China: Partner und systemischer Rivale
Fremde Federn: Rolf Mützenich und Carsten Schneider
Der EU-China-Gipfel könnte eine Zäsur für die Fortentwicklung der Beziehungen zwischen der EU und China markieren. Das Treffen fällt in eine Zeit, in der die Debatte über die Unterzeichnung eines "Memorandums of Understanding" zur Beteiligung Italiens an der Seidenstraßeninitiative deutlich gemacht hat: Für Europa geht es in den kommenden Jahrzehnten um die Einheit und Selbstbehauptung in einer sich rasant verändernden Welt! Mehr noch: Das zwei Tage nach dem EU-China-Gipfel stattfindende Treffen der chinesischen Regierung mit 16 Staaten Mittel- und Osteuropas macht deutlich, dass die Gefahr einer auch von außen betriebenen Spaltung der EU real ist. Es fällt auf, dass China mit der Präsidentschaft von Xi Jinping zunehmend offensiv mit dem Anspruch auftritt, Modell für andere Staaten zu sein. Es ist für China leichter, mit einzelnen oder wenigen EU-Ländern zu verhandeln als mit der EU und ihren Institutionen als Ganzes. Vor diesem Hintergrund ist es an der Zeit, dass wir die strategische Ausrichtung unseres Verhältnisses zu China neu vermessen.
Europa muss im Verhältnis zu China künftig Chancen und Risiken gleichermaßen betonen. Die EU-Staats- und -Regierungschefs haben bereits damit begonnen, dieses Spannungsfeld neu auszurichten. Angesichts der auch in Europa zunehmend offensiven Außenwirtschaftspolitik der Volksrepublik China, nicht zuletzt im Rahmen der Seidenstraßeninitiative, ist dies von großer Bedeutung. Das Strategiepapier, das die EU-Kommission zusammen mit der Außenbeauftragten Federica Mogherini verfasst hat, setzt richtige, neue Akzente. China ist darin beides: wichtiger Partner, aber eben auch "systemischer Rivale". Aus volkswirtschaftlicher Perspektive und auch aus Sicht des BDI setzt China "Marktmechanismen punktuell und graduell" ein, wohingegen "für Europa der Markt das zentrale Ordnungsprinzip der Wirtschaft ist". Aus unserer Sicht gilt: Die Begrenzung wirtschaftlicher Macht, der Schutz von abhängig Beschäftigten und Verbrauchern, Umweltschutz sowie die Verankerung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sind für die EU von elementarem Interesse. Daraus folgt, dass wir unsere gemeinsamen Interessen deutlicher artikulieren und priorisieren müssen. Priorität haben die Einheit Europas und der europäische Beitrag für ein friedliches Zusammenleben. Es muss trotz und gerade wegen der aktuellen europapolitischen Herausforderungen deutlich werden: Europa steht zusammen und lässt sich nicht spalten. Deutsche Außenpolitik muss dies nicht nur nach außen gegenüber unseren Partnern in Peking oder Washington vertreten, sondern ebenso in die europäische Wertegemeinschaft hinein. Allen Mitgliedstaaten muss klar sein: Die Mitgliedschaft in der EU ist an die Einhaltung und Beachtung grundlegender Werte und Regeln gebunden, die im Außenverhältnis um kurzfristiger Vorteile willen nicht relativiert werden dürfen. Die Bundesregierung sollte die Frage der Einheit Europas in ihren Außenbeziehungen auf Grundlage gemeinsamer Werte und Interessen auf die Tagesordnung setzen. Denn: Ein geschlossenes Auftreten in einer multipolaren Welt ist eine Grundvoraussetzung, um gemeinsame europäische Interessen vertreten zu können. Die europäischen Nationalstaaten sind in einer globalisierten Welt zu schwach, um ihre Interessen zu wahren und größeren Partnern wie China auf Augenhöhe gegenübertreten zu können.
Angesichts des für die Weltwirtschaft unverändert bedrohlichen und weiter schwelenden handelspolitischen Konflikts zwischen China und den Vereinigten Staaten stellt sich für die EU die Frage, welche Optionen sich für die Wahrung europäischer Interessen hierdurch ergeben. China hat offenkundig angesichts des Konflikts mit Amerika und auch wegen des sich weiter abschwächenden Wirtschaftswachstums ein wachsendes Interesse an guten Beziehungen zur EU. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil nicht erkennbar ist, ob und wann der von Präsident Trump begonnene Handelskonflikt gelöst werden kann. Auszuschließen ist nicht, dass Trump aus innenpolitischen Motiven mit Blick auf die 2020 stattfindenden Präsidentschaftswahlen und die Mobilisierung wichtiger Wählergruppen die handelspolitische Auseinandersetzung weiter in die Länge zieht oder gar eskaliert. Vor diesem Hintergrund und angesichts des nachlassenden Wachstums in China, das für die politische Führung des Landes zu einem innenpolitischen Problem werden kann, ist die Zeit günstig, um Kernanliegen deutlicher als bislang in den Dialog einzubringen. Dies betrifft unter anderem die Schaffung eines sogenannten "level playing fields", etwa den fairen Marktzugang für europäische Unternehmen in China oder die Umgehung von Handelsschutzmaßnahmen.
Kein Zweifel besteht darüber, dass China für Deutschland und Europa ein bedeutender und zentraler Partner ist, den wir auch zur Lösung der globalen Probleme und zur Gestaltung einer stabilen Weltordnung brauchen. Angesichts wachsender Unsicherheitsfaktoren, internationaler Krisen und globaler Herausforderungen kommt der Zusammenarbeit und Abstimmung von EU und China eine immer größere Bedeutung zu. Wir wollen dies vor allem kooperativ gestalten. Dennoch muss China akzeptieren, dass sich Europa als Werte- und Interessengemeinschaft nicht spalten lässt. Es ist an uns, nun auch deutlich zu signalisieren: Unser Gesellschaftsmodell kann nicht unterminiert oder relativiert werden. Europa wird künftig seine Interessen selbstbewusst und kooperativ - aber im Gegensatz zur aktuellen amerikanischen Regierung nicht konfrontativ - vertreten müssen. Wir wollen uns nicht an einer Strategie der Eindämmung beteiligen, sondern an einer Strategie der Einbindung und des Respekts. Wenn der von der EU-Kommission in ihrem Strategiepapier eingeführte Begriff der "systemischen Rivalität" dazu beiträgt, in Peking eine neue und erweiterte Sichtweise auf die gemeinsame Zukunft deutlich zu machen, wäre dies ein wichtiger Schritt, um die Beziehungen im beiderseitigen Interesse fortzuentwickeln.
Carsten Schneider, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion
Rolf Mützenich, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion