Der Westen und der Machtpoker am Golf

Von Benjamin Dierks
Veröffentlicht: 
Deutschlandfunk, 11.01.2016
Thema: 
Saudi-Arabien und Iran

Seit den Hinrichtungen in Saudi-Arabien spitzt sich die Lage im Nahen Osten zu, denn der Iran reagierte brüskiert. Das hat vermutlich auch direkte Auswirkungen auf die Verhandlungen im Syrien-Konflikt und somit auch auf die Flucht der Menschen. Deutschland ändern daran nichts - ohnehin schüre die deutsche Außenpolitik falsche Hoffnungen und Erwartungen, kritisieren Experten.

Etwa 100 Demonstranten haben sich vor der saudi-arabischen Botschaft am Tiergarten in Berlin versammelt. Sie sind einem Aufruf von Amnesty International am vergangenen Freitag gefolgt und halten große Porträts des Bloggers Raif Badawi in die Höhe. Der sitzt wegen der Verbreitung seiner kritischen Texte im Gefängnis in dem wahabitischen Königreich.

Verurteilt wurde er zu zehn Jahren Gefängnis und 1.000 Stockhieben. Die ersten 50 Hiebe wurden vor einem Jahr ausgeführt. Der zweite Termin wurde seitdem immer wieder ausgesetzt, weil offenbar schon die ersten Schläge Badawi zu stark gesundheitlich geschadet hatten, um ihn die Tortur ein weiteres Mal ertragen lassen zu können. In Sprechchören fordern die Demonstranten Badawis Freilassung und Redefreiheit in der Golfmonarchie. Am Mikrofon steht Ruth Jüttner, die Nahostexpertin von Amnesty International:

"Wir stehen heute auch hier aus einem weiteren traurigen Grund, nämlich der Todesstrafe. Vor einer Woche wurden an einem einzigen Tag 47 Gefangene hingerichtet. Diese grausame Massenhinrichtung ist ein schrecklicher Tiefpunkt für die Menschenrechte in Saudi-Arabien. Mit den Massenhinrichtungen haben die Machthaber in Saudi-Arabien gezeigt, dass sie die Todesstrafe als Instrument einsetzen, um Kritiker zum Schweigen zu bringen und um alte Rechnungen zu begleichen."

Diese Hinrichtungen in Saudi-Arabien haben vor gut einer Woche nicht nur Menschenrechtsaktivisten aufgebracht, sondern auch den Konflikt zwischen Saudi-Arabien und seinem regionalen Kontrahenten, dem Iran, eskalieren lassen. Unter den Hinrichtungsopfern am 2. Januar war der schiitische Geistliche Nimr al-Nimr. Dieser war einer der wichtigsten Führer der schiitischen Minderheit in Saudi-Arabien, die größtenteils in der Ostprovinz des Landes lebt und vom sunnitisch-wahabitisch geprägten Regime unterdrückt wird.

Iran als Schutzmacht der Schiiten der Region

Im Iran, der sich als Schutzmacht der Schiiten in der Region versteht, stürmten daraufhin Demonstranten die saudi-arabische Botschaft und setzten Teile des Gebäudes in Brand. Riad brach im Gegenzug die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran ab. Verbündete wie Bahrain und der Sudan zogen nach.

Das Zerwürfnis kommt zu einem schlechten Zeitpunkt für die internationale Diplomatie in der umkämpften Region. Die USA, Russland und Europa setzen darauf, dass Saudi-Arabien und der Iran dazu beitragen, die Kriege im Jemen und vor allem in Syrien zu beruhigen. Lange hatten sie daran gearbeitet, Vertreter beider Länder an einen Tisch zu bringen, um über ein Ende der Kämpfe zu verhandeln, in denen beide Seiten entweder direkt mitkämpfen oder die jeweils gegnerischen Kampfparteien finanziell und militärisch unterstützen. Im Oktober und November war das erstmals geglückt. Sollte der Zwist zwischen den beiden Mächten weiter eskalieren, droht jede Hoffnung auf diese Annäherung zunichte gemacht zu werden. Wie also sollte die Staatengemeinschaft reagieren?

"Wir sind davon überzeugt, dass die saudi-arabischen Behörden die weltweiten Proteste und die Empörung der Weltöffentlichkeit auf Dauer nicht ignorieren können."

Die Hoffnung von Amnesty-Aktivistin Ruth Jüttner vor der saudi-arabischen Botschaft in Berlin klingt angesichts der jüngsten Vorfälle wie Wunschdenken. Denn die Hinrichtungen in Saudi-Arabien und die zumindest nicht verhinderte Rache des Mobs in Teheran haben gezeigt, dass die beiden Staaten sich von Empörung und gutem Zureden kaum beeinflussen lassen. Aber selbst erfahrene Diplomaten und Außenpolitiker klingen momentan nicht viel nüchterner und scheinen ihrerseits wenig mehr übrig zu haben als gute Hoffnung.

"Aus unserer Sicht ist der Mittlere Osten der Welt etwas schuldig."

Sagte der Sprecher des Auswärtigen Amts, Martin Schäfer, in der Regierungspressekonferenz in der vergangenen Woche in Berlin. Auch für die deutsche Außenpolitik stellt sich die Frage, wie sie noch Einfluss in der Region nehmen soll. Und die ersten Reaktionen von Bundesaußenminister Frank Walter Steinmeier lassen erahnen, dass er eine Antwort darauf bislang nicht gefunden hat. Sein Sprecher ließ die Enttäuschung im Auswärtigen Amt darüber durchklingen, dass das Jahr trotz allen Verhandelns, Abstimmens und guten Zuredens mit schlechten Nachrichten beginnt.

"Im Jemen, in Syrien, im Irak, im Nahost-Friedensprozess und anderswo."

Politik sieht Iran und Saudi-Arabien in der Pflicht

Seit Jahren bemühten sich die internationale Gemeinschaft und auch Deutschland darum, in den Krisenherden der Region zu vermitteln und sie zu befrieden, sagte Schäfer.

"Das hohe politische, finanzielle und sonstige Engagement der internationalen Gemeinschaft ist unübersehbar und aus unserer Sicht, aus Sicht von Außenminister Steinmeier, sind auch Saudi-Arabien und der Iran in der Pflicht, etwas zur Krisenbewältigung beizutragen."

Steinmeier telefonierte mit den Außenministern Saudi-Arabiens und des Irans, Adel al-Dschubeir und Dschawad Sarif. Mehr als Appelle, die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen und trotz allem an den geplanten Vermittlungsgesprächen zur Beilegung des Krieges in Syrien teilzunehmen, blieben ihm aber den Angaben des Auswärtigen Amtes zufolge auch dabei nicht.

"Diese Forderung nach mehr Aktivität aus der Region selbst heraus wirkt schon etwas hilflos. Und sie zeigt so ein bisschen, wie wenig das Auswärtige Amt sich mit dem Denken der Leute vor Ort befasst. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass viele der Probleme, die wir in der Region sehen, auch von Amerikanern, Europäern, Russen mitgeschaffen worden sind."

Sagt Guido Steinberg. Er forscht über den Nahen und Mittleren Osten bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, kurz SWP, die die Bundesregierung politisch berät. Vor allem den Irak-Krieg sähen viele Akteure in der Region als wesentlichen Grund für das, was heute in den dortigen Krisenherden passiert. Am Krieg und an der folgenden Besatzung des Landes waren neben den USA und Großbritannien viele weitere europäische Staaten beteiligt. Deswegen müssten die Probleme gemeinsam bewältigt werden.

Saudi-Arabien fürchtet Machtzuwachs des Iran

In der Lesart Saudi-Arabiens ist der Irak-Krieg der Beginn einer Reihe von Ereignissen, die seinen Einfluss geschmälert und den des Iran gefördert haben. Durch den Sturz des sunnitischen Regimes von Saddam Hussein wuchs der Einfluss Teherans. Auch den aktuellen Atomkompromiss mit dem Iran sieht die saudi-arabische Führung um den seit einem Jahr herrschenden König Salman als eine Bedrohung für die eigene Stellung. Guido Steinberg:

"Man kann an den Reaktionen der Amerikaner und auch der Europäer eine gewisse Ratlosigkeit ablesen. Und das hat viel damit zu tun, dass sich westliche Politik einer Illusion hingegeben hat. Und diese Illusion war, dass das Atomabkommen mit dem Iran auch zu einer regionalen Beruhigung, auch zu einer Lösung von Konflikten, möglicherweise sogar in der gesamten Region, führen könnte. Und wir sehen jetzt, dass das Gegenteil der Fall ist."

Saudi-Arabien befürchtet, dass der Iran durch die Annäherung im Atomkonflikt künftig vom Westen stärker als Regionalmacht akzeptiert werden wird – eine Rolle, die bislang Riad vorbehalten war. Sorgen bereitet den Saudis zudem, dass Teheran durch die anstehende Aufhebung der Wirtschaftssanktionen bald mehr Geld haben wird, um in der Region Einfluss zu nehmen, vor allem auf die bewaffneten Konflikte in Syrien und im Jemen sowie durch die Unterstützung der Hisbollah im Libanon. Zudem teilt Riad nicht die Überzeugung der Verhandlungsmächte, dass der Iran sich durch das Abkommen in seinen Atomambitionen bremsen lasse.

"Der Atom-Deal ist aus saudischer Sicht die Blankokarte für Iran eben, weiter an der Atombombe zu arbeiten. Hinzu kommt eben auch, dass durch den möglichen Wegfall der Sanktionen Iran wieder zu einem Regionalkonkurrenten auf wirtschaftlicher Ebene werden könnte für Saudi-Arabien, insbesondere im Ölgeschäft. Und auch daher rührt ja die Preisdumpingpolitik der Saudis auf dem Ölmarkt, um Iran möglichst von diesen Fleischtöpfen fernzuhalten."

Sagt Sebastian Sons, Experte für Saudi-Arabien bei der DGAP, der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Tatsächlich hat Teheran bereits angekündigt, dass es alles daran setzen werde, die saudische Hegemonie auf dem Ölmarkt anzugreifen. Allerdings sei die Konfrontation mit dem Iran nicht allein außenpolitisch motiviert, sagt Sons.

"Es herrscht eine hohe Unzufriedenheit insbesondere bei der jungen Bevölkerung, die unter Arbeitslosigkeit leidet, wo die Perspektiven nicht mehr so gegeben sind wie bei ihrer Elterngeneration. Die Kapazitäten des saudischen Staates werden geringer, nicht nur aufgrund des fallenden Ölpreises, sondern auch aus Systemmängeln, die die saudische Wirtschaft durchaus aufzeigt. Und die Gruppen, die alimentiert werden müssen durch das Ölgeld, werden immer größer. Und dementsprechend sucht man Iran als ein gemeinsames Feindbild, um eine Wagenburgmentalität zu schaffen."

Einfluss nur durch die Amerikaner

Welchen Einfluss kann also westliche Außenpolitik nehmen? Sebastian Sons ist der Meinung, dass Saudi-Arabien signalisiert werden müsse, dass die Rolle des Landes als wichtige Regionalmacht weiter gebraucht werde und dass die Sorgen des Königshauses anerkannt würden. Die scharfe Rhetorik gegen den Iran, die wachsende Repression gegen die schiitische Minderheit und eine aggressivere Außenpolitik sind aus Sicht von Beobachtern eine Reaktion auf die Furcht vor Bedeutungsverlust und iranischer Dominanz.

Für die Sorgen des Königshauses sind traditionell die Amerikaner zuständig. Seit Jahrzehnten pflegen die USA und Saudi-Arabien ihr besonderes Verhältnis. Der Deal lautet kurz gefasst: Riad versorgt die USA und den Weltmarkt verlässlich mit Öl, die Amerikaner garantieren den Saudis im Gegenzug das Bestehen ihres Königreichs im Fall eines Angriffs. Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik, kurz SWP:

"Und dieses Bündnis besteht trotz aller Krisen fort. Und dieses Bündnis sorgt dafür, dass die Saudis zwar auf die Amerikaner hören, aber eben nur auf die Amerikaner. Alle anderen Akteure sind aus saudi-arabischer Sicht recht unbedeutend. Das gilt für Russland, das gilt selbst für China, obwohl da so viel Öl hingeht. Und das gilt selbstverständlich auch für die Europäer."

Entsprechend ungerührt betrachtete Riad auch die Debatte in Deutschland, ob auf die Hinrichtungen in Saudi-Arabien mit Sanktionen reagiert werden solle, sagt Guido Steinberg von der SWP. Politiker auch aus der schwarz-roten Regierungskoalition hatten gefordert, dass Deutschland Waffenlieferungen an Saudi-Arabien stärker beschränken oder ganz unterbinden solle. Grundsätzlich gilt die Regel, dass Deutschland keine Waffen in Krisenregionen liefert. Auch von wirtschaftlichen Sanktionen war die Rede. Außenminister Steinmeier wird zudem aus der Union und von Linken kritisiert, weil er im Februar an einem Kulturfestival in Saudi-Arabien teilnehmen will, bei dem Deutschland Gastland ist. Guido Steinberg:

"Die deutsche Saudi-Arabien-Debatte ist eine innerdeutsche Wohlfühldebatte. Es geht dabei nicht um Saudi-Arabien, sondern es geht um die Frage, ob wir uns gut damit fühlen, dass wir Handelsbeziehungen zu Saudi-Arabien unterhalten, und ob sich die Deutschen denn vielleicht auch wohlfühlen würden, wenn sie den Saudis Leopard-Kampfpanzer schicken. All diese Entscheidungen, egal, wie sie gefällt werden, haben überhaupt keine Auswirkungen auf Saudi-Arabien. Und deshalb ist diese Debatte eben doch sehr provinziell."

Einfluss auf Saudi-Arabien könne Deutschland allenfalls zusammen mit den Vereinigten Staaten nehmen, sagt Steinberg. Auch dort wird eine Debatte geführt um den richtigen Umgang mit Saudi-Arabien. Einige Kommentatoren fordern eine härtere Gangart mit den Verbündeten in Riad. Die Hinrichtung des Geistlichen al-Nimr sei ein weiterer Hinweis dafür, dass Saudi-Arabien als Partner weniger berechenbar geworden ist, sagt Kenneth Pollack von der einflussreichen Brookings Institution in Washington. Er warnte im US-Sender MSNBC, dass die Reaktion der Akteure in der Region immer schwieriger vorauszusagen sei:

"Wir wissen einfach nicht, was die Iraner und die Saudis als Nächstes tun. Noch vor fünf Jahren wäre all dies nicht passiert. Die Saudis hätten wahrscheinlich Nimr al-Nimr nicht hingerichtet, sie hätten es nicht für nötig gehalten. Die Iraner hätten nicht so eine starke Reaktion gezeigt. Und die Saudis wären nicht auf die Idee gekommen, die Beziehungen zu ihnen abzubrechen. Aber die Entwicklung macht die Region unberechenbar. Die Saudis waren schon mit der Nahost-Politik von Präsident George W. Bush nicht sehr zufrieden. Und ich glaube, man kann sagen, dass ihnen die Politik von Präsident Obama noch weniger gefällt. Unser Rückzug aus der Region verängstigt sie. Und in ihrer Angst werden sie aggressiver."

Wo der Einfluss von außen so schwierig werde, müsse Deutschland sich auf seine eigenen Interessen konzentrieren, sagt Rolf Mützenich, Außenpolitiker und stellvertretender Chef der Bundestagsfraktion der SPD.

"Nicht nur offensichtlich die deutsche Bundesregierung, selbst die Weltmacht USA hat offensichtlich in den letzten Jahren Einfluss in Saudi-Arabien verloren, das hat ja auch Präsident Obama immer wieder erläutert. Und ich glaube, deswegen ist es umso notwendiger, dass wir mit verlässlichen Partnern in der Region eben auch den Einfluss zu nehmen, der uns überhaupt zusteht, nämlich Konflikte, die uns direkt betreffen."

Syrien-Konflikt betrifft Deutschland direkt

Vor allem der Syrien-Konflikt betreffe Deutschland als Ursache für die Flucht vor dem Bürgerkrieg direkt, sagt Mützenich. Und genau hier besteht die Frage, ob sich Saudi-Arabien und der Iran, wie im sogenannten Wiener Prozess geplant, weiter an einen Tisch setzen werden – und ob es die Chance einer Annäherung gibt. Die Außenminister der Arabischen Liga warfen dem Iran bei einem Dringlichkeitstreffen am Sonntag in Kairo vor, die Sicherheit der Region zu gefährden und stellten sich wie zu erwarten hinter die Führung in Riad.

Saudi-Arabien sowie der Iran sicherten aber trotz gegenseitiger Vorwürfe zu, dass ihr Disput die Syrien-Gespräche nicht gefährden werde. Die beiden Staaten waren im vergangenen Oktober und November für die Syrien-Beratungen in Wien zusammengekommen. Dabei war es erstmals gelungen, alle wichtigen ausländischen Akteure in dem Konflikt an einem Tisch zu versammeln. Ab Ende Januar sollen sich Vertreter der syrischen Regierung von Staatschef Baschar al-Assad und dessen Gegner zu Gesprächen in Genf treffen. Der Grünen-Politiker Omid Nouripour warnt aber vor zu großer Hoffnung, vor allem, was die Kompromissbereitschaft des Iran angehe:

"Ich habe nie verstanden, warum Steinmeier die Hoffnung schürt, man könnte jetzt die Dynamik der Atomverhandlungen mit dem Iran nutzen, um die Situation in Syrien zu entschärfen. Es war von vornherein klar, dass es eine riesige Gefahr gibt bei einem an sich völlig richtigen und notwendigen Abkommen mit dem Iran, dass dadurch die Sanktionen aufgehoben werden und der Iran mehr Geld hat in der Kriegskasse, um eben auch Länder wie Syrien weiterhin zu destabilisieren."

Teheran wird an Assad und Hisbollah festhalten

Teheran ist seit jeher wichtiger Verbündeter des Assad-Regimes und kämpft mit seiner Revolutionsgarde und der vom Iran unterstützten libanesischen Hisbollah-Miliz auf Seiten der syrischen Führung gegen deren Widersacher. Der Iran sieht im syrischen Assad-Regime eine Voraussetzung für die eigene Sicherheit. Die wichtigsten Verbündeten Teherans sind Assad in Syrien, die Hisbollah im Libanon sowie die Regierung im Irak. Auch Guido Steinberg von der SWP glaubt nicht, dass viel Hoffnung besteht, den Iran von seinem Kurs in Syrien abzubringen. Selbst wenn die Russen eines Tages von ihrer Unterstützung Assads abweichen sollten, werde Teheran an ihm festhalten. Guido Steinberg:

"Es gab keinen Grund, zu glauben, dass der Iran seine Unterstützung für das Assad-Regime aufgibt. Es gibt keinen Grund, zu glauben, dass der Iran aus irgendeinem Grund auf sein Bündnis mit der Hisbollah verzichten sollte."

Auch dies sei eine Hoffnung, die zu Unrecht durch das Atomabkommen mit dem Iran genährt worden sei. Zu der Regierung des iranischen Präsidenten Hassan Rohani bestehe zwar mittlerweile ein verhältnismäßig guter Kontakt. Das habe vor allem Europäer hoffen lassen, dass die iranische Politik sich grundsätzlich ändern könne. Die gewählte Regierung habe aber in vielen Fragen nicht das letzte Wort. Der dem Präsidenten übergeordnete geistliche Führer des Iran, Ayatollah Ali Chamenei, habe deutlich gemacht, dass er über die Aufhebung der Sanktionen hinaus nicht sonderlich an einer Kooperation mit dem Westen interessiert sei. Ihm ist die Revolutionsgarde unterstellt, die in Syrien kämpft.

"Gerade hier in Deutschland scheint sich dieses alte Paradigma oder Dogma des Wandels durch Annäherung oft über die wirklich kühle Analyse der Situation vor Ort zu legen. Und das führt dann dazu, dass deutsche Politiker immer ganz besonders überrascht und erschrocken sind, wenn sie dann merken, dass Politik im Nahen Osten eben als Machtpolitik betrieben wird."

Deutschland könne jetzt vor allem darauf hoffen, dass nicht eine weitere Eskalation zwischen Saudi-Arabien und dem Iran die Gespräche zum Scheitern bringt. Das sei aber wahrscheinlich. Der Syrien-Konflikt werde uns aller Voraussicht nach noch länger beschäftigen, inklusive weiterer Flüchtlinge, die sich nach Europa aufmachen. Zu hoffen sei im Moment höchstens auf eine Eindämmung des Konflikts.

"Ich denke, wir müssen zunächst einmal unserer Politik eine realistische Politik der Lage zugrunde legen. Und wenn man sich so anschaut, wie häufig der BND-Chef in den letzten Jahren verkündet hat, dass es nur noch eine Frage von Wochen sei, bis das Assad-Regime fällt, dann stelle ich mir die Frage, ob es wirklich diese realistische Einschätzung gibt. Ob da unsere Regierung tatsächlich die Situation in der Region richtig einschätzt."