Wahlen in Afghanistan
Ist der bisherige und auch künftige Präsident Karsai tatsächlich nur der "Bürgermeister von Kabul"? Seine tatsächliche Macht ist begrenzt, durch die Herrschaft der Stammesfürsten außerhab Kabuls überall im Lande, durch die Taliban und die krimininellen Drogenbosse. Zu denen soll auch sein Bruder gehören.
Judith Schulte-Loh: Heute also, nach zahlreichen Anschlägen und Drohungen der Taliban, finden die Präsidentschaftswahlen in Afghanistan statt. 17 Millionen Afghanen haben sich registrieren lassen, seit 4 .30 Uhr MEZ sind die Wahllokale geöffnet. Bei mir im Studio ist Rolf Mützenich, Außenpolitiker in der SPD-Fraktion.
Herr Mützenich, Amtsinhaber Karsai hat große Chancen bei diesen Wahlen tatsächlich wiedergewählt zu werden. Wofür steht er?
Rolf Mützenich: Guten Morgen, Frau Schulte-Loh. Ich glaube, er steht auf jeden Fall für eine wichtige Volksgruppe in Afghanistan, die die Mehrheit dort stellt. Das ist eine wichtige Identifikation, natürlich auch für politische Institutionen, auch für politische Macht. Auf der anderen Seite ist er jemand, der durchaus auch durch die internationale Gemeinschaft damals quasi ausgewählt worden ist, diesen Prozess in Afghanistan zu begleiten und eigentlich auch die Verantwortung mehr und mehr zu übernehmen. Auf der anderen Seite ist er natürlich auch eine schillernde Figur, der durchaus auch den einen oder anderen Machthaber, der aus Afghanistan eine schwierige Vergangenheit hat, versucht in diesen Prozess einzubinden.
Schulte-Loh: Hat man ihn vielleicht zu sehr gewähren lassen? Es gibt die Vorwürfe, dass er durch Bestechung bestimmte Leute mit ins Amt hinein gebracht hat oder deren Entscheidungen beeinflusst, dass er in Drogengeschäfte verwickelt sein soll.
Mützenich: Ich kann das nicht belegen, Ich habe dafür keine Hinweise. Was man aber doch offensichtlich nachvollziehen kann in den politischen Situationen wie sie in Afghanistan waren, hat er auf der einen Seite, wie gesagt, durchaus schwierige Partner an seine Seite geholt. Es wird auch immer wieder behauptet, dass in seinem Familienumfeld Drogenkriminalität stattfindet. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass wir es natürlich mit einem Prozess zu tun haben. Über dreißig Jahre lang Bürgerkrieg, ein Land, was auch von auswärtigen Mächten besetzt wurde und das sind natürlich auch schwierige Verhältnisse für den Wiederaufbau. Also, kurzum, eine Situation die wahrscheinlich für viele einfach nicht leicht wäre das Land in regelmäßige Bahnen zu lenken.
Schulte-Loh: Also hält man an ihm fest, weil man keine Alternative hat?
Mützenich: Es gibt natürlich Alternativen und es ist gut, dass dieser Wahlprozess auch ganz unterschiedliche Präsidentschaftskandidaten zeigt. Dass es offensichtlich auch Herausforderer gibt, auf die Karsai Rücksicht nehmen muss. Das ist ganz wichtig. Und auch die internationale Gemeinschaft ist klug beraten, zu ganz unterschiedlichen Gruppen auch Kontakte zu haben. Ich scheue mich einfach immer davor, in der Politik zu sagen "alternativlos". Das ist ein Prozess, der ist einfach wichtig und ich glaube auch, dass die Wahlen ein Baustein für die innere Entwicklung in Afghanistan sein können, aber natürlich auch für die internationale Gemeinschaft, wie wir mit Afghanistan weiterhin umzugehen haben.
Schulte-Loh: Eben, wie weiter in Afghanistan? Vor allen Dingen wenn die Gewalt, die ja in den letzten Tagen vor der Wahl enorm zugenommen hat. Heute früh hat es bereits einen Anschlag gegeben. Wie der Tag sich entwickelt ist noch offen im Moment in Afghanistan. Wenn die Gewalt nicht abreißt, was dann?
Mützenich: Das ist ein schwieriges Problem. Wir haben Gewalt in diesem Land eben schon seit mehreren Jahrzehnten und wir müssen versuchen, die Menschen in Afghanistan zu schützen. Das ist ja auch etwas, was Präsident Obama in seiner Afghanistan-Strategie mittlerweile in den Vordergrund bringt. Er spricht nicht mehr vom "Krieg gegen den Terrorismus" wie sein Amtsvorgänger, sondern er versucht insbesondere einen politischen Prozess zu gestalten und die Frage von Gewalt spielt natürlich weiterhin eine Rolle, insbesondere dann, wenn es nicht gelingt, auch mit Kräften in Afghanistan selbst, dieser Gewalt Herr zu werden.
Schulte-Loh: Aber ist es da dann richtig, das militärische Engagement tatsächlich zu erhöhen? Denn das will Obama auch. Das wird auch von den NATO-Staaten, auch von Deutschland, mit gefordert. Und wir haben auch in Deutschland die Diskussion, inwiefern militärisches Engagement und ziviles tatsächlich zusammen zu bringen sind und sinnvoll sind.
Mützenich: Ich glaube, das eine kann nicht auf das andere verzichten. Wir haben ja auch Hilfsorganisationen, die durchaus sagen, sie brauchen diesen militärischen Schutz, sie wollen aber nicht dort Soldaten als Entwicklungshelfer dort gesehen werden. Ich finde diese Trennung auch durchaus richtig. Da haben wir den Menschen in den letzten Jahren etwas vorgemacht. Auf der anderen Seite müssen wir natürlich auch sehen, dass die Gewalttaten in Afghanistan zugenommen haben in den letzten Jahren aufgrund von Versäumnissen insbesondere, politische regionale Akteure im Umfeld und auch in Afghanistan in den Prozess einzubinden, und da gibt es jetzt eine Chance.
Schulte-Loh: Eine Aufgabe der der deutschen Soldaten und der Deutschen, die in Kabul sind, ist ja mit die afghanische Polizei auszubilden und da gibt es ja auch schwere Vorwürfe. Ich habe heute morgen mit der Generalsekretärin von Amnesty International gesprochen, die nochmal sagte, sie haben so viele Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen auch durch die afghanische Polizei, also durch korruptes Verhalten, durch rücksichtloses, gewalttätiges Verhalten der afghanischen Polizei. Wie kann Deutschland da, die deutschen Soldaten mit der Ausbildung da mehr auf die einwirken?
Mützenich: Wir müssen es tun. Die Frage von Gewalt und Korruption, selbst in sogenannten Sicherheitsinstitutionen, ist ein schwerwiegender und auch berechtigter Vorwurf. Darauf haben wir Hinweise und wir müssen auch insbesondere immer wieder versuchen mit den Akteuren vor Ort genau das abzustellen. Auf der anderen Seite glaube ich, gibt es eine gesellschaftliche Entwicklung in Afghanistan, die dies eben auch benennt. Wenn wir gesehen haben, was dieser Wahlprozess bedeutet. Es haben sich viele Menschen auch, wenn es ihnen gestattet war, wenn sie die Möglichkeit hatten, auch daran beteiligt und das sind Hoffnungsschimmer. 50% Prozent der Afghanen sind jünger als 25 Jahre und das ist durchaus, nach meinem Dafürhalten, ein wichtiger Aspekt, dass Wahlen heute mit zur Legitimation dazu gehören und dass eben auf Korruption und Gewalt eben hingewiesen wird.
Schulte-Loh: Zur Präsidentschaftswahl heute in Afghanistan war das Rolf Mützenich, Außenpolitiker in der SPD-Bundestagsfraktion. Danke für den Besuch im Studio!
Mützenich: Gerne!