicht nur ein fatales Signal in die arabische Welt, sondern vollzieht damit zugleich eine Abkehr von dem politischen Grundsatz, keine deutschen Waffen in Spannungsgebiete zu liefern. Mit dem Leopard-Panzer will die Bundesregierung Saudi Arabien nun eine Waffe liefern, die laut Herstellerangaben geeignet ist, Aufstände zu bekämpfen. Saudi Arabien ist ein Land, das die eigene Bevölkerung unterdrückt und das im März 2011 mit Blick auf die eigene schiitische Minderheit die Oppositionsbewegung im benachbarten Bahrain militärisch niederschlug, um dem bedrängten Herrscherhaus dort beizustehen. Zudem liefert sie sich an der jemenitischen Grenze Kämpfe mit Aufständischen. Zweifellos ist das regionale Umfeld - auch mit Blick auf den Iran - ein Spannungsgebiet.
Offenbarungseid des selbst ernannten "Abrüstungsminister"
Nach der Enthaltung zu Libyen im UN-Sicherheitsrat ist dies ein weiterer Offenbarungseid deutscher Außenpolitik. Guido Westerwelle nahm vor zwei Jahren vor dem Deutschen Bundestag in der ihm eigenen bescheidenen Art für sich in Anspruch als "Abrüstungsminister" in die Geschichte einzugehen. Wo bleibt die Abrüstung, wenn wir 200 Panzer nach Saudi-Arabien liefern, in eine Region, wo kein Mangel an Rüstung besteht, aber ein Mangel an Kooperation, Diplomatie und gutem Willen? Sieht so die wertegebundene Außenpolitik von Schwarz-gelb aus? Welche Gründe bewegen die Bundesregierung angesichts des "Arabischen Frühlings" Panzer an die durchweg herbstlichen Autokraten Saudi-Arabiens zu liefern und damit ein geradezu katastrophales Signal an die große Mehrheit der über 300 Millionen Araber zu senden, die dem Westen seit langem Doppelmoral vorwerfen? In ihren Augen stützt Deutschland mitten im Arabischen Frühling die alten despotischen Mächte.
Auch die geostrategischen Argumente, die angeführt werden, sind wenig stichhaltig. Das Scheitern der alten westlichen Stabilitätspolitik in der Region ist nicht zu übersehen. Der Panzer-Deal mit Saudi-Arabien mag zwar realpolitisch begründbar sein, ist am Ende aber nicht zu verantworten und verstößt gegen die eigenen Prinzipien und Richtlinien. Es ist deswegen nur folgerichtig, dass er auch die deutschen Gerichte beschäftigen wird. Zudem bleibt abzuwarten, ob Saudi-Arabien auch noch in zehn Jahren ein "Stabilitätsfaktor" und Gegengewicht gegen den Iran sein wird und wo und gegen wen wir demnächst das Spitzenprodukt der deutschen Rüstungsindustrie in Aktion sehen werden. Deshalb macht auch die Unterstützung durch die USA und Israel den Deal nicht besser. Ebenso wenig wie das Argument, wenn wir nicht liefern, liefern andere. Und ja, zur Wahrheit gehört, dass auch die rot-grüne Regierung Raketenteile, Maschinengewehre, Pistolen, Munition und Granaten an Saudi-Arabien geliefert hat. Dies war ein Fehler und bietet durchaus Grund zur Selbstkritik. Das Parlament hat damals diese Lieferungen kritisiert.
Außenpolitik reduziert sich zunehmend auf Außenwirtschaftsförderung
Fakt ist aber auch: Um das Geschäft deutscher Rüstungskonzerne zu fördern, bricht Merkel mit einer traditionellen Doktrin deutscher Außenpolitik. Heute rechtfertigt die Regierung ihre Deals offen mit strategischen Argumenten. Während der deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen fungierten Menschenrechte nur noch als Deckmäntelchen für deutsche Wirtschaftsinteressen. Außenpolitik reduziert sich zunehmend auf Außenwirtschaftsförderung. Dabei ist man wenig zimperlich - Hauptsache die Produkte sind "Made in Germany". Neben den Panzern für Saudi-Arabien genehmigte der Bundessicherheitsrat offenbar ein weiteres, nicht weniger fragwürdiges Waffengeschäft: Das autoritäre Regime Algeriens soll deutsche Fregatten, Transportpanzer und Grenzsicherungssysteme im Wert von zehn Milliarden Euro erhalten. Konsequenterweise hat Bundeskanzlerin Merkel auf ihrer Afrika-Reise auch Angola deutsche Militärhilfe für seine Marine und weitere Rüstungsgüter angeboten.
Guido Westerwelle wollte als Minister konsequent für Abrüstung und Menschenrechte eintreten. Wertegebundene Außenpolitik nannte er das. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Wir erleben unter Schwarz-Gelb eine politisch-moralisch irrlichternde deutsche Außenpolitik, ohne langfristige Strategie und ausgerichtet an kurzfristigen nationalen (Wirtschafts-)Interessen. Dies gilt nicht nur für den Nahen Osten sondern auch für die Europäische Union. Deutschland, Europa und die arabische Welt haben besseres verdient!
Dr. Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion