"Viele offene Fragen im Fall Kundus"

Interview mit Sabine Beckmann
Veröffentlicht: 
rbb Inforadio, 15.12.2009
Thema: 
Zum Raktenangriff auf die Tanklastzüge in Kundus

Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg hat bekräftigt, dass es keinen Strategiewechsel der Bundeswehr in Afghanistan gebe. Er würde es eine notwendige Anpassung an Realitäten nennen, sagte zu Guttenberg in der ARD. Es gebe die Möglichkeit, aktiv und offensiv gegen die Taliban vorzugehen - in engen klaren Kriterien und im Rahmen der Verhältnismäßigkeit.

Sabine Beckmann: Haben Sie den Militärbericht von der NATO gelesen?

Rolf Mützenich: Nein, ich habe keine Leseberechtigung. Das ist nur ein ganz kleiner Kreis. Unser verteidigungspolitischer Sprecher hat ihn damals gelesen. Zum Beispiel Sigmar Gabriel darf ihn auch nicht lesen. Da täuscht sich der Außenminister schon und wir müssen auch aufpassen, dass wir jetzt nicht in die falsche Richtung gelenkt werden. Der entscheidende Punkt ist doch aber auch nicht, wer durfte lesen, sondern welche Schlussfolgerungen haben wir gezogen. Und wir als Opposition haben von Anfang an gesagt, dass dieser Angriff unverhältnismäßig gewesen ist. Es gab eine hohe Zahl an zivilen Opfern und das hat der Verteidigungsminister damals in Abrede gestellt. Jetzt hat er sich korrigiert und wir fragen uns, auf welcher Grundlage er sich korrigiert hat.

Beckmann: Sie sagen aber, Ihr Verteidigungsexperte hat ihn gelesen. Sind denn dort beide Möglichkeiten erwähnt, dass sowohl die Tanklaster, als auch die Taliban, Ziel des Raketenangriffs waren?

Mützenich: Das kann ich nicht sagen, weil ich es nicht gelesen habe. Und ich habe meine Informationen aus den Zeitungen bekommen. In den letzten Tagen aus den Medien insgesamt. Und da muss ich sagen, da tun sich schon Abgründe auf. Aber wir sind damals immer zu der Schlussfolgerung gekommen, das, was in diesem Angriff erfolgt ist und wie dieser Einsatz erfolgt ist, war nicht richtig. Offensichtlich hat ja auch der ISAF-Bericht fest gestellt, dass Oberst Klein nicht entlang der Richtlinien gehandelt hat, so wie sie damals vorgesehen waren.

Beckmann: "Da tun sich Abgründe auf" - Was meinen Sie damit?

Mützenich: Abgründe insbesondere deswegen, wie dieser Angriff kommuniziert worden ist, was damals im Verteidigungsministerium gewusst worden ist, der Verteidigungsminister, damals Herr Jung, für eine Rolle gespielt hat und insbesondere, was der neue Verteidigungsminister der Öffentlichkeit eben nicht preisgegeben hat. Ich habe in den letzten Tage, um ganz offen zu sein, den Eindruck, dass Herr Guttenberg offensichtlich mehr an seiner Person interessiert ist, als an einer Aufklärung.

Beckmann: Sie haben ja Anfang September noch mitregiert. Ihre Partei, die SPD, hat den Außenminister und Vizekanzler gestellt. Was haben Sie von den Einzelheiten des Angriffs gewusst, was hat er gewusst?

Mützenich: Das ist auch eine Frage, die Sie ihm stellen müssen, beziehungsweise, die wir Abgeordnete unabhängig von der Parteizugehörigkeit im Untersuchungsausschuss zu stellen haben. Ich glaube, da muss eine Menge Aufklärungsarbeit geleistet werden, da müssen alle Fakten auf den Tisch. Von der alten Regierung und von der neuen Regierung. Das ist gar keine Frage. Ich persönliche habe immer nur die Dinge aus den Medien erfahren, wie sie damals vorlagen, und, wie gesagt, wir haben damals schon erklärt, dass diese Angriffe unverhältnismäßig gewesen sind.

Beckmann: Klingt so, als wären Informationen vorenthalten worden. Hat denn auch mal jemand gefragt?

Mützenich: Das hoffe ich, dass jemand gefragt hat, der vor allem die Kompetenz und die Zugangsberechtigung dazu hatte. Die Frage ist natürlich nur wie damals in dieser Umgebung, in dieser Situation, auch während des Wahlkampfes, überhaupt noch Informationen vorhanden waren, wie sie weitergegeben worden sind und ob es möglicherweise eine zu enge Linienführung von Seiten des Verteidigungsministeriums und des Bundeskanzleramts gegeben hat. Das muss im Untersuchungsausschuss nachgefragt werden.

Beckmann: Was für einen Eindruck vermitteln Sie da? Das ist irgendwie so ein Wagenburg rund um's Bundesverteidigungsministerium und nicht einmal der Bundesaußenminister und Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier kriegt etwas mit?

Mützenich: Wie gesagt, das weiß ich nicht. Entscheidend ist, dass wir Abgeordneten im Untersuchungsausschuss dies versuchen heraus zu finden. Der damalige Außenminister und jetzige Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier hat sich gestern erklärt und das war für mich glaubwürdig.

Beckmann: Nach Ihrer Kenntnis, ist das alles vom Bundestagsmandat für die Soldaten in Afghanistan gedeckt, was da passiert?

Mützenich: Gedeckt ist natürlich der Einsatz der Bundeswehr, gedeckt ist insbesondere der Einsatz im Rahmen eins Beschlusses des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, gedeckt ist offensichtlich nicht dieser Angriff. Das sagt scheinbar auch der gesamte Bericht der NATO, den ich, wie gesagt, nicht lesen konnte. Das muss aber auch jetzt im Untersuchungsausschuss heraus kommen. Ich hoffe einfach auch, dass die Regierungskoalition zugesteht, dass das in der Öffentlichkeit bekannt gegeben wird, dass die Untersuchungen auch teilweise oder zum großen Teil öffentlich erfolgen kann, denn die Öffentlichkeit hat ein großer Interesse an Transparenz und Offenheit. Der Verteidigungsminister könnte dem bereits heute genügen, indem er alle Fakten auf den Tisch legt. Ich habe manchmal den Eindruck, er ist zu viel in Talkshows und bringt zu wenig Substanz.

Beckmann: Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion zum Luftschlag in Afghanistan und seinen Folgen.