Griechenland: Ein Austritt ist vom Tisch
Kommt er im September? Im Oktober? Oder gar erst im November? Alle Welt rätselt, wann die Griechenland-Troika endlich ihren neuen Bericht vorlegt. Die politische Führung der Europäischen Währungsunion macht ein großes Geheimnis daraus. Zugleich wird so getan, als ob das Schicksal Griechenlands einzig und allein von der neuen Troika-Analyse abhänge. So bauscht man einen von Beamten angefertigten Bericht zum Politikum auf, das selbst jenseits des Atlantiks für erhebliche Unruhe sorgt. US-Präsident Barack Obama hat bestimmt kein Interesse daran, dass der Troika-Bericht mitten in die heule Phase des US-Wahlkampfs hineinplatzt und Turbulenzen an den Finanzmärkten auslöst. Vielleicht hat man der Troika auch deshalb zu verstehen gegeben, dass sie sich ganz viel Zeit lassen darf mit ihrem Bericht.
Eigentlich mag man kaum glauben, dass drei Spitzenbeamte das Wohl und Weheines ganzen Landes in der Hand haben. Die drei Experten vom Internationalen Währungsfonds (IWF), von der EU-Kommission und von der Europäischen Zentralbank (EZB) können doch nur beziffern, was genau die von der neuen griechischen Regierung beschlossenen Sparmaßnahmen im Einzelnen einbringen und welche Haushaltslücke unter dem Strich trotzdem noch offen bleibt. Natürlich wird die Troika auch dieses Mal wieder konstatieren, dass diverse Milliarden Euro im griechischen Staatsbudget fehlen.
Eine Rückkehr zur Drachme müssen die Griechen trotzdem nicht befürchten. In Wahrheit ist der Troika-Bericht nämlich nur einer von vielen Faktoren in der politischen Entscheidungsfindung über die Zukunft von Hellas. Der verbleib des Landes in der Währungsunion ist beileibe nicht nur eine Frage des Geldes. Es geht auch um geopolitische Interessen der Europäischen Union im östlichen Mittelmeerraum und im Nahen Osten.
Dass die griechische Frage nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine strategische Bedeutung haben könnte, ist erkannt. Ausgerechnet der auf Finanzpolitik spezialisierte CDU/CSU-Fraktionsvize Michael Meister wuchs über sein Fachgebiet hinaus. Man müsse sich fragen, welche Folgen ein instabiles Griechenland für die östliche Mittelmeerregion habe, gab er zu bedenken. Ähnlich äußerte sich der nordrhein-westfälische CDU-Vorsitzende Armin Laschet. Auch der außenpolitische Experte der SPD-Fraktion, Rolf Mützenich, verwies auf die Nähe Griechenlands zur Türkei und zur arabischen Welt: "Ein Euro- Austritt Griechenlands würde zusätzliche Unruhe in die Region bringen."
Man muss in der Tat damit rechnen, dass der Verlust des Euros Griechenland einen schweren ökonomischen Schock versetzen würde. Banken und Unternehmen gingen wahrscheinlich massenhaft pleite, die Arbeitslosigkeit würde noch einmal sprunghaft steigen und die Mittelschicht rapide verarmen. Der gesellschaftliche Frieden des Landes wäre auf jeden Fall gefährdet.
Wahr ist auch, dass nur ein stabiles Griechenland die Südostflanke der EU absichern kann - gegen Flüchtlingsströme, gegen Terroristen und gegen die Gefahr übergreifender Konflikte. Zehntausende von Menschen sind schon vor dem Bürgerkrieg in Syrien gen Westen geflohen. Der Konflikt zwischen Türken und Kurden flammt wieder auf. Vor allem aber spitzt sich die Auseinandersetzung um die Nuklearanlagen in Iran immer mehr zu. "In der Iran-Krise bahnen sich Dinge an, die wir überhaupt noch nicht überschauen können. Die Region braucht auf keinen Fall noch eine Großkrise", meint der auf den Nahen Osten spezialisierte Politikwissenschaftler Matthias Küntzel.
In dieser Situation könnte es sich als folgenschwerer Fehler erweisen, das EU-Mitglied Griechenland ins Chaos abdriften zu lassen. Darauf hat Premier Antonis Samaras die europäischen Partner auch schon hingewiesen. "Betrachten Sie auch unsere geopolitische Lage. Wir versuchen, an unseren Grenzen einen Tsunami illegaler Flüchtlinge aufzuhalten. Griechenland befindet sich in einer so exponierten Lage, dass es nicht destabilisiert werden sollte", sagte der griechische Premier kurz vor seinem Berlin-Besuch vergangene Woche.
Die Botschaft scheint angekommen zu sein. In Deutschland hat sich die Stimmung jedenfalls spürbar gedreht zugunsten eines Verbleibs Griechenlands in der Währungsunion. Niemand zeigt das deutlicher als die Bundeskanzlerin. "Es blutet einem schon das Herz", wenn man die Folgen der Sparmaßnahmen bei den kleinen Leuten in Griechenland sehe, verkündete Merkel vorgestern. So viel Mitgefühl mit den Griechen ist plötzlich möglich - obwohl der Troika-Bericht noch nicht vorliegt.