Der Westen und Ägypten

Interview mit Andrea Oster
Veröffentlicht: 
WDR 5 Morgenecho, 01.02.2011
Thema: 
Zur aktuellen Situation in Ägypten

Andrea Oster: Europäische Union und USA müssen in Zukunft die Wahlergebnisse der Staaten im Nahen und Mittleren Osten akzeptieren. Sollte die Opposition Präsident Mubarak stürzen, würde aber nicht die gesamte Region instabilisiert werden.

Die Proteste in Ägypten gehen weiter. Für heute hat die Jugendbewegung 6. April zu einer großen Demonstration aufgerufen. Das Ziel: eine Million Menschen sollen sich versammeln, es soll ein deutliches Zeichen gesetzt werden und der Rücktritt von Präsident Mubarak soll erzwungen werden. In Brüssel haben die EU-Außenminister gestern über die Unruhen in Ägypten und Tunesien beraten. Wie soll man sich verhalten? Die EU hat den autoritären Regierungsstil von Mubarak bisher geduldet.

Dr. Rolf Mützenich ist außenpolitischer Sprecher SPD-Bundestagsfraktion. Schönen guten Morgen, Herr Mützenich!

Rolf Mützenich: Guten Morgen, Frau Oster.

Oster: Jetzt sagt der Außenminister Guido Westerwelle, die EU müsse an der Seite derer stehen, die ihre Rechte und Meinungsfreiheit einfordern. Heißt das also, an der Seite der Demonstranten, gegen Mubarak?

Mützenich: Es heißt auf jeden Fall, dass wir diesen Volksaufstand und ich glaube, es ist ein solcher Volksaufstand, sowohl in Ägypten als auch in Tunesien nicht nur akzeptieren, sondern dass wir insbesondere, wenn es zu Wahlen kommt, auch die Wahlergebnisse im Nahen und Mittleren Osten akzeptieren. Da hat die Europäische Union, damals noch zu Zeiten der Bush-Administration in Washington nach meinem Dafürhalten große Fehler gemacht.

Oster: Man hat ja den autoritären Präsidenten jahrelang mitgetragen. Kann man ihn jetzt fallenlassen?

Mützenich: Man hat ihn ja unter anderem deswegen auch mitgetragen, weil Mubarak - und ich glaube, das ist auch unbestritten - eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen Israel und Palästinensern gespielt hat. Ägypten hat immer eine Mittlerrolle innerhalb der palästinensischen Bewegung eingenommen. Wir haben den Sudankonflikt. Ägypten war und bleibt auch ein wichtiger Akteur bei der Bearbeitung der einzelnen Konflikte im Nahen und Mittleren Osten. Da waren wir natürlich auch insbesondere auf diesen Präsidenten angewiesen. Andererseits sind aber auch die Möglichkeiten genutzt worden ? auch wir Parlamentarier haben versucht, das außerhalb der Öffentlichkeit zu tun, - mit den Menschen, in beispielsweise Ägypten zusammen zu kommen, die in Opposition zum Präsidenten gestanden haben. Man muss aber bei sowas auch immer aufpassen, denn man gefährdet natürlich auch diese Oppositionspolitiker.

Oster: Ja, aber Herr Mützenich, da muss man ja jetzt sagen, so wahnsinnig ist das nicht aufgefallen, dass Deutschland oder auch die Europäische Union in der Vergangenheit die Opposition unterstützt hat. Das Bild war doch eher, dass man diesen Präsidenten durchaus toleriert.

Mützenich: Ja, man hat ihn natürlich toleriert. Aber auf der anderen Seite muss ich auch sagen, wir hatten auch selten eine Berichterstattung über die Verhältnisse in den Gesellschaften dort hier in Deutschland, eben. Wenn man in der Medienlandschaft nach Ägypten oder Tunesien geschaut hat, dann taten wir das doch oft im Feuilleton oder in der Reiseberichterstattung. Ich glaube, da müssen wir alle uns auch kritisch hinterfragen. Der entscheidende Punkt, in dem Europa an wichtiger Gestalt verloren hat, war, als wir damals die Wahlen in Palästina nicht akzeptieren wollten. Da ging es ja unter anderem um die Hamas und das war eine kritische Diskussion und die ist hier zum Teil in Deutschland schon auch kritisch geführt worden.

Oster: Ist denn Mubarak, die Person Mubarak, wirklich so wichtig für die Stabilität? Anders gefragt: Ist den ein Sturz so gefährlich für die Region?

Mützenich: Auf jeden Fall glaube ich, sind Institutionen in der arabischen Welt weiterhin wichtig. Wir haben ja beispielsweise gesehen, dass die Armee, die Streitkräfte, in Tunesien und offensichtlich zur Zeit auch in Ägypten, eine wichtige Funktion übernehmen und ich hoffe, das sie dieser Rolle auch gerecht werden, sowohl stabilisierend zu wirken und auf der anderen Seite aber auch die Freiheitsrechte zuzulassen. Ich glaube nur, der entscheidende Punkt ist, und das dürfen wir einfach nicht vergessen, ist die soziale und wirtschaftliche Entwicklung in den Ländern. Wir haben dort eine Demografie, in der viele junge Menschen nach Arbeit suchen, die teilweise gut ausgebildet sind, wie in Tunesien. Wir dürfen aber auch nicht sagen, dass das, was in Tunesien passiert, genau vergleichbar ist mit dem, was beispielsweise im Jemen passiert. Dafür sind die Verhältnisse teilweise sehr unterschiedlich.

Oster: Aber nochmal die Frage: Glauben Sie, dass wenn Mubarak stürzt, dass das die ganze Region destabilisiert?

Mützenich: Nein, ich glaube erst mal nicht, dass es allein an einer Person hängen wird. Insbesondere wird es darauf ankommen, ob die Institutionen, wie zum Beispiel die Streitkräfte, die ja auch Mubarak bisher auch gestützt haben, weiter stützen werden. Die haben eben nicht nur eine Verbindung im Sicherheitsrat, sondern insbesondere auch wirtschaftlich Tätigkeitsfelder übernommen. Aber auch das wird wahrscheinlich ein wichtiges Motiv sein, ob sie diese Privilegien beibehalten werden oder nicht. Auch das werden wir in Zukunft kritisch diskutieren müssen.

Oster: Ägypten galt ja, oder war ja ein Stabilitätsfaktor in dieser Region. Wenn das jetzt nicht mehr der Fall wäre, wenn das Land wirklich in Unruhen gestürzt wird, auch für lange Zeit, wer kann dann diese Rolle übernehmen - die Türkei?

Mützenich: Also, dass wird ganz schwierig sein. Wir müssen weiterhin mit der Türkei kooperieren. Sie ist ein wichtiger Partner bei der Bearbeitung de Konflikte im Nahen und Mittleren Osten. Das ist auch ganz wichtig für die Europäische Union, weil die politischen Akteure in Ankara offensichtlich auch unmittelbare Zugänge zu den Entscheidungsträgern in den Hauptstädten des Nahen und Mittleren Osten haben. Ich erinnere mich nur an die Iran-Krise. Da war der türkische Präsident in der Lage, auch direkt mit dem Religionsführer über Problem zu sprechen und deswegen ist die Türkei ein wichtiger Anker in dieser Region

Oster: Dr. Rolf Mützenich. Er ist außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, zu der Frage, wie man mit den Unruhen in Kairo umgehen soll. Vielen Dank!