Waffen für die ganze Welt
Vieles spricht dafür, dass die Koalition der Rüstungsindustrie mit einer laschen Genehmigungspraxis entgegenkommt. "Stabilität" und Wirtschaftsinteressen sind offensichtlich wichtiger als Demokratie und Menschenrechte. Neu ist das nicht. Das Problem ist die Geheimniskrämerei: In der Regel werden Waffendeals erst bekannt, wenn es längst zu spät ist.
Mindestens zwei Mal im Jahr erregen Rüstungsexporte die deutsche Öffentlichkeit. Im Juni erscheint das Jahrbuch des Stockholm International Peace Research Institute, kurz SIPRI. Etwa ein halbes Jahr später folgt die Bundesregierung mit dem Rüstungsexportbericht des Wirtschaftsministeriums. Für Deutschland ist die Botschaft im Grunde immer die Gleiche: Wir liefern Unmengen von Rüstungsmaterial in viele Länder - auch in solche, wo nicht davon auszugehen ist, dass die Waffen nur zur Abschreckung eingesetzt werden. Die aktuellen Zahlen:
- Laut SIPRI war Deutschland in den Jahren 2005 bis 2009 mit einem Marktanteil von 11 Prozent hinter den USA und Russland der weltweit drittgrößte Waffenexporteur. Die Bundesregierung bestreitet das. Ein eigenes Ranking hat sie angeblich nicht.
- Laut Rüstungsexportbericht ging das Volumen der Ausfuhrgenehmigungen 2009 um 15 Prozent zurück. Insgesamt ging es immer noch um mehr als 5 Milliarden Euro.
- 51 Prozent der Exportgenehmigungen gehen, so das Bundeswirtschaftsministerium, in "EU-, NATO- und NATO-gleichgestellte Länder". Der Rest geht in Drittstaaten - obwohl der Export in diese Länder nach den "politischen Grundsätzen" aus dem Jahr 2000 "restriktiv" gehandhabt werden soll.
- Tatsächlich exportiert wurden Waffen im Wert von 1,33 Milliarden Euro, 76 Prozent davon in EU-, NATO- und NATO-gleichgestellte Länder.
Die Liste der belieferten Staaten reicht von Afghanistan bis zu den Vereinigten Arabischen Emiraten. Auch das instabile Pakistan gehört dazu, ebenso Mubaraks Ägypten, Bahrain, die Elfenbeinküste, Saudi-Arabien und Thailand. Zudem gewährte die Bundesregierung 2009 nach Angaben des Rüstungsexportberichts der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung Ausfallbürgschaften für Rüstungstransfers in Höhe von 1,92 Milliarden Euro, darunter 8 Millionen Euro für Geschäfte mit Gaddafis Libyen. Der Linken-Abgeordnete Jan van Aken, der Rüstungsexporte generell ablehnt, sagt es so: "Fast jede deutsche Waffe wird in fast jedes Land der Welt exportiert." Nur selten, wie jüngst beim Panzer-Deal mit Saudi-Arabien oder beim Besuch der Kanzlerin in Angola, werden einzelne Fälle öffentlich diskutiert.
"Sicherungsmaßnahme wichtiger Infrastruktur"
Klar ist, dass Demokratie und Menschenrechte nicht die ersten Prioritäten sind. Beispiel Bahrain: Im Februar marschierten 2000 Soldaten aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten in das Land und halfen, die Proteste gegen die Herrschaft von König Hamad niederzuschlagen. Sie dürften ebenso wie die einheimischen Sicherheitskräfte auch mit deutscher Munition aus deutschen Schusswaffen auf die nach Demokratie rufenden Demonstranten geschossen haben.
Nach offiziellen Angaben starben dabei 24 Menschen. Die Bundesregierung, die sich in Ägypten, Tunesien und Libyen als Unterstützerin der arabischen Freiheitsbewegungen feiern lässt, hat die Niederschlagung der Proteste zwar verurteilt, findet jedoch offenbar nichts dabei, mehr als 200 Leopard-Kampfpanzer an Saudi-Arabien zu liefern. Nach einem Bericht des MDR bewertete das Bundesinnenministerium den Einmarsch der Truppen nach Bahrain gar als "Sicherungsmaßnahme wichtiger Infrastruktur". Das Ministerium dementierte dies. Das zitierte Schreiben stamme nicht aus dem Ministerium, sondern von der Bundespolizei. Die allerdings untersteht dem Bundesinnenminister.
"Diese Griechen!"
Aber auch Lieferungen an NATO-Partner oder andere befreundete Staaten können problematisch sein. Beispiel Griechenland: Über Jahre zählte das Land zu den größten Importeuren von Rüstungsgütern, ein Großteil davon stammte aus Deutschland. 2009 lieferte die Bundesrepublik Kriegsgerät im Wert von knapp 43 Millionen Euro an das Land, das schon damals vor der Pleite stand - ein Klacks im Vergleich zu dem Milliardendeal über deutsche U-Boote, der noch im vergangenen Jahr perfekt gemacht wurde.
Der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit warf Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy damals vor, die griechische Regierung erpresst zu haben: Hilfe für das verschuldete Land werde es nur geben, wenn die Waffenverträge weiterliefen. Die "Bild"-Zeitung titelte nur kurz darauf knapp an der Realität vorbei: "Diese Griechen: Pleite! Aber für den Kauf teurer U-Boote haben sie Geld genug".
Die Entscheidung fällt im Geheimen
An Zahlen lässt sich bislang nicht belegen, ob es mit dem Antritt der schwarz-gelben Koalition Veränderungen bei den Rüstungsexporten gab - der vorliegende Rüstungsexportbericht deckt nicht einmal drei Monate ihrer Regierungszeit ab. Allerdings ist auch vom kommenden Bericht keine Aufklärung zu erwarten. Das liegt daran, dass Waffendeals meist über Jahre im Verborgenen bleiben.
Schließlich tagt der Bundessicherheitsrat, der Rüstungsexporte genehmigen muss, geheim. Dem Gremium gehören die Bundeskanzlerin und acht Minister an. "Wenn der Bundessicherheitsrat eine Voranfrage positiv bescheidet, dauert es sieben oder acht Jahre, bis das Geschäft im Rüstungsexportbericht erwähnt wird", sagt Marc von Boemcken, wissenschaftlicher Mitarbeiter des friedenspolitischen Bonn International Center for Conversion, im Gespräch mit n-tv.de. Dann sei es längst zu spät - die eigentliche Entscheidung falle mit der Voranfrage. Wird diese positiv beschieden, ist die abschließende Genehmigung, die im Rüstungsexportbericht veröffentlicht werden muss, so gut wie unausweichlich.
Trotz fehlender Zahlen hat die Opposition den Eindruck, jede Reise der Bundeskanzlerin sei "in irgendeiner Form mit Rüstungslieferungen" verknüpft. Dies sagte der SPD-Außenexperte Rolf Mützenich in der vergangenen Woche bei n-tv. Als Beispiele nannte er neben Angola auch Indien, wo die Kanzlerin sich im Mai für den Verkauf von 126 Eurofightern eingesetzt hatte. "Ich finde, die Bundeskanzlerin darf keine Handlungsreisende in diesen Waffengeschäften sein", so Mützenich. Er glaubt, Merkel verschiebe die Achse der deutschen Außenpolitik hin zu mehr Rüstung.
"Ungewöhnlich ist, dass jemand geplaudert hat"
Mützenichs Kritik wird von dem Experten geteilt, "zumal Angola und Indien nach meiner Einschätzung nicht die Kriterien der Rüstungsexport-Richtlinien erfüllen", so von Boemcken. Gleiches gelte für Saudi-Arabien. Dass der Bundessicherheitsrat die Voranfrage aus der Rüstungsindustrie über die Lieferung von mehr als 200 Leopard-Panzern an Riad dennoch positiv beschieden hat, hält der Friedenforscher nicht für außergewöhnlich. "Ungewöhnlich ist, dass jemand geplaudert hat."
Von Boemcken weist auf einen Zusammenhang zwischen der Inlandsnachfrage und den Exporten hin: Im Zuge der Bundeswehrreform würden die Bestellungen aus der Bundeswehr zurückgehen. "Mein Gefühl ist, dass die Bundesregierung der Rüstungsindustrie mit einer lascheren Genehmigungspraxis entgegenkommt." Für dieses Gefühl gibt es starke Indizien. In ihrem Koalitionsvertrag schrieben Union und FDP zwar: "Wir stehen für eine Außenpolitik, die durch Abrüstung zu Frieden und Freiheit in der Welt beiträgt." Im Kapitel zur Außenwirtschaft liest sich das jedoch ganz anders: "Bürokratische Hemmnisse werden abgebaut und die Verfahren beschleunigt.?
Dennoch wäre es falsch, allein Schwarz-Gelb als Koalition der Waffenexporteure darzustellen. Beispiel Angola: Deutschland liefert bereits seit 2004 Rüstungsgüter an das afrikanische Land, damals saß die Union noch in der Opposition. Als der Bundessicherheitsrat sich erstmals mit den aktuell diskutierten sechs bis acht Patrouillenbooten befasste, war Merkel zwar bereits Kanzlerin. Doch ihr Außenminister hieß Frank-Walter Steinmeier. Von einem Einspruch des heutigen SPD-Fraktionschefs ist nichts bekannt. Auch von Boemcken betont, dass die Exporte von Rüstungsgütern in Drittstaaten - also in Nicht-EU- und -NATO-Staaten - trotz der seinerzeit neuen "politischen Grundsätze" schon unter Rot-Grün gestiegen seien. "Am Ende haben Wirtschaftsinteressen offensichtlich Vorrang."
Grüne fordern mehr Transparenz
Die Grünen fordern derweil eine Änderung der Genehmigungspraxis. Sie wollen die geheimen Entscheidungen im Bundessicherheitsrat beenden. "Wir sind dabei, Vorschläge für ein transparenteres Genehmigungsverfahren zu unterbreiten", sagt die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Katja Keul, n-tv.de. Dabei werde auch geprüft, ob das Parlament in irgendeiner Weise in Entscheidung eingebunden werden kann. "Denkbar ist ein Vetorecht für besonders heikle Entscheidungen", so Keul, die auch Mitglied im Verteidigungsausschuss ist. Ebenfalls möglich sei es, "Zielländer für deutsche Rüstungsgüter in Kategorien einzuteilen, für die dann unterschiedliche Veröffentlichungsregeln gelten". Auch damit könne die Transparenz erhöht werden.
Denkbar wäre das sicher. Zumindest für Schwarz-Gelb jedoch vermutlich zu kompliziert. In der Antwort auf eine Anfrage der Grünen erklärte die Bundesregierung im Mai, es gebe "keinen anerkannten, praktikablen Demokratiemaßstab", mit dem Rüstungsexporte in nichtdemokratische Staaten verhindert werden könnten. Und deshalb - so der Tenor der Antwort - muss leider alles beim Alten bleiben.