CDU-Politiker will sofortiges EU-Referendum der Briten
Der Europaausschuss-Vorsitzende Krichbaum sieht keinen Grund, die Entscheidung über die EU-Mitgliedschaft der Briten aufzuschieben. Neuverhandlungen im Sinne David Camerons werde es nicht geben.
Großbritannien sollte nach Ansicht des CDU-Politikers Gunther Krichbaum sofort über die weitere Mitgliedschaft in der EU abstimmen. "Es gibt keinen Grund, die Entscheidung aufzuschieben, denn alle Argumente liegen auf dem Tisch", sagte der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag.
Die Europa-Rede des britischen Premierministers David Cameron sei deshalb eine "verpasste Chance". Wenn Cameron es ernst meine, dass er sein Land in der EU halten wolle, hätte er auch die Argumente dafür vorlegen können. Stattdessen habe der Premierminister die EU weitgehend auf den Binnenmarkt reduziert und die Grundwerte, die die Europäer zusammenhalten, kaum erwähnt.
Krichbaum kritisierte die Ausrichtung der Europa-Politik der britischen Konservativen scharf. "Während andere Regionen der Welt in den vierten Gang schalten, schaltet Cameron in den Rückwärtsgang." Die Ankündigung eines Referendums nach 2015 sei für die EU zudem nicht hilfreich in einer Phase, in der im Gegenteil Entscheidungen über eine engere Zusammenarbeit getroffen werden müssten.
"Es ist in unserem Interesse, zusammenzubleiben"
Der CDU-Europapolitiker wies zudem die Forderung Camerons nach einer EU-Vertragsänderung zurück, bei der europäische Kompetenzen zurückverlagert werden müssten. "Es wird und kann keine Neuverhandlung im Sinne Camerons geben." Die EU sei kein Club, in dem man "Rosinenpickerei" betreiben könne. Zudem unterschlage Cameron völlig, dass alle europäischen Verträge zusammen mit der britischen Regierung ausgehandelt worden seien. Deshalb sei die Darstellung völlig falsch, den Briten werde etwas aufgezwungen.
Er persönlich würde sich sehr wünschen, dass Großbritannien in der EU bleibe, sagte Krichbaum. Der Äußerung des französischen Außenministers Laurent Fabius, man werde Großbritannien beim Austritt einen "roten Teppich" ausrollen, wolle er sich deshalb nicht anschließen. "Ich sehe das sehr nüchtern. Es ist in unserem Interesse, dass wir zusammenbleiben." Großbritannien sei etwa in der Außen- und Sicherheitspolitik ein sehr wichtiger Partner.
Westerwelle: Europa ist "Schicksalsgemeinschaft"
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte, Differenzierungen seien zwar nötig. "Aber Rosinenpickerei ist keine Option." Europa sei mehr als eine bloße Bündelung nationaler Interessen, nämlich eine "Schicksalsgemeinschaft", mahnte er. Westerwelle sagte, Deutschland und Großbritannien eine der Wille, ein besseres Europa zu schaffen. Die Bundesregierung wünsche sich, dass London aktiver und konstruktiver Partner in der EU bleibe.
Die Bundesregierung wolle eine ehrgeizige Reform der Wirtschafts- und Währungsunion als Konsequenz aus der Finanz- und Schuldenkrise. Aus deutscher Sicht brauche Europa mehr, und nicht weniger Integration. Zugleich stellte Westerwelle fest, dass "nicht alles von und in Brüssel geregelt werden muss".
"Geschickt und weniger antieuropäisch als befürchtet"
Der außenpolitische Sprecher der FDP, Rainer Stinner, kann den Vorschlägen Camerons mehr abgewinnen. "Ich fand die Rede sehr geschickt und weniger antieuropäisch als befürchtet", sagte Stinner der "Welt". "Seine Ankündigung eines Referendums erst für 2017 statt 2015 ermöglicht ihm Freiräume für Politik in Großbritannien. Seine Forderung, sich noch einmal zurückzulehnen und die Statik Europas und die Kompetenzverteilung zwischen Brüssel und den Nationalstaaten zu überprüfen, halte ich für sehr berechtigt", sagte Stinner weiter.
"Auch für mich sind manche der europaweiten Festlegungen problematisch, vor allem dann, wenn aus ihnen ein paternalistisches Staats- und Gesellschaftsverständnis spricht wie zum Beispiel bei der angestrebten Pflicht, auf Zigarettenpackungen Lungenkrebsbilder anzubringen. Ein solches Staatsverständnis widerspricht liberalen Idealen", so Stinner.
Allerdings kritisierte Stinner auch die von Cameron und den britischen Konservativen verbreitete Vorstellung, man habe sich in Europa nur auf eine Freihandelszone geeinigt. "Das ist eine Legende", so Stinner. "Aus allen auch von London unterzeichneten Verträgen geht hervor, dass Europa mehr ist als eine Freihandelszone".
"Cameron in Sachen Europa nicht handlungsfähig"
Manuel Sarrazin, europapolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, sieht in Camerons Ankündigung einen Ansporn, die EU zu reformieren: "Jetzt müssen wir die EU erst recht voranbringen und notwendige Reformen einleiten", sagte Sarrazin der "Welt". "Die Briten sollen genau wissen, worüber sie bei einem Volksentscheid abstimmen."
"Wir brauchen eine klare Perspektive für mehr und nicht für weniger Europa", sagte Sarrazin. Camerons Vorstoß für einen Volksentscheid nach der nächsten Wahl wertete er als reine "parteipolitische Taktik", die dem Wahlkampf geschuldet ist: "Es ist der Versuch Camerons, die Euroskeptiker für sich zu gewinnen."
Die bevorstehenden Wahlen in Großbritannien würden bereits eine Abstimmung über die Haltung des Landes zu Europa sein, sagte Sarrazin. Cameron werde jetzt in Brüssel alles daransetzen, weitere Vertiefungen der Gemeinschaft zu verhindern ? um sich die Stimmen der Euroskeptiker für seine Wiederwahl zu sichern und den Volksentscheid durchführen zu können.
"Camerons Kurs ist gefährlich, weil er genau mit den Vorurteilen gegen die EU spielt, mit denen die EU-Gegner mobilisieren würden", warnte Sarrazin. "Dass Cameron in Sachen EU offensichtlich nicht mehr handlungsfähig ist, ist schlecht für Großbritannien und für die EU." Mit seiner erpresserischen Haltung habe sich der britische Premier aber bereits isoliert: "So funktioniert Europa nicht."
Mützenich sieht Chancen durch politische Diskussion
SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich mahnte zu Gelassenheit. "Es ist das gute Recht des britischen Premiers, über die Zukunft der EU nachzudenken" sagte er der "Welt". Die Stimmung in Großbritannien sei insgesamt nicht so europakritisch, wie in Deutschland immer vermutet werde. Vor allem die junge Generation und jene Teile der Wirtschaft, die vom EU-Binnenmarkt profitierten, seien Europa gegenüber sehr aufgeschlossen.
"Es ist dringend notwendig, die EU weiter zu reformieren und demokratisieren", forderte Mützenich. "Cameron mahnt jetzt aber etwas an, was Großbritannien in den vergangenen Jahren immer verhindert hat." So seien es gerade die Briten gewesen, die das Europäische Parlament nicht stärker an Entscheidungen beteiligen wollte. Mützenich zeigte sich optimistisch, dass sich "aus der politischen Diskussion auch Chancen ergeben". Er forderte die britischen Liberalen und die Labour-Partei auf, die Debatte über einen möglichen Volksentscheid zu einem EU-Austritt Großbritanniens zu nutzen, um für die Vorteile einer Mitgliedschaft in der EU zu werben.
"Cameron spielt mit dem Feuer"
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) sagte, Cameron spiele "ein gefährliches Spiel aus taktischen, innenpolitischen Gründen". Cameron sei "ein Zauberlehrling, der die Geister, die er rief, nicht mehr beherrscht". Das Herauspicken einzelner Politikbereiche könne zum Zerbrechen der EU führen. Die von Cameron geforderten Verhandlungen seien lang und mühsam - "künstliche Fristen" dürften nicht gesetzt werden.
Der Vorsitzende der liberalen Fraktion im Europaparlament, Guy Verhofstadt, sagte: "Cameron spielt mit dem Feuer." Er könne den Zeitplan von Vertragsverhandlungen nicht bestimmen und wecke falsche Erwartungen. Es werde keine "individuellen Verhandlungen mit einzelnen Staaten" über das Ausscheiden aus bestimmten Politikbereichen geben. "Der einzig positive Effekt der heutigen Rede ist, dass es endlich eine wirkliche Debatte über die EU und Großbritanniens Platz darin gibt."
Der hessische Europaminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) hingegen zeigte Verständnis für die EU-Skepsis in Großbritannien. Hahn warnte im Düsseldorfer "Handelsblatt" vor falschen Reaktionen auf das angekündigte Referendum . "Ich halte nichts von einer Cameron-Schelte", sagte Hahn. Die Reaktion aus der restlichen Union solle vielmehr "konstruktive Gelassenheit" sein.
Hahn, der auch stellvertretender Ministerpräsident in Hessen ist, betonte, dass unter Freunden und Partnern auch schwierige Themen angesprochen werden müssten. "Ich bin mir sicher, gerade mit Blick auf die junge Generation, dass am Ende der Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union stehen wird", sagte der FDP-Politiker. Für ihn sei eine Europäische Union ohne den Inselstaat undenkbar.