Der Zorn gärt auf Nachtschicht

Mit der "Aktion Nachtschicht" wollte der DGB auf die Folgen der Besteuerung der Nachtzuschläge hinweisen.

"Die wissen nix von der Wirklichkeit", flucht Jürgen Adams durch die Montagehalle der Deutz AG in Porz. "Die sollen alle mal herkommen und für ein paar Tage tauschen." Den Sommer, sagt Betriebsrat Kamil Üresin über den Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, den hätten sie auch mal einladen müssen, nachdem der in den Fernsehtalkshows immer so klug daher geredet habe. Auch der hätte den Praxistest mal nötig, meinen die Motorenbauer, deren Zorn spürbar ist. CDU und FDP wollen ihnen ans Portemonnaie, indem sie die steuerfreien Nachtzuschläge zur Disposition stellen. "Wie soll das gehen?" fragt der 45-jährige Adams. "Das Geld ist sowieso schon knapp und dann sollen wir auch noch immer mehr zuzahlen und vorsorgen."

Es ist kurz vor Mitternacht. Die Nachtschicht von Adams und seinen Kollegen ist gleich zu Ende. 1200 bis 1400 Euro netto verdienen hier die meisten, berichten sie. Müssten sie die Nachtzuschläge versteuern, fielen rund zehn Prozent ihres Einkommens weg. "Das geht an die Existenzgrundlage", meint Üresin. Bei besser verdienenden Facharbeitern könne der Wegfall der Steuerfreiheit mehr als die Kosten eines Jahresurlaubs ausmachen, rechnet ein Gewerkschafter vor.

Nachtarbeit ist hart - für die Gesundheit, für die Familie, für die Lebensqualität. Das möchte der Kölner DGB zusammen mit IG Metall und Verdi in dieser Nacht zwei Dutzend Journalisten beweisen. Er hat zur "Aktion Nachtschicht" eingeladen. Mit einem KVB-Bus und zwanzig vollen Kannen Kaffee werden Kölner Betriebe angesteuert, in denen Wechselschichten gefahren werden. Die Gewerkschaften kämpfen für den Erhalt der Steuerfreiheit. "Der Systemwechsel im Steuerrecht geht nur, wenn die kleinen Leute keine Verluste hinnehmen müssen", sagt der Kölner DGB-Chef Wolfgang Uellenberg-van Dawen. Und außerdem: "Nachtarbeit ist Arbeit für die Allgemeinheit."

Der Köln-Bonner Flughafen lebt und pulsiert auch, wenn keine Passagiermaschinen abfliegen oder landen. Frachtflugzeuge werden beladen, Maschinen gewartet, Tausende Pakete auf die Reise geschickt. Bei UPS arbeiten 1800 Menschen, 66 Prozent von ihnen in Teilzeit. UPS-Betriebsratschef Frank-Uwe Czerwinski berichtet von Alleinerziehenden, die nachts, wenn ihre Kinder schlafen, für ein paar Stunden hier arbeiten, um morgens wieder am Frühstückstisch sitzen zukönnen. "Die leben von den Zuschlägen." Stark betroffen wären auch die Mitarbeiter des Wachdienstes Kötter, die bis zu zehn Stunden am Stück am Schalter sitzen müssen, um freundlich und gewissenhaft Tickets und Pässe zu kontrollieren. "Die Politiker reden immer davon, dass man die Kaufkraft stärken muss", ärgert sich Konrad Außem. "Aber uns fehlt das Geld, was zu kaufen."

Die Reise durch die Kölner Nacht ist auch eine Tour durch die oft graue Realität bundesdeutschen Arbeitsalltags. Überall wird von zunehmendem Druck berichtet. Bei Kötter sei den Mitarbeitern sogar mit dem Hinweis auf arbeitsrechtliche Konsequenzen der Pressekontakt untersagt worden, sagt Verdi-Geschäftsführerin Christa Nottebaum. Interviews sind nicht erwünscht. Wenig Lust auf DGB und Pressebesuch hat auch die sonst so offene Firma Ford. Hier soll der Arbeitgeberverband interveniert haben und die Devise "Keine Parteilichkeit vor der Bundestagswahl" ausgegeben haben. Die IG Metall bedankt sich mit einer Spontan-Demo mitten in der Nacht vor dem Werkstor. "Hier steht die Leistungselite der Ford-Werke", brüllt Thomas Freels, Geschäftsführer des Gesamtbetriebsrates in die Mikrofonanlage, die so laut durch den Kölner Norden scheppert, dass es auch die Bundestagskandidaten von CDU, FDP und Grünen in ihren Betten hören müssten. "Wo sind die, die vorgeben, sich für die deutsche Leistungselite einzusetzen?" Die drei Parteien haben die Einladung zur nächtlichen "Pressekonferenz" unterm Regenschirm offensichtlich nicht angenommen. SPD-Kandidat Rolf Mützenich und Ulla Lötzer von der PDS haben dagegen tapfer das warme Bett verlassen und versprechen den Nachtarbeitern, für deren Anliegen zu kämpfen.

Weniger Zeit für Inszenierungen haben die Mitarbeiter in der Werkstatt "Deutzer Feld" der Deutschen Bahn und im KVB-Betriebshof in Merheim. Hier werden Züge und Straßenbahnen repariert, damit sie morgens wieder auf die Schienen können. "Wenn die Steuerfreiheit wegfällt, wird das die Leute demotivieren und frustrieren", meint DB-Betriebsrat Wilfried Otten. Der Plan werde auch den Unternehmen schaden. Überall haben sich die Arbeitnehmervertreter darauf vorbereitet, nicht nur die eigenen Verluste vorrechnen zu können: Weil die Unternehmen beim Wegfall der Steuerfreiheit höhere Sozialabgaben zahlen müssten, drohen auch ihnen hohe Belastungen.

Die Arbeitnehmervertreter setzen darauf, dass nach der Wahl auch die Arbeitgeber gegen den Steuerplan protestieren. Lächerlich sei dagegen die Überlegung, dass sich die Arbeitnehmer die Einkommensverluste über Tariferhöhungen zurückholen könnten. "Ich verdiene netto so viel wievor zehn Jahren, aber die Arbeit ist immer mehr geworden", zürnt KVB-Mitarbeiter Volker Schmidt. Kaum vorstellbar, dass da Tariferhöhungen von 10 bis 15 Prozent durchsetzbar sind. Und wen wird er wählen bei der Bundestagswahl? Schmidt zieht die Schultern hoch. "Das sind doch alles Gangster. Jeder will mir was wegnehmen."

Autor: 
Von Helmut Frangenberg
Veröffentlicht: 
Kölner Stadt-Anzeiger, 03.09.2005
Thema: 
Aktion gegen die von CDU/CSU und FDP geplante Besteuerung der Nachtzuschläge