SPD und Grüne entsetzt über Enthüllungen

Mit Entsetzen haben Abgeordnete der SPD und der Grünen gestern auf Medienberichte reagiert, wonach zwei Agenten des Bundesnachrichtendiensts (BND) im März 2003 in Bagdad waren und dort der US-Armee bei der Zielauswahl geholfen haben sollen - nicht auf eigene Faust, sondern mit Wissen und Billigung der rot-grünen Bundesregierung. "Wenn das stimmt, wäre das eine ganz schreckliche Geschichte", sagte die SPD-Außenpolitikerin Uta Zapf der GFTD. "Unglaublich" kommentierte ihr Fraktionskollege Rolf Mützenich.

Nach der Affäre um CIA-Flüge in Deutschland seien die Enthüllungen über den BND "besonders bedrückend", sagte Zapf: "Wir werden in die Nähe von Folter und Kriegsbeteiligung gerückt."

Scharfe Kritik kam auch von den Grünen: "Wenn sich das bestätigt, wäre es der GAU. Die Antikriegspolitik der rot-grünen Bundesregierung würde diskreditiert", sagte der Fraktionsvize Hans-Christian Ströbele der FTD.

Wie FDP und Linkspartei unterstützen auch die Grünen und einige SPD-Abgeordnete die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Bundestag. "Ich würde einen Untersuchungsausschuss mittragen", sagte Zapf. "Das alles muss aufgeklärt werden", forderte auch der für Außenpolitik zuständige Fraktionsvize der Grünen, Jürgen Trittin. Wenn sich "mit den anderen parlamentarischen Mitteln" keine Klarheit schaffen lasse, "dann werden wir den Untersuchungsausschuss nicht scheuen".

Die Vorgänge, über die gestern die "Süddeutsche Zeitung" und das Fernsehmagazin "Panorama" berichteten, sind in der Tat beunruhigend für Rot-Grün: Danach verblieben zu Beginn des Irak-Krieges im März 2003 zwei BND-Agenten in Bagdad. Am 7. April soll einer der Beamten für den amerikanischen Militärgeheimdienst DIA Informationen über den angeblichen Aufenthaltsort von Saddam Hussein überprüft haben. Der BND-Mann sei zu dem Ort gefahren und habe den Amerikanern die Anwesenheit einer Kolonne von schwarzen Mercedes-Fahrzeugen bestätigt.

Wenig später hätten US-Flugzeuge die Gegend bombardiert. Bei dem Angriff starben zwölf Zivilisten. Das Kanzleramt habe die deutsch-amerikanische Geheimdienstoperation gebilligt, berichten die "Süddeutsche Zeitung" und "Panorama" unter Berufung auf deutsche Sicherheitskreise und einen früheren Pentagon-Mitarbeiter. Der Bomberpilot und der deutsche Agent seien mit einem US-Ordenausgezeichnet worden.

Die damals Beteiligten verbreiteten gestern eine andere Version der Ereignisse. Danach waren - wie seit längerem bekannt - zwar zwei Agenten in Bagdad. Ihre Aufgabe sei es gewesen, Berlin mit unabhängigen Informationen über den Krieg zu versorgen. Zudem hätten die Geheimdienstler den Amerikanern vor dem Beginn der Kampfhandlungen die Koordinaten so genannter non-targets geliefert: Ziele, die nicht angegriffen werden dürfen, darunter zum Beispiel Botschaften und Krankenhäuser.

"Es sind keine kriegsführenden Parteien mit Koordinaten und Zielunterlagen für Bombenziele bedient worden", sagte gestern der heutige BND-Chef und damalige Geheimdienstkoordinatorim Kanzleramt, Ernst Uhrlau. Die Weitergabe von "Koordinaten und Zielunterlagen" wird dem BND aber auch nicht vorgeworfen. Nach den Berichten hat der deutsche Spion nur vor Ort nachgeschaut und danach dem US-Militär Bescheid gesagt.

Auch zu einer zweiten Aussage Uhrlaus gibt es eine andere Darstellung: "Wir waren nicht an der Verfolgung Saddams beteiligt", versicherte derGeheimdienstler gestern. Die "Los Angeles Times" berichtete dagegen, die BND-Beamten hätten das US-Militär über Saddam Husseins angeblichen Aufenthaltsort informiert.
 

Autor: 
Von Hubert Wetzel und Jens Tartler
Veröffentlicht: 
Financial Times Deutschland, 13.01.2006
Thema: 
Abgeordnete der früheren Koalition fürchten um die Glaubwürdigkeit ihrer Regierung und fordern Aufklärung ? Geheimdienst dementiert Vorwürfe