Verstimmungen zwischen Paris und Berlin

Interview mit Bettina Klein
Veröffentlicht: 
deutschlandradio.de, 14.09.2007
Thema: 
SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich: Missverständnisse müssen ausgeräumt werden.

Nach Ansicht des SPD-Außenpolitikers Rolf Mützenich gibt es im deutsch-französischen Verhältnis derzeit zwar keine Krise, aber doch Irritationen. Frankreichs Staatschef Sarkozy habe durch Alleingänge etwa in der Libyenpolitik seit seinem Amtsantritt im Mai für Missverständnisse gesorgt. Deutschland und Frankreich müssten wieder zu gemeinsamen Positionen finden, fordert Mützenich.

Bettina Klein: "Ganz ehrlich: Es gibt keine Krise, wenn man die Tatsachen anschaut", so der Sprecher des Élysée-Palasts gestern. Die "Rheinische Post" hatte berichtet, der französische Präsident Sarkozy sei zutiefst über Bundeskanzlerin Merkel verärgert. Die Kanzlerin gehe ihm zutiefst auf die Nerven, berichtete das Blatt unter Berufung auf einen Vertreter von Sarkozys Partei UMP. Der Staatschef sei unter anderem deswegen nicht gut auf Merkel zu sprechen, weil sie Bundesfinanzminister Steinbrück nicht zur Ordnung gerufen habe. Steinbrück hatte Sarkozy bei einem Treffen der EU-Finanzminister wegen der französischen Haushaltspolitik kritisiert. So oder so, der französische Staatschef sorgte seit seinem Amtsantritt im Mai mit internationalen Alleingängen für allerlei Irritationen in Berlin. Alles aber nur ein lächerlicher Sturm im Wasserglas? Fragezeichen. In Berlin und Paris bemüht man sich, offiziell die Dinge tiefer zu hängen.

Offiziell also werden mögliche Probleme heruntergespielt. Der einzige aus den Regierungsfraktionen in Deutschland, den man gestern mit etwas kritischeren Tönen dazu hören konnte, das war der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich. Und er ist jetzt am Telefon, schönen guten Morgen.

Rolf Mützenich: Guten Morgen Frau Klein.

Klein: Es geht darum, genau zu sein, bei der Wortwahl. Was haben wir? Eine Krise, eine Verstimmung oder wie nennen Sie das?

Mützenich: Also ich würde von Irritationen sprechen, weil ich glaube, dass das was der französische Staatspräsident seit seinem Amtsamtritt auf der einen Seite durchaus an positiven Signalen, die ja eben der französische Pressesprecher dargestellt hat, gemacht hat, das ist unumstritten. Auf der anderen Seite gab es auch immer wieder Missverständnisse, die Energiepolitik, EADS, die Missachtung des Stabilitätspakts und insbesondere auch die Frage der Libyenpolitik. Und ich glaube, Deutschland und Frankreich müssen zusammenarbeiten, gerade in internationalen Fragen und das, was die gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik betrifft. Und ich glaube, das muss man dann auch diskutieren, wenn es an der Zeit ist.

Klein: Sie sprechen von Irritationen. Wie sehr belasten diese Alleingänge, von denen Sie gesprochen haben, das deutsch-französische Verhältnis?

Mützenich: Also, ich glaube, das deutsch-französische Verhältnis, wenn man es zwischen den Gesellschaften, zwischen der Politik, speziell auch zwischen den Parlamenten anspricht, ist gut und ich glaube, deswegen gehört es sich auch, offen über die Dinge zu sprechen, wo es eben zu unterschiedlichen Einschätzungen kommt, weil die gemeinsamen Themen, die Frankreich und Deutschland in Zukunft bearbeiten müssen, sind doch so groß in der Herausforderung. Ich nenne zum Beispiel den Iran oder den EU-Vertrag, das Verhältnis zu Russland. Da müssen wir beieinander bleiben, und wenn es nur letztlich darum gehen würde, wie man seine Rolle ausfüllt, also die des französischen Staatspräsidenten, vielleicht, ich sage das jetzt mal etwas vorsichtig, etwas überdreht Politik zu machen, dann wäre das vielleicht nur ein Teil, aber wenn es gerade um Inhalte geht, dann finde ich schon, sollte man das aufmerksam zur Kenntnis nehmen und auch diskutieren.

Klein: Und wird es genug diskutiert im Moment in Berlin?

Mützenich: Ich glaube schon. Die Frage ist natürlich, ich bin als Parlamentarier natürlich ein bisschen freier als das, was die Regierung machen kann oder der Regierungssprecher, und vielleicht haben auch Kollegen und Kolleginnen von mir in der SPD-Fraktion davon eine andere Meinung, aber das, was Sarkozy seit seinem Amtsantritt teilweise für mich an Irritationen gebracht hat - ich habe eben die Frage zum Beispiel Libyen genannt, wo es nicht nur um die Freilassung der bulgarischen Krankenschwestern und des palästinensischen Arztes ging, sondern eben auch dann gleichzeitig um die Frage eines Aufbaus eines Atomkraftwerkes, Waffenlieferungen, etc. -, das finde ich schon, das muss man diskutieren, auch die Ankündigung, möglicherweise zu einseitigen Sanktionen gegenüber dem Iran zu kommen. Es hat doch eigentlich immer in der Vergangenheit darauf angekommen, dass Deutschland und Frankreich hier eine gemeinsame Position zusammen mit Großbritannien gemacht haben, und das muss auch in Zukunft der Fall sein.

Klein: Gut, diskutieren, da kann ja niemand was gegen haben, aber müsste die Kanzlerin Ihrer Meinung nach stärker intervenieren, stärker die Unterschiede zur deutschen Positionen herausarbeiten, und wenn ja, welche?

Mützenich: Ich glaube schon, dass sie das hinter verschlossenen Türen tut, weil einfach hier an dieser Stelle ein vielleicht anderes Schwergewicht auch in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik gelegt wird. Da gehe ich zumindest von aus. Die Zurückhaltung nach außen hin kann ich durchaus verstehen. Das tut man nicht wahrscheinlich unter Partnern, die natürlich auch dann zu einem Ergebnis kommen müssen. Aber dass wir das offen ansprechen, das ist vollkommen richtig. Das hat die Kanzlerin nach meinem Dafürhalten auch in der Vergangenheit getan. Die Einmischung, die Sarkozy im Hinblick auf die Frage der Atomenergie gemacht hat, das hat sie gut gekontert, und ich glaube, wenn sie dabei bleibt und letztlich dann auch in den Räumen offen darüber diskutiert, dann bin ich damit einverstanden.

Klein: Auf der anderen Seite sagen Sie, die deutsch-französische Zusammenarbeit gestaltet sich derzeit etwas schwierig. Gleichzeitig sagen Sie, Stilfragen spielen da eigentlich nicht eine so große Rolle. Also, ist es ganz egal, welchen politischen Stil Sarkozy fährt, oder hängt es doch auch ein wenig davon ab, in welcher Art und Weise er Vorstöße präsentiert und muss nicht dann am Ende auch darüber gesprochen werden?

Mützenich: Ich kann ja nicht auf sein sozusagen Agieren unmittelbar Einfluss nehmen. Mich stört das schon, wie er Politik betreibt, mit welchen Ad-hoc-Entscheidungen er in die Debatte kommt, offensichtlich ja ohne Vorklärungen mit anderen nationalen Regierungen innerhalb der Europäischen Union. Das stört mich schon. Das führt auch zu Irritationen. Ich habe ja gesagt, diese etwas hibbelige, dieser hibbelige Politikstil ist schon schwierig. Aber auf der anderen Seite: Es geht um die Inhalte und solange wir die aus deutscher Sicht benennen und dabei dies auch ruhig vortragen, glaube ich, liegt der Erfolg letztlich dann auch auf der Seite zu Gunsten einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Und ich meine, das ist ja nicht nur in Deutschland umstritten, sondern es ist ja mehr und mehr auch in der französischen Innenpolitik umstritten. Und teilweise gibt es ja Kommentatoren, die sagen, dass Sarkozy mit diesem Vorpreschen auch von seinen innenpolitischen Schwierigkeiten ablenken will. Da geht es um die Rente, da geht es um die Steuerreformen, und ich glaube, das müssen wir uns, denke ich, in Ruhe angucken, wie er dort seine innenpolitischen Vorhaben, die er im Wahlkampf angekündigt hat, auch umsetzt.

Klein: Nach Ihrem Eindruck, Herr Mützenich, es kommen ja auch etwas widersprüchliche Signale aus Paris. Haben Sie das Gefühl, man nimmt das in Kauf, dass es Irritationen dann doch gibt im deutsch-französischen Verhältnis, weil man sich sagt, wir haben eine so enge Partnerschaft, also da klingelt keiner dran, oder ist es auf der Pariser Bühne eigentlich gar nicht so bewusst, wie das hier wahrgenommen wird?

Mützenich: Doch, das kann ich mir schon vorstellen, dass bei dem einen oder anderen natürlich auch eine Irritation ist, insbesondere wie der Staatspräsident agiert. Auf der anderen Seite weiß ich natürlich auch um das Rollenverständnis des französischen Staatspräsidenten. Er kann dort auch gegenüber dem Kabinett ganz anderes agieren, als die Bundeskanzlerin dies in einer großen Koalition tut. Vielleicht muss er sich auch daran gewöhnen, dass es in anderen nationalen Verfassungen anders vorgeht. Und ich glaube, die Franzosen würden gut daran tun, wenn sie auch über diesen Stil, den der französische Staatspräsident in die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik hineingetragen hat, das ein oder andere kritische Wort verlieren.

Klein: Aber unter dem Strich komme ich jetzt zu dem Ergebnis, auch nach unserem Gespräch, Herr Mützenich, dass Sie im Grunde genommen die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich als nicht gestört erachten und es eigentlich sich doch ein wenig um einen Sturm im Wasserglas handelt.

Mützenich: Nein, es ist nicht nur ein Sturm im Wasserglas. Die eine Frage ist: Die deutsch-französischen Beziehungen sind natürlich gewachsen, das sind Strukturen, die sich ergeben haben, von unterschiedlichen Akteuren dann auch ausgeprägt. Aber dass wenn zum Beispiel ein solch wichtiger Akteur wie der französische Staatspräsident immer wieder mit diesen Irritationen in die internationale Politik hineinkommt, dann muss man das offen benennen. Das hat aber nicht unmittelbar mit den strukturellen Verhältnissen zwischen den beiden Ländern zu tun.

Klein: Sie dürfen es als Parlamentarier offen benennen, die Kanzlerin sollte dies aber tunlichst hinter verschlossenen Türen tun.

Mützenich: Also ich denke, die Kanzlerin ist klug genug, dass an den Stellen zu tun, wo sie es für notwendig hält, da braucht sie keine Ratschläge von mir. Aber das, was ich benannt habe, finde ich schon, war in den letzten Monaten etwas viel gewesen, und da muss man eben offen auch drüber sprechen dürfen.