Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik: Die außen- und sicherheitspolitischen Positionen der SPD in einer Welt in Unordnung

Zusammenfassung:

Angesichts der globalen Krisen und Herausforderungen sowie des Vormarsches der Autoritären und PopulistInnen ist es umso wichtiger, dass wir an den Regeln und Normen in den internationalen Beziehungen festhalten und sie stärken. Die Sozialdemokratie steht für Frieden, internationale Kooperation und für die Stärkung und den Ausbau der bewährten internationalen Organisationen (UN, EU, NATO, OSZE). Die globalen Zukunftsaufgaben (Klimawandel, gerechte Weltordnung, Kampf gegen Krieg, Hunger und Armut) sind nicht durch nationalistische Alleingänge, sondern nur gemeinsam zu bewältigen.

1. Sozialdemokratische im postfaktischen Zeitalter

Als Frank-Walter Steinmeier unmittelbar nach Beginn seiner zweiten Amtszeit mit dem Review 2014-Prozess eine Art Standortbestimmung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik in Auftrag gab, konnte er nicht ahnen, wie schnell dieser von den Ereignissen der letzten Jahre eingeholt werden würde (Auswärtiges Amt 2014). Spätestens mit der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA scheint die alte Welt des 20. Jahrhunderts endgültig vorüber. Wir sind Zeugen eines fundamentalen Paradigmenwechsels. Geprüft wird nicht weniger als die Belastbarkeit der liberalen Weltordnung. Dass der 45. Präsident der Vereinigten Staaten die Fundamente jenes internationalen Systems unterminiert, welches die USA in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg selbst – und durchaus auch zu ihrem Vorteil und in ihrem Interesse – geschaffen haben, scheint ihm egal zu sein. Welche Ordnungsvorstellungen sich durchsetzen werden, scheint derzeit noch völlig offen.

Besteht angesichts dieser vielschichtigen Herausforderungen nun die Notwendigkeit, die außen- und sicherheitspolitischen Positionen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) umzuwerfen oder anzupassen? Dies kann man mit gutem Gewissen verneinen. An den Grundüberzeugungen der Sozialdemokratie gibt es nichts zu ändern. Ganz im Gegenteil! Die SPD ist und bleibt ein Bollwerk der Demokratie. Der Kampf gegen die postfaktischen PopulistInnen, NationalistInnen und RassistInnen innerhalb und außerhalb Europas ist wichtiger denn je. Der unberechenbare Donald Trump, der Brexit, der ungarische Präsident Victor Orbán und der Türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, die Krise der Europäischen Union, die Flüchtlingskrise, die Ukraine-Krise, die innere Entwicklung der Türkei, der internationale Terrorismus, das Sterben in Syrien und die Implosion des Nahen Ostens – All dies kann nicht mit den Rezepten von vorgestern, mit nationalen Alleingängen, Abschottung und Protektionismus gelöst oder bekämpft werden.

Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir an den über Jahrzehnten geschaffenen Regeln und Normen der internationalen Politik festhalten, sie stärken und anpassen. Trotz und gerade wegen PolitikerInnen wie Donald Trump, Wladimir Putin und Co. brauchen wir eine internationale Ordnung, die auf gemeinsame Interessen, auf Einvernehmen, auf Kooperation, Mitgestaltung und friedlichen Wandel gründet. Diese Errungenschaften dürfen trotz aller Rückschläge nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Deutschland und seinen Partnern in der EU kommt dabei eine wichtige Rolle zu.

Deutschland hat unter Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier ganz ohne Zweifel in den vergangenen Jahren mehr Verantwortung in den Krisen der jüngsten Zeit übernommen, von der Euro-Rettung über die Ukraine- bis zur Flüchtlingskrise, dem Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) 2016, der G20-Präsidentschaft 2017 und bis zu diversen Einsätzen im Zuge der Vereinten Nationen, u. a. in Mali und im Sudan. Die außen-, sicherheits- und entwicklungspolitischen Herausforderungen für Deutschland und Europa wachsen. Mehr denn je brauchen wir Antworten über staatliche Grenzen hinweg. Die Europäische Union ist dabei unverzichtbar, um eine gerechtere Globalisierung zu gestalten. Eine aktive sozialdemokratische Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik ist heute notwendiger denn je. Wir müssen uns für die Stärkung und die uneingeschränkte Geltung einer Ordnung einsetzen, die auf dem Völkerrecht und dem Prinzip der Friedfertigkeit beruht. Wir brauchen wirksame Regeln und Mechanismen der Konfliktregelung, der Schieds- und Strafgerichtsbarkeit, die auf verbindlichen Prinzipien aufbauen. Dabei muss man keinesfalls das Rad neu erfinden. Diese Regeln sind vorhanden und haben unter anderem dazu beigetragen, den Ost-West-Konflikt friedlich zu beenden. Sie müssen nur respektiert, angewandt und dort, wo erforderlich, angepasst werden.

Ziel sozialdemokratischer Friedenspolitik bleibt es, Konfliktursachen zu bekämpfen und auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene eine gerechte Ordnung zu etablieren. Diese Politik gründet sich auf der festen Überzeugung, dass die großen globalen Zukunftsaufgaben – vom Kampf gegen Hunger und Armut über den Klimawandel bis hin zu bewaffneten Konflikten und weltweiten Migrationsbewegungen – nur gemeinsam zu bewältigen sind. Sozialdemokratische Außenpolitik ist ganz im Sinne Willy Brandts „der illusionslose Versuch zur friedlichen Lösung von Problemen“ (SPD-Bundestagsfraktion 2017).

2. Wege aus der Krise der EU

Die Europäische Union war über Jahrzehnte ein erfolgreiches Modell, um Nationalismus durch gemeinsame Politik und gemeinsame Institutionen zu überwinden. Sie wurde als Zukunftsmodell für politische Gestaltung in einer globalisierten Welt angesehen. Mit den zunehmenden Zweifeln an den Vorteilen der Globalisierung und den sozialen Problemen, die in der Folge der internationalen Finanzkrise in vielen europäischen Städten und Regionen sichtbar wurden, befindet sich die EU in einer Legitimationskrise. Viele Probleme der EU sind vielmehr auch Auswirkungen ihres Erfolges. Europa ist das Ziel zahlreicher Menschen, die vor Krieg und Armut flüchten; Nachbarstaaten wollen an Europas Wohlstand, Sicherheit und Freiheit teilhaben.

Wahr ist aber auch: Noch nie stand die Existenz der EU so auf dem Spiel wie derzeit. Ihr droht von drei Fronten Gefahr: von Innen, von Amerika und von Russland. Die vielleicht größte Herausforderung dabei ist die schleichende Erosion des europäischen Einigungs- und Solidaritätsgedankens im Inneren. In vielen EU-Ländern erreichen antieuropäische PopulistInnen sagenhafte Umfragewerte, die von Enttäuschung, Wut, ja sogar Hass gegen das gemeinsame europäische Friedensprojekt zeugen. In den Niederlanden, Frankreich und auch in Deutschland sind die PopulistInnen und Feinde Europas auf dem Vormarsch, in Ungarn, Polen, Rumänien und Großbritannien bereits an der Macht.

Die Nominierung des überzeugten Europäers und ehemaligen EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten und Parteivorsitzenden der SPD ist deshalb ein wichtiges Signal. Er steht nicht erst seit seiner Auseinandersetzung mit dem damaligen italienischen Regierungschef Silvio Berlusconi wie kein Zweiter für ein wehrhaftes Europa, das den PopulistInnen aller Couleur außerhalb und innerhalb Deutschlands sowie außerhalb und innerhalb Europas die Stirn und Paroli bietet. Deutschland muss auch weiterhin aktiv dazu beitragen, das Vertrauen in das europäische Einigungswerk wieder zu stärken und auszubauen. Die Globalisierung lässt sich nur mit einem handlungsfähigen Europa demokratisch, sozial und wirtschaftlich erfolgreich gestalten.

Dabei werden die Schwerpunkte auch künftig auf diplomatischen und zivilen Mitteln, wie den Instrumenten der zivilen Krisenprävention und Konfliktregelung, liegen. In den letzten Jahren hat die Europäische Union in diesem Bereich viele Erfahrungen gemacht, die es auch im Rahmen des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) auszubauen gilt. Wichtig bleiben zudem weitere Anstrengungen im Bereich der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Dabei ist das Problem weniger die Höhe der Militärausgaben (immerhin gut die Hälfte der amerikanischen), als deren ineffektive Verwendung und die sinnlose Duplizierung von militärischen Fähigkeiten. Wir brauchen neue Initiativen, die einen Beitrag zur Überwindung der Renationalisierung der Sicherheitspolitik der EU-Länder leisten. Ziel bleibt eine Außen- und Sicherheitspolitik mit abgestimmten europäischen Konzepten und Aktionen. Als Teil einer umfassenden, präventiven und in das internationale Recht eingebetteten Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU befürworten wir langfristig den Aufbau einer europäischen Armee, deren Einsatz aber parlamentarisch legitimiert werden muss. Mit anderen Worten: Mit dem Aufbau einer Europäischen Armee müssen zugleich die entsprechenden Informations- und Kontrollrechte des Europäischen Parlaments ausgebaut werden.

Gemeinsam mit denjenigen EU-Mitgliedern, die unsere Ziele bereits heute teilen, wollen wir uns über die Gründung einer Europäischen Verteidigungsunion verständigen, in deren Rahmen durch verstärkte Zusammenarbeit die Integration vorangetrieben wird. Dies eröffnet auch große Chancen zum effizienteren Einsatz der begrenzten Ressourcen für europäische Sicherheitspolitik. Wenn es je Zweifel an der Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit innerhalb der EU gegeben haben sollte, so dürften die nach dem Brexit und spätestens nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten endgültig ausgeräumt sein. In der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bietet der Brexit zudem die Chance, lange anstehende und durch die britische Blockadehaltung verhinderte Schritte der Weiterentwicklung entschlossen in Angriff zu nehmen. Die Grundlagen dafür wurden in der zweiten Hälfte des Jahres 2016 mit der Globalen Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union und ihren Umsetzungsvorschlägen bereits gelegt (Europäische Union 2016).

Der Zusammenhalt unserer Union ist der Schlüssel zu Frieden und Stabilität in Europa. Zugleich müssen Deutschland und die ganze EU einen neuen Modus Vivendi mit den USA suchen – kritischer, rationaler und weniger gefühls- und erwartungsvoll. Notwendiger Streit muss energisch, aber wenn möglich, freundschaftlich ausgetragen werden, immerhin bleiben die USA der wichtigste Partner Europas. Darüber hinaus muss sich künftige Außenpolitik zunehmend direkt den Ursachen innergesellschaftlicher und regionaler Konflikte widmen, dem Armutsproblem und den sozialen Gegensätzen in vielen Teilen des europäischen und des Globalen Südens. Wir müssen uns wieder auf die gemeinsamen Werte der EU besinnen: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Grundrechte, das Ziel, Frieden und Wohlstand zu wahren. Das Jubiläum der Römischen Verträge in diesem Jahr bietet einen guten Anlass, im Sinne einer ehrlichen Bestandsaufnahme, über eine Modernisierung der EU-Institutionen und Verträge zu diskutieren.

Die EU wird nur erfolgreich und befriedet bleiben, wenn sie an den Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte festhält: an der Politik des Interessenausgleichs zwischen kleinen und großen Staaten, am Verzicht auf Zwang durch die mächtigeren Akteure und am Glauben daran, dass vom fairen Ausgleich untereinander alle Seiten profitieren. Der europäische Multilateralismus mag zäh, zeitaufwendig und wenig effizient sein. Er ist jedoch immer noch die beste aller schlechten denkbaren Ordnungen für Europa.

3. Die NATO und die Zukunft der transatlantischen Beziehungen unter Trump

Die Wahl von Präsident Donald Trump hat die Grundfesten der internationalen Politik erschüttert und alte Gewissheiten infrage gestellt. Die neue US-Regierung agiert bereits nach wenigen Tagen im Amt als Abrissbirne der multilateralen Ordnung. Alle Illusionen, der neue Präsident werde durch den bürokratischen Apparat eingehegt werden, das Regieren seinen MinisterInnen überlassen und sich der Republikanischen Partei-Orthodoxie unterordnen, sind zerstoben. Die Welt schaut in einer Mischung aus Faszination und Abscheu auf die mächtigste Nation der Welt. Was macht Trump? Treibt er die USA in einen Handelskrieg mit China? Gibt es eine Männerfreundschaft mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und ein Arrangement mit Russland, in dem dessen von ihm beanspruchten Einflusssphären von den USA anerkannt werden? Gibt er die NATO-Solidarität auf? Interessiert ihn Europa und der Nahe Osten überhaupt? Was wird aus dem Atomabkommen mit dem Iran?

Vor einer großen Belastungsprobe steht naturgemäß auch das transatlantische Bündnis – zumal sich Donald Trump offenbar nicht entscheiden kann, ob die NATO nun obsolet oder unverzichtbar ist. Wie keiner seiner Vorgänger setzt der neue Präsident unter dem Schlagwort America first (Trump 2016) auf Protektionismus und nationale Abschottung. Es wäre jedoch ein Irrsinn, dafür die über Jahrzehnte gewachsenen engen Beziehungen zwischen Europa und den USA auf Spiel zu setzen, von denen beide Seiten profitieren. Eines zeichnet sich jedoch jetzt schon ab: Das Verhältnis zwischen Europa und den USA wird kompetitiver und womöglich konfrontativer werden. Wie alle seine Vorgänger wird auch Trump mehr militärische Beteiligung der Europäer fordern. Allerdings ist die Trump-Administration offenkundig nicht mehr bereit, die Kosten für Europas Sicherheit zu übernehmen. Deshalb muss die EU eine Strategie entwickeln, die angesichts der inneren Verfasstheit der Union vorerst nur mit einer, schon häufiger gebildeten Kerngruppe der willigen Staaten realistisch sein dürfte. Dies beginnt bei der Handelspolitik ohne die Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) und setzt sich über Verteidigung und Sicherheit fort, denn die NATO wird vermutlich unter Trump an Bedeutung verlieren.

Dennoch will die SPD die transatlantische Partnerschaft fortsetzen – auf Augenhöhe! Deshalb werden wir selbstbewusst die europäischen Interessen und Standpunkte gegenüber der neuen US-Administration sowie im Gespräch mit dem amerikanischen Kongress vertreten. In der Handelspolitik ebenso wie in Fragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Deutschland muss eng mit anderen liberal-demokratischen Staaten zusammenarbeiten, um das westliche Bündnis und multilaterale Institutionen so gut wie möglich zu schützen. Wer hätte gedacht, dass Europa einmal den Part der USA übernehmen muss, um die liberale Weltordnung zu retten?

4. Herausforderung Russland

Mit der Annexion der Krim und ihrem unerklärten Krieg in der Ostukraine hat die russische Regierung fundamentale Prinzipien der europäischen Friedensordnung, wie sie in der Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) (1975) und der Charta von Paris (1990) sowie im sogenannten Budapester Memorandum von 1994 niedergelegt sind, verletzt. Das bestehende Misstrauen gegenüber der russischen Regierung wurde durch zahlreiche Entscheidungen und Maßnahmen Moskaus verstärkt: durch unangekündigte russische Militärmanöver mit bis zu 95.000 SoldatInnen (Ntv.de 2016); durch Russlands anhaltende militärische Unterstützung der SeparatistInnen in der Ostukraine; durch das aktive militärische Eingreifen Russlands in den syrischen Bürgerkrieg auf Seiten des Regimes von Präsident Baschar al-Assad; durch russische Cyberangriffe auf Computernetzwerke und Infrastrukturen in europäischen Ländern und nicht zuletzt durch die mutmaßlich russische Einflussnahme in den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf zugunsten von Donald Trump. Es ist deshalb durchaus nachvollziehbar, dass sich insbesondere unsere osteuropäischen Partner in Polen und im Baltikum in ihrer Auffassung bestärkt sehen, dass man Moskau gegenüber politische und militärische Stärke zeigen muss, um nicht selbst Opfer einer befürchteten russischen Expansion zu werden.

So richtig es war, seitens der Europäischen Union deutlich zu machen, dass für einen Ausweg aus der Konfliktlage in der Ukraine nur eine friedliche und keine militärische Reaktion – wie von Teilen der Republikanischen Partei gefordert – infrage kommt, genauso wichtig war es, eine gemeinsame, vertretbare Reaktion der NATO auf das russische Verhalten zu finden. Auf dem NATO-Gipfel in Warschau haben die Mitgliedstaaten verschiedene Maßnahmen zur Steigerung ihrer Verteidigungsbereitschaft und Verteidigungsfähigkeit beschlossen. Die Erfahrungen aus den 1970er und 1980er Jahren lehren jedoch, dass neben dem gemeinsamen Willen zur Verteidigungsbereitschaft immer auch das Instrument des Dialogs und Kooperationsangebote dazu gehören müssen. Ansonsten droht unweigerlich eine gefährliche Eskalationsspirale, die zu noch mehr Konfrontation und Unsicherheit führt und weder die sicherheitspolitischen Herausforderungen in Europa noch bei anderen Konflikten in der Welt löst (vgl. SPD-Fraktion 2016a).

Eine wichtige Lehre aus der Vergangenheit lautet in der Tat, dass zum Frieden nur eine Politik führt, die auch russische Wahrnehmungen und Interessen zur Kenntnis nimmt, ohne sich ihnen zu unterwerfen. Hier gab es auf Seiten des Westens zweifelsohne Fehleinschätzungen und Versäumnisse. So ist es dringend notwendig, dass der NATO-Russland-Rat als wichtiges Dialogforum durch alle Beteiligten reaktiviert und ernst genommen wird. Zudem brauchen wir neue Initiativen bei der konventionellen Abrüstung in Europa.

Die zweite wichtige Lehre aber lautet, dass ohne ein festes Wertefundament Entspannungspolitik zur Beschwichtigungspolitik wird. Es gibt Dinge, die nicht verhandelbar sind: Das Festhalten an den Errungenschaften des Dekalogs von Helsinki und der Charta von Paris gehört dazu. Alle notwendigen Kooperationsangebote an Russland dürfen aber nicht dazu führen, dass der Westen eine neue Politik der Einflusssphären in Europa akzeptiert und die eigenen Grundsätze über Bord wirft. Die Unverletzbarkeit der Grenzen und das Gewaltverbot sind als Basis des Völkerrechts und Garant für Frieden auf dem europäischen Kontinent nicht verhandelbar.

Die Politik des Westens bedroht nicht die Sicherheit Russlands, sondern nur seinen Anspruch auf eine exklusive Einflusssphäre. Deutsche Russland- und Osteuropapolitik sollte auf Erfahrungswerten, Faktenwissen und Analysen und nicht auf Pathos, Geschichtsvergessenheit und Pauschalurteilen basieren. Deutschland verfolgt auch heute gegenüber Moskau nichts anderes als eine neue Entspannungspolitik in einer Zeit neuer Spannungen. Dazu gehört die Wiederbelebung der OSZE, Frank-Walter Steinmeiers Heiße-Draht-Initiative (Zeit Online 2015), die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Haltung im Rahmen der EU -mit Polen und den baltischen Staaten -, einen Neuanlauf für konventionelle Rüstungskontrolle in Europa und der Versuch der Etablierung eines Dialogforums mit der Eurasischen Union.

Russlands Bedrohungen gehen nicht von Washington, Brüssel oder Berlin aus. Die wirklichen Gefahren für die Stabilität Russlands liegen zum einen in einer immer noch nicht wettbewerbsfähigen Wirtschaft und innenpolitischen Repressionen, zum anderen befinden sie sich an den instabilen Rändern, insbesondere in Zentralasien oder im Kaukasus. Zur Überwindung dieser Herausforderungen stehen die Europäische Union und der Westen insgesamt als Partner und nicht als Gegenspieler Russlands zur Verfügung. Wir müssen deshalb alles in unserer Macht stehende tun, um zu verhindern, dass die Zeit nach dem Kalten Krieg im Rückblick einst als die Zeit zwischen den Kalten Kriegen gelten wird.

5. Die Vereinten Nationen stärken

Auch die Vereinten Nationen befinden sich wie alle multilateralen Organisationen in der Krise. Das Versagen in Syrien und anderen Konfliktherden ist jedoch nicht das Versagen der Vereinten Nationen, sondern der Nationalstaaten im weitgehend blockierten UN-Sicherheitsrat. Wir brauchen aber dringend starke und handlungsfähige Vereinte Nationen, denn ohne sie werden die globalen Herausforderungen nicht bewältigt werden können – sei es mit Blick auf die Nachhaltigkeitsziele, auf Krisenprävention oder Abrüstung. Es reicht dabei nicht, die Unverzichtbarkeit der Vereinten Nationen in Sonntagsreden zu beschwören, sondern wir müssen sie endlich finanziell, personell und strukturell für die Zukunftsaufgaben fit machen. Die Sozialdemokratie unterstützt die deutsche Sicherheitsratskandidatur für 2019/2020 unter dem Motto Frieden, Gerechtigkeit, Innovation und Partnerschaft (Ständige Vertretung Deutschlands bei den Vereinten Nationen 2016).

40 Jahre nach Einsetzung der Nord-Süd-Kommission unter Willy Brandt verbinden die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDG) im Rahmen der Agenda 2030 die Leitziele Frieden und Gerechtigkeit mit konkreten umwelt-, sozial- und friedenspolitischen Ansätzen. Die reichen Länder haben dabei eine besondere Verantwortung. Daher setzen wir uns für eine Verwirklichung der Agenda 2030 ein und halten an dem Ziel fest, 0,7 % des Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit aufzubringen, wobei die zielgerichtete Hilfe Vorrang vor quantitativen Zielen hat.

Die Vereinten Nationen besitzen die Kernkompetenz für die Wahrung des internationalen Friedens und zur Lösung von globalen Herausforderungen. Mit neuen Initiativen, die wir mit unseren europäischen Partnern abstimmen, wollen wir unseren Beitrag zur Erneuerung und Weiterentwicklung der Strukturen der Vereinten Nationen leisten. Dies schließt eine Reform und Erweiterung des UN-Sicherheitsrates ein. Zur Erfüllung ihrer friedenswahrenden Aufgaben benötigen die Vereinten Nationen eine angemessene Ausstattung für ihre Friedensmissionen (peacekeeping) und der politischen Missionen der Weltorganisation, damit multilaterale Friedenspolitik effektiv betrieben werden kann.

Auch das Konzept der Schutzverantwortung responsibility to protect (R2P) bedarf der weiteren Ausgestaltung und einer völkerrechtlich legitimierten Implementierung. Im Sinne einer Friedensverantwortung (responsibility for peace) gilt es vor allem, die präventive Säule der Schutzverantwortung international zu stärken. Wir begrüßen die Initiativen anderer Regierungen für die Fortentwicklung dieses Politikansatzes und wissen um den Vorrang präventiver und nachsorgender Mittel. Mit der Verabschiedung der Resolution 1325 des Sicherheitsrats Frauen, Frieden und Sicherheit im Jahre 2000 wurde die Gestaltungskraft von Frauen für die Schaffung von Frieden und Sicherheit anerkannt. In der Resolution der Vereinten Nationen wird gefordert, Frauen in allen Phasen der Konfliktbewältigung und Konfliktprävention aktiv einzubinden und ihren Schutz in bewaffneten Konflikten sicherzustellen.

6. Die OSZE und die unverminderte Relevanz von Vertrauensbildung, Abrüstung und Rüstungskontrolle

Deutschland hat im Rahmen seines OSZE-Vorsitzes 2016 wichtige Schritte unternommen, um Frieden und Sicherheit in Europa durch Erneuerung des Dialogs und des Vertrauens in allen Arbeitsbereichen der OSZE wiederherzustellen. Die OSZE ist die einzige Institution, die einen ganzheitlichen sicherheitspolitischen Ansatz zur Krisenbeilegung verfolgt und in der sich sowohl der Westen als auch Russland engagieren.

Die europäische Rüstungskontrollarchitektur hat nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes zur Stabilisierung des gesamten OSZE-Raumes beigetragen. Insbesondere der Vertrag über den Offenen Himmel, der 1992 in Helsinki unterschrieben wurde und 2002 in Kraft trat, trägt immer noch wesentlich zu Transparenz und Vertrauensbildung bei und zeigt seine Bedeutung gerade in der gegenwärtigen Krisensituation. Es ist daher im Interesse aller OSZE-Teilnehmerstaaten, dass bestehende Vereinbarungen und Verträge zur Vertrauensbildung und Abrüstung erhalten und eingehalten werden. Allerdings muss die europäische Rüstungskontrolle weiterentwickelt werden. Weitere politische Initiativen sind daher notwendig, um Hindernisse für Fortschritte in allen Bereichen der Abrüstung zu überwinden. Die Modernisierung des Wiener Dokumentes über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen (OSZE 2011) bildet einen wichtigen Baustein. Dafür hat Deutschland ebenso Vorschläge vorgelegt wie für die Neukonzipierung eines Nachfolgeregimes des Vertrages über Konventionelle Rüstungskontrolle. Diese Vorschläge berücksichtigen die legitimen Sicherheitsinteressen aller Beteiligten.

Die SPD setzt sich entschlossen für die weltweite, vertragsgestützte Abrüstung von Atomwaffen, chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen sowie konventioneller Rüstung ein. Eine Welt ohne Atom- und Massenvernichtungswaffen bleibt unser Ziel. Wir unterstützen regionale Initiativen für Zonen, die frei von Massenvernichtungswaffen sind, und setzen uns nachdrücklich dafür ein, dass im Rahmen eines gesamteuropäischen Abrüstungsvertrages die verbliebenen taktischen Atomwaffen aus Deutschland und Europa abgezogen werden. Die Vernichtung syrischer Chemiewaffen unter internationaler Aufsicht sowie die erreichte Übereinkunft über das iranische Atomprogramm sind wichtige Erfolge für die weltweite Abrüstung. Neue Initiativen zur Belebung von Abrüstung sind jedoch dringend erforderlich.

Um diese Ansätze auch glaubhaft umsetzen zu können, ist die Eindämmung der Rüstungsexporte zwingend erforderlich. Die SPD hat deshalb in der Bundesregierung eine transparente und restriktive Rüstungsexportpolitik durchgesetzt. Diese Politik gilt es weiter und konsequenter, etwa in rechtlichen Verbindlichkeiten, fortzusetzen. Auch die rasant fortschreitende Automatisierung von Waffensystemen stellt uns vor große Herausforderungen. Wir fordern eine völkerrechtliche Ächtung von autonomen Waffensystemen. Darüber hinaus setzen wir uns dafür ein, dass neue Waffensysteme international rüstungskontrollpolitisch und abrüstungspolitisch erfasst und in ein internationales Regelwerk einbezogen werden. Dies gilt insbesondere für den militärisch bedeutender werdenden Bereich der unbemannten Luftfahrzeuge (Drohnen). Völkerrechtswidrige Tötungen durch unbemannte Luftfahrzeuge lehnen wir kategorisch ab. Waffenexporte in Spannungsgebiete und in Länder mit schwerwiegenden Verletzungen von Menschen- und Bürgerrechten sind verboten, es sei denn, im Einzelfall ist durch besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen ein Ausnahmefall festzustellen.

Bereits im Januar 2000 hat die rot-grüne Bundesregierung „Politische Grundsätze“ (Auswärtiges Amt 2000) für Waffenexporte beschlossen, die bis heute gültig sind und europaweit weiterhin das restriktivste Waffenexport-Kontrollregime darstellen. Leider sind diese „Politische[n] Grundsätze“ bis vor wenigen Jahren immer weniger konsequent angewandt, ja in der Praxis ausgehöhlt worden. Dies wird an den Exportstatistiken und dem Rang, den Deutschland im Kreis der wichtigsten Waffenexportländer weltweit einnimmt, deutlich sichtbar. Besondere Aufmerksamkeit ist beim Export von sogenannten Kleinwaffen geboten, da gerade diese in opferreichen lokalen und regionalen Konflikten zur Anwendung kommen. Es war daher richtig, hier neue und effektive Restriktionen einzuführen. Arbeitsplatzinteressen in der Rüstungsindustrie dürfen nicht gegen friedenspolitische und konfliktvermeidende Kriterien in der Genehmigungspraxis ausgespielt werden. Die SPD ist für eine restriktivere Rüstungsexportpolitik und spricht sich gegen Waffenlieferungen in Krisenregionen aus. Hier hat der ehemalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel – auch gegen den Widerstand der Unionsparteien -wichtige eigene Akzente gesetzt, auch wenn diese der Opposition naturgemäß nicht weit genug gehen.

7. Zivile Krisenprävention und humanitäre Hilfe

Für die SPD ist klar, dass zivile Krisenprävention und Krisenmanagement Schwerpunkte deutscher und europäischer Außenpolitik bleiben müssen. Sie hat zusammen mit der Fraktion Bündnis90/Die Grünen ausgehend vom Aktionsplan zur zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung aus dem Jahr 2004 die Instrumente ziviler Krisenpolitik maßgeblich geprägt (Auswärtiges Amt 2004). Mit dem Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) und dem Personalpool ziviler Fachkräfte wurden sehr erfolgreiche Instrumente auf den Weg gebracht. Wir wollen zivile Krisenprävention weiter stärken und substanzieller ausstatten.

Zivile Krisenprävention sollte nicht mit Pazifismus verwechselt werden. Gegen den internationalen Terrorismus und die Mörder des sogenannten Islamischen Staats (IS) müssen wir mit aller Entschlossenheit und militärischen Mitteln vorgehen. Mit Selbstmordkommandos kann man keine Friedensverhandlungen führen. Zugleich können militärische Mittel niemals die alleinige Antwort sein. Man braucht in erster Linie zivile Maßnahmen, um die vom IS befreiten Gebiete zu stabilisieren, die Rückkehr der Menschen zu ermöglichen und die Voraussetzung für Aussöhnung zu schaffen. Die effektivste Friedenspolitik ist diejenige, die präventiv wirkt und Konflikte eindämmt, bevor sie ausbrechen und sich zu militärischen Auseinandersetzungen entwickeln können. Es ist deshalb wichtig, dass das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) mit dem Entsendegesetz zu einer umfassenden Entsendeorganisation ausgebaut werden wird und dass das Kabinett im kommenden Jahr „neue Leitlinien für Krisenengagement und Friedensförderung“ verabschieden wird (Auswärtiges Amt 2016).

Konfliktvorsorge und humanitäre Hilfe gehören eng zusammen. Humanitäre Hilfe kann dazu beitragen, Konflikte zu mindern, in dem sie Menschen in Not ihre Existenz sichert. Angesichts der weltweit dramatischen Flüchtlingslage hat Deutschland seine humanitäre Hilfe stark erhöht. Wir setzen uns dafür ein, dass auch die internationale Gemeinschaft ihrer Verantwortung stärker gerecht wird als bisher.

8. Die Türkei, Syrien und die europäische Flüchtlingspolitik: Für eine wirksame Bekämpfung der Fluchtursachen

Weltweit sind derzeit 64 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Terror und Hunger. Das ist die höchste Zahl seit dem Zweiten Weltkrieg. Immer mehr hilfesuchende Menschen kommen auch nach Europa, insbesondere nach Deutschland, um hier Asyl zu beantragen – 2015 waren es 1 Million, im letzten Jahr über 300.000 Menschen. Bis heute ist eine stabile Mehrheit der Deutschen der Auffassung, dass wir den Vertriebenen helfen sollten, und dass wir in der Lage sind, diesen Kraftakt zu meistern. Diese bewundernswerte Zuversicht sollte nicht durch populistische Parolen und das Schüren von Ängsten ins Wanken gebracht werden. Doch genau dies tun Pegida, die Alternative für Deutschland (AfD), Markus Söder und Co., unterstützt von den europäischen RechtspopulistInnen, wie zum Beispiel dem ungarischen Ministerpräsidenten Victor Orbán, der Vorsitzenden des französischen Front National Marine Le Pen und dem niederländischen Politiker Geert Wilders. Verantwortungslose PolitikerInnen, die auf die Fragestellungen des 21. Jahrhunderts vor allem falsche und gefährliche Antworten aus dem frühen 20. Jahrhundert geben: Grenzen, Kontrolle, Überwachung. Wer solche Forderungen stellt, hat nichts begriffen und nichts aus der europäischen Geschichte gelernt.

Wir brauchen in Deutschland ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht, ein humanes Asylrecht und endlich ein Einwanderungsgesetz. Geordnete und schnelle Asylverfahren sind die Voraussetzung dafür, dass die Ankommenden gut versorgt und die, die bleiben werden, möglichst schnell integriert werden können. Wir dürfen dabei aber unsere Werte nicht preisgeben. Das Grundrecht auf Asyl darf in Deutschland nicht zur Disposition stehen. In Artikel 16a des Grundgesetzes heißt es schließlich politisch Verfolgte genießen Asyl und nicht bis zu 100.000 politisch Verfolgte genießen Asyl. Was wird mit dem 100.001 Flüchtling? Wird er zurückgeschickt, auch wenn er in seiner Heimat um Leib und Leben fürchten muss? Sowohl Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention, als auch die Europäische Menschenrechtskonvention garantieren in jedem Einzelfall Schutz vor Zurückweisung an der Grenze. Feste Obergrenzen können gar nicht definiert werden, denn sie ließen sich nur durch eine Abschaffung des individuellen Asylrechts im Grundgesetz erreichen. Und wir dürfen die Flüchtlinge nicht zu potenziellen Tätern stempeln. Sie fliehen genau vor den Mörderbanden, denen die Menschen in Berlin, Paris, Beirut, auf dem Sinai und Mali zum Opfer gefallen sind.

Die Flüchtlingskrise ist zweifelsohne eine der größten europäischen Herausforderungen und wir müssen sie letztlich europäisch lösen. Dabei sind wir auf etwas angewiesen, das es bisher so nicht gab: europäische Solidarität. Wir brauchen eine gerechtere Lastenteilung und europäische Kontingente. Diese sind auch eine Möglichkeit, den Schleppern die Geschäftsgrundlage zu entziehen. Wir stehen zudem vor der gewaltigen Herausforderung, die Ursachen und Folgen von Flucht wirksamer als bisher zu bekämpfen. Für Letzteres ist das Abkommen mit der Türkei ein ganz wesentlicher Baustein. Deutschland und die EU müssen zugleich deutliche Worte zum Abgleiten der Türkei in eine Präsidialdiktatur und zur völlig unverhältnismäßigen Reaktion Präsident Erdogans auf den Putschversuch von 2016 finden. Auch die militärische Eskalation im Kurdenkonflikt und die zunehmend problematische Rolle der Türkei in Syrien und im Irak gehörten auf die Tagesordnung. Wir dürfen nicht nachlassen in unseren Bemühungen um eine humane, gemeinsame und solidarische europäische Flüchtlingspolitik, die zugleich die große Errungenschaft offener Grenzen in Europa sichert.

9. Die innere Sicherheit und die Reform der Bundeswehr

Angesichts der unmittelbaren Terrorgefahr brauchen wir eine gute finanzielle und materielle Ausstattung der Sicherheitsbehörden, effektive und kontinuierliche Präventionsmaßnahmen und wirksame Konzepte für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Aktionismus und Symbolpolitik helfen uns nicht weiter. Wir brauchen vielmehr eine Politik, die die bestehenden Gesetze konsequent anwendet, nachhaltig für Sicherheit sorgt und die noch stärker die Zusammenarbeit mit unseren europäischen Nachbarn sucht, denn weder der internationale Terrorismus noch die organisierte Kriminalität und die Cyberkriminalität machen an unseren Grenzen halt. Die SPD-Bundestagsfraktion fordert eine Aufstockung des Polizeipersonals um 12.000 Stellen und eine Stärkung unserer Justiz ein. Durch entsprechende Haushaltsbeschlüsse im Jahr 2016 haben wir in diesem Bereich bereits viel verbessern können. Verfahren müssen schneller abgewickelt und Straftaten konsequenter verfolgt werden (SPD-Bundestagfraktion 2016b).

Grundgesetzänderungen zur Ausweitung des Einsatzes der Bundeswehr im Inneren lehnt die SPD strikt ab. Die Gewährleistung der Inneren Sicherheit ist und bleibt Aufgabe von entsprechend ausgebildeten PolizeibeamtInnen. Zudem lässt das Grundgesetz bereits heute zu, dass die Bundeswehr bei besonders schweren Unglücksfällen, also auch bei terroristischen Großlagen, eingesetzt werden kann. Dazu sind aber weder die Ausweitung der Befugnisse der Bundeswehr noch die Änderung der Verfassung erforderlich. Die Bundeswehr übernimmt heute in verschiedenen Auslandseinsätzen im Rahmen der Vereinten Nationen, der EU und der NATO große Verantwortung für Stabilität und Sicherheit in der Welt. Grundsätzlich gilt bei Auslandseinsätzen: Eine Beteiligung der Bundeswehr an bewaffneten Auslandseinsätzen erfolgt nur im Rahmen der Vereinten Nationen, auf der Grundlage des Völkerrechts sowie im Rahmen gegenseitiger kollektiver Sicherheit nach Art. 24 Abs. 2 des Grundgesetzes. Voraussetzung ist die Zustimmung des Deutschen Bundestags im Sinne des Parlamentsvorbehalts. Die Bundeswehr ist und bleibt eine Parlamentsarmee. Allen Versuchen der Union dies durch eine Art Nationalen Sicherheitsrat oder einen Entsendeausschuss aufzuweichen, erteilen wir eine klare Absage. Ein militärischer Beitrag Deutschlands muss immer in ein politisches Gesamtkonzept eingebettet und völkerrechtlich mandatiert sein. Damit die Bundeswehr ihren Auftrag als moderne und attraktive Freiwilligenarmee ausführen kann, muss die Reform und Neuausrichtung der Bundeswehr konsequent weitergeführt werden.

10. Deutschlands Verantwortung in der Welt

Die entscheidende Frage lautet, ob wir künftig tatsächlich in einer Welt leben wollen, in der anstelle des Völkerrechts und demokratischer Werte nur noch das Recht des Stärkeren herrscht. Es geht in den heutigen Konflikten auch um die Gestaltung der normativen Grundlagen der künftigen internationalen Ordnung. Dabei bleibt die größte Herausforderung, die vor uns liegt, Europa als außenpolitischen Akteur handlungs- und gestaltungsfähig zu machen. Dazu braucht die Europäische Union eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die tatsächlich gemeinsam handelt und nicht nur gemeinsame Erklärungen abgibt.

In einer Welt, in der der virtuelle Raum oft wichtiger ist als der reale, in der Waren- und Geldströme keine Grenzen mehr kennen, ebenso wenig wie TerroristInnen und multinationale Konzerne, ist und bleibt das geopolitische Nullsummenspiel eine Strategie von gestern, die den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht gerecht wird. Sozialdemokratische Außen- und Sicherheitspolitik steht für all das, was derzeit von der „Internationale der autoritären Populisten“ (Mützenich 2016) in Frage gestellt wird.

Literatur

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Autor: 
Von Rolf Mützenich
Veröffentlicht: 
Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik 2/2017, S. 1-13