China und Lateinamerika ? Brückenschlag zwischen ungleichen Handelspartnern

China gilt als die kommende "Weltmacht". Wegen seines rasanten Wirtschaftswachstums ist der drittgrößte Flächenstaat der Erde für die Länder Lateinamerikas "beinahe ein "Angstgegner" - und dabei zugleich ein Handelspartner, der für den Kontinent immer wichtiger wird. -  China ist heute die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt und hat sich in der Rangliste der globalen Handelsmächte von Platz 26 (1980) auf Platz 3 (2004) (hinter den USA und Deutschland) hochgearbeitet. 

In den Ländern Lateinamerikas, deren Ökonomien auf dem Export von Rohstoffen und Agrargütern basieren, wird Chinas neue Rolle auf dem Weltmarkt überwiegend positiv betrachtet, denn die große Nachfrage Chinas nach Primärgütern sorgt für höhere Rohstoffpreise. Dies gilt für die Agrarländer des MERCOSUR und die rohstoffreichen Länder der Andengemeinschaft sowie Chile.

Prekär hingegen ist die Lage für die Länder, deren Wirtschaftsmodell mehrheitlich auf dem Export von Industriegütern, wie Textilien, Bekleidung und Elektronik basiert.  Der erhöhte Wettbewerbsdruck durch China aufgrund der ähnlichen Wirtschaftsstruktur erschwert den Export vor allem auf dem für diese Regionen essentiell wichtigen US-Markt. Hier wächst die Angst vor der chinesischen Konkurrenz.  Indem Fertigwaren "made in China" weltweit Importmärkte penetrieren und gezielt Wettbewerber verdrängen, ist die Volksrepublik zu einem Störfaktor im Welthandel geworden.  Nicht zuletzt führt die hohe Rohstoffnachfrage Chinas im Fall von Mittelamerika zu einer zusätzlichen Verteuerung der Einfuhr von Erdöl und Vorleistungsgütern.

Wirtschaftsbeziehungen

Nach wie vor größter Handelspartner Lateinamerikas sind die USA, mit großem Abstand gefolgt vom gemeinsamen lateinamerikanischen Markt. Waren die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Lateinamerika und China bis Mitte der 90er Jahre noch relativ unbedeutend, ist Lateinamerika mittlerweile jedoch für Chinas ressourcenintensives Wachstum ein zunehmend wichtiger Liefermarkt und daher auch von strategischer Bedeutung. Chinesische Investitionen im lateinamerikanischen Rohstoff- und Infrastruktursektor haben in den letzten Jahren deshalb deutlich zugenommen.

Neben den Vereinigten Staaten ist China der zweitgrößte Rohöl-Importeur der Erde.
"Gegenwärtig ist China nur mit 8 Prozent am Welt-Ölkonsum beteiligt, und dennoch fehlte das Land in kaum einem Bericht über steigende Ölpreise und Benzinkosten des Jahres 2005. Was wird man wohl bei einem Anteil von 21 Prozent sagen? (geschätzte Menge im Jahr 2020, Anm. d. Verf.)"

Und China ist in seinem Energiehunger nicht nur das lateinamerikanische Öl angweisen: So ist Brasilien der weltgrößte Exporteur von Eisenerz und der drittgrößte Lieferant Chinas. Zusammen mit anderen lateinamerikanischen Exporteuren (hauptsächlich Peru), liefern diese Länder mehr als ein Viertel der chinesischen Eisenerzeinfuhren. Lateinamerika ist zudem Chinas Hauptlieferant für Kupfererze, wobei Chile und Peru mehr als 50% liefern. 

Große Interessen haben die Chinesen zudem auch in der Agrarindustrie. China ist einer der wichtigsten Abnehmer für Soja und andere landwirtschaftliche Produkte aus Brasilien und Argentinien. Im Frühjahr 2005 verkündete die chinesische Regierung, die Subventionen für den Weizenanbau zu verzehnfachen. Für die höhere Weizenproduktion müssen die Bauern auf den Anbau anderer Produkte verzichten. "So meldete die Staatsagentur im Mai 2005, dass sich die Einfuhren landwirtschaftlicher Güter von 2002 auf 2004 verdoppelt hätten. Insbesondere bei Sojabohnen und Baumwolle."

Davon profitieren Brasilien und Argentinien, als größte Produzenten von Sojabohnen nach den USA. Der steigende Fleischkonsum in China stellt ebenfalls eine große Chance für Brasilien und Argentinien dar, die schon heute 20% der chinesischen Importnachfrage nach Fleisch decken.

Einen weiteren positiven Effekt für die Länder Lateinamerikas bietet der Ausbau des Tourismusgeschäfts.  Mit der Öffnung Chinas und dem höheren Einkommen seiner Bürger hat auch der Ferntourismus begonnen. Bisher haben Argentinien, Brasilien und Mexiko den Status erhalten, der Gruppenreisen aus China in diese Länder erlaubt.

Alles in allem hat sich der Handelsaustausch zwischen Lateinamerika und China in den letzten Jahren äußerst dynamisch entwickelt: Die Gesamtausfuhren Lateinamerikas nach China stiegen zwischen 1999 und 2004 um durchschnittlich mehr als 50% pro Jahr, während die Importe Lateinamerikas aus China jährlich um rund 25% zunahmen. Insgesamt hat sich der bilaterale Handel zwischen China und Lateinamerika seit 1999 verfünffacht und lag Ende 2004 bei rund 40 Mrd. US-Dollar.  China ist mit einem Anteil von 4,3 % am lateinamerikanischen Außenhandel der drittwichtigste Handelspartner Lateinamerikas. 

Die auf starke Kapitalzuströme angewiesenen Länder Lateinamerikas sehen im chinesischen Engagement eine Möglichkeit, sich zumindest teilweise aus der Abhängigkeit von Europa und den USA zu lösen. Vor allem links orientierte Regierungen sehen China als einen willkommenen Gegenpart zu Amerika, mit dessen Hilfe der US-amerikanische Einfluss begrenzt werden könnte.
Gleichzeitig gibt es aber auch kritische Stimmen, die darauf hinweisen, dass China die lateinamerikanischen Länder vor allem als billige Rohstofflieferanten sieht, und damit eine Handelsstruktur schafft, die im Grunde genommen die alten kolonialen Muster fortsetzt.

China als Konkurrent

China ist jedoch nicht nur Partner, sondern tritt zunehmend auch als Konkurrent auf. Die lateinamerikanische Industrie gerät auf den Binnenmärkten wie international zunehmend unter den Druck der chinesischen Konkurrenz, die die entsprechenden Güter erheblich günstiger anbietet. Das gilt insbesondere für die auf den US-Markt ausgerichtete Lohnveredelungsindustrie (Maquilas) . Dieser Wirtschaftssektor, der in den meisten mittelamerikanischen Staaten das Rückgrat des Wirtschaftsmodells bildet, steht mittelfristig aufgrund der wesentlich günstigeren asiatischen - nicht nur chinesischen - Anbieter vor erheblichen Problemen.

Der Anteil Chinas an den US-Importen von Bekleidung hat sich seit 2000 drastisch erhöht:
"Mittlerweile haben in Honduras ein Dutzend Maquila-Fabriken ihre Tore geschlossen, in Guatemala etwa zwei Dutzend (rd. 10 % des Bestandes insgesamt). In El Salvador mehren sich die Indizien, dass die Direktinvestitionen in der Bekleidungs-Maquila rückläufig sind; (...)"

Die mittelamerikanischen Unternehmen müssen sich deshalb auf ihre Wettbewerbsstärke im Vergleich zur chinesischen Konkurrenz besinnen: Ihre Standortnähe zum US-Markt.
"Spätestens seit dem Wettbewerbsdruck von chinesischer Seite ist klar, dass die national und regional integrierte Maquila weitaus größerer Chancen hat, sich auf dem US-Markt zu behaupten. Die Regierungen und die regionalen Institutionen sind gefordert, diesen Übergang im Bereich Textilien und Bekleidung durch verbesserte Dienstleistungen sowie Koordinierung und Förderung moderner Infrastruktur zu erleichtern."

Chinas Vordringen auf die Märkte Lateinamerikas eröffnet den Ländern aber auch zugleich die Möglichkeit, ihrerseits den gigantischen chinesischen Markt für ihre Produkte zu öffnen. Doch gerade für die mittelamerikanischen Staaten  - von denen kein Land in der Lage ist, wie Brasilien, eine Führungsposition einzunehmen -  kann sich das Tor nach China in wirtschaftlicher Hinsicht nur dann öffnen, wenn sie ihren eigenen Integrationsprozess mit der Gründung einer zentralamerikanischen Freihandelszone forcieren und gemeinsam wie der MERCOSUR als eigenständiger Akteur auftreten.

Chinesische Investitionen

Bisher waren die EU und die USA mit Abstand die wichtigsten Investitionspartner Lateinamerikas. Lateinamerika war für China lange Zeit weit entfernt und zudem als "Hinterhof der USA" suspekt.  Dies änderte sich jedoch in den 80er Jahren. Vor allem mit Brasilien und Argentinien wurde eine wirtschaftlich-technische Zusammenarbeit aufgenommen, die sich auf Projekte der zivilen Nutzung der Kernenergie, der Luft- und Raumfahrt sowie chinesische Rüstungsexporte erstreckte. Brasilien wurde 2003 offiziell zum "strategischen Partner" der VR China.  Damit wurde der Tatsache Rechnung getragen, dass Brasilien ist der wichtigste Handelspartner Chinas ist (die Exporte Brasiliens nach China wuchsen von 1999 bis 2004 von 676 Millionen auf 5,4 Milliarden US-Dollar) gefolgt von Argentinien und Chile.

Lateinamerika benötigt dringend ausländisches Kapital, und die chinesischen Unternehmen sind bereit, in Lateinamerika zu investieren. Bei einer Lateinamerika-Reise des chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao, im Anschluss an die Jahrestagung des Asia-Pacific-Economic-Cooperation Forum, APEC (17. ? 21. November 2004 in Santiago de Chile) wurden milliardenschwere Investitionen vereinbart.

Die geplanten Direktinvestitionen konzentrieren sich auf den Ausbau der Hafeninfrastruktur und der Eisenbahnverbindungen, der Erschließung von Kohle- und Erzbergwerken sowie von Erdgas- und Erdölvorkommen, der Errichtung von Stahlwerken und dem Bau von Aluminiumschmelzen. So will China allein in Argentinien in den kommenden zehn Jahren fast 20 Milliarden US-Dollar investieren. Diese Gelder sollen vor allem der Infrastruktur zugute kommen.

"Für das zweitgrößte südamerikanische Land, das sich sehr langsam von dem dramatischen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Kollaps der letzten Jahre erholt, ist dieses Engagement der Chinesen elementar, um sich aus der Abhängigkeit von den US-amerikanischen und europäischen (vor allem spanischen) Konzernen zu befreien. Zudem ist Argentinien, das sich wie weitere lateinamerikanische Länder (z. B. Brasilien) zunehmend von den internationalen Finanzinstitutionen IWF und Weltbank abkoppelt, dringend auf ausländisches Kapital angewiesen. Eine Win-win-Situation, vorteilhaft für beide Seiten, so die einhellige Meinung im November 2004."

Mit Brasilien wurde die Errichtung einer Erdölpipeline vereinbart sowie der Ausbau von Stahl und Aluminiumwerken, Häfen und Schienenverkehr.

Insgesamt kündigte Hu Jintao, in einer Rede vor dem brasilianischen Kongress chinesische Direktinvestitionen in Lateinamerika in Höhe von 100 Mrd. US-Dollar an. Das entspräche ungefähr einem Fünftel des derzeitigen Gesamtbestandes ausländischer Direktinvestitionen in der Region. In Zukunft könnten die lateinamerikanischen Länder für China nicht nur zur Sicherstellung von Rohstoffen und Agrarerzeugnissen interessant sein. Denkbar sind chinesische Direktinvestitionen auch im Konsumgüter-, Telekommunikations-, Informatik- und Elektronikbereich, die der Versorgung der Binnen- und Inlandsmärkte dienen.

Doch die Zuwendungen aus China haben auch ihren (politischen) Preis. Die Regierung in Peking verlangt im Gegenzug, dass die südamerikanischen Länder China den Status einer Marktwirtschaft einräumen - was Argentinien, Brasilien und Chile auch postwendend taten. Die Welthandelsorganisation WTO stuft China bisher als wirtschaftliches Übergangsland ein, überlässt es aber jedem einzelnen Handelspartner Chinas, eine andere Einstufung vorzunehmen. Laut WTO-Regeln ist es gegenüber einem Land mit dem Status einer Marktwirtschaft sehr viel schwieriger, einseitige Antidumping-Maßnahmen zu ergreifen. Damit haben die Chinesen wesentlich bessere Chancen, sich gegen die zahlreichen Antidumpingklagen  zu wehren.

Die USA und die EU lehnen aus diesem Grunde eine Anerkennung Chinas als Marktwirtschaft nach wie vor ab. Mittlerweile wird auch in Lateinamerika erwogen, diesen Status wieder auszusetzen.
"Allerdings droht die Volksrepublik für diesen Fall mit der Reduzierung der Sojaquoten. Besonders für die Argentinier eine Zwickmühle: Bei Soja und Sojaprodukten ist China der wichtigste Handelspartner des Landes. Zudem nehmen die chinesischen Investoren keine große Rücksicht auf die lokale Bevölkerung. So in Peru, wo die Bohrungen chinesischer Erdölfirmen im Amazonasgebiet wegen der Schäden für die Umwelt und fehlender Rücksicht auf die Interessen der indigenen Bevölkerung für Aufregung sorgen. Nach der Euphorie im November 2004 ist in Argentinien erste Ernüchterung eingekehrt. Und von einer Win-win-Situation ist längst nicht mehr die Rede."

China als politischer Akteur und Weltmacht von morgen

Mit der ökonomischen wächst auch die politische Bedeutung der VR China. Ob es um Nordkorea, die Krise im Nahen Osten oder die UN-Reform geht - China wird immer mehr zu einem unverzichtbaren Akteur innerhalb der internationalen Gemeinschaft. Und so wird erwartet, dass China zu seiner neuen Rolle steht und Verantwortung übernimmt ? natürlich nach den "Regeln" der westlichen Mächte und im Rahmen der von ihnen bestimmten Ordnung. Demgegenüber hat die chinesische Führung allmählich und fast unbemerkt von der immer noch aus der Position der Stärke operierenden westlichen Welt damit begonnen, ihre eigenen Regeln aufzustellen. Denn aus chinesischer Sicht ist nicht Chinas Aufstieg schuld an Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und politischer Instabilität in den westlichen Staaten, sondern deren Unfähigkeit, wirksame Antworten auf das chinesische Entwicklungsmodell mit hohem Wirtschaftswachstum, wachsender Mittelschicht und relativer politischer Stabilität zu finden.

Neben dem weiteren Ausbau der ökonomischen, wissenschaftlich-technischen und kulturellen Beziehungen mit den führenden kapitalistischen Ländern ist der Ausbau der Beziehungen zu den Entwicklungsländern ein weiterer Schwerpunkt der chinesischen Außenpolitik von heute. Obwohl in den chinesischen Beziehungen zu den Länden der so genannten "Dritten Welt" der Sicherung der benötigten Rohstoffressourcen Priorität eingeräumt wird, fühlt sich China zugleich aber auch als Sachwalter der Interessen dieser Länder.

China unterstützt die Reformdiskussion um die Vereinten Nationen und fordert dabei eine Stärkung der Rolle des UN-Sicherheitsrates und eine stärkere Position der Entwicklungsländer innerhalb der UN-Generalversammlung. China engagiert sich zudem mit Verbänden im Rahmen von UN-Friedenserhaltungsmissionen. Entsprechend seiner Vorstellung einer multipolaren Weltordnung hat China in den letzten Jahren insbesondere die Beziehungen zur Europäischen Union zu einer strategischen Partnerschaft ausgebaut.

Ein weiteres Beispiel ist Chinas Annäherung an die Vereinigung südostasiatischer Staaten (ASEAN). Auch das Engagement Chinas innerhalb der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, in der China mit Russland und den zentralasiatischen Staaten kooperiert, zeigt deutlich, dass Chinas Außenpolitik nicht nur von wirtschaftlichen Interessen geprägt ist.
An dieser Politik lassen sich die Konturen der neuen wirtschaftlichen und politischen Weltordnung erkennen, die die chinesische Volksrepublik anstrebt.

Chinas Außenhandel und die Menschenrechte

In einigen Ländern Lateinamerikas werden die Menschenrechte weiterhin missachtet. Zu diesem Schluss kommt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in ihrem Jahresbericht 2005. Für viele Menschen in den betroffenen Ländern ist die Verweigerung von Menschenrechten tägliche Wirklichkeit. Besonders betroffen sind die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft, wie Ureinwohner, Frauen und Kinder

Auch China wird vorgeworfen, nicht nur selbst die Menschenrechte mit Füßen zu treten, sondern eben auch Geschäfte mit repressiven, autokratischen und diktatorischen ? kurz gefasst: undemokratischen Regimes zu tätigen. Doch das Land verfolgte schon immer eine Strategie der Nichteinmischung in innere, also politische Angelegenheiten anderer Staaten. Nach Meinung von Karsten Giese, Experte für chinesische Außenpolitik am German Institute of Global and Area Studies (GIGA) fördert chinesisches Engagement nicht automatisch autokratische Strukturen. Für China habe Stabilität die höchste Priorität - egal in welchem politischen System.

Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass das Argument der Menschenrechte oftmals aus protektionistischen Gründen instrumentalisiert wird. Die Länder des Südens befürchten zu Recht, dass die Industrieländer die Menschenrechte lediglich als Instrument einsetzen, um ihren Markt vor unliebsamen billigeren Importen aus ärmeren Ländern zu schützen. Damit werden die Menschenrechte in den Dienst der Welthandelspolitik gestellt.

Von dieser offensichtlichen Tatsache einmal abgesehen, wird oft der mühevolle und langwierige Prozess vergessen, den es brauchte bis westliche Staaten ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit mit anderen Staaten an Fragen von Demokratie und Menschenrechten koppelten.

Chinas Regierung hat mit der Unterzeichnung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte die rechtliche Verantwortung übernommen, die Menschenrechte zu fördern und zu schützen. Sie haben damit auch die Verantwortung übernommen, dass die Wirtschaftspolitik, die sie betreiben, Menschenrechte nicht untergräbt und verletzt. Als Mitglied der WTO muss Peking diese Verpflichtung auf der internationalen und nationalen Ebene wahrnehmen.

Es ist für Demokratien westlicher Prägung durchaus angemessen, sich kritisch mit Chinas Menschenrechtspolitik auseinanderzusetzen. Doch man sollte nicht glauben, Peking ständig Lektionen erteilen zu müssen, wie es seinen demokratischen Prozess in "unserem Sinn" zu beschleunigen oder umzugestalten haben. Man sollte dem Land vielmehr Zeit lassen, seinen Weg zu finden.  Das steigende Bildungsniveau größerer Bevölkerungskreise könnte bspw. zu einem veränderten gesellschaftlichen Verhalten führen und ? damit verbunden ? könnte auch das Wissen um die Behandlung politischer Fragen im Ausland ein Mittel sein, den Weg in Richtung einer pluralistischen und damit demokratischeren Gesellschaft zu ebnen. 

Chinas (wirtschafts-)politische Beziehungen zu verschiedenen Staaten Lateinamerikas

Die jüngsten Wahlergebnisse haben dazu geführt, dass "es in den letzten 25 Jahren in Lateinamerika selten mehr Mitte-Links Regierungen oder Präsidenten (gab) als gegenwärtig" . Von Venezuela bis nach Argentinien geben linke Regierungen den Ton an. Die indigenen Bevölkerungen haben an Einfluss gewonnen, besonders in Bolivien und Ecuador, wo die Bevölkerung Öl und Gas unter inländischer Kontrolle sehen will.

So sind China und Brasilien auch auf politischer Ebene Partner: Neben einem gemeinsamen Interesse an einer veränderten Weltwirtschaftsordnung  sind beide Länder trotz bestehender Differenzen in der Interessensgruppe der Entwicklungsländer in der WTO zusammen. Zudem unterstützt die VR China Brasiliens Ambitionen auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

Politisch unterhält China außerdem enge Beziehungen zu Kuba und Venezuela, das sich unter dem linksgerichteten Präsidenten Hugo Chavez zu einem entscheidenden Kritiker der USA und deren interventionistischen Lateinamerikapolitik gemacht hat. Venezuela, der führende Ölexporteur des Subkontinents hat von allen Ländern Lateinamerikas vermutlich die engsten Beziehungen mit China.

Der venezuelanische Präsident unterzeichnete bei einem Staatsbesuch im August 2006 ein Abkommen zur Stärkung der bilateralen Zusammenarbeit, davon zwei im Energiebereich.
Seit 1998 wurden 25 Abkommen mit China geschlossen.
"So besitzt Chinas Ölgesellschaft CNPC heute Ölbohrlizenzen entlang des Orinoco-Flusses im Süden Venezuelas, und die Öllieferungen des OPEC-Gründungsmitgliedes an China sollen von 160.000 Barrel (Mitte 2006) auf 1,6 Millionen Barrel täglich im Jahr 2007 steigen. Und das zu einem weit unter dem Weltmarktniveau liegenden Preis. Die Volksrepublik ist auch an einer Pipeline von Venezuela über Kolumbien zur Pazifikküste interessiert."

Darüber hinaus versorgt China Venezuela mit moderner Technik wie einem Kommunikationssatelliten sowie neuen Radarsystemen zur Grenzüberwachung und modernisiert die venezolanische Luftwaffe.  "Ein weiteres pikantes Detail: Venezolaner werden in China zur Überwachung des Internets ausgebildet."

Zudem hat China die Kandidatur Venezuelas für einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat unterstützt, im Unterschied zur USA, die eine Kandidatur Guatemalas unterstützte (Schließlich beendete die Wahl Panamas in den Weltsicherheitsrat das Tauziehen um den frei werdenden Sitz Lateinamerikas).

Auch Bolivien, das über reiche Erdöl- und vor allem Erdgaslagerstätten verfügt (letztere sind die zweitgrößten Lateinamerikas) sucht unter seinem linken Präsidenten Evo Morales die Nähe mit China. So besuchte der bolivianische Präsident  kurz vor seinem Amtsantritt im Januar dieses Jahres den chinesischen Präsidenten Hu Jintao. Dabei versicherte die politische Führung der Volksrepublik ernsthaftes Interesse an wirtschaftlichen Investitionen in Bolivien.

Fazit
 
Die Volksrepublik China hat sich dank ihres ununterbrochenen Wirtschaftswachstums von durchschnittlichen acht bis neun Prozent seit Beginn der Reformen zu einem regelrechten Kraftzentrum der Weltwirtschaft entwickelt. Seit 2004 rangiert das Reich der Mitte als die drittgrößte Handelsnation nur noch hinter den Vereinigten Staaten und Deutschland, aber vor Japan, Frankreich, Italien und Großbritannien. Die unmittelbare Konsequenz dieser wirtschaftlichen Erfolge ist ein neues China, das immer selbstbewusster, souveräner und aktiver versucht, die Weltpolitik der Gegenwart mitzugestalten. Insbesondere dort, wo ihre vitalen Interessen im Spiel sind, bemüht sich die Volksrepublik, sich gut zu positionieren.

Chinas Integration in die Weltwirtschaft sowie in die regionale Wirtschaft ist eine große Erfolgsgeschichte für das Land. Dabei war China, auch bedingt durch militärische Schwächen trotz der Größe seiner Armee und durch innenpolitische Konflikte, stets bemüht, den friedliebenden Charakter seiner wirtschaftlichen Expansion zu betonen. Diese Konzentration auf Wirtschaftswachstum und -integration statt politischer Machtausübung sollte durchaus auch in der Zukunft als ein Motiv chinesischer Außenwirtschaftspolitik ernst genommen werden. Dennoch haben sich in den letzten Jahren vermehrt die oben diskutierten Konflikte ergeben, die Chinas Rolle als rein wirtschaftliche Macht weniger glaubhaft erscheinen lassen. Insbesondere der trilaterale Wettbewerb mit Japan und den USA - um Rohstoffquellen und Energievorkommen, um Freihandelsabkommen und auch um politischen Einfluss in der Region - ist dabei eine Quelle potenzieller Konflikte.

China ist - mit Hilfe des Westens - zum größten Nutznießer der Globalisierung geworden. Es stellt heute eine Herausforderung dar, der koordiniert und strategisch durchdacht begegnet werden muss.

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Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
China und Lateinamerika
Veröffentlicht: 
In: Sarah Albiez/Philipp Kauppert/Sophie Müller (Hrsg.), China und Lateinamerika. Ein tansatlantischer Brückenschlag, Berlin 2007, S. 375-393