Atomabsolutismus und die Iran-Krise

Heute (16.2.) werden Vertreter aus Russland und Iran erneut versuchen, die festgefahrenen Gespräche über das iranische Atomprogramm wieder in Gang zu bringen. Sie werden über den Vorschlag sprechen, die Anreicherung von Uran für iranische Kernkraftwerke gemeinsam auf russischem Boden durchzuführen. Iran ist - wahrscheinlich - derzeit noch nicht in der Lage, Uran in größeren Mengen selbstständig anzureichern. Das Land plant und baut allerdings derzeit eine gigantische, unterirdische Urananreicherungsanlage. Angereichertes Uran ist sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke geeignet. Der Unterschied besteht lediglich im Grad der Anreicherung. Während schwach angereichertes Uran nur im zivilen Betrieb eingesetzt werden kann, ist hoch angereichertes Uran Bestandteil einer Atombombe. Der russische Vorschlag bedeutet zweierlei: (1) Angesichts der zahlreichen, langjährigen und bisher nicht aufgeklärten Verstöße Irans gegen die Regeln des Atomwaffensperrvertrags soll das Land derzeit den Brennstoffkreislauf nicht schließen. Die Anreicherung und Abzweigung von Uran für militärische Zwecke wäre demnach ausgeschlossen. Damit ist die Atomkrise zwar noch nicht gelöst, doch mit Hilfe dieser vertrauensbildenden Maßnahme könnten weitere Fragen in Ruhe angegangen werden. (2) Ein multinationales Konsortium zur Uranreicherung könnte für andere Problemländer ebenfalls einen Lösungsweg aufzeigen. Zudem könnte eine solche Einrichtung der erste Schritt auf dem Weg zu einer international kontrollierten Urananreicherung sein. Dieser Vorschlag geht auf den Direktor der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) und Friedensnobelpreisträger, El Baradei, zurück. Dadurch, so Baradei, könnte der Gefahr der Weiterverbreitung von Atomwaffen und der ungleichen Behandlung der Staaten in der Urananreicherung begegnet werden. Die nächsten Tage werden zeigen, ob der russische Vorschlag einen Ausweg aus der iranischen Atomkrise weisen kann.

Doch selbst dann bleiben grundlegende Probleme. Diese beziehen sich im Kern auf die Atomrüstung, die Rolle und die Verbreitung von Kernwaffen. Solange Atomwaffen ein Bestandteil der militärischen Ausrüstung und Planung in wenigen, in der Regel mächtigen Länder sind, werden sich Fälle wie die des Irans wiederholen. Deshalb müssen Rüstungskontrolle und Abrüstung die Bemühungen um die iranische Atomkrise flankieren. Dazu gehören verschiedene Maßnahmen. Vordringlich ist die vertragliche und überprüfbare Abrüstung der über 28.000 Kernwaffen in der Welt. Immerhin haben sich die USA, Russland, Frankreich, Großbritannien, Frankreich und die VR China im Atomwaffensperrvertrag verpflichtet nuklear abzurüsten. Was sie aber in den vergangenen Jahren getan haben, ist das Gegenteil: die USA und Russland fügen ihre Arsenale in veränderte Militärstrategien ein und stellen die den Nichtkernwaffenstaaten gegebenen Sicherheitsgarantien in Frage. Großbritannien und Frankreich modernisieren ihre Bestände und forcieren ebenfalls eine neue Atomdoktrin. Die VR China stellt weitere Atomwaffen in Dienst und ist bereit, im Falle der endgültigen Abspaltung Taiwans militärische Gewalt anzuwenden - im äußersten Fall auch Kernwaffen. Zwischen Indien und Pakistan gibt es noch immer keine belastbaren Verträge über die Kontrolle und den Abbau der Atomwaffen. Das Risiko, das in Südasien Kernwaffen eingesetzt werden, ist weiterhin groß. Auch Israel modernisiert seine Bestände und schafft sich eine atomare Zweitschlagskapazität. Die Verbreitung von atomwaffenfähigen Trägersystemen ist eine weitere Gefahr. Derzeit verfügen rund 25 Staaten über derartige Raketen und unbemannte Fluggeräte. Darüber hinaus liefern beispielsweise Pakistan, Nordkorea und die VR China Raketen in zahllose Krisengebiete. Der Iran arbeitet an Trägersystemen, die bald Europa erreichen können. Ein weiterhin ungelöstes Problem ist die Lagerung von rund 1.300 Kilogramm hoch angereichertem Uran in 27 Ländern, zum Teil unter mangelhaften Sicherheitsbedingungen.

Einzelne Länder vom Kernwaffenbesitz abzuhalten kann nur gelingen, wenn wir die offenkundigen Probleme, Ungleichgewichte und doppelten Standards beheben. Die fünf Kernwaffenstaaten müssen in den kommenden Jahren dringend zur nuklearen Rüstungskontrolle zurückkehren. Dazu gehören wirksame und überprüfbare Maßnahmen der nuklearen Abrüstung, eine Nulllösung bei den taktischen und substrategischen Atomwaffen, ein Kernwaffenregister, die Offenlegung der Plutoniumbestände, eine schrittweise Reduzierung des Bereitschaftsgrades der strategischen Kernwaffen und das in Kraft setzen des umfassenden Teststoppvertrages. Das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag, das Iran gerade wieder ausgesetzt hat, muss von allen Vertragsstaaten akzeptiert werden. Dadurch hätte die IAEA die Möglichkeit, Verstöße gegen den Atomwaffensperrvertrag jederzeit aufzuklären. Um die Verbreitung von Kernwaffen und Trägersystemen zu verhindern sollte zudem die von US-Präsident George W. Bush gegründete Proliferationssicherheitsinitiative (PSI) in einen völkerrechtlichen Vertrag überführt und durch eine internationale Organisation geführt werden. Eine solche Einrichtung wäre mit Hilfe polizeilicher und strafrechtlicher Mittel am Besten in der Lage, der Weiterverbreitung zu begegnen.

Trotz der hier nur angerissenen Probleme und Entwicklungen könnte in den kommenden Monaten auch bei den politischen Entscheidungsträgern in Washington, Moskau, London, Paris und Peking die Erkenntnis wachsen, das sie selbst einen Beitrag leisten müssen, um der Weiterverbreitung von Atomwaffen zu begegnen. Bei vorurteilsloser Prüfung müsste ihnen klar sein, dass der internationale Terrorismus, sozial und ethnische motivierte Kriege, Konflikte um Ressourcen und Umweltgefahren nicht mit atomaren Waffen abgeschreckt oder gar beantwortet werden können. Die jüngsten Schlussfolgerungen des US-Verteidigungsministeriums angesichts der Erfahrungen in Afghanistan und Irak deuten darauf hin, dass ein Umdenken beginnt. Wenn wir der atomaren Verbreitung begegnen wollen, müssen Taten folgen. Deutschland kann im Rahmen der Europäischen Union (EU) hierbei seine eigenen Erfahrungen und Motivationen einbringen.

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Die Irankrise und der russische Vorschlag
Veröffentlicht: 
Berlin, 13.02.06