Die Solidarität bröckelt
Berlin. Jetzt marschieren sie wieder. In Erfurt und Frankfurt an der Oder, in Kassel und Duisburg. Sie marschieren für Abrüstung und gegen die Gewalt in der Ostukraine. Peter Strutynski, einer der Veteranen der Friedensbewegung, spricht von 100 Ostermärschen insgesamt, bei denen mehrere 1000 Menschen auf die Straßen gingen. Das sind viele, aber lange nicht so viele wie Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre, als es auf dem letzten Höhepunkt des Kalten Krieges Hunderttausende waren. Neben den Teilnehmerzahlen hat sich vor allem das Verhältnis der Parteien zur Ostermarschbewegung verändert. Alte Verbindungen sind lose geworden, andere neu entstanden.
Das bürgerliche Lager hatte mit den Marschierern noch nie viel am Hut. Vor 1989 galten sie dort vielfach als "fünfte Kolonne Moskaus". Strutynski, einer der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, sagt: "Mit der CDU lässt sich kein Staat machen." Ganz anders sehe es bei der erst seit ein paar Jahren existierenden Linkspartei aus. Die sei komplett aufseiten der Friedensaktivisten.
Ein Wunder ist das nicht. Die Linke betrachtet das strikte Nein zu militärischer Gewalt ebenso als Teil ihrer Identität wie die Nähe zu den sozialen Bewegungen. So spricht bei der Kundgebung in Kassel die umstrittene linke Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen. Das Verhältnis der Ostermarschbewegung zu SPD und Grünen ist derweil kompliziert geworden.
Der in jeder Beziehung friedliebende SPD-Vizefraktionschef Rolf Mützenich sagt, es gebe Kontakte. Auch habe die SPD Konzepte wie den des Zivilen Friedensdienstes in Krisenregionen übernommen. Die Bedeutung der Friedens- und Konfliktforschung sei ohnehin unumstritten. Vieles, was auf Ostermärschen gefordert werde, sei längst Regierungshandeln. Mit Vertretern pazifistischer Strömungen, die jegliche Militäreinsätze ablehnten, gebe es aber Kontroversen, fährt er fort. Aktuell sieht der Außenpolitiker den Ukraine-Konflikt als Streitpunkt.
Das Unentschiedene der SPD ist historisch nicht neu. Es erstreckt sich von der Debatte über die Kriegskredite Anfang des Ersten Weltkrieges über die Wiederbewaffnung bis hin zum Nachrüstungsstreit in den 80er Jahren, als Kanzler Helmut Schmidt und sein Vorgänger Willy Brandt aneinander gerieten.
Ähnlich verhält es sich bei den immer noch jungen Grünen. Sie sind aus der Friedensbewegung hervorgegangen und waren pazifistisches Fleisch vom Fleische der SPD. Das vom damaligen grünen Außenminister Joschka Fischer 1999 gegen heftigen Widerstand durchgesetzte Ja zum Kosovo-Krieg markiert jedoch die Wegscheide. Ostermarsch-Aktivist Strutynski sagt, die SPD gehe an die Friedensfrage eher machtpolitisch ran, während die Grünen einen hohen moralischen Anspruch hätten und diesen gelegentlich militärisch durchzusetzen versuchten. Letzteres gehe nicht.
Die Ambivalenz schimmert auch im Gespräch mit Agnieszka Brugger durch, der sicherheitspolitischen Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion. Das Verhältnis der Partei zur Friedensbewegung sei gut und konstruktiv, sagt sie, an einigen Stellen indes von Unterschieden geprägt. Im Übrigen sei ja die Friedensbewegung selbst keine homogene Masse. Schnittmengen sieht die 30-jährige Parlamentarierin bei den Themen Abrüstung und Rüstungsexporte.
Problematisch findet sie Veranstaltungen des "Friedenswinters", bei dem die Übergänge zwischen linken und rechten Gruppen teilweise fließend sind. Und generell sei ein kategorisches Nein zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr "keine grüne Position". Derlei Einsätze könnten vielmehr "als äußerstes Mittel gerechtfertigt sein". Brugger betont: "Alles in allem haben wir Grünen einen sehr guten Austausch mit der Friedensbewegung. Einen Bruch sehe ich nicht."
Während Rolf Mützenich übrigens vor vier oder fünf Jahren das letzte Mal mitmarschiert ist, war Brugger noch nie Teil eines Ostermarsches - ihr zufolge vor allem, weil Ostern für die Familie reserviert sei. Sie beschreibt sich jedoch als stark engagiert bei den Protesten gegen den Irak-Krieg. "Gerade in meinen Zeiten bei der Grünen Jugend habe ich viel für den Frieden demonstriert."
Für Peter Strutynski vom Bundesausschuss Friedensratschlag ist die rot-grüne Zustimmung zum Kosovo-Krieg sehr wohl ein Bruch gewesen - wenngleich bei den regional organisierten Ostermärschen beide Parteien präsent blieben. Für die Zukunft will der pensionierte Politologe aber nichts ausschließen. "Die Kriegseinsätze haben nichts gebracht, sondern die Probleme eher noch verschärft", sagt er mit Blick auf Afghanistan. "Wenn sich dieser Gedanke durchsetzt, könnte es auch wieder Veränderungen geben."
Hunderte protestierten
Zum Auftakt der Ostermärsche haben am Karfreitag Hunderte Menschen gegen Krieg, Rüstungsexporte und Atomwaffen demonstriert. Vor der Uranfabrik Urenco in Gronau forderten rund 350 Demonstranten die sofortige Stilllegung und ein Ende der Uran-Anreicherung. In Bruchköbel im Main-Kinzig-Kreis protestierten mehr als 100 Menschen gegen den Militärkonflikt in der Ukraine und die Entsendung von Bundeswehrsoldaten zu Krisenherden im Ausland.Ein gutes Dutzend Friedensaktivisten hielt vor dem Fliegerhorst Büchel im Kreis Cochem-Zell einen Gottesdienst ab und protestierte gegen Atomwaffen. Der Fliegerhorst gilt als einziger Standort in Deutschland, an dem US-Atomwaffen lagern. Bis Ostermontag werden voraussichtlich Tausende Menschen für eine Welt ohne Krieg demonstrieren.