Atomare Anarchie versus atomwaffenfreie Welt: Zur Zukunft des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages.
Vor 40 Jahren trat der Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen (NVV) in Kraft. Seitdem ist der Atomwaffensperrvertrag der Eckpfeiler der weltweiten Bemühungen, die Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern und die nukleare Abrüstung zu stärken. Trotz aller Defizite und Schwächen hat der Nichtverbreitungsvertrag wesentlich zur Eindämmung der nuklearen Proliferation beigetragen. Gleichzeitig stellte er sicher, dass die Mitgliedstaaten unter Kontrolle und Aufsicht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) die nuklearen Technologien für zivile Zwecke nutzen konnten und gab den Staaten ein Sicherheitsgefühl in Bezug auf die Kapazitäten ihrer Nachbarn.
Bei aller Kritik hat der NVV immerhin erreicht, dass die Zahl der Atommächte die Zehnermarke bis heute nicht überschritten hat. Nur Indien, Pakistan und Israel befinden sich außerhalb des globalen Nichtverbreitungsregimes - Nordkorea hat seinen Austritt erklärt. Demgegenüber haben unter anderem die Ukraine, Belarus, Kasachstan, Südafrika, Brasilien, Argentinien, Taiwan und zuletzt Libyen ihre nuklearen Waffenprogramme beendet bzw. darauf verzichtet solche zu entwickeln. Dennoch: Noch immer bedrohen mehr als 20.000 Nuklearwaffen die Menschheit und 40 weitere Länder verfügen über eine ausreichende Infrastruktur, um sich eigene Arsenale aufzubauen. Und nach Nordkorea scheint nun auch Iran nach der Bombe zu greifen. Es mangelt also beileibe nicht an Herausforderungen für das globale Nichtverbreitungsregime.
Ziel der NVV-Überprüfungskonferenzen ist es, Fortschritte bei der Umsetzung des Vertrags zu dokumentieren, weitere Schritte festzulegen und den Vertrag für aktuelle Herausforderungen zu stärken, indem Regelungslücken, etwa bei der Verifizierbarkeit oder dem Kündigungsmechanismus, geschlossen werden. Während der letzten Überprüfungskonferenz vom 2. bis 27. Mai 2005 in New York verhinderten die zu weit auseinander liegenden Interessen der Mitgliedstaaten (Nichtverbreitung versus nukleare Abrüstung) die Einigung auf ein substantielles Abschlussdokument. Damit wurde eine wichtige Chance vertan, konkrete Zwischenziele für weitere Abrüstung und Nichtverbreitung zu vereinbaren.
Die Überprüfungskonferenz 2010 muss deshalb ein Erfolg werden. Das Debakel der letzten Konferenz im Jahr 2005 darf sich nicht wiederholen, zumal sich kritische Mitgliedstaaten diesmal kaum nicht mit unverbindlichen Absichtserklärungen zufrieden geben werden - zu gut erinnern sie sich an die weitreichenden Zusagen der Überprüfungskonferenzen 1995 und 2000, von denen dann 2005 keine Rede mehr war. Ein erneutes Scheitern würde der Legitimität des NVV schweren Schaden zufügen.
Das Jahr 2010 ist somit für die nukleare Abrüstung von entscheidender Bedeutung. Bis zur New Yorker Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags im Mai 2010 müssen die Atommächte zeigen, dass sie ihre Abrüstungsverpflichtung aus Artikel VI Ernst nehmen. Immerhin beruht der weltweite Konsens über das Fortbestehen des nuklearen Nichtverbreitungssystems darauf, dass die Kernwaffenstaaten ihr Privileg nicht als dauerhaft ansehen und in letzter Konsequenz nuklear abrüsten. Es gilt, die unkontrollierte Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verhindern.
Mit dem Amtsantritt von Barack Obama bietet sich ein Fenster der Gelegenheit. Das offenbar kurz vor Abschluss stehende START-Nachfolgeabkommen wäre ein wichtiges Zeichen dafür, dass die beiden Atomweltmächte ihrer Abrüstungsverpflichtung nachkommen. Auch wenn die Fertigstellung des Vertrages angeblich nur reine Formsache ist, bleibt eine Ratifizierung noch vor der Konferenz eher unwahrscheinlich. Es wäre jedoch ein wichtiges Signal, wenn der Vertragstext bis dahin vorliegen würde. Mit Spannung wird auch die sogenannten "Nuclear Posture Review" erwartet, mit der die US-Atomstrategie für die nächsten fünf bis 10 Jahre festgelegt wird. In dem Dokument, das Anfang März vorliegen soll, wird die Rolle von Atomwaffen für die US-Verteidigungspolitik beschrieben. Ob sich dabei die nuklearen Abrüstungsbefürworter, die erste Erfolge auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt erzielen wollen, oder die Befürworter einer nuklearen Modernisierung, die argumentieren, weitere Abrüstungsschritte seien nur möglich, wenn das Nuklearwaffenpotential der USA konsequent modernisiert werde, durchsetzen werden, ist offen. Unmittelbar vor der Überprüfungskonferenz lädt Obama zudem zu einem Gipfel zur nuklearen Sicherheit ein, der vom 12. bis 13. April in Washington stattfinden wird. An möglichen Impulsen für eine erfolgreiche Überprüfungskonferenz mangelt es also nicht.
Erwartungen an die Überprüfungskonferenz
Auch wenn die Ausgangslage für die bevorstehende Überprüfungskonferenz so günstig wie schon lange nicht mehr ist, sollte man vor zu großen Erwartungen warnen. Es wäre bereits ein Erfolg, wenn alle Beteiligten sich auf die drei Säulen des Nichtverbreitungsvertrags - Nichtverbreitung, nukleare Abrüstung und friedliche Nutzung der Kernenergie - sowie eine Aktualisierung der im Jahr 2000 vereinbarten dreizehn Schritte einigen könnten. Darüber hinaus wäre eine Stärkung von Artikel 10 begrüßenswert, die es Ländern erschweren würde, aus dem Vertrag auszusteigen.
Ein wichtiges Signal wäre eine von den Atommächten verabschiedete Doktrin des Verzichts auf den Ersteinsatz von Atomwaffen und der Beschränkung auf die Abschreckung. Eine solche Politik hätte sowohl eine positive Wirkung auf die Atommächte selbst, wie auf die Beziehungen der Atommächte untereinander und das gesamte Nichtverbreitungsregime. Es gibt durchaus Anzeichen dafür, dass eine solche Doktrin im Bereich des Möglichen liegt, auch wenn von den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bisher allein China den Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen erklärt hat, und von den anderen Atommächten bislang nur Indien diesem Beispiel gefolgt ist.
Ebenso sollte über eine Fortentwicklung des Kündigungsrechts des NVV verhandelt werden. Es gibt hier u.a. den Vorschlag, dass eine Kündigung des Atomwaffensperrvertrages künftig eine internationale Konferenz voraussetzt, die Raum für Diplomatie schafft und als Stolperdraht fungiert: Wer sich dem Kontrollregime ohne eine solche Konferenz entzöge, wäre automatisch ein Fall für den UN-Sicherheitsrat. Wenn sich die Konferenz auf ein Abschlussdokument und einen Arbeitsplan einigen sollte müssen weitere wichtige Schritte folgen: Hierzu gehören der wirksame Ausbau der Verifikations- und Durchsetzungsinstrumente für eine erfolgreiche Proliferationsbekämpfung, Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung, die Vermeidung von Doppelstandards bei der Proliferationsbekämpfung, die Universalisierung des IAEO-Zusatzprotokolls, proliferationsresistente Lösungen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie, Stärkung der Sicherung von Nuklearwaffen und Nuklearmaterial vor terroristischem Zugriff, Stärkung der Rolle des VN-Sicherheitsrats bei der Vertragsdurchsetzung sowie die Überwindung des Stillstands in der Genfer Abrüstungskonferenz. Von zentraler Bedeutung für die konkrete Umsetzung des Nichtverbreitungsregimes ist zweifellos die Arbeit der IAEA in Wien. Ihre Arbeit muss dringend gestärkt und verbessert werden, insbesondere durch Zeichnung und Anwendung des von der Agentur entwickelten Zusatzprotokolls durch möglichst alle Vertragsstaaten. Leider hat etwa die Hälfte der NVV-Vertragsstaaten das Zusatzprotokoll noch nicht in Kraft gesetzt; diese Länder müssen von einem Beitritt überzeugt werden.
Der NVV bleibt auch im 21. Jahrhundert das Fundament der nuklearen Nichtverbreitung und wichtigste Berufungsgrundlage für weitere Abrüstungsschritte mit dem Ziel der endgültigen Abschaffung der Kernwaffen. Gelingt es der NVV-Überprüfungskonferenz 2010 sich auf ein substanzielles Abschlussdokument zu einigen, wäre dies ein Signal, dass der kooperativen Rüstungskontrolle bei der Verhinderung der Verbreitung von Kernwaffen weiterhin eine wesentliche Bedeutung zukommt. Ein Erfolg in New York ist von elementarer Bedeutung für das Überleben des nuklearen Nichtverbreitungsregimes.