Die rote Friedensmacht

Die Hauptgefahr für Angela Merkel im Nahost-Krieg droht gegenwärtig ander Heimatfront. Das SPD-Präsidium widersetzt sich dem proisraelischen Kurs der Kanzlerin und ihres Außenministers. Selbst im eigenen Kabinett regt sich Widerstand. Das SPD-Präsidium hatte sich vergangenen Montag zur Telefonschaltkonferenz verabredet. Es sollten die wichtigsten Fragen der Woche besprochen werden. Es sollte um die Weltpolitik gehen, um Krieg oder Frieden im Nahen Osten. Da durfte Heidemarie Wieczoreck-Zeul auf keinen Fall fehlen. Dachte sie.

Formell war die Entwicklungshilfeministerin nicht eingeladen, weil sie nicht mehr dem Führungszirkel ihrer Partei angehört. Umso mehr staunten die Spitzengenossen, als pünktlich um neun Uhr die vertraute Stimme der 63-Jährigen erklang. Sie hätte sich mit Hilfe von Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier Zugang und damit Gehör verschafft.  Hallo, die Heidi hier", grüßte sie freundlich. Dann wurde es ernst. Denn sie hatte sich nicht zum Plauschen eingewählt. Sie wollte eine Klarstellung. Sie wollte Frieden schaffen ohne Waffen.

Das höchste Gremium der deutschen Sozialdemokratie sollte endlich Farbe bekennen. Anders als von der Union und der schwarz-roten Regierung vertreten, müsse die Forderung nach einem "sofortigen Waffenstillstand" erhoben werden. Der Begriff müsse in einer Erklärung der Partei zum Nahost-Konflikt auftauchen, verlangte Wieczoreck-Zeul und fand viel Zustimmung.

Zunächst pflichtete ihr der Thüringer Christoph Matschie bei. In der Folge meldete sich eine stolze Damenriege zu Wort, die ebenfalls für klare Worte gegenüber Israel plädierte.  Unsere Basis erwartet das von uns", sagte Vizeparteichefin Ute Vogt. Dann stimmten auch Schatzmeisterin Wettig-Danielmeier und die stellvertretenden Vorsitzenden Elke Ferner und Bärbel Dieckmann zu, schließlich Andrea Nahles. Sie alle votierten für einen SPD-Appell gegen völkerrechtswidriges Verhalten Israels und für einen sofortigen Waffenstillstand.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Generalsekretär Hubertus Heil und Europa-Politiker Martin Schulz stemmten sich gegen die Welle der Empörung. Steinmeier, der aus seinem Malta-Urlaub zugeschaltet war, wollte sich seinen Aktionsradius nicht einschränken lassen: Können wir uns nicht auf einen Appell verständigen, dass wir wollen, dass die Warfen schweigen?", fragte er. Wir brauchen einen sofortigen Waffenstillstand, dort sterben jeden Tag Menschen", rief Wieczorek-Zeul.  Das ist doch Wortklauberei", tönte der genervte Generalsekretär.  Das ist keine Wortklauberei", konterte die Ministerin.  Welchen Zweck hat eine solche Erklärung, wenn die Hauptbeteiligten schlicht nicht zu einem Waffenstillstand bereit sind?", fragte Steinmeier.

Irgendwann brachte Heil die Gefahr des Disputs auf den Punkt.  Es darf nicht so aussehen, dass wir im Gegensatz zu unserem Außenminister stehen", sagte er. Aber das genau befeuerte die Israel-Kritiker eher noch. Am Ende der Telefonkonferenz schien eine Mehrheit für die Forderung nach einem "sofortigen Waffenstillstand" klar. Einen förmlichen Beschluss gab es nicht.

Das höchste Gremium der Partei befindet sich seither in Frontstellung zum eigenen Außenminister. Die SPD vertritt, was die Bundeskanzlerin im kleinen Kreise kurz zuvor eine  Ohnmachtsforderung" genannt hatte. Eine scharfe Stellungnahme - nur leider ohne Bezug zur Realpolitik.

Während Angela Merkel die Nahost-Diplomatie zu ihrem Hauptthema erklärte und im Lauf der Woche mit den Herren Putin, Olmert, Bush, Chirac und Blair telefonierte, ringt die SPD mal wieder mit sich selbst. Aber sie tut es stellvertretend für eine ganze Nation. Die nämlich ist hin- und hergerissen zwischen der deutschen Verantwortung für Israel und der Abscheu beim Anblick toter Zivilisten. Und: Die Mehrheit der Deutschen ist eher bei den Sozialdemokraten als bei Merkel.

Die SPD möchte ihr Image als Friedenspartei bewahren, weil es die wertvollste Hinterlassenschaft der Ära Schröder ist, wie etliche Genossen glauben. Für die SPD ist das Friedensetikett fast so wichtig wie das vom Schutzpatron des kleinen Mannes. Die Genossen waren stolz, als sie im Sommer 2005 die Wahlplakate mit dem Slogan "Friedensmacht" klebten. In einer Zeit, in der sich die SPD mit der Angst quält, von der CDU kaum noch unterscheidbar zu sein, ist das Verlangen nach Alleinstellungsmerkmalen besonders ausgeprägt.

Die Genossen wollen ihren Markenkern schützen. Steinmeier ist der SPD in ihrer Friedenssehnsucht keine große Hilfe. Ein bisschen so wie Helmut Schmidt ihr unangenehm war, als er Anfang der achtziger Jahre die Nato-Nachrüstungspolitik verteidigte. Damals setzte sie sich so weit von ihrem Kanzler ab, dass Schmidt im Sommer 1982 ziemlich allein dastand. Dann lief die FDP zu Helmut Kohl über.

Im Sommer des Jahres 2006 geht es um das schwierige Verhältnis zu Israel. Während die Union im Gefolge der USA schon lange für größtmögliche Solidarität mit Jerusalem eintritt, versuchte die SPD, stets auch die Belange der Palästinenser zu betonen. Dieser Tage verbindet sich zudem die alte pazifistische Neigung der SPD mit ihren Abwehrreflexen gegenüber dem Amerika des George W. Bush.

Tatsächlich gaben Israel und die USA ihren Kritikern vorige Woche täglich neue Nahrung. Bilder der Zerstörung waren im Fernsehen zu sehen. In den Zeitungen war über eine israelische Strategie zu lesen, die kaum noch Rücksicht auf Verbündete zu nehmen schien. Die USA waren im Uno-Sicherheitsrat nicht bereit, den israelischen Angriff auf Blauhelme im Südlibanon zu verurteilen. Und am Freitag bombardierten die Israelis auch noch einen Rot-Kreuz-Hilfskonvoi. "Es ist in diesen Tagen nicht leicht, ein Freund Israels zu sein", sagt selbst ein führender FDP-Politiker. Die Raketen der Hisbollah und ihr politisches Ziel, Israel von der Landkarte zu tilgen, traten dagegen in den Hintergrund.

Sollte sich der Krieg im Nahen Osten ausweiten, so die Sorge in SPD und CDU, könnte das zum Sprengsatz in der deutschen Hauptstadt werden. Dass sich momentan keine Eskalation abzeichnet, wirkt kaum beruhigend.

"Das kann zum Scheidepunkt der Großen Koalition werden", warnt der SPD-Linke Michael Müller, Parlamentarischer Staatssekretär im Umweltministerium. Sollte sich etwa auch Syrien in den Krieg einschalten, so Müller, stünden sich SPD und Union unvereinbar gegenüber: Während die Konservativen dann wohl für eine aktive Unterstützung Israels eintreten würden, würde die SPD sich einem solchen Ansinnen widersetzen, glaubt Müller.

Die Israel-Kritikerin Wieczorek-Zeul sieht sich durch  "Hunderte E-Mails" bestätigt - "überwiegend positiv und sehr differenziert". Natürlich brauche der Außenminister maximalen Handlungsspielraum, sagt sie großzügig.  "Aber die SPD muss doch ihre grundsätzliche Position für einen Waffenstillstand deutlich machen." Wieczoreck-Zeul weiß, dass sie mit ihren Forderungen einen Nerv ihrer Partei getroffen hat.  "Da fehlt jedes Maß", wendet sich etwa der SPD-Nahost-Experte Rolf Mützenich gegen die Aktionen Jerusalems,  Freunde müssen ein offenes Wort gegenüber Israel sagen." Viele Genossen stoßen an ihrer Basis auf breites Unverständnis über die Bomben gegen Beirut oder den Beschuss von Flüchtlingen: "Die Leute finden völlig verrückt, was da passiert", berichtet die Saarländerin Astrid Klug, die neben Müller Parlamentarische Staatssekretärin im Umweltministerium ist,  "sie erkennen den Sinn der Aktion nicht."

Nach dem israelischen Bombardement eines Uno-Beobachtungspostens nannte es der frühere Juso-Chef Niels Annen  "einfach Wahnsinn, was die Israelis da machen". Es sei  abenteuerlich zu glauben, man könne die Hisbollah so eliminieren".

Selbst die ansonsten eher proisraelischen Vertreter des Seeheimer Kreises gaben sich kritisch:  Israel muss die unverhältnismäßige Anwendung militärischer Mittel zu Lasten der libanesischen Zivilbevölkerung unterlassen." Ursprünglich wollten die Seeheimer sogar den Begriff  "völkerrechtswidrig" in ihrer Erklärung unterbringen, verzichteten darauf aber doch - aus Angst vor einer Reaktion des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Hinter verschlossenen Türen reden die Genossen auch mit den Vertretern Israels in Berlin. Der für die Kontaktpflege zuständige Fraktionsvize Walter Kolbow erklärte Botschafter Shimon Stein, dass 4500 im Libanon geborene Deutsche und Touristen auf dem Heimweg seien. Hier würden sie natürlich berichten: von toten Vätern, verwundeten Müttern oder von Kindern mit schwersten Brandverletzungen. Jeder einzelne Tod eines Zivilisten sei eine Anklage gegen Israel, versuchte der SPD-Mann dem Botschafter klarzumachen.

Jerusalem solle doch endlich seine "unbegrenzten Bombardements" einstellen. Doch Stein ließ Kolbow abblitzen. Er gab ihm zu verstehen,dass er solche Appelle für unbotmäßig halte.

Wie hältst du es mit Israel? Es ist eine Frage, die in den Grenzbereich zwischen historischer Verpflichtung und aktueller Politik zielt. Spätestens seit dem Aufkommen der 68er-Bewegung quält sich die Linke mit der Frage, ob man Israel für sein teils kompromissloses Vorgehen gegen die arabischen Nachbarn kritisieren darf. Oder ob man nicht gerade als Deutscher zur Zurückhaltung verpflichtet sei.

Es sind Fragen, die schon die Vorgänger der SPD-Führung beschäftigten. Zwar hatte das Existenzrecht Israels stets Priorität. Es war Willy Brandt, der 1973 als erster deutscher Kanzler Israel bereiste und für eine besondere deutsche Schuld einstand. Aber zugleich traf sich der Friedensnobelpreisträger 1979 mit PLO-Chef Jassir Arafat in Wien. Jerusalem protestierte.

Auch Brandt-Nachfolger Helmut Schmidt tat sich schwer mit der israelischen Politik. Die deutsche Regierung war 1974 die erste in Westeuropa, die sich offenfür ein Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser aussprach. Als Schmidt 1981 nach einem Besuch in Saudi-Arabien den Palästinensern ein moralisches Recht auf staatliche Selbstorganisation zubilligte, sah sich Israels Premier Menachem Begin in allen Vorurteilen gegenüber den Deutschen bestätigt.

Erstmals seit 1969 stellt die heutige SPD - abgesehen von einem kurzen Intermezzo Helmut Schmidts 1982 - wieder den Außenminister. Und Steinmeier scheint nicht gewillt, seine Diplomatie der leisen Töne den Appellen der Partei zu opfern.

Ihm gehe es darum, dass die "Diplomatie glaubwürdig bleibt", ließ Steinmeier seine Genossen vergangene Woche erneut wissen. In einer Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses setzte Steinmeier am Donnerstag noch eins drauf. Er hoffe sehr, eröffnete er den Bericht über seine Telefon- und Reisediplomatie, dass die Bemühungen um eine Lösung im Libanon "nicht zu einem Gegenstand des Parteienstreits"in Berlin würden.

Die direkte Auseinandersetzung mit seiner Hauptgegenspielerin suchte der gestresste Außenminister nach dem Aufeinanderprall im Präsidium indes kein zweites Mal. Dafür schickte er seine Mitarbeiter im Auswärtigen Amt los, um hinter vorgehaltener Hand über die "Appell-Politik" Wieczorek-Zeuls zu lästern. Man habe leider keine Hinweise darauf gefunden, dass die Worte der Genossin auf die Hisbollah-Führung Eindruck gemacht hätten, verkündeten Steinmeiers Berater süffisant.

Wieczorek-Zeul glüht derzeit vor Bedeutung. Stolz verweist sie darauf, dass sie durchaus Sachverstand mit Provokationen beim Thema Nahost besitze. Schon Anfang der siebziger Jahre, damals noch als Juso-Funktionärin, hatte sie sich für eine Anerkennung der PLO stark gemacht; zu einer Zeit, als diese weithin als reine Terrororganisation galt. "Später war es die Haltung der internationalen Gemeinschaft."

Autor: 
Von Markus Feldenkirchen, Horand Knaup, Aexander Szandar
Veröffentlicht: 
Der Spiegel, 31.07.2006
Thema: 
Die SPD und der Libanonkrieg