Die Zukunft Libyens
In Paris haben sich am 1. September 2011 am späten Nachmittag 60 internationale Delegationen im Elyseepalast getroffen, um über die Zukunft Libyens zu beraten. Welche Rolle sollte der Westen in Libyen spielen oder wäre eine Einmischung per se problematisch. Nordwestradio-Moderator Tom Grote sprach mit Rolf Mützenich von der SPD.
Tom Grote: Sie nennen sich die "Freunde Libyens" und sie haben sich gestern in Paris getroffen. Mehr als 50 Länder und Organisationen hatten ihre Abgesandten geschickt, um über ein Libyen nach Gaddafi zu beraten. Der selber meldete sich gestern auch prompt und erklärte, er sei kein Mädchen und würde sich nie ergeben. Rolf Mützenich ist Libyen-Experte und außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag und er ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen, Her Mützenich!
Rolf Mützenich: Guten Morgen, Herr Grote!
Grote: Das neue Libyen kann sich also grade vor neuen Freunden kaum retten. Wäre das auch so, ohne das viele Öl im Land?
Mützenich: Wahrscheinlich nicht. Natürlich gibt es wirtschaftliche Interessen, aber ich sehe zum jetzigen Zeitpunkt insbesondere das politische Interesse daran, dass wir ein stabiles Libyen haben, insbesondere von Seiten der Europäischen Union. Dass in Nordafrika ein Prozess weitergeht, der versucht eben andere Gesellschaften zu bilden. Wir dürfen ja auch nicht vergessen, die Nachbarstaaten wie Tunesien, wie Ägypten, wollen in den nächsten Wochen wählen, in Tunesien eine verfassungsgebende Versammlung. Das braucht auch Stabilität in der gesamten Region und deswegen ist es aus meiner Sicht insbesondere eine politische Stabilisierung des gesamten Umfeldes, und in Libyen selbst, sehr wichtig.
Grote: Der Übergangsrat hat ja direkt vor der Konferenz in Paris erklärt, Geld nehmen wir, klar, Hilfe sowieso, Logistik, auch, aber Truppen wollen wir ganz sicher nicht. Um keinen auf die Idee zu bringen?
Mützenich: Das mag sein. Auf der anderen Seite dürfen wir ja nicht vergessen, es finden ja immer noch Kämpfe statt. Das ist ja kein befriedetes Land zum jetzigen Zeitpunkt. Ich finde es gut, dass die Übergangsregierung versucht durch Verhandlungen, noch den letzten Wiederstand auch von Gaddafi-Treuen auch zu brechen. Man hat ja offensichtlich hier auch die Fristen verlängert, im Hinblick auf Verhandlungen. Also, das scheint schon einen richtigen Weg auch letztlich zu nehmen. Deswegen verbietet es sich, zum jetzigen Zeitpunkt von außen dem Übergangsrat zu erklären, was man am besten macht. Man muss die nächsten Wochen hier in diesem Zusammenhang nochmal abwarten, ob es einen Konsens innerhalb Libyens gibt.
Grote: Man sollte Libyen nicht erklären, wie's funktioniert? welche Rolle sollte der Westen dann im Land spielen? Oder wäre eine Einmischung per se problematisch?
Mützenich: Nein, wir mischen uns ja in dem Sinne heute in einer globalisierten Welt gerade auch in unmittelbaren nachbarschaftlichen Beziehungen natürlich ein, wenn wir um Rat gebeten werden, und das scheint ja auch teilweise der Fall zu sein, insbesondere wenn es um technische Wiederaufbauhilfe geht, wenn es aber auf der anderen Seite auch um soziale Möglichkeiten geht, auch um die Frage der Ausbildung von jungen Menschen. Alles das sind natürlich Fragen die mit Nachbarn, auch mit der europäischen Union oder mit den einzelnen Nachbarländern besprochen werden. Das ist schon ein wichtiger Kontakt und das scheint es mir schon so zu sein, dass der Übergangsrat hier versucht voran zu gehen. Auf der anderen Seite dürfen wir nicht vergessen, das ist ein souveränes Land, hier sind offensichtlich auch Akteure, die ein großes Selbstbewusstsein haben, aber es geht insbesondere darum, innerhalb des eigenen Landes zu befrieden.
Grote: In Libyen wirken ja nun 40 Jahre Gaddafi-Herrschaft nach. Das Volk ist entsprechend geprägt und, wie Experten sagen, auch absolut Demokratie-unerfahren. Wie da eine funktionierende Demokratie aufbauen?
Mützenich: Es geht ja auch zum jetzigen Zeitpunkt nicht, glaube ich, darum, sondern es geht insbesondere darum, dass die Menschen ihre Hoffnungen, die sie auch in die Revolution in der arabischen Welt gesetzt haben, dass es eben gerechter zugeht, dass es nicht mehr um Korruption geht, die Frage auch, dass Regime hier rücksichtslos gegenüber ihrem eigenen Volk vorgehen - dass hier Veränderungen stattfinden. Und auf der anderen Seite dürfen wir nicht vergessen, natürlich sind solche Gebilde, wie sie auch in Libyen sind, durchaus in der Lage, auch letztlich Strukturen aufzubauen, die mehr Partizipation bedeuten. Ob das genau der Weg ist, den westliche Demokratien genommen haben, ist doch dann eine zweite Frage. Und innerhalb des Islams gibt es immer Diskussionen über die Frage, was kann die Rolle des Einzelnen, des Menschen letztlich sein, selbst wenn er eben an den Koran glaubt, dass es doch möglich ist, eben andere Gesellschaften letztlich zu bilden. Also hier besteht Pluralität und wir müssen auch einfach diesen Menschen eine Chance geben, denn sie haben ja nicht revoltiert, um dann letztlich aus ihren Ländern zu fliehen sondern sie wollen in ihrem Land ein funktionierendes Gemeinwesen aufbauen und das ist durchaus eine große Chance.
Grote: Wie kontraproduktiv sind denn eigentlich an dieser Stelle die Nachrichten über deutsche Waffen, die auf scheinbar unbekanntem Wege nach Libyen gelangt sind?
Mützenich: Das ist sehr kontraproduktiv und das müssen wir hier auch klären. Das ist ja offensichtlich auch nicht der erste Fall gewesen, wo Waffen in Länder gekommen sind, in Hände gekommen sind, wo sie nicht hingehören. Wir diskutieren seit Jahren über striktere Exportrichtlinien oder zumindest eben die Befolgung der bisherigen Exportrichtlinien. Unser großes Problem sind, glaube ich, sind nicht nur die Exportrichtlinien hier in Deutschland, sondern dass es offensichtlich innerhalb Europas über andere Wege Umwege gibt, wohin diese Waffen dann gelangen. Wir brauchen in Deutschland eine innenpolitische Diskussion über die Frage, wollen wir so viele Rüstungsexporte noch führen. Und da bin ich der Meinung, aber auch nicht erst seit heute, sondern in den vergangenen Jahren, dass wir uns hier stärker zurückhalten müssen.
Grote: Sind das nur Vermutungen, wenn Sie sagen, die Waffen sind vielleicht über Umwege nach Libyen gelangt, oder wissen sie da mehr?
Mützenich: Ich habe keine belastbaren Informationen darüber und deswegen geht es in den nächsten Wochen darum, von der Bundesregierung Aufklärung zu bekommen. Das Unternehmen hat ja auch Strafanzeige gestellt. Also, die Staatsanwaltschaft ist hier gehalten auch letztlich Aufklärung zu betreiben. Und das betrifft wahrscheinlich auch andere Dinge in Zukunft. Deswegen wäre es schon wichtig, wenn die Bundesregierung auch nochmal überprüft ihre Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien. Ich glaube, das sind genau die falschen Zeichen an die jungen Menschen, die versuchen, eben in ihren Ländern neue Systeme aufzubauen.
Grote: Nach der Libyen-Konferenz in Paris. Dazu im Nordwestradio Rolf Mützenich, Libyen-Experte und außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag. Dankeschön, Herr Mützenich, einen schönen Tag für Sie!