"Zäsur in Gaza"
Sibylle Quenett: Herr Mützenich, wie präsentiert sich die palästinensische Übergangsregierung in Ramallah?
Rolf Mützenich: Sie bemüht sich, die Lage zu stabilisieren und nach wie vor für die gesamte palästinensische Gesellschaft zu sprechen. Aber sie weiß um ihren Übergangscharakter und darum, dass sie auf die Unterstützung Israels angewiesen ist. Israel müsste unter anderem für Bewegungsfreiheit im Westjordanland sorgen.
Quenett: Wie sind die Kontakte in den Gaza-Streifen?
Mützenich: Die sind sehr begrenzt. Ministerpräsident Fayad ist zur Zeit nicht bereit, mit der Hamas-Regierung zu sprechen. Aufgrund der Brutalität und der Toten der letzten Zeit erwartet Fayad eine Entschuldigung. Trotzdem scheint es noch eine funktionierende Fatah in Gaza zu geben. So besteht auch weiter die Möglichkeit, dass sich Fatah und Hamas austauschen.
Quenett: Israel hat Steuergelder freigegeben und angekündigt, Gefangene frei zu lassen.
Mützenich: Das ist auf jeden Fall ein positives Signal, auch wenn offen ist, wie viel Geld schließlich die Palästinenserregierung erhält. Da gibt es Abzüge für Dienstleistungen, die Israel erbringt. Neben der Freilassung der 250 Gefangenen wäre es natürlich gut, wenn auch Marwan Barghouti freikäme. Er würde den Reformprozess in der Fatah unterstützen. Aber dafür gibt es bislang keine Hinweise. Im Übrigen, für die israelische Gesellschaft wäre es ganz wichtig, wenn der entführte Soldat Schalit ebenfalls heimkehren könnte.
Quenett: Der frühere israelische Botschafter Avi Primor hat dafür geworben, auch mit der Hamas zu sprechen.
Mützenich: Wir täten gut daran, unterschiedliche Stimmen auch in der Hamas wahrzunehmen. Aber man muss sehen, dass das jetzt auch eine Zäsur bedeutet, was in Gaza passiert ist. Die Palästinenser müssen sich aufeinander zubewegen. Die internationale Nahost-Politik sollte so gestaltet sein, dass Bewegungsspielräume erhalten bleiben.
Quenett: Was halten Sie von Tony Blair als Nahost-Vermittler?
Mützenich: Der entscheidende Punkt wird nicht nur sein, welche Akzeptanz Blair hat, sondern was er daraus macht. Es geht ja nicht nur darum, auf die palästinensische Seite einzuwirken, sondern auch auf Israel. Also etwa die Bewegungsfreiheit im Westjordanland zu erleichtern. Ganz wichtig wäre es natürlich, dass Blair auch die USA beeinflussen kann. Das ist offen. Man muss ihm viel Glück wünschen.