Nordafrika-Flüchtlinge: Abschottungspolitik der EU sorgt für Unmut
Italien kämpft gegen einen Ansturm von Flüchtlingen aus Tunesien. Die Opposition in Berlin fordert, Flüchtlinge auch in Deutschland aufzunehmen. Das Bundesinnenministerium hält nicht viel davon. Und auch die EU stellt sich quer. Sie hat andere Pläne, um das Problem in den Griff zu bekommen.
Angesichts der Flüchtlingsströme aus Tunesien ist in Deutschland eine Debatte über die Verteilung von Asylbewerbern innerhalb der EU entbrannt. Politiker von SPD und Grünen plädierten dafür, afrikanische Flüchtlinge auch in Deutschland aufzunehmen. Der Staatssekretär im Innenministerium, Ole Schröder (CDU), sprach sich am Dienstag in Berlin dagegen aus, Flüchtlinge, die in südlichen EU-Ländern ankommen, auf andere Mitgliedsstaaten zu verteilen.
Vielmehr müsse man dafür sorgen, dass die Flüchtlinge in ihren Heimatländern Perspektiven bekämen, sagte Schröder auf dem Europäischen Polizeikongress. Man könne nicht davon sprechen, dass nur die südlichen EU-Länder besonders stark von Flüchtlingsströmen betroffen seien. Im Jahr 2010 habe Belgien dreimal mehr Asylbewerber aufgenommen als Italien und zehnmal mehr als Spanien. Schweden habe mit rund 30 000 Asylbewerbern fünfmal so viele Menschen aufgenommen wie Italien. Deutschland gab rund 41 000 Asylbewerbern eine Chance.
Tausende Tunesier sind in den vergangenen Tagen auf die kleine italienische Insel Lampedusa geflüchtet. Die Flüchtlingslager sind so überfüllt, dass der humanitäre Notstand ausgerufen wurde.
Schröder sagte, bei einer Aufteilung von Flüchtlingen auf EU-Mitgliedsstaaten entstehe die Frage, nach welchen Kriterien dies geschehen solle: Nach Einwohnerzahl, Wirtschaftskraft - oder nach früheren Aufnahmezahlen? "Dann hätte Deutschland keine Veranlassung, Flüchtlinge aus anderen Ländern aufzunehmen", sagte er. "Das alles zeigt, dass ein solcher Mechanismus keinen Sinn macht."
"Wir müssen alles unternehmen, dass es in Bezug auf die Flüchtlingsfrage eine einheitliche europäische Haltung gibt", sagte dagegen der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, Handelsblatt Online. Flüchtlinge und politisch Asylsuchende seien nicht nur ein Problem der Südländer, sondern der gesamten Europäischen Union. "Deshalb muss sich die Bundesregierung um eine gemeinsame und solidarische europäische Flüchtlingspolitik bemühen." In diesem Zusammenhang wäre nach Mützenichs Ansicht auch eine größere Aufnahmebereitschaft Deutschlands wünschenswert.
Ähnlich äußerten sich die Grünen. "Deutschland ist für die Flüchtlinge auf Lampedusa moralisch ebenso verantwortlich wie Italien und muss sich an ihrer Aufnahme und Versorgung beteiligen", sagte Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck Handelsblatt Online. "Das unsolidarische Verhalten der Bundesregierung trifft in erster Linie die Flüchtlinge, die auf schnelle Hilfe angewiesen sind und nicht abwarten können, bis der Zuständigkeitsstreit in der EU gelöst ist."
Beck warf der EU eine Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen vor, die mit einer menschenrechtlichen Außen- und Europapolitik "nicht vereinbar" sei. "Wenn die Bundesregierung und die EU es mit dem Menschenrechtsschutz ernst meinen, dürfen sie dringend hilfsbedürftigen Flüchtlingen nicht die Tür vor der Nase zuschlagen", sagte der Grünen-Politiker. Menschenrechte seien universal geltende Werte, die nicht zu "bloßen Appellen in Sonntagsreden oder zu Privilegien eines elitären Clubs von Staaten verkommen dürfen".
Der SPD-Außenexperte Mützenich regte zudem an, den jungen Menschen, die sich jetzt auf der Flucht befinden, in ihren Heimatländern eine Perspektive zu bieten. "Die Volksaufstände haben gezeigt, dass die Demonstranten ihre Zukunft in ihren Ländern suchen und sehen", sagte er. Europa und Deutschland müssten zudem beim Aufbau demokratischer Gesellschaften vor Ort helfen. "Das ist die beste Flüchtlingspolitik."
Der CSU-Politiker Hans-Peter Uhl forderte einen besseren Schutz der EU-Grenzen. Die Europäische Grenzschutzagentur Frontex müsse mit einer effektiven Küstenwache, größeren Zuständigkeiten und mehr Personal ausgestattet werden. Nötig sei ein konsequentes Vorgehen gegen EU-Staaten, die Flüchtlinge massenweise weiterreisen ließen, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag der "Passauer Neuen Presse".
Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton kündigte an, die Reformen in Nordafrika und dem Nahen Osten mit Milliardenhilfen zu unterstützen und abzusichern. Sie führe bereits Gespräche mit der Europäischen Investitionsbank (EIB), um die Zusage für eine Milliarde Euro zusätzlich für Kredite an Tunesien zu erhalten, schrieb Ashton am Dienstag in der "Financial Times". Damit würde die Summe verdoppelt, die die EIB pro Jahr dem nordafrikanischen Land projektgebunden zur Verfügung stellt.
Zudem wolle sie die EU-Staaten und das Europäische Parlament bitten, einer weiterer Milliarde Euro an EIB-Krediten für weitere Staaten in Nordafrika und dem Nahen Osten zuzustimmen, um die demokratischen Reformen in Ländern wie Ägypten zu unterstützen, schrieb Ashton. Des weiteren könnte die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung noch mindestens eine Milliarden Euro zur Verfügung stellen, um die Entwicklung in Ägypten zu verstetigen.
Bislang hat die EIB 8,7 Milliarden Euro für Kredite vorgesehen, mit denen zwischen 2007 und 2013 neun Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens sowie den Palästinensergebieten geholfen werden soll. Die Volksaufstände in Tunesien und Ägypten würden in Europa mit besonderem Wohlwollen verfolgt, schrieb Ashton. Die Geschichte lehre, dass Volksaufstände nur der Beginn eines demokratischen Aufbaus seien und dieser Zeit, Geld und Umsicht benötige.