Wir brauchen eine offene und ehrliche Debatte

Für meine Forderung nach einer offenen und ehrlichen Debatte über die Zukunft der nuklearen Teilhabe, habe ich viel Zuspruch erhalten - erwartungsgemäß aber auch Kritik.

Dabei ist die Forderung nicht neu: Schon 2009 wurde formuliert, dass im Zusammenhang mit abrüstungspolitischen Initiativen und der Ausarbeitung eines strategischen NATO-Konzepts, „wir uns im Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten dafür einsetzen (werden), dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden.“ Damals gab es keine öffentliche Aufregung über die Vereinbarung, die im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP niedergelegt wurde. Und erst recht gab es keine Debatte, ob mit dieser Festlegung die Bündnistreue der schwarz-gelben Koalition noch gegeben sei.

Neu hingegen ist, dass wir nun auch vor weit­reichenden rüstungspolitischen Entscheidungen stehen, die die Debatte über die technische nukle­are Teilhabe gerade zum jetzigen Zeitpunkt not­wendig macht.

Die SPD bekennt sich zur Verankerung im transatlantischen Bündnis und sie ist weiterhin für die politische Teilhabe im Rahmen der Nu­klearen Planungsgruppe — im Übrigen zusammen mit 25 weiteren nicht-nuklearen Nato-Ländern. Auch wollen wir die bestmögliche Ausrüstung und das bestmögliche Gerät für die Soldatinnen und Soldaten. Deswegen steht auch nicht in Fra­ge, dais die Bundeswehr ein Nachfolgesystem für die altersschwachen „Tornados" braucht. Wie unser Koalitionspartner fordern auch wir neue Initiativen und Gespräche zur Abrüstung und Rüstungskontrolle. Außenminister Heiko Maas hat das Thema mit großem Engagement sowohl auf die Tagesordnung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen gesetzt als auch im Rahmen der Stockholm-Initiative konkrete Schritte un­ternommen. Wir machen uns keine Illusionen über die russische Politik und die sicherheitspo­litischen Gefahren sowie die Destabilisierung, die von ihr ausgehen.

Konkret geht es allerdings bei der Debatte um die Frage, ob die in Deutschland und Europa (Niederlande, Italien, Belgien, Großbritannien und Türkei) lagernden taktischen Nuklearwaf­fen der USA die Sicherheit Deutschlands und Europas erhöhen. Wollen wir immer noch an der Fiktion festhalten, man habe aufgrund der Tatsa­che, dass man mit Erlaubnis des US-Präsidenten im Kriegsfall frühzeitig Nuklearbomben ins Ziel bringen dürfe, in irgend­einer Form Einfluss auf die amerikanische Nuk­learstrategie? Diese Argu­mentation stand schon zu Zeiten des Kalten Krieges auf tönernen Füßen.

Wenn dies so wäre, ist die Frage berechtigt, wo und inwieweit die­ser Einfluss sich in der Vergangenheit niederge­schlagen haben soll. Seit George W. Bush haben wir eine Neuausrichtung von Nuklearwaffen als Mittel zur Kriegsführung. Die Nuclear Posture Review von 2018 hat die nukleare Schwelle weiter gesenkt. In der Aufkündigung des iranischen Atomabkom­mens und des Vertrags über das Verbot von Mit­telstreckenwaffen durch Donald Trump habe ich auch nichts von dem be­haupteten Einfluss auf die amerikanische Sicherheitspolitik erkennen können. Wir sollten uns in dieser Hinsicht ehrlich machen: Es gibt keine Mitsprache von Nichtnuk-learrnächten auf die Nuklearstrategie oder die Einsatzoptionen von Atommächten. Dies gilt im Übrigen nicht nur für die USA, sondern für alle Atomwaffenstaaten.

Der Vorwurf, Deutschland würde durch ei­nen Abzug sicherheitspolitisch irrelevant, macht uns kleiner als wir sind. Auch Kanada und ande­re europäische Staaten wurden nicht zu Parias, nachdem die dort stationierten amerikanischen Atomwaffen abgezogen wurden. Nachhaltig schädlicher für das Bündnis scheinen mir die wiederholten Äußerungen des US-Präsidenten zur Nato und zu Europa zu sein.

Entscheidend für meine Forderung nach einem Abzug der in Deutschland gelagerten Atombom­ben ist die Tatsache, dass sich das internationale  Umfeld in den letzten Jahren grundlegend ver­ändert hat. Die zunehmende geopolitische Kon­kurrenz zwischen den Atomwaffenstaaten, die Entwicklung neuartiger Waffen und die anhal­tende Modernisierung und Diversifizierung von Nuklearwaffenarsenalen führen zu neuen Rüs­tungswettläufen, deren Finanzierung Milliarden verbraucht, die dann an anderer Stelle, etwa im Kampf gegen die Corona-Pandemie oder den Kli­mawandel, fehlen.

Im Koalitionsvertrag von SPD, CDU und CSU haben wir uns zum Ziel einer atomwaffenfreien Welt bekannt. Folgerichtig bleiben Rüstungskon­trolle und Abrüstung prioritäre Ziele deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Zusammen mit unseren Nato-Partnern, aber auch darüber hin­aus, wollen wir weiter an dieser großen Aufgabe arbeiten.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
SPD-Fraktionschef fordert Abzug der amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland
Veröffentlicht: 
In: Die Bundeswehr, Juni 2020, S.11