China und Lateinamerika - Brückenschlag zwischen ungleichen Handelspartnern
China gilt als die kommende "Weltmacht". Wegen seines rasanten Wirtschaftswachstums ist der drittgrößte Flächenstaat der Erde für die Länder Lateinamerikas "beinahe ein "Angstgegner" - und dabei zugleich ein Handelspartner, der für den Kontinent immer wichtiger wird". China ist heute die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt und hat sich in der Rangliste der globalen Handelsmächte von Platz 26 (1980) auf Platz drei (seit 2004) hinter den USA und Deutschland hochgearbeitet. Der chinesische Außenhandel scheint zudem der weltweiten Rezession zu trotzen: "Trotz globaler Konjunkturabkühlung und Finanzkrise sind Chinas Exporte von Januar bis September 2008 um 22,3 Prozent auf US-Dollar 1.074 Milliarden US-Dollar, die Importe um 29 Prozent auf 893,1 Milliarden US-Dollar gestiegen. Dadurch hat China einen Handelsüberschuss von 181 Milliarden US-Dollar erzielen können, der im Vergleich zum Vorjahreszeitraum jedoch tendenziell rückläufig (-2,6 Prozent) ist."
In den Ländern Lateinamerikas, deren Ökonomien auf dem Export von Rohstoffen und Agrargütern basieren, wird Chinas neue Rolle auf dem Weltmarkt überwiegend positiv betrachtet, denn die große Nachfrage Chinas nach Primärgütern sorgt für höhere Rohstoffpreise. Dies gilt für die Agrarländer des Mercosur und die rohstoffreichen Länder der Andengemeinschaft sowie für Chile. Gerade aufgrund der weltweiten Wirtschaftskrise setzen viele Rohstoffexporteure Lateinamerikas auf China, da das Reich der Mitte im Gegensatz zu den USA, Japan und Europa nicht auf eine Rezession zusteuert. "Die Wirtschaftsinteressen Südamerikas, dessen Exporte etwa zur Hälfte aus Rohstoffen bestehen, und Chinas, dessen brummende Wirtschaft die beständige Sicherung des Zugriffes auf Rohstoff- und Energiequellen verlangt, sind gut miteinander vereinbar. Die Strategie der chinesischen Regierung ist es, durch Investitionen in den Herkunftsländern die direkte Kontrolle über die benötigten Ressourcen zu erlangen."
Prekär hingegen ist die Lage für die Länder, deren Wirtschaftsmodell mehrheitlich auf dem Export von Industriegütern wie Textilien, Bekleidung und Elektronik basiert. Der erhöhte Wettbewerbsdruck durch China aufgrund der ähnlichen Wirtschaftsstruktur erschwert den Export vor allem auf dem für diese Regionen essenziell wichtigen US-Markt. Hier wächst die Angst vor der chinesischen Konkurrenz. Indem Fertigwaren "Made in China" weltweit Importmärkte penetrieren und gezielt Wettbewerber verdrängen, ist die Volksrepublik zu einem Störfaktor im Welthandel geworden. Nicht zuletzt dadurch führt die hohe Rohstoffnachfrage Chinas im Fall von Mittelamerika zu einer zusätzlichen Verteuerung der Einfuhr von Erdöl und Vorleistungsgütern.
Wirtschaftsbeziehungen
Nach wie vor größter Handelspartner Lateinamerikas sind die USA, mit großem Abstand gefolgt von der EU. Waren die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Lateinamerika und China bis Mitte der 90er Jahre noch relativ unbedeutend, ist Lateinamerika mittlerweile für Chinas ressourcenintensives Wachstum ein zunehmend wichtiger Liefermarkt geworden und daher auch von strategischer Bedeutung. Chinesische Investitionen im lateinamerikanischen Rohstoff- und Infrastruktursektor haben in den letzten Jahren deshalb deutlich zugenommen. Neben den Vereinigten Staaten ist China der zweitgrößte Rohöl-Importeur und mit 7,4 Millionen Barrel pro Tag - dies entspricht 9 Prozent des Ölkonsums weltweit - auch der zweitgrößte Ölverbraucher der Erde. Große Mengen des schwarzen Goldes bekommt die Volksrepublik vom Handelspartner Venezuela geliefert. Auf seiner Lateinamerikareise im Februar 2009 verkündete der chinesische Vizepräsident Xi Jinping, dass Venezuela mittlerweile der viertgrößte Öllieferant Chinas sei und der Handel zwischen beiden Ländern im vergangenen Jahr bereits ein Volumen von 9,85 Millionen US-Dollar gehabt habe.
Auch Brasilien spielt eine wichtige Rolle als Rohstofflieferant von China. Im Februar 2009 unterzeichneten beide Staaten ein Abkommen, welches dem Reich der Mitte Öllieferungen zwischen 100.000 und 160.000 Barrel pro Tag zusichert. Außerdem wurde eine Absichtserklärung unterzeichnet, wonach der staatliche brasilianische Ölkonzern Petrobras von der ebenfalls staatlichen Chinesischen Entwicklungsbank zehn Milliarden US-Dollar geliehen bekommt, die er für die Erschließung neuer Felder benötigt. In Brasilien werden unter anderem größere Ölvorkommen vor den Küsten vermutet. Bis Mai, wenn Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silva Beijing besucht, wird das Kreditabkommen ausgehandelt sein.
Aber Brasilien ist nicht nur Öllieferant, sondern auch weltgrößter Exporteur von Eisenerz. In diesem Jahr wird China voraussichtlich 20 Prozent seiner Gesamteinfuhren an Eisenerz aus Brasilien beziehen. Mittlerweile ist China der zweitwichtigste Handelspartner des lateinamerikanischen Staates. ?Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind symptomatisch für die Verschiebungen im internationalen Handel durch den Aufstieg Chinas. Bis vor wenigen Jahren spielte sich das Gros des internationalen Warenaustauschs zwischen den Industriestaaten ab, bestenfalls noch zwischen diesen und den großen Rohstofflieferanten unter den Entwicklungsländern.?
Lateinamerika ist Chinas Hauptlieferant für Kupfererze, wobei Chile und Peru mehr als 50 Prozent liefern. Große Interessen haben die Chinesen darüber hinaus in der Agrarindustrie. China ist einer der wichtigsten Abnehmer für Soja und andere landwirtschaftliche Produkte aus Brasilien und Argentinien. Im Frühjahr 2005 verkündete die chinesische Regierung, die Subventionen für den Weizenanbau zu verzehnfachen. Für die höhere Weizenproduktion müssen die Bauern auf den Anbau anderer Produkte verzichten: So meldete die Staatsagentur im Mai 2005, dass sich die Einfuhren landwirtschaftlicher Güter von 2002 auf 2004 verdoppelt hätten. Insbesondere bei Sojabohnen und Baumwolle. Davon profitieren Brasilien und Argentinien als größte Produzenten von Sojabohnen nach den USA. Auch im Februar 2009 stiegen die generellen chinesischen Sojaeinfuhren gegenüber Februar 2008 um 61 Prozent, "da die Einkäufer und Weiterverarbeiter in China die niedrigen Weltmarktpreise der proteinhaltigen und als Nahrungsmittel in der Volksrepublik beliebten Bohnen steigerten". Der steigende Fleischkonsum in China stellt ebenfalls eine große Chance für Brasilien und Argentinien dar, die schon heute 20 Prozent der chinesischen Importnachfrage nach Fleisch decken.
Einen weiteren positiven Effekt für die Länder Lateinamerikas bietet der Ausbau des Tourismusgeschäfts. Mit der Öffnung Chinas und dem höheren Einkommen seiner Bürger hat auch der Ferntourismus begonnen. Bisher haben Argentinien, Brasilien und Mexiko den Status erhalten, der Gruppenreisen aus China in diese Länder erlaubt.
Alles in allem hat sich der Handelsaustausch zwischen Lateinamerika und China in den vergangenen Jahren äußerst dynamisch entwickelt: Die Gesamtausfuhren Lateinamerikas nach China stiegen zwischen 1999 und 2004 um durchschnittlich mehr als 50 Prozent pro Jahr, während die Importe Lateinamerikas aus China jährlich um rund 25 Prozent zunahmen. Insgesamt hat sich der bilaterale Handel zwischen China und Lateinamerika seit 2000 verzehnfacht und liegt jetzt bei 143 Milliarden US-Dollar jährlich. China ist mit einem Anteil von 4,3 Prozent am lateinamerikanischen Außenhandel der drittwichtigste Handelspartner des Kontinents.
Die auf starke Kapitalzuströme angewiesenen Länder Lateinamerikas sehen im chinesischen Engagement eine Möglichkeit, sich zumindest teilweise aus der Abhängigkeit von Europa und den USA zu lösen. Vor allem links orientierte Regierungen sehen China als einen willkommenen Gegenpart zur USA, mit dessen Hilfe der US-amerikanische Einfluss begrenzt werden könnte. Gleichzeitig gibt es aber auch kritische Stimmen, die darauf hinweisen, dass China die lateinamerikanischen Länder vor allem als billige Rohstofflieferanten sieht und damit eine Handelsstruktur schafft, die im Grunde genommen die alten kolonialen Muster fortsetzt.
China als Konkurrent
China ist jedoch nicht nur Partner, sondern tritt zunehmend auch als Konkurrent auf. Die lateinamerikanische Industrie gerät auf den Binnenmärkten wie international zunehmend unter den Druck der chinesischen Konkurrenz, die die entsprechenden Güter erheblich günstiger anbietet. Das gilt insbesondere für die auf den US-Markt ausgerichtete Lohnveredelungsindustrie (Maquilas). Dieser Wirtschaftssektor, der in den meisten mittelamerikanischen Staaten das Rückgrat des Wirtschaftsmodells bildet, steht mittelfristig aufgrund der wesentlich günstigeren asiatischen - nicht nur chinesischen - Anbieter vor erheblichen Problemen. Der Anteil Chinas an den US-Importen von Bekleidung hat sich seit 2000 drastisch erhöht: "Mittlerweile haben in Honduras ein Dutzend Maquila-Fabriken ihre Tore geschlossen, in Guatemala etwa zwei Dutzend (rund 10 Prozent des Bestandes insgesamt). In El Salvador mehren sich die Indizien, dass die Direktinvestitionen in der Bekleidungs-Maquila rückläufig sind (...)".
Die mittelamerikanischen Unternehmen müssen sich deshalb auf ihre Wettbewerbsstärke im Vergleich zur chinesischen Konkurrenz besinnen: ihre Standortnähe zum US-Markt. "Spätestens seit dem Wettbewerbsdruck von chinesischer Seite ist klar, dass die national und regional integrierte Maquila weitaus größere Chancen hat, sich auf dem US-Markt zu behaupten. Die Regierungen und die regionalen Institutionen sind gefordert, diesen Übergang im Bereich Textilien und Bekleidung durch verbesserte Dienstleistungen sowie Koordinierung und Förderung moderner Infrastruktur zu erleichtern." Chinas Vordringen auf die Märkte Lateinamerikas eröffnet den Ländern zugleich die Möglichkeit, ihrerseits den gigantischen chinesischen Markt für ihre Produkte zu öffnen.
Doch gerade für die mittelamerikanischen Staaten, von denen kein Land in der Lage ist, eine Führungsposition wie Brasilien einzunehmen, kann sich das Tor nach China in wirtschaftlicher Hinsicht nur dann öffnen, wenn sie ihren eigenen Integrationsprozess mit der Gründung einer zentralamerikanischen Freihandelszone forcieren und gemeinsam wie der Mercosur als eigenständiger Akteur auftreten.
Chinesische Investitionen
Bisher waren die EU und die USA mit Abstand die wichtigsten Investitionspartner Lateinamerikas und China als Direktinvestor relativ unbedeutend. Lateinamerika war für China lange Zeit weit entfernt und zudem als "Hinterhof der USA" suspekt. Dies änderte sich jedoch in den 80er Jahren. Vor allem mit Brasilien und Argentinien wurde eine wirtschaftlich-technische Zusammenarbeit aufgenommen, die sich auf Projekte der zivilen Nutzung der Kernenergie, der Luft- und Raumfahrt sowie chinesische Rüstungsexporte erstreckte. Brasilien wurde 2003 offiziell zum ?strategischen Partner? der Volksrepublik China. Damit wurde der Tatsache Rechnung getragen, dass Brasilien der wichtigste Handelspartner Chinas ist (die Exporte Brasiliens nach China wuchsen von 1999 bis 2004 von 676 Millionen auf 5,4 Milliarden US-Dollar), gefolgt von Argentinien und Chile.
?Chinas Gesamtinvestitionen in die Region betrugen 2004 etwa 4,06 Milliarden US-Dollar. Die Kapitalflüsse betrugen im Jahr 2003 1,04 Milliarden US-Dollar und entsprachen damit mehr als einem Drittel der totalen ausländischen Investitionen Chinas (2,85 Milliarden). Der Großteil der Gelder fließt nach Brasilien, Mexiko, Chile, Argentinien, Peru und Venezuela und wird dort vor allem in den für China wichtigen Energiesektor investiert.? Lateinamerika benötigt dringend ausländisches Kapital und die chinesischen Unternehmen sind bereit, in Lateinamerika zu investieren. Bei einer Lateinamerika-Reise des chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao im Anschluss an die Jahrestagung des APEC (Asia-Pacific-Economic-Cooperation Forum) vom 17. bis zum 21. November 2004 in Santiago de Chile wurden milliardenschwere Investitionen vereinbart.
Die Direktinvestitionen konzentrieren sich auf den Ausbau der Hafeninfrastruktur und der Eisenbahnverbindungen, auf die Erschließung von Kohle- und Erzbergwerken sowie von Erdgas- und Erdölvorkommen, auf die Errichtung von Stahlwerken und den Bau von Aluminiumschmelzen. So will China allein in Argentinien in den kommenden zehn Jahren fast 20 Milliarden US-Dollar investieren. Diese Gelder sollen vor allem der Infrastruktur zugutekommen. "Für das zweitgrößte südamerikanische Land, das sich sehr langsam von dem dramatischen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Kollaps der letzten Jahre erholt, ist dieses Engagement der Chinesen elementar, um sich aus der Abhängigkeit von den US-amerikanischen und europäischen (vor allem spanischen) Konzernen zu befreien. Zudem ist Argentinien, das sich wie weitere lateinamerikanische Länder (zum Beispiel Brasilien) zunehmend von den internationalen Finanzinstitutionen IWF und Weltbank abkoppelt, dringend auf ausländisches Kapital angewiesen. Eine Win-win-Situation, vorteilhaft für beide Seiten, so die einhellige Meinung im November 2004."
Mit Brasilien wurde die Errichtung einer Erdölpipeline vereinbart sowie der Ausbau von Stahl und Aluminiumwerken, Häfen und Schienenverkehr. Insgesamt kündigte Hu Jintao 2004 in einer Rede vor dem brasilianischen Kongress chinesische Direktinvestitionen in Lateinamerika in Höhe von 100 Milliarden US-Dollar bis 2010 an. Dieses Ziel wurde bereits 2007 übertroffen. Das entspricht ungefähr einem Fünftel des Gesamtbestandes ausländischer Direktinvestitionen in der Region im Jahre 2004. Ende 2008 investierte China 350 Millionen US-Dollar in die Inter-American Development Bank, um Langzeitengagement zu demonstrieren. Verglichen mit den Investitionen von europäischem und US-amerikanischem Kapital ist diese Summe jedoch gering.
Ende 2008 bereiste der chinesische Präsident Hu Jintao mit einer 600-köpfigen Delegation Kuba sowie Costa Rica und nahm abermals am Gipfel der APEC teil und demonstrierte so das selbstbewusste wirtschaftliche Engagement Chinas in Lateinamerika. Die französische Nachrichtenagentur AFP berichtete, dass Hu auf jeder Station "ein Heldenempfang" bereitet wurde. Das ist ein Zeichen für Chinas wachsende Wirtschaftskraft und sein politisches Durchsetzungsvermögen.
In Zukunft könnten die lateinamerikanischen Länder für China nicht nur zur Sicherstellung von Rohstoffen und Agrarerzeugnissen interessant sein. Denkbar sind chinesische Direktinvestitionen auch im Konsumgüter-, Telekommunikations-, Informatik- und Elektronikbereich, die der Versorgung der Binnen- und Inlandsmärkte dienen. Ein Beispiel für eine solche chinesische Direktinvestition ist der erste Satellit Venezuelas, den China am 30. Oktober 2008 für das lateinamerikanische Land startete. Im Gegenzug dazu stimmte der venezolanische Präsident Hugo Chávez auf seiner Pekingreise 2008 zu, die täglichen Öllieferungen auf 200.000 Barrel zu verdoppeln.
Doch die Zuwendungen aus China haben auch ihren politischen Preis. Die Regierung in Peking verlangt, dass die südamerikanischen Länder China den Status einer Marktwirtschaft einräumen. Bereits 15 Staaten Lateinamerikas haben China diesen Status gewährt. "Chile war der erste Staat außerhalb des asiatischen Raumes, der 2005 ein Freihandelsabkommen mit China unterzeichnete, nachdem es die USA als Chiles größten Handelspartner abgelöst hatte." Die Welthandelsorganisation WTO stuft China bisher als wirtschaftliches Übergangsland ein, überlässt es aber jedem einzelnen Handelspartner Chinas eine andere Einstufung vorzunehmen. Laut WTO-Regeln ist es gegenüber einem Land mit dem Status einer Marktwirtschaft sehr viel schwieriger, einseitige Antidumping-Maßnahmen zu ergreifen. Damit haben die Chinesen wesentlich bessere Chancen, sich gegen die zahlreichen Antidumpingklagen zu wehren.
Die USA und die EU lehnen aus diesem Grund eine Anerkennung Chinas als Marktwirtschaft nach wie vor ab. Einige Länder Lateinamerikas überlegen, den Marktwirtschaftsstatus wieder auszusetzen. "Allerdings droht die Volksrepublik für diesen Fall mit der Reduzierung der Sojaquoten. Besonders für die Argentinier eine Zwickmühle: Bei Soja und Sojaprodukten ist China der wichtigste Handelspartner des Landes. Zudem nehmen die chinesischen Investoren keine große Rücksicht auf die lokale Bevölkerung. So in Peru, wo die Bohrungen chinesischer Erdölfirmen im Amazonasgebiet wegen der Schäden für die Umwelt und fehlender Rücksicht auf die Interessen der indigenen Bevölkerung für Aufregung sorgen. Nach der Euphorie im November 2004 ist in Argentinien erste Ernüchterung eingekehrt. Und von einer Win-win-Situation ist längst nicht mehr die Rede."
China als politischer Akteur und Weltmacht von morgen
Mit der ökonomischen wächst auch die politische Bedeutung der Volksrepublik China. Ob es um Nordkorea, die Krise im Nahen Osten oder die UN-Reform geht - China wird immer mehr zu einem unverzichtbaren Akteur innerhalb der internationalen Gemeinschaft. Und so wird erwartet, dass China zu seiner neuen Rolle steht und Verantwortung übernimmt -natürlich nach den Regeln der westlichen Mächte und im Rahmen der von ihnen bestimmten Ordnung. Demgegenüber hat die chinesische Führung allmählich und fast unbemerkt von der immer noch aus der Position der Stärke operierenden westlichen Welt damit begonnen, ihre eigenen Regeln aufzustellen. Denn aus chinesischer Sicht ist nicht Chinas Aufstieg schuld an Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und politischer Instabilität in den westlichen Staaten, sondern deren Unfähigkeit, wirksame Antworten auf das chinesische Entwicklungsmodell mit hohem Wirtschaftswachstum, wachsender Mittelschicht und relativer politischer Stabilität zu finden.
Neben dem weiteren Ausbau der ökonomischen, wissenschaftlich-technischen und kulturellen Beziehungen mit den führenden kapitalistischen Ländern ist die Vertiefung der Beziehungen zu den Entwicklungsländern ein weiterer Schwerpunkt der chinesischen Außenpolitik von heute. Obwohl in den chinesischen Beziehungen zu den Länden der so genannten "Dritten Welt" der Sicherung der benötigten Rohstoffressourcen Priorität eingeräumt wird, fühlt sich China zugleich aber auch als Sachwalter der Interessen dieser Länder.
China unterstützt die Diskussion über eine Reform in den Vereinten Nationen und fordert dabei eine Stärkung der Rolle des UN-Sicherheitsrates und eine stärkere Position der Entwicklungsländer innerhalb der UN-Generalversammlung. China engagiert sich zudem mit Verbänden im Rahmen von UN-Friedenserhaltungsmissionen. Entsprechend seiner Vorstellung einer multipolaren Weltordnung hat China in den letzten Jahren insbesondere die Beziehungen zur Europäischen Union zu einer strategischen Partnerschaft ausgebaut. Ein weiteres Beispiel ist Chinas Annäherung an die Vereinigung südostasiatischer Staaten (ASEAN). Auch das Engagement Chinas innerhalb der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, in der China mit Russland und den zentralasiatischen Staaten kooperiert, zeigt deutlich, dass Chinas Außenpolitik nicht nur von wirtschaftlichen Interessen geprägt ist. An dieser Politik lassen sich die Konturen der neuen wirtschaftlichen und politischen Weltordnung erkennen, die die chinesische Volksrepublik anstrebt.
Chinas Außenhandel und die Menschenrechte
In einigen Ländern Lateinamerikas werden die Menschenrechte weiterhin verletzt, so zum Beispiel in Guatemala und auf Kuba. Zu diesem Schluss kommt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in ihrem Jahresbericht 2007. Für viele Menschen in den betroffenen Ländern ist die Verweigerung von Menschenrechten tägliche Wirklichkeit. Besonders betroffen sind die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft wie Ureinwohner, Frauen und Kinder. Auch China wird vorgeworfen, nicht nur selbst die Menschenrechte mit Füßen zu treten, sondern auch Geschäfte mit repressiven, autokratischen und diktatorischen - kurz gefasst undemokratischen - Regimes zu machen. Doch das Land verfolgte schon immer eine Strategie der Nichteinmischung in innere, also politische Angelegenheiten anderer Staaten. Nach Meinung von Karsten Giese, Experte für chinesische Außenpolitik am German Institute of Global and Area Studies (GIGA), fördert chinesisches Engagement nicht automatisch autokratische Strukturen. Für China habe Stabilität die höchste Priorität - egal in welchem politischen System.
Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass das Argument der Menschenrechte oftmals aus protektionistischen Gründen instrumentalisiert wird. Die Länder des Südens befürchten zu Recht, dass die Industrieländer den Vorwurf einer Verletzung der Menschenrechte lediglich als Instrument einsetzen, um ihren Markt vor unliebsamen billigeren Importen aus ärmeren Ländern zu schützen. Damit werden die Menschenrechte in den Dienst der Welthandelspolitik gestellt. Von dieser offensichtlichen Tatsache einmal abgesehen, wird oft der mühevolle und langwierige Prozess vergessen, den es bräuchte, bis westliche Staaten ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit mit anderen Staaten an Fragen von Demokratie und Menschenrechte koppeln.
Chinas Regierung hat mit der Unterzeichnung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte die Verantwortung übernommen, diese Rechte zu fördern und zu schützen. Sie hat damit auch die Verantwortung übernommen, dass die Wirtschaftspolitik Menschenrechte nicht untergräbt und verletzt. Als Mitglied der WTO muss Peking diese Verpflichtung auf der internationalen und nationalen Ebene wahrnehmen.
Es ist für Demokratien westlicher Prägung durchaus angemessen, sich kritisch mit Chinas Menschenrechtspolitik auseinanderzusetzen. Doch man sollte nicht meinen, Peking ständig Lektionen erteilen zu müssen, wie es seinen demokratischen Prozess in "unserem Sinne" zu beschleunigen oder umzugestalten habe. Man sollte dem Land vielmehr Zeit lassen, seinen Weg zu finden. Das steigende Bildungsniveau größerer Bevölkerungskreise könnte beispielsweise zu einem veränderten gesellschaftlichen Verhalten führen und ? damit verbunden ? könnte auch das Wissen um die Behandlung politischer Fragen im Ausland ein Mittel sein, den Weg in Richtung einer pluralistischen und damit demokratischeren Gesellschaft zu ebnen.
Chinas (wirtschafts-)politische Beziehungen zu ausgewählten lateinamerikanischen Staaten
Die jüngsten Wahlergebnisse haben dazu geführt, dass "es in den letzten 25 Jahren in Lateinamerika selten mehr Mitte-Links Regierungen oder Präsidenten [gab; Anm. der Verfasser] als gegenwärtig". Von Venezuela bis nach Argentinien geben linke Regierungen den Ton an. Die indigene Bevölkerung hat an Einfluss gewonnen, besonders in Bolivien und Ecuador, wo die Menschen Öl und Gas unter inländischer Kontrolle sehen wollen.
China und Brasilien sind auch auf politischer Ebene Partner: Neben einem gemeinsamen Interesse an einer veränderten Weltwirtschaftsordnung sind beide Länder trotz bestehender Differenzen in der Interessengruppe der Entwicklungsländer in der WTO zusammen. Zudem unterstützt die Volksrepublik China Brasiliens Ambitionen auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.
Politisch unterhält China außerdem enge Beziehungen zu Kuba und Venezuela, das sich unter dem linksgerichteten Präsidenten Hugo Chávez zu einem entscheidenden Kritiker der USA und der interventionistischen US-Lateinamerikapolitik entwickelt hat. Im Zuge seiner Lateinamerikareise 2008 schloss Hu mit Kuba "ein Geschäft über den Export von Nickel und Zucker nach China ab, als Gegenleistung sollen Lebensmittel geliefert werden. China ist nun Kubas zweitgrößter Handelspartner."
Venezuela, der führende Ölexporteur des Subkontinents, hat von allen Ländern Lateinamerikas vermutlich die engsten Beziehungen mit China. Der venezolanische Präsident unterzeichnete bei einem Staatsbesuch im August 2006 Abkommen zur Stärkung der bilateralen Zusammenarbeit, davon zwei im Energiebereich. Zwischen 1998 und 2006 wurden 25 Abkommen mit China geschlossen. "So besitzt Chinas Ölgesellschaft CNPC heute Ölbohrlizenzen entlang des Orinoco-Flusses im Süden Venezuelas, und die Öllieferungen des OPEC-Gründungsmitgliedes an China sollen von 160.000 Barrel (Mitte 2006) auf 1,6 Millionen Barrel täglich im Jahr 2007 steigen. Und das zu einem weit unter dem Weltmarktniveau liegenden Preis. Die Volksrepublik ist auch an einer Pipeline von Venezuela über Kolumbien zur Pazifikküste interessiert." Darüber hinaus versorgt China Venezuela mit moderner Technik wie einem Kommunikationssatelliten und neuen Radarsystemen zur Grenzüberwachung und modernisiert die venezolanische Luftwaffe. "Ein weiteres pikantes Detail: Venezolaner werden in China zur Überwachung des Internets ausgebildet."
Außerdem hat China die Kandidatur Venezuelas für einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat unterstützt, im Unterschied zu den USA, die eine Kandidatur Guatemalas unterstützte. Schließlich beendete die Wahl Panamas in den Weltsicherheitsrat das Tauziehen um den frei gewordenen Sitz Lateinamerikas.
Auch Bolivien, das über reiche Erdöl- und vor allem Erdgaslagerstätten verfügt (letztere sind die zweitgrößten Lateinamerikas), sucht unter seinem linken Präsidenten Evo Morales die Nähe zu China. So besuchte der bolivianische Präsident kurz vor seinem Amtsantritt im Januar 2006 den chinesischen Präsidenten Hu Jintao. Dabei versicherte die politische Führung der Volksrepublik ernsthaftes Interesse an wirtschaftlichen Investitionen in Bolivien.
Resümee
Die Volksrepublik China hat sich dank ihres ununterbrochenen Wirtschaftswachstums von durchschnittlichen 8 bis 9 Prozent seit Beginn der Reformen zu einem regelrechten Kraftzentrum der Weltwirtschaft entwickelt, woran auch die weltweite Rezession keinen Abbruch tut. Seit 2004 rangiert das Reich der Mitte als die drittgrößte Handelsnation nur noch hinter den Vereinigten Staaten und Deutschland, aber vor Japan, Frankreich, Italien und Großbritannien. Die unmittelbare Konsequenz dieser wirtschaftlichen Erfolge ist ein neues China, das immer selbstbewusster, souveräner und aktiver versucht, die Weltpolitik der Gegenwart mitzugestalten. Insbesondere dort, wo ihre vitalen Interessen im Spiel sind, bemüht sich die Volksrepublik, sich gut zu positionieren.
Chinas Integration in die Weltwirtschaft sowie in die regionale Wirtschaft ist eine große Erfolgsgeschichte für das Land. Dabei war China - auch bedingt durch militärische Schwächen (trotz der Größe seiner Armee) und durch innenpolitische Konflikte - stets bemüht, den friedliebenden Charakter seiner wirtschaftlichen Expansion zu betonen. Diese Konzentration auf Wirtschaftswachstum und -integration statt politischer Machtausübung sollte durchaus auch in der Zukunft als ein Motiv chinesischer Außenwirtschaftspolitik ernst genommen werden. Dennoch haben sich in den letzten Jahren vermehrt die oben diskutierten Konflikte ergeben, die Chinas Rolle als rein wirtschaftliche Macht weniger glaubhaft erscheinen lassen. Insbesondere der trilaterale Wettbewerb mit Japan und den USA um Rohstoffquellen und Energievorkommen, um Freihandelsabkommen und auch um politischen Einfluss in der Region ist dabei eine Quelle potenzieller Konflikte.
China ist - mit Hilfe des Westens - zum größten Nutznießer der Globalisierung geworden. Das stellt heute eine Herausforderung dar, der koordiniert und strategisch durchdacht begegnet werden muss.