Atomare Hegemonie
Die USA sind gegenwärtig der Hegemon im internationalen System. Sie verfügen über ausreichende technische, wirtschaftliche, kulturelle und militärische Ressourcen, also "Power und Mission", um Führerschaft auszuüben. Damit reihen sie sich in eine Gruppe von Ländern ein, die in der Vergangenheit Hegemonialmacht waren. Wie diese betreiben sie ebenfalls Machtpolitik mit Sendungswillen, um eine internationale Ordnung nach ihren Vorstellungen zu errichten. Die USA unterscheiden sich jedoch insoweit von ihren Vorgängern, dass ihre hegemonialen Instrumente weltweite Reichweite haben und nahezu unmittelbar wirken. Ein weiteres neues Merkmal ist das enorme militärische Potenzial, das ausreicht, alles Leben auf der Erde zu vernichten.
Wie lange der amerikanische Hegemoniezyklus dauern wird, ist ungewiss. Möglicherweise erleben wir derzeit bereits eine Diffusion der US-Hegemonie. Die Volksrepublik China steht als Konkurrent und potenzieller Nachfolger bereit. Andere Länder, etwa Indien oder Brasilien, beanspruchen verstärkt eine regionale Führungsrolle. Die Fähigkeit der USA, die Welt zu ordnen, scheint zu schwinden: Der Versuch, die Umgestaltung des Nahen und Mittleren Ostens durch den Irak-Krieg anzustoßen, ist misslungen. Die Unwilligkeit, internationale Normen und Regeln zu akzeptieren, wird von anderen globalen Akteuren nicht mehr vorbehaltlos akzeptiert. Spannungen wie die Nordkorea-Krise, die mit nationalen Interessen kollidieren könnten, sind nicht mehr allein beherrschbar.
Dass die USA früher oder später als hegemoniale Macht abgelöst werden, ist somit wahrscheinlich. Wie der Niedergang und das Ende aussehen werden, ist schwer vorhersehbar. In der Geschichte gab es sowohl gewaltsame Ausscheidungskämpfe als auch einen langsamen, weniger gewaltsamen Verfall. Instabil waren jedoch alle Phasen. Deshalb wird vermutlich auch das Schwinden der amerikanischen Hegemonie zu Instabilitäten im internationalen System führen.
Mit aller Kraft versuchen die politischen Entscheidungsträger in den USA gegenwärtig, die hegemoniale Stellung des Landes zu behaupten. Vor allem der militärische Führungsanspruch ist ungebrochen. Die Rüstungsausgaben sind beträchtlich und die Absicht, durch eine Raketenabwehr unverwundbar zu werden, ambitioniert. Die Fortentwicklung der Rüstungstechnologie und die neue Rollenzuweisung an die Kernwaffen sind beispiellos. Allerdings deutet wenig darauf hin, dass die gegenwärtige militärische Ausnahmestellung unvergänglich ist. Historische Erfahrungen und der globalisierte Wissens- und Technologieaustausch sprechen dagegen.
Klug wäre es daher, zur Abfederung dieser Entwicklung bereits heute politische Mechanismen zu diskutieren und einzusetzen. Dies gilt vor allem für die Bearbeitung des nuklearen Rüstungswettlaufs. Keiner der bisherigen Hegemonialkonflikte war mit einer so gelagerten Herausforderung konfrontiert. Und das Massenvernichtungswaffen eine Rolle spielen werden, liegt auf der Hand: Die relevanten Herausforderer und Mitspieler im neuen Hegemoniezyklus sind Kernwaffenmächte, oder streben die Voraussetzung für eine Kernwaffenoption an.
Atomwaffen sind nach wie vor bedeutende Elemente der Weltordnung. Die Hoffnung, mit dem Ende der Blockkonfrontation einen grundlegenden Abrüstungsprozess in Gang setzen zu können, sind enttäuscht worden. Es ist offensichtlich, dass diese Waffen nach dem Ende des Kalten Krieges nicht anachronistisch geworden sind, sondern im Gegenteil eine Renaissance erleben.
Im Jahr 1981 konstatierte der Politikwissenschaftler Kenneth N. Waltz noch, dass mehr Kernwaffen zu mehr Sicherheit führen würden. Der Vordenker der neorealistischen Schule der Internationalen Beziehungen hatte eine graduelle Ausweitung des Kreises der Kernwaffenstaaten prinzipiell mit dem Argument befürwortet, dass diese Waffen zu mehr Stabilität und Berechenbarkeit führen und damit die Gefahr eines Krieges vermindern würden. Seine These löst unter den heutigen Umständen eher Kopfschütteln aus, wird gleichzeitig jedoch auf beunruhigende Weise an der Realität getestet. Die fünf etablierten Atommächte USA, Russland, VR China, Großbritannien und Frankreich haben auch fast vierzig Jahre nach Abschluss des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages (NVV) ihr Versprechen nicht wahrgemacht und abgerüstet. Stattdessen haben sie mit der Modernisierung ihrer Arsenale den Weg der qualitativen Aufrüstung eingeschlagen. Israel, Indien und Pakistan haben sich neben ihnen als "inoffizielle" Kernwaffenstaaten etabliert. Nordkorea hat die nukleare Schwelle bereits überschritten, der Iran ist nicht weit davon entfernt.
Auch einige als zivil deklarierte Atomprogramme bieten Anlass zur Sorge. Japan wäre innerhalb weniger Monate in der Lage, die vorhandenen Bausteine für eine Kernwaffe und die entsprechenden Trägermittel zusammen zu bringen. Und warum will Brasilien Uran außerhalb des etablierten Kontrollmechanismus der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) anreichern - ein Brennstoff, der auch für Kernwaffen verwendet werden kann? Immerhin strebte Brasilien jahrelang nach der Kernwaffe und beendete verschiedene Entwicklungspfade erst mit der Rückkehr zur Demokratie und einer Entspannungspolitik gegenüber Argentinien. Vor wenigen Wochen konfrontierte der brasilianische Präsident die Öffentlichkeit mit der Ankündigung, ein nuklear betriebenes U-Boot bauen zu wollen. Er schloss mit der Bemerkung: "Niemand wird Brasilien dabei bremsen, seine historische Rolle zu erfüllen. Wir werden nicht unterwürfig sein. Wir können uns in eine große Energiemacht verwandeln und werden nicht darauf verzichten. Wir werden sehr viel mehr geschätzt werden als Nation und Macht, die wir sein wollen." Die Möglichkeit, ein umfassendes ziviles Atomprogramm innerhalb kürzester Frist in ein militärisches umwandeln zu können, ist mit der Verbreitung und Weiterentwicklung der Atomtechnologie gewachsen. Der Verdacht, man wolle sich hier Optionen aufbauen, die in der Zukunft, etwa bei einem Wandel der regionalen Machtbalance, rasch umgesetzt werden könnten, liegt nahe.
Die größere Verfügbarkeit von Atomtechnologie verstärkt zudem die Sorge vor einem unkontrollierten nuklearen Wettrüsten. Die Aufdeckung des nuklearen Schmugglernetzwerks um den pakistanischen Wissenschaftler A.Q. Khan im Jahr 2003 hat gezeigt, dass sich ein regelrechter atomarer Schwarzmarkt entwickeln konnte und dass es in einigen Staaten der Welt ein großes Interesse an militärischer Atomtechnologie gibt. Es ist nicht auszumalen, welchen Schaden die Verbindung von Kernwaffen mit dem globalen Terrorismus verursachen würde.
Um auf diese Situation politisch adäquat reagieren zu können ist es wichtig, die veränderten Realitäten zu begreifen, unter denen Kernwaffen heute, nach dem Ende des Kalten Krieges, existieren und die politischen Schlüsse unter den Rahmenbedingungen schwindender US-Hegemonie zu ziehen. Nur so kann die instabile US-Hegemonie vor einem Abgleiten ins Chaos bewahrt und die Ursachen für das Interesse an Kernwaffen und damit ihre Verbreitung wirkungsvoll bekämpft werden.
System der gegenseitigen Abschreckung und der Rüstungskontrolle
Die Errichtung der atomaren Ordnung fiel zusammen mit der Endphase des ersten Hegemoniezyklus der USA. Ulrich Menzel datiert den ersten Zyklus von 1890 bis 1990, wobei 1945 der Höhepunkt bereits überschritten gewesen wäre, nachdem die Sowjetunion das Atommonopol der USA gebrochen hatte. Die atomare Weltordnung bestand im Kern aus dem System der gegenseitigen Abschreckung und der Rüstungskontrolle. Einerseits hielten sich die USA und die UdSSR mit ihren konventionellen und nuklearen Arsenalen gegenseitig in Schach. Es herrschte eine relative Stabilität; zu einem offenen Kriegsausbruch zwischen den beiden Staaten kam es nicht. Kenneth Waltz behauptet daher, dass diese bipolare Ausprägung des internationalen Systems die stabilste sei. Statt wechselnden Bündnissen in einem multipolaren Umfeld könnten sich die beiden Führungsmächte im Wesentlichen auf den Aufbau ihrer eigenen Machtressourcen konzentrieren und den anderen dabei im Auge behalten. Dabei nahmen Kernwaffen eine wichtige Rolle ein. Ihr Zerstörungspotenzial, das konventionelle und chemische Waffen weit in den Schatten stellte, ließ die Kosten für einen Angriff ins Unermessliche steigen. Kernwaffen wurden damit in den Augen einiger Politiker und Wissenschaftler zum Garanten der Stabilität, Waltz nannte sie neben der Bipolarität die "zweite Kraft, die in der Nachkriegszeit für Frieden sorgt". Die Kombination von Bipolarität und Kernwaffen bildete demnach eine Art Sicherheitsklammer, die die Stabilität des internationalen Systems gewährleisten sollte.
Mit Hilfe der nuklearen Rüstungskontrolle gelang es andererseits, den gefährlichen Wettlauf um die größten Zerstörungskapazitäten durch Transparenz und Kooperation einzuhegen. Das Konzept der Rüstungskontrolle hatte sich unter den Bedingungen des Kalten Krieges entwickelt, um die Gefahr einer nuklearen Eskalation zu verringern, den Schaden im Kriegsfall zu vermindern und die Ressourcen zu senken, die für Rüstung aufgebracht werden müssten. Auf verschiedenen sicherheitspolitischen Ebenen wurde es in bi- und multilaterale Abkommen umgesetzt. Am bedeutsamsten ist die globale Ebene mit dem um den NVV gruppierten Nichtverbreitungsregime, sowie die bilaterale amerikanisch-sowjetische bzw. amerikanisch-russische Ebene mit Rüstungskontroll- und Abrüstungsabkommen (SALT I und II; START I, INF). Doch auch auf regionaler Ebene konnten mit der Errichtung kernwaffenfreier Zonen Rüstungswettläufe eingedämmt und kooperative Sicherheitsregime errichtet werden. Dabei war das Konzept der Rüstungskontrolle von Anfang an von der Einsicht geprägt, dass Sicherheit unteilbar ist - und es war eng mit dem Ziel der Abrüstung verknüpft.
Unter diesen Bedingungen konnten Kernwaffen im Kalten Krieg auf wenige Funktionen reduziert werden. Sie waren vor allem Waffen, die den Status Quo absicherten. Ihr Drohpotenzial war dennoch jederzeit vorhanden ? und damit auch die Gefahr eines Atomkrieges. Auch unter der Prämisse rational handelnder politischer Akteure konnte eine nukleare Eskalation nie völlig ausgeschlossen werden. Der Kalte Krieg und seine "heißen" Stellvertreterkriege vornehmlich in der "Dritten Welt" kosteten Opfer und die Gedankenspiele der Instanzen und Verantwortlichen erinnerten eher an krankhaftes Verhalten denn an rationale Interessenkalküle. Gleichzeitig untermauerten Kernwaffen den militärischen und strategischen Führungsanspruch der Supermächte in Nato und Warschauer Pakt. Sie wurden zu strategischen Führungsmitteln, wie ihre Stationierung in den beiden deutschen Staaten zeigte, und sie stützten die hegemoniale Rolle der USA und die imperiale Politik der Sowjetunion.
Dies schlug sich auch auf der symbolischen Ebene nieder. Mit Kernwaffen war schon immer ein besonderer Status verbunden. Das "nukleare Tabu", die besondere Aura, die Kernwaffen umgibt, machte sie zu einer Art Herrschaftsinsignien und verlieh ihren Besitzern das Charisma legitimer Führungsmächte. Kernwaffenstaaten fühlen sich daher auch als politische Großmächte.
Atomwaffen nach dem Ende des Kalten Krieges
Nach dem Ende des Kalten Krieges können Kernwaffen diese Funktionen nur noch eingeschränkt erfüllen. Angesichts der Bedrohung durch den Terrorismus funktioniert Abschreckung heute nicht mehr wie zu Zeiten der Blockkonfrontation. Denn todeswillige Täter, die über keine feste Operationsbasis verfügen, kann man nicht abschrecken. Zudem benötigt Abschreckung gegen neue Kernwaffenstaaten, wie etwa Nordkorea, eine wesentlich kleinere Anzahl von Kernwaffen und einen geringeren Wirkungsgrad als die Konkurrenz mit der hochgerüsteten UdSSR. Die großen und aufgefächerten Arsenale insbesondere der USA und Russlands verlieren damit unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen weiter an Funktion und Legitimität. Noch immer auf Abschreckung zu setzen wird mehr und mehr absurd, zumal die nukleare Balance fortschreitend zugunsten der USA verloren geht.
Gleichzeitig ist die Diskussion über die Einsetzbarkeit von Kernwaffen neu aufgeflammt. Insbesondere in der amerikanischen Debatte um bunkerbrechende Bomben und die Senkung der Einsatzschwelle, die in der Nuclear Posture Review von 2002 zum Tragen kam, schlug sich dies nieder. Die Tatsache, dass nicht jeder Einsatz von Nuklearwaffen sofort mit einem entsprechenden Gegenschlag beantwortet werden könnte, hat denjenigen Kräften in Politik und Militär Auftrieb gegeben, die schon lange eine "Konventionalisierung" von Kernwaffen wollen ? also letzten Endes ihre Normalisierung zu jederzeit einsetzbaren Waffen.
Durch diese Konventionalisierung wird der Einsatz von Kernwaffen enttabuisiert und ihre Attraktivität steigt. Dies schlägt sich auch auf regionaler Ebene nieder. In einem internationalen Umfeld, das verstärkt durch regionale Macht- und Rüstungswettläufe geprägt ist, können sie aufstrebenden Mächten die Möglichkeit bieten, sich als regionale Führungsmächte zu gerieren und sich gleichzeitig dem Führungsanspruch der USA entgegenzustemmen. Kernwaffen sind für diese aufstrebenden Mächte auch deshalb attraktiv, weil sie das eigene Territorium praktisch unangreifbar machen und somit die Machtprojektion der USA einschränken, womit die eigene Handlungsfähigkeit wächst.
Das Streben nach Kernwaffen lässt sich also nicht nur in regionale Kategorien einordnen, sondern auch als Versuch einer relativen Autonomisierung gegenüber der hegemonialen Rolle der USA interpretieren. Während die traditionelle neorealistische Schule der Internationalen Beziehungen von aufstrebenden Mächten lediglich wechselnde Bündnisse gegen die Übermacht des Hegemons erwartet, hat sich die politische Realität als komplexer herausgestellt. Die Akquirierung von Kernwaffen kann in diesem Zusammenhang als Strategie interpretiert werden, mit der kleinere Mächte sich aus der Herrschaft des Hegemons zu befreien versuchen.
Bei all dem wird deutlich: Unter veränderten Rahmenbedingungen und im Kontext größerer Instabilität gelten Kernwaffen nach wie vor als hohes militärpolitisches und strategisches Gut. Wer über sie verfügt, kann selbstbewusst als Großmacht auftreten. Aus regionalen Machtambitionen und dem Versuch, sich der US-Hegemonie zu entziehen, sind neue Motivationen zu ihrer Anschaffung erwachsen. Gleichzeitig sinkt die "nukleare Schwelle" und das internationale Nichtverbreitungsregime scheint immer weniger in der Lage zu sein, die Verbreitung von Kernwaffen aufzuhalten.
Was sind die Ursachen für diese Schwäche? Die dem Neorealismus verbundene Theorie der hegemonialen Stabilität geht davon aus, dass Kooperation dann möglich ist, wenn sie von einem starken Hegemon durchgesetzt wird. Ein Niedergang der Hegemoniestellung würde somit mit einem Verfall der internationalen Kooperation einhergehen.
Insgesamt scheint der Trend diese Theorie zu bestätigen: Die kooperativen Instrumente der nuklearen Rüstungskontrolle erodieren mit nachlassender US-Hegemonie. So endete die Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag 2005 im Chaos. Die Kernwaffenstaaten (insbesondere die USA und Frankreich) waren nicht bereit, an die noch im Jahr 2000 bekräftigten und präzisierten Abrüstungsversprechen anzuknüpfen und zahlreiche Nichtkernwaffenstaaten äußerten harsche Kritik daran. Der US-Senat stoppte im Jahr 1999 die Ratifizierung des Umfassenden Teststoppvertrags und mit dem Vertrag über die Verringerung der Strategischen Offensivwaffen von 2002 (SORT) bevorzugte die USA im Verbund mit Russland eine wesentlich geringere Reduzierung der Sprengköpfe als ursprünglich anvisiert. Zudem wurde weitgehend auf Verifikationsmöglichkeiten verzichtet, die sich in vergangenen Verträgen als sinnvoll erwiesen hatten. Die Kündigung des Vertrages über die Begrenzung der Rakatenabwehrsysteme von 1972 (ABM) durch die USA führte zu einer weiteren Schwächung des globalen Nichtverbreitungsregimes.
Die USA betrieben auch in der Folge eine Nichtverbreitungspolitik, die aber nur auf die ?Angebots?-Seite zielte. Die Proliferation Security Initiative (PSI) oder die Resolution 1540 des UN-Sicherheitsrats dienten vor allem dem Zweck, die Verfügbarkeit von Dual Use-Gütern zu beschränken, den Nuklearschmuggel zu unterbinden und geheime Atomprogramme aufzuspüren. Insbesondere die USA bevorzugen coalitions of the willing, um Kernwaffentechnologie von den Staaten fernzuhalten, die als gefährlich klassifiziert werden.
Diese Schritte sind richtig und wichtig. Doch in Anbetracht der gegenwärtigen Machtposition der USA, ihrer Unwilligkeit, abzurüsten und vor dem Hintergrund der Diskussion um die Einsetzbarkeit von Atomwaffen, wird diese Politik von vielen Staaten als unilateral und aggressiv eingeschätzt. Die USA werden immer weniger als "benign Hegemon", als die gutmütige, von anderen Hegemonien grundsätzlich verschiedene, weil nicht auf Unterdrückung und Herrschaft beruhende Supermacht wahrgenommen, als die sie sich selbst gern sehen. Stattdessen setzt sich eine Sicht der USA als tyrannischer Herrscher durch, der der Welt seinen Willen aufzwingen und seinen Machtvorsprung mit allen Mitteln sichern will.
Sollte die Macht der USA und gleichzeitig die nukleare Nichtverbreitung weiter erodieren, ergäbe sich die Gefahr eines noch stärkeren unkontrollierten nuklearen Rüstungswettlaufs. Denn die These, die Kenneth Waltz' Analyse zugrunde liegt, dass instabile Staaten tendenziell nicht nach Kernwaffen streben, weil sie an kurzfristigen Gewinnen interessiert sind, ist nicht schlüssig. Pakistan und Iran sind alles andere als stabile Regime und auch von potenziellen Kernwaffenstaaten befinden sich etliche in Krisenregionen.
Seit den 70er Jahren wird in der Politikwissenschaft intensiv diskutiert, wie Kooperation unter den Bedingungen nachlassender Hegemonie möglich ist. In der Folge des Ölpreisschocks verzeichneten die USA damals eine "Hegemoniekrise" und ihre Macht ließ nach. Die Befürchtung war, dass die internationalen Regime zur Wirtschafts- und Währungspolitik zusammenbrechen würden. Robert O. Keohane hat jedoch aufgezeigt, wie Kooperation auch "nach der Hegemonie" noch funktioniert. Dabei geht es vor allem um die Verteilung von Gewinnen: Wenn alle Akteure einen absoluten Nutzen von der Kooperation haben, wäre auch unter den Bedingungen einer schwachen Hegemonie Kooperation möglich.
Analog wäre für den Fall der nuklearen Nichtverbreitung ein absoluter Sicherheitsgewinn für alle beteiligten Staaten ein wesentliches Kriterium. Dies wird durch das Prinzip der unteilbaren Sicherheit garantiert, das schon den Ursprüngen der nuklearen Rüstungskontrolle zu Grunde lag. Ein weiterer Ausbau der militärischen Führungsrolle der USA, wie er in der Modernisierung ihrer Arsenale und der nachlassenden Bereitschaft zur Abrüstung zum Tragen kommt, steht dem jedoch entgegen.
Am Ende des ersten Hegemoniezyklus erkannten die Entscheidungsträger in den USA, dass der Besitz von Atomwaffen allein keine Sicherheit schafft. Auch die Herstellung von Unverwundbarkeit war, wenn sie überhaupt gelang, nur von kurzer Dauer. Deshalb schufen sie ein Regelsystem, das von Transparenz, Kooperation und Verlässlichkeit getragen wurde. Der Eckpfeiler der Rüstungskontrolle beseitigte zwar weder die Widersprüche der nuklearen Ordnung noch die pathologischen Reflexe. Allerdings gelangen die Schaffung von Erwartungsverlässlichkeit und Grundsätzen für den Umgang mit dem nuklearen Rüstungswettlauf. Eine Eskalation konnte verhindert werden.
Für eine Wiederbelebung der Rüstungskontrolle
Wollten die USA heute ihre Glaubwürdigkeit wiedergewinnen und zugleich wirksam gegen die Renaissance von Kernwaffen vorgehen, wäre es deshalb wichtig, dass sie eine politische Kehrtwende vollziehen und die traditionellen Instrumente der Rüstungskontrolle reaktivieren.
Mit dem nuklearen Nichtverbreitungsregime, dessen zentraler Grundstein der NVV ist, wurde ein diesen Kriterien entsprechendes internationales Regime aufgebaut. Der NVV enthielt nicht nur die Verpflichtung der Nichtkernwaffenstaaten, auf den Erwerb dieser Waffen zu verzichten, sondern auch das Versprechen der Kernwaffenstaaten, nuklear abzurüsten und auf diesem Weg perspektivisch das Versprechen einer Welt ohne Kernwaffen. Es ist damit Ausdruck der Einsicht in die Unteilbarkeit von Sicherheit und kann noch immer - auch und gerade in Zeiten der hegemonialen Instabilität - für die notwendige Sicherheitsklammer sorgen, die den Wettlauf um Macht einhegt.
Dieses System der kooperativen Rüstungskontrolle wiederzubeleben, wäre die zentrale Herausforderung einer vorausschauenden und nachhaltigen Nichtverbreitungspolitik. Dazu muss das Nichtverbreitungssystem Universalität erlangen, also alle Staaten der Erde umfassen. Israel, Indien und Pakistan haben den NVV jedoch nicht unterzeichnet. Alle drei verfügen über Kernwaffen. Ohne einen Politikwechsel, der Kernwaffen strategisch abwertet und das "nukleare Tabu" wieder stärkt, dürfte es jedoch schwer sein, diese Staaten in das internationale NVV-Regime zu integrieren. Doch könnte ein glaubwürdiger Abrüstungsprozess der fünf offiziellen Kernwaffenstaaten, vor allem der USA und Russlands, der die vorhandenen Arsenale auf eine minimale Abschreckung reduziert, ein Prozess sein, der dies befördert. Zudem wäre es möglich, diese Staaten zunächst in einige regionale und bilaterale Abkommen einzubinden, um sie so behutsam an das globale Nichtverbreitungsregime heranzuführen.
In der Vergangenheit hat sich zudem die Lernfähigkeit der Verantwortlichen in Folge erfolgreicher Modelle der Nichtverbreitung gezeigt. Sowohl das Beispiel Libyen als auch der scheinbar gelingende Versuch, Nordkorea zum Kernwaffenverzicht zu bewegen, könnte für andere Fälle Wirkung zeigen. Vor allem der Verzicht auf einen gewaltsamen Regimewechsel von außen und die Berücksichtigung ökonomischer Interessen waren erfolgreich. Ein vergleichbares Vorgehen gegenüber dem Iran wäre wünschenswert. Ob dahinter das eigentliche Motiv der Akteure in Washington steht, durch das Austreten nuklearer Störfeuer sich ganz auf den hegemonialen Herausforderer China zu konzentrieren, ist dabei von nachrangiger Bedeutung.
Insgesamt sind die Chancen für eine Wiederbelebung des Rüstungskontrollregimes so schlecht nicht. Die Grenzen unilateralen Handelns und der Verlust an Ansehen und Glaubwürdigkeit werden auch in den USA zunehmend diskutiert. Das drastischste Beispiel ist der Irak-Krieg. Nach einem Wechsel der US-Administration könnte die Diskussion um den Teststoppvertrag, der 1999 nur knapp an einer republikanischen Mehrheit scheiterte, sowie um einen Cut Off-Vertrag, der die Herstellung von kernwaffenfähigem Brennstoff untersagt, an Dynamik gewinnen.
Am Ende wird dies aber nur funktionieren, wenn auch Europa seine gestaltende Rolle ausfüllt. Die Europäische Union hat beispielhaft bewiesen, dass ein Verzicht auf Hegemoniestreben zugunsten von gemeinsamer Sicherheit erfolgreich ist. Statt Dominanzstreben hat sich in den innereuropäischen Beziehungen Kooperation durchgesetzt. Dieser Politikansatz hat Modellcharakter für die globalen Beziehungen, insbesondere im Bereich der Sicherheitspolitik, wo sich das Verständnis von Sicherheit als unteilbarem Gut durchsetzen muss. Er muss sich verstärkt auch in politischen Initiativen niederschlagen
Die Sozialdemokratie kann dabei auf eine Tradition der Friedenspolitik zurückblicken, die Rüstungskontrolle und Abrüstung stets als zentrale Bausteine einer friedlichen Welt begriffen hat. Eine atomwaffenfreie Welt bleibt das programmatische Ziel. In den vergangenen Monaten gab es Anregungen für eine Wiederbelebung der Rüstungskontrolle. Der Vorschlag des Außenministers Frank-Walter Steinmeier zur Internationalisierung des Brennstoffkreislaufs fällt ebenso darunter wie auch der Versuch, eine abgestimmte Position in der Europäischen Union und der NATO zu finden. Vordringlich wären auch neue Initiativen im Bereich der nuklearen Abrüstung wie etwa der taktischen Nuklearwaffen, verbesserte Verifikation, eine Weiterentwicklung der Chemie- und Biowaffenkonventionen, die wirksame Kontrolle von Trägertechnologien, die verbesserte Kontrolle von Kleinwaffen und leichten Waffen, eine weltweite Ächtung von Landminen und Streubomben, neue Impulse bei der konventionellen Rüstungskontrolle, verbesserte finanzielle wie technische Abrüstungshilfen sowie eine restriktive Rüstungsexportpolitik. Das kooperative Miteinander zu regeln, um die Welt in zivilisierten Bahnen in eine neue Zeit zu führen, das ist die vordringlichste Aufgabe aktueller und zukünftiger Führungsmächte.