"Billigster Vulgärpazifismus"

Es sind noch mehr als drei Jahre bis zur nächsten Bundestagswahl. Wenn die SPD jenseits der "babylonischen Gefangenschaft" in einer großen Koalition eine Machtperspektive haben möchte, muss sie sich aller Voraussicht nach mit der LINKEN arrangieren. Die tut derzeit jedoch alles, um ein rot-rot-grünes Bündnis in weite Ferne rücken zu lassen. Oder (um es vorsichtiger zu formulieren): Das jüngste Agieren der LINKEN in der Ukraine-Krise und bei der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen dürfte die Wahrscheinlichkeit einer rot-rot-grünen Koalition für 2017 nicht gerade erhöht haben. Im Gegenteil: Die Vorstellung einer handlungsfähigen rot-rot-grünen Regierung verlangt vor dem Hintergrund des aktuellen Taktierens der LINKEN schon viel optimistische Phantasie.

Rot-Rot-Grüne Koalition: Sollbruchstelle Außenpolitik

Einmal mehr ist in diesen Tagen klar geworden, dass die Sollbruchstelle etwaiger zukünftiger Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und der LINKEN in der Außenpolitik liegt. Maßgeblich trägt dazu ein bisweilen nur schwer erträglicher Hang zur Selbstgerechtigkeit bei einigen Außenpolitikern der LINKEN bei, die sich in populistischem Stil und mit weitgehend undifferenzierten und verbal-radikalen Positionen stolz als Mitglieder der vermeintlich einzigen und wahren Friedenspartei gerieren. Zwischentöne oder Kompromissvorschläge sind kaum zu hören.

Nun gibt es sicherlich genügend Gründe für eine selbstkritische Aufarbeitung der rot-grünen Außen- und Sicherheitspolitik vom Kosovo-Krieg bis hin zum Afghanistaneinsatz. Wahr ist dabei auch, dass Deutschland bereits unter Rot-Grün zum drittgrößten Waffenexporteur der Welt aufgestiegen ist. Zweifelsohne existieren zugleich auch nach wie vor eine Reihe von Gemeinsamkeiten linker Außenpolitik: Internationale Sozial- und Rohstoffpolitik, zivile Friedenssicherung, restriktive Rüstungsexportpolitik und Stärkung der Vereinten Nationen und der OSZE. Doch die strittigen Themen haben es in sich: Zu ihnen gehören neben der Bündnispolitik in erster Linie die Europapolitik und die Politik gegenüber den Vereinten Nationen. Hier ist die LINKE mit ihren Positionen zu Recht weitgehend isoliert.

Nationalistische Kirchturmpolitik

Den meisten in der LINKEN gilt Europa als neoliberales und militaristisches Machwerk, das man bekämpfen muss. Und zwar nicht nur vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe. Im Programm für die Europawahl wird die EU als "neoliberale, militaristische und weithin undemokratische Macht" bezeichnet. Statt "internationaler Solidarität" habe sie "mehr faschistische Parteien, rechtspopulistische Hetzer und mehr Menschenjagd an den Grenzen" erzeugt, heißt es in der Präambel des Wahlprogramms.

Einmal mehr spielt die LINKE daheim die nationalstaatliche Karte aus. Von einem europäischen Bundesstaat will sie nichts wissen. Statt antiimperialistisch geriert sich die Partei zunehmend antieuropäisch und nationalistisch und befindet sich damit europaweit in zweifelhafter Gesellschaft. Ausgerechnet die "internationalistische" LINKE schwingt sich zunehmend zum verbissenen Verfechter des Nationalstaates auf.

Doch Deutschland hat keine Wahl zwischen einer europäischen oder nationalen Politik. Deutschland ist Teil eines weit integrierten Europas. Daher brauchen wir eine europäische, nicht eine isolationistische Politik. Die im internationalistischen Gewand von der Linken vorgetragene Kritik an der EU ist in Wahrheit ein Beitrag zu einer Renationalisierung deutscher Politik.

 Die LINKE und die Ukraine-Krise

Es ist nicht zu leugnen, dass in der Ukraine-Krise tiefe Gräben zwischen der LINKEN und der Sozialdemokratie aufgerissen wurden. Zwischen den LINKEN und den Grünen dürften sie sogar noch tiefer sein. Deutlich wurde dies bei der Debatte um die festgesetzten und mittlerweile Gott sei Dank wieder freigelassenen OSZE-Militärbeobachter.

 Denn für die LINKE sind nicht Russland oder die russischen Separatisten das Problem, sondern die ukrainische Regierung, die eine ihrer letzten Möglichkeiten nutzt und internationale zivile Militärbeobachter angefordert hat. Es ist deshalb hanebüchener Unsinn, wenn Alexander Neu darüber räsoniert, ob das klug war. Für ihn sind Militärbeobachter, die nach dem Wiener Dokument entsendet werden, "Spione" und auch der Beitrag der Deutschen zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen ist für ihn lediglich ein weiterer Schritt zur Militarisierung der deutschen Außenpolitik.

Auch Gabriele Krone-Schmalz tritt derzeit verstärkt in Talkshows auf und vertritt dort mit aggressiver Attitüde die üblichen Thesen von der Umzingelung Russlands (des größten Flächenstaates der Welt) und westlicher Spionage (durch unbewaffnete OSZE-Beobachter). Leitmotiv: "Ich weiß zwar schon alles, aber man wird ja wohl nochmal fragen dürfen". Und auch der unvermeidliche Jakob Augstein findet es halb so schlimm, wenn der Osten der Ukraine an Russland fällt. Dabei interessiert es diese Herrschaften wie üblich nicht im Geringsten, wie das die ukrainische Bevölkerung findet.

Diese Einschätzungen sind vollkommen abwegig - allesamt. Die Arbeit der OSZE-Militärbeobachter hat mit Spionage nichts zu tun. Tatsächlich befanden sich die Inspekteure auf Einladung der ukrainischen Regierung im Land. Grundlage dafür ist eine - auch von Russland gebilligte - OSZE-Übereinkunft: das Wiener Dokument. Darin verpflichten sich die Teilnehmerstaaten zu jährlichen Auskünften über Streitkräfte, Rüstung und geplante Manöver. Ein wichtiges Instrument, um Transparenz und Vertrauen zu schaffen, ist die freiwillige Einladung von unbewaffneten Beobachtern. Die vier deutschen Teilnehmer gehören zum Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr in Geilenkirchen, deren eigentliche Aufgabe die Überwachung der von Deutschland mit anderen Staaten geschlossenen Rüstungskontrollverträge ist.

Mit Spionage, also der im Geheimen stattfindenden Beschaffung von Informationen, hat diese Mission nichts zu tun. Schon deshalb, weil diese im einladenden Land stattfindet. Doch auch hier gilt: Wenn die Realität nicht ins Weltbild passt, wird sie eben passend gemacht. Die eigentlich kritisch zu stellende Frage, ob die Mission der multinationalen Beobachter in einem ausreichend sicheren Umfeld stattfand, findet dabei keine Beachtung.

Das ist bedauerlich, denn in der Ukraine-Krise geht es derzeit nicht um die Befindlichkeiten von LINKEN, Grünen und Sozialdemokraten, sondern darum den beginnenden Bürgerkrieg in der Ostukraine zu beenden. Russland muss seine Truppenteile nachprüfbar aus der Grenzregion in ihre Standorte zurückverlegen und damit für eine sichtbare Entspannung der sicherheitspolitischen Lage sorgen. Inwieweit Moskau überhaupt noch Kontrolle über die russischen Freischärler in der Ostukraine hat - wenn es sie denn je hatte - ist eine andere Frage. Dabei müssen sich auch die ukrainischen Sicherheitskräfte vorhalten lassen, entweder der Gewalt freien Lauf zu lassen oder rücksichtslos vorzugehen. Die Übergangsregierung in Kiew zeigt bislang leider keine Bereitschaft zu einem Gespräch oder der Integration wichtiger Akteure aus dem Osten oder Westen der Ukraine.

Die LINKE und die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen

Besonders absurd wird die Verweigerungshaltung der LINKEN bei der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen. Die Partei stand dabei vor einem Dilemma. Was wiegt schwerer? Das strikte "Nein" der Partei zu Auslandseinsätzen oder eine sichere Zerstörung von 560 Tonnen gefährlicher Chemikalien aus syrischen Armeebeständen unter militärischem Schutz?
Für eine Region, die seit langem keinen Frieden mehr kennt, ist die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen einer der wenigen Lichtblicke. Deshalb war es richtig, dass die neue Bundesregierung sofort entschieden hat, sich an der Initiative zu beteiligen. Die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen ist zudem alles andere als ein symbolisches Mandat. Die einzelnen Punkte, die von den LINKEN geradezu verzweifelt gesucht wurden, um eine Ablehnung zu rechtfertigen, sind haltlos.

So wurde argumentiert, es liege keine ausdrückliche Einladung an Deutschland vor, sich an dieser Mission zu beteiligen. In der Resolution 2118 (2013) des UN-Sicherheitsrates heißt es hierzu jedoch unter Ziffer 10 eindeutig, dass der Sicherheitsrat die Mitgliedsländer bittet, "Unterstützung bereitzustellen, darunter Personal, technischen Sachverstand, Informationen, Ausrüstung, Finanzmittel und sonstige Ressourcen und Hilfe, um die OVCW (Organisation für das Verbot chemischer Waffen) und die Vereinten Nationen in die Lage zu versetzen, die Beseitigung des Chemiewaffenprogramms der Arabischen Republik Syrien durchzuführen". Zugleich ermächtigte der Sicherheitsrat die Mitgliedstaaten, "die vom Generaldirektor der OVCW ermittelten chemischen Waffen zu erwerben, zu kontrollieren, zu transportieren, weiterzugeben und zu vernichten."

Ein weiteres Argument der LINKEN lautete, ein militärischer Schutz der Initiative sei unnötig. Dass kritische Befürchtungen jedoch nicht aus der Luft gegriffen sind, hat der Anschlag auf die USS COLE belegt. Im Jahre 2000 rammten Selbstmordattentäter den US-Zerstörer im Hafen von Aden mit einem Sprengstoff-beladenen Speed Boot und beschädigten ihn schwer. 17 US-Soldaten verloren ihr Leben, 39 weitere wurden verwundet. Dieses Argument wollte deshalb selbst der ehemalige UN-Biowaffeninspekteur Jan van Aken nicht gelten lassen. Er gestand zu, dass es "völlig richtig" sei, das Entsorgungsschiff zu bewachen. "Ich kann guten Gewissens weder dafür noch dagegen stimmen, also muss ich mich enthalten."

Vor diesem Hintergrund kann man sich des Verdachtes nicht erwehren, dass es bei der Entscheidung weniger um die richtigen Argumente sondern um die korrekte Gesinnung geht. Diese findet sich lupenrein in einem Positionspapier von 15 Vertretern des linken Flügels, das keiner weiteren Kommentierung bedarf. Darin wird vor "der möglichen Vorbereitung eines Angriffskrieges gegen Syrien" gewarnt. Weiter heißt es: "In dieser Situation wäre es extrem fahrlässig, der Bundesregierung mit einer Enthaltung oder gar einer Zustimmung eine unwidersprochene carte blanche für ihren Militäreinsatz zu erteilen."

Hinter der Rhetorik steckt offenbar die Angst, die Zustimmung zum Syrien-Einsatz könnte zu einer grundsätzlichen Wende in der Außen- und Sicherheitspolitik der LINKEN führen. Paul Schäfer, der ehemalige verteidigungspolitische Sprecher der LINKEN hat hierzu in einem Brief an seine Fraktion alles notwendige gesagt: "Es handelt sich weder um einen Kriegseinsatz, noch um eine imperiale Intervention und auch nicht um den Versuch, anderen Ländern den eigenen Willen militärisch aufzuzwingen, sondern lediglich um die Unterstützung und Absicherung einer von der UNO unterstützten, sinnvollen, auch von uns gutgeheißenen Abrüstungsmaßnahme."

Die Freigabe der Abstimmung ist zumindest der allerkleinste Nenner, auf den sich die Linksfraktion einigen konnte. Immerhin stimmte die LINKE erstmals in Teilen für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr. Während 35 Parlamentarier bei ihrer programmatischen Verweigerung blieben, enthielten sich 19 Fraktionsmitglieder und ganze fünf stimmten gar für das Mandat (Stefan Liebich, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch sowie die Abgeordneten Roland Claus, Katrin Kunert und Michael Leutert - bezeichnenderweise alles Abgeordnete aus Ostdeutschland). Zur Erinnerung: Bereits 2010 enthielten sich im Bundestag 25 Abgeordnete der LINKEN bei der Abstimmung über die UN-Mission im Sudan, die von 32 zivilen Bundeswehrausbildern unterstützt werden sollte, der Stimme. Bereits damals lief der linke Flügel Sturm gegen die "Abweichung vom Grundsatzprogramm".

Bei allen notwendigen Debatten dürfen wir vor einem nicht die Augen verschließen: Die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen ändert nichts daran, dass der Bürgerkrieg in Syrien weiter tobt und neben den 150.000 Toten täglich weitere Todesopfer fordert - auch wenn er in der Berichterstattung leider nahezu komplett von der Ukraine-Krise überlagert wird. Und nach wie vor gilt: Eine Lösung beider Konflikte wird nur unter Beteiligung Russlands möglich sein. Deshalb müssen die Gesprächskanäle nach Moskau weiter offen gehalten werden.

Nichtsdestotrotz: Die notwendige Diskussion, wann und ob militärische Beteiligungen im Rahmen von Beschlüssen der Vereinten Nationen sinnvoll sind und zur Friedenssicherung beitragen, muss weitergeführt werden. Die LINKE hat - von wenigen Ausnahmen abgesehen - die Möglichkeit, zu dieser Debatte sachlich beizutragen, nicht genutzt. Blauhelmeinsätze der Vereinten Nationen werden von ihr nach wie vor kategorisch abgelehnt ? und nicht nur die nach Kapitel VII der UN-Charta. Das ist billigster Vulgärpazifismus. Den Gedanken, dass man sich durch ein Nichteingreifen ebenso schuldig machen kann wie durch ein Eingreifen, lässt DIE LINKE gar nicht erst zu.

Die Durchsetzung der Herrschaft des Rechtes und die Sicherung von humanitären Einsätzen der Hilfsorganisationen durch UN-Einsätze sind für die Stärkung des Friedens und der Menschenrechte in bestimmten Fällen unverzichtbar. Wer, wie DIE LINKE, auch friedenserhaltenden Einsätzen der Vereinten Nationen nach Kapitel VI ausnahmslos die Unterstützung versagt, verabschiedet sich von einer verantwortlichen Außenpolitik, die Frieden und Menschenrechte zum Ziel hat. 

Deshalb ist derzeit eine rot-rot-grüne Regierungskoalition in der nächsten Legislaturperiode äußerst unwahrscheinlich. Dies ist bedauerlich. Allerdings sind drei Jahre in der Politik eine Ewigkeit. Noch hat die LINKE Zeit, ihre außenpolitischen Positionen zu überdenken. Und wer weiß: Vielleicht werden in der Rückschau die fünf Ja-Stimmen bei der Abstimmung über die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen einmal als Wendepunkt hin zu einer verantwortungsvollen Außenpolitik der LINKEN gelten. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Die LINKE, die Ukraine und die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen ? eine verpasste Chance?
Veröffentlicht: 
Internationale Politik und Gesellschaft (IPG), 05.05.2014