Der Krieg holt die Bundeswehr ein
Der Marktplatz in Kundus ist ein bunter, fremder Ort. Eselskarren ziehen über staubige Wege. Händler bieten frisch geschlachtete Tiere und exotische Gewürze feil. Hier hielten gestern Vormittag zwei Bundeswehrfahrzeuge. Die Soldaten, insgesamt zehn, waren kaum ausgestiegen, da sprengte sich ein Selbstmordattentäter in die Luft. Drei Soldaten wurden getötet, zwei weitere schwer verletzt. Unter Zivilisten gab es fünf Tote und 16 Verletzte. "Wir sahen dicken schwarzen Rauch und Menschen, die wegliefen", sagt ein Afghane.
Die verletzten Soldaten wurden in das deutsche Lager unweit des Flughafens gebracht. Sie sollen in einem Lazarett-Airbus heute nach Deutschland ausgeflogen werden.
Bislang gehört es zum Selbstverständnis der Bundeswehr in Afghanistan, dass sich die Soldaten nicht vor den Menschen verstecken. Man will nicht als Besatzer erscheinen. Das macht verwundbar. Als sich im vergangenen Sommer die Anschläge auf deutsche Soldaten mehrten, erließ Verteidigungsminister Franz Josef Jung(CDU) die Weisung, die Lager dürften nur noch in geschützten Fahrzeugen verlassen werden. Unter den Kommandeuren vor Ort war der Befehl umstritten. Der Kontakt mit der Bevölkerung drohe so verloren zu gehen, sagten sie.
Der Tod der drei Soldaten führte in Berlin zu Beileidsbekundungen und Bestürzung - und entfachte eine neue Debatte über das Afghanistan-Mandat der Bundeswehr, das im Oktober ausläuft. Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich sagte der "Welt am Sonntag": "Wenn es um eine Verlängerung des Mandats geht, wird natürlich ein solch schrecklicher Anschlag Einfluss auf den Entscheidungsprozess haben. In der SPD-Fraktion war die Diskussion darüber ohnehin schwierig." Damit spielte Mützenich auf die Entscheidung zur Entsendung von Aufklärungs-Tornados im März an, gegen die 69 SPD-Abgeordnete gestimmt hatten.
Eine gesellschaftliche Debatte über die Auslandseinsätze der Bundeswehr forderte der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold. Seine Fraktion wolle im Juni eine Bundestagsdebatte anlässlich des 15. Jahrestages der ersten Auslandseinsätze führen. Die Union sperre sich aber dagegen. "Eigentlich hätte das Weißbuch das leisten sollen, doch das hat nicht geklappt", so Arnold.
Unionsfraktionsvize Andreas Schockenhoff sagte der "Welt am Sonntag", der Anschlag zeige, "dass es ein Selbstbetrug ist zu glauben, im Norden Afghanistans sei es friedlich". Bei Erteilung des Mandats sei aber jedem bewusst gewesen, "dass es mit Risiken für Leib und Leben unserer Soldaten verbunden ist", so der CDU-Politiker. Darum darf durch den Selbstmordanschlag nicht der Eindruck entstehen, "als sei eine neue Situation entstanden". Schockenhoff: "Jeder, der diesem Mandat zugestimmt hat, wusste um das Risiko." Auch für Eckart von Klaeden, außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, zeigt der Anschlag, "dass es in Afghanistan keine Zonen unterschiedlicher Sicherheit gibt".
Der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen, Winfried Nachtwei, warnte vor einer Truppenabzugsdebatte als Reaktion auf den Anschlag: "Damit würden wir falsche Signale senden." Stattdessen müsse die Strategie der internationalen Afghanistanschutztruppe Isaf und der Bundeswehr "fortgesetzt und im zivilen Sektor noch weiter ausgebaut werden". Als Beispiel dafür nannte Nachtwei die Polizeiausbildung.
Politiker der Linksfraktion forderten gestern, die deutsche "Kriegsteilnahme Schritt für Schritt zu beenden". Verteidigungsminister Jung war den Linken daraufhin politischen Missbrauch eines "hinterhältigen Anschlag" vor.
In Regierungskreisen wird mit Nervosität beobachtet, ob eine kritische Haltung auch in der SPD-Fraktion zunehmend an Zustimmung gewinnt. Dass die Situation insgesamt bedrohlicher geworden ist, wird in der Großen Koalition nicht bestritten. So war vor rund zehn Wochen in Nordafghanistan ein deutscher Entwicklungshelfer ermordet und Anfang Mai ein einheimischer Mitarbeiter der Deutschen Welthungerhilfe in der Provinz Kundus erschossen worden. "Die Zeiten, in denen Deutsche in Afghanistan gegen Anschläge weitgehend geschützt waren, sind längst vorbei", wird im Verteidigungsministerium eingeräumt.