Keine Angst vor Islamisten
Erst Euphorie, dann Angst vor den Islamisten: Die Deutschen wissen nicht so recht, ob sie dem politischen Umbruch in Tunesien trauen sollen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) ließ am Dienstagabend einfach mal Tunesier zu Wort kommen. Sie blicken optimistisch in die Zukunft.
Habib Guiza wirkt aufgewühlt, wenn er redet. Seine Hände fliegen wild gestikulierend durch die Luft, und manchmal schreit er fast durch den Saal. Er ruft Sätze wie: "Entweder, die Islamisten säkularisieren sich, oder sie sollen abhauen wie Ben Ali." Guiza ist Generalsekretär des tunesischen Gewerkschaftsverbands CGTT. Unter dem mittlerweile gestürzten Diktator Ben Ali verbrachte er mehrere Jahre im Gefängnis. Jetzt hofft er auf ein demokratisches, modernes, säkulares Tunesien. Doch Islamisten könnten seinen Traum zerstören.
Wahlsieg der En-Nahda
Die FES hat Guiza zur Podiumsdiskussion "Vom arabischen Frühling zur gerechten Demokratie?" eingeladen, die sie im Rahmen einer Themenwoche zur Gerechtigkeit veranstaltet. Im Fokus der Debatte steht Tunesien. Dort wurde die gemäßigt-islamistische En-Nahda-Partei bei der Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung im Oktober stärkste Partei, mit 40 Prozent der Stimmen. Aus Sicht der Modernisten sei dieses Resultat schockierend, sagt Guiza. Dennoch betont er: "Wir akzeptieren das Ergebnis".
Dazu rät auch Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Er verweist auf die Wahlen in Palästina 2005, als der Westen den Sieg der Hamas im Gaza-Streifen nicht akzeptierte und mit Sanktionen reagierte. Dadurch hätten die Palästinenser das Vertrauen in die demokratischen Werte der westlichen Länder verloren. Aus diesem Fehler müsse man lernen.
Doch wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass die tunesische Revolution zu einem Sieg der Islamisten führt? "Wir haben die autoritäre Bedrohung abgeschafft, aber wir haben eine andere Bedrohung vergessen", gibt der Gewerkschafter Guiza zu. Er erinnert daran, dass der Aufstand gegen Ben Ali nicht von Islamisten, sondern von der gebildeten Jugend getragen wurde. "Ohne Ideologie und ohne Führer", ergänzt Guiza.
Parteienlandschaft ist zersplittert
Genau darin sieht Michael Meyer-Resende von Democracy Reporting International ein Problem: Die modernen Demokraten müssten sich besser organisieren. Die Parteienlandschaft sei zu zersplittert und zu unübersichtlich. "Religiöse Parteien haben den Vorteil, dass sie in Kurzform sagen können, wofür sie stehen", bringt Meyer-Resende den Unterschied auf den Punkt.
Bestätigt wird er durch einen jungen Tunesier aus dem Publikum. Er erzählt, wie er seinen Großvater fragte, warum dieser die Islamisten gewählt hat. "Da weiß ich zumindest: sie kennen Gott", habe dieser geantwortet. Der junge Mann gehört zu einer Gruppe junger Menschen aus den Maghreb-Staaten, die einer Einladung der FES nach Berlin gefolgt sind. Viele von ihnen stehen auf, um sich in die Diskussion einzubringen. Die meisten wirken optimistisch. "Ich glaube an ein demokratisches Tunesien mit muslimischer Identität", bekennt eine junge Tunesierin. Sie habe keine Angst vor Islamisten.
Sieg der Islamisten: ein Betriebsunfall?
Insgesamt überwiegen die Stimmen, die den Wahlsieg der En-Nahda als Betriebsunfall auf dem Weg zur Demokratie werten. Die tunesische Jugend müsse das politische Geschäft eben erst erlernen, meint einer der Jugendlichen. Noch gebe es eine große Kluft zwischen den jungen Menschen und den erfahrenen Politikern, die die En-Nahda und andere Parteien anführen.
Habib Guiza verweist auch darauf, dass Tunesien die europäischen Demokratie-Modelle nicht einfach übernehmen könne. "Wir müssen ein eigenes Modell entwickeln, das unserer Kultur entspricht". Zwei Punkte hält Guiza dabei für nicht verhandelbar: Die Trennung von Staat und Religion sowie die Rechte der Frauen.
Grundsätzlich habe er übrigens nichts gegen die Islamisten, erzählt Guiza, solange sie nicht mehr als 15 oder 20 Prozent der Stimmen erhalten. Als Demokrat und Gewerkschafter wolle er keine politische Gruppierung ausschließen. Das Wahlergebnis vom Oktober gefährde aber das Gleichgewicht in der Gesellschaft. Dennoch gibt er sich gelassen: "Ich vertraue der modernistischen Jugend, dass sie das wieder in Ordnung bringt."